Ein neuer Fall
»Ich habe ja kein Problem damit«, fing einer seiner Kollegen an – ich glaube, er hieß David, »aber wie willst du es dem Chef erklären? Du weißt, was er von kleinen Mädchen am Arbeitsplatz hält.«
Ich hasste es, wenn man mich kleines Mädchen nannte. Das war schon immer so, und so würde es wohl auch immer sein. Wenn man mich ansah, dann sah man sofort, dass ich KEIN kleines Mädchen mehr war. Ich war ein normales, brünettes Mädchen, das sehr schnell explodieren konnte! »Bitte?«, schnaubte ich und setzte mich zum ersten Mal aufrecht hin. »Ich bin fünfzehn Jahre alt! Das heißt, ich bin kein kleines Mädchen! Und wenigstens, sind meine Haare nicht gefärbt, Dave.«
David fuhr sich durch seine schmutzigblonden Haare und zog eine Augenbraue nach oben.
»Ich heiße David und nicht Dave, du Göre und sehen von Natur aus so aus.« »Wer es glaubt.«
»Oh Mann, Jeff, deine Stieftochter ist sehr aufbrausend und frech«, sagte Kate, eine rothaarige Frau. Ihre Haare erinnerten mich an eine Löwenmähne und ich fand, sie sah sehr hübsch aus. »Na ja, dann wird sie sich wohl bestens mit meinem Sohn verstehen. Hoffe ich jedenfalls.«
»Wo ist eigentlich Austin?«, fragte David.
»Er wollte mir nur einen Kaffee holen, hoffen wir, dass er nichts kaputt macht.«
Austin. Ich glaube, Jeff hatte mal von ihm erzählt. Jetzt fiel es mir wieder ein! Austin war der sechzehnjährige Sohn von Kate, der hier in den Ferien ein Praktikum ablegen wollte. Persönlich hatte ich ihn noch nie getroffen.
In diesem Moment ging die Tür auf und ein braunhaariger, großer Junge betrat Jeffs Büro. Seine Haare waren nach oben gekämmt und in seiner Hand hielt er einen Kaffee. Der erste Eindruck von ihm: Nicht schlecht. Er wirkte auch nett.
Lächelnd gab er seiner Mutter den Kaffee, die das heiße Getränk skeptisch beäugte.
»Es ist halbleer«, stellte sie fest. »Sehe es positiv. Es ist halbvoll«, sagte Austin schulterzuckend. »Damit hatte deine Mom schon immer Probleme«, sagte David, während er die Tasse an sich nahm und einen Schluck daraus trank. Austin lachte, bis sein Blick auf mich fiel.
»Wer ist diese Kleine denn?«, fragte er und setzte ein selbstsicheres Grinsen auf.
Und schon war der gute Eindruck verschwunden! »Ich heiße Raven und ich bin nicht klein«, sagte ich düster. »Kleiner als ich bis du schon, Kleine.« »Vielleicht einen halben Kopf.« »Steh auf und wir sehen es genau, Kleine.« »Hör auf mich so zu nennen!«
»Oh, Gott«, stöhnte Jeff. »Wie soll ich es nur mit euch beiden aushalten?«
»Er ist ein Idiot!« »Und du bist süß.« Austin zwinkerte mir zu. »Falls du mal Lust hast...«
»Wow, wow, wow!«, wurde er von Jeff unterbrochen. »Finger weg von meiner Tochter.«
»Tochter?« »Sie ist meine Stieftochter.«
»Dann kann es Ihnen doch egal sein...« »Siehst du das?«
Jeff zückte seine Marke aus seiner schwarzen Anzugtasche und hielt es direkt vor Austins Gesicht.
»Das ist eine Marke, die es mir erlaubt, dich wegen jedem Fehltritt einzubuchten, kapiert?«
»Jetzt halt mal die Luft an«, mischte sich nun Kate ein. »Er ist immer noch mein Sohn! Nur ich darf ihm Strafen erteilen.«
Beinahe erleichtert zog David sein Benachrichtigungsgerät aus seiner teueren Hose und warf einen Blick darauf. Ich kannte das Gerät von meinem Stiefvater. Damit wusste er immer, ob ein neuer Fall anstand.
»Ich muss eure gemütliche Unterhaltung leider unterbrechen, aber wie es aussieht, haben wir einen Fall«, sagte David.
Die beiden anderen Agenten wurden hellhörig und der Streit war urplötzlich vergessen.
»Worum geht es?«
»Um eine Tote in der AllNight-Disco.«
Kein natürlicher Tod?
Die AllNight-Disco lag in einer sehr belebten Gegend und war meist voll. Nicht alle kamen hinein, es war nun mal ein geschlossener Club.
Jeff parkte den Wagen beim Hintereingang, da vorne viel los war und wir hier problemlos hinein und hinaus gehen konnten. Na ja, wohl eher sie, denn ich sollte gemeinsam mit Austin im Auto bleiben.
»Komm schon, Jeff! Das ist nicht fair!«, rief ich.
»Ich werde dich nicht in einen Club mitnehmen. Du bist minderjährig. Du bleibst hier in diesem Wagen und ich werde die Türen verschließen, damit du nicht hinaus kommst.«
»Na, du hast ja einen strengen Stiefvater«, murmelte Austin neben mir belustigt. Ich ignorierte ihn gekonnt.
»Die verschlossenen Autotüren würden mich nicht aufhalten«, meinte ich trotzig. »Ich kann ein Auto kurzschließen, schon vergessen?«
Stille. Jeff überlegte kurz. Er wusste genau, dass ich dazu fähig war. Natürlich. Das war ja auch der Grund, warum ich nicht allein zu Hause bleiben durfte und er liebte sein Auto über alles.
»Fein!«, knurrte er schließlich. »Aber du wirst Mit niemandem reden, niemandem im Weg stehen und du wirst die ganze Zeit in meiner Nähe bleiben, während Austin auf dich aufpasst.«
»Wieso ich?«, fragte dieser aufgebracht.
»Austin, du wirst auf das Mädchen aufpassen«, befahl seine Mutter, die ebenfalls im Auto saß.
»Ich absolviere ein Praktikum und arbeite nicht als Babysitter für diese Kleine hier.«
Ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht, aber dann dürfte ich wahrscheinlich nicht mehr mit hinein. Wer sollte sonst auf mich aufpassen?
»Für zwanzig Dollar.« Kate nickte.
»Na, kommt schon.« David, der in seinem eigenen Auto gefahren war, klopfte an die Frontscheibe und langsam stiegen sie aus. Ich folgte ihnen, wurde aber nach wenigen Metern festgehalten. Ich wandte mich um. Austin, der meinen Arm festhielt, sah mich eindringlich an.
»Mach keinen Ärger und versuch gar nicht erst abzuhauen. Nicht nur, dass ich dann das Geld nicht bekommen würde, es ist auch gefährlich da drin.«
Ich verdrehte die Augen und riss mich los.
»Es ist eine öffentliche Disco,mit lauter Betrunkenen, die sich kaum auf den Beinen halten dürfen. So gefährlich ist es also nicht«, erwiderte ich.
»Es ist nicht so spät, also darfst du dich auf ein paar Nüchterne freuen und siehe da! Ein Mädchen ist hier heute gestorben.«
»... okay... Punkt für dich.«
Damit drehte ich mich wieder um und betrat die Disco. Ich wurde von stickiger, nach Schweiß stinkender Luft emfang und meine Augen mussten sich kurz an die grellen Partylichter gewöhnen. Die Gäste saßen mit nicht wirklich erfreuten Blicken auf Stühlen, auf den Boden oder an die Wand gelegt, während Polizisten Fotos schossen und sie befragten.
In der Mitte des Geschehens waren drei Personen - Jeff, David und eine Polizisten - die sich über etwas beugten, was wohl die Leiche der Frau sein musste. Ich konnte nur ihre nackten Beine sehen, also ging ich näher ran.
Sie war wunderschön. Langes blondes Haar, wovon ein paar Strähnen ihr im Gesicht klebten, eine Haut, die so sanft aussah, wie Seide und ihr Körper hatte die perfekte Traumfigur. Nur ihr Gesicht, dass durch ihr Lächeln wohl erstrahlen würde, hatte einen seltsamen, entsetzten und schmerzverzerrten Ausdruck angenommen.
»Schade«, sagte Austin neben mir, den ich ganz vergessen hatte, weshalb ich vor Schreck zusammenzuckte, »sie war heiß.«
»Und sie hatte Schmerzen«, stellte ich fest.
»Woher willst du es wissen?«
»Ihr Gesichtsausdruck. Denkst du, so sie eine Person aus, die friedlich in den Himmel wandert?«
Austin runzelte die Stirn.
»Ach du scheiße, du hast recht, sie mehr wie Höllenquallen aus.«
Jeff und Kate liefen an uns vorbei. Sie waren so in ihrer Unterhaltung vertieft, dass sie uns nicht bemerkten.
»... dass sie hyperventiliert ist oder ein wichtiges Organ versagt hat«, sagte Kate gerade.
»Das kann sein«, sagte Jeff.
»Aber, Jeff, hat man dann wirklich Höllenqualen? Oder bemerkt man es so lange, sodass du sein Gesichtsausdruck ändern kann und all deine Gefühle wiedergespiegelt werden.«
»Nein.« Jeff sah wieder zur Frau. »Normalerweise sind die meisten Opfer geschockt und verwirrt.«
Er lief wieder zur Leiche und sprach mit der Polizistin und dann mit David. Ich verstand kein Wort, traute mich aber nich näher ran zu treten.
»Okay!«, rief er laut und die Aufmerksamkeit aller galt ihm. »Niemand verlässt dieses Gebäude. Die Frau hier, Carly Flingen, ist vermutlich ermordet worden. Wir brauchen alle Ihre Aussagen.«
Carlys Problem und die Zeugenaussagen
»Keine Ahnung, was die hat.«
»Komm runter. Trink 'n Bier, Alter.«
»Sie ist einfach umgekippt.«
»YOLO!«
Das waren noch Aussagen, die man halbwegs verstand. Niemand schien so recht zu wissen, worum es hier eigentlich ging. Der Alkohol vernebelte ihre Hirne und alles, was um ihnen herum geschah, war ihnen egal. Sie wollten nur eins: Feiern! Und die Beamten hier störten nur.
»So kommen wir nicht weiter«, seufzte ich, als ich mich neben Austin an die Wand lehnte.
»Eigentlich wäre es meine Aufgabe, du bist nicht mal ein Teil der Ermittlungen, Kleine«, meinte er.
»Sei still!« Mein Blick fiel auf eine junge Frau, die mit einem Mann in der Ecke stand. Ich ging zu ihr herüber, Austin im Schlepptau und stellte mich direkt vor ihr hin. Verheultes Gesicht, rote Augen und Verzweifelung. Definitiv eine Angehörige. Die zwei sahen auf.
»Entschuldige, ich bin Raven, dürfte ich dir ein paar Fragen stellen...?«
»Lora«, stellte sie sich vor und nickte. »Das ist Jessie.«
»Okay, kanntest du Carly?«
Lora fing wieder an zu weinen und Jessie hielt sie fest. »Sie war meine beste Freundin! Und Jessies feste Freundin. Oh Gott, oh Gott! Ich kann es nicht fassen.«
»Warst du dabei, als sie umgekippt ist?«
»Ich war dabei«, meldete sich Jessie zu Wort. »Wir haben kurz etwas getrunken und sind dann auf die Tanzfläche und dann... Ist sie plötzlich umgekippt.«
»Ist sie sofort umgekippt?«
»Nein«, antwortete Lora. »Sie wurde von einem krampfartigen Schütteln erfasst, hat schwer geatmet.«
»Und wo warst du da, Lora?«
»An der Bar. Ich hab mich mit Tom dem Barkeeper unterhalten.«
Ich nickte und sah dann zu Austin, der aber nur Lora ansah. Ich verdrehte die Augen, bedankte mich, packte seinen Arm und zog ihn in Richtung Bar.
»Sie ist zu alt für dich«, fauchte ich genervt.
»Eifersüchtig?«, grinste er mich frech an.
Ich ignorierte ihn und setzte mich stattdessen auf einen Barhocker. Tom, ein glatzköpfiger Mann mitte zwanzig, sah von dem Glas, das er gedankenverloren wischte, auf.
»Tom, richtig?« Er nickte als Antwort. »Darf ich dir ein paar Fragen stellen?«
»Je früher ihr Erkenntnis erlangt, desto schneller verschwindet ihr, also los.«
»Warst du hier, als es passiert ist?«, fragte Austin und stahl damit meine Frage.
»Ich hab mich mit dieser Lora unterhalten. Hat mir von ihrem toten Pferd erzählt. Dann fingen 'n paar Mädels an zu schreien. Dacht' da hätte jemand wieder gekotzt, von hier kann man das nicht sehen und dann lag da so 'ne Tote.«
»Kanntest du Carly?« ich sah ihn prüfend an.
»Nettes Mädel. Hab' sie kennengelernt, als ihr Ex-Freund Probleme gemacht hat.«
»Wie?«, fragte Austin.
»Randaliert. Hat gedroht, sie umzubringen.«
»Und warum?«
»Schluss gemacht und was mit dem besten Freund angefangen. Die Eifersucht eb'n.«
»Damit kennst du dich ja bestens aus«, flüsterte Austin mir ins Ohr.
»Ich weiß, wo mein Dad seine Waffe versteckt«, zischte ich ihm zu. Schon war er still. »Ist ihr Ex-Freund zufällig hier?«
»Ja, da.«
Tom deutete auf einem jungen Mann, der vier Plätze weiter saß und sich ein Bier nach dem anderen hinunter kippte. Er war total verschwitzt, seine schwarzen Haare, die vorher wohl hochgegelt worden waren, hingen hinunter und er hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck aufgesetzt.
»Der sieht nicht gut aus«, stellte Austin fest. »Ich sollte ihn allein befragen, er könnte gefähr... Raven!«
Ich ging einfach an ihm vorbei und setzte mich neben Carlys ehemaligen festen Freund hin. Er sah mich an und wandte sich dann wieder seiner Beschäftigung zu.
»Hey... Eh... Stört es dich, wenn ich dir ein paar Fragen stelle?« Prüfend sah ich ihn an und als er sich nichts anmerken ließ, fuhr ich fort: »Wie heißt du?«
»Alex.«
Er sprach also schon mal mit mir. Ein guter Anfang.
»Hast du mitbeko...?«
»Das sie tot ist?«, fragte Alex wütend.
»Pass auf, Raven«, hörte ich Austin neben mir leise sagen.
»Sie ist tot! Sie ist tot!!«
»Uns wurde gesagt, dass du ihr mit dem Tod gedroht hast.«
»Das habe ich«, lachte Alex und hörte dann plötzliche auf. »Das habe ich. Weißt du, es kann sein, dass ich das war. Ich wünschte, ich hätte es getan. Ich hab es getan.«
Langsam machte er mir Angst. Ich bemerkte nicht, dass ich Austins Hand gegriffen hatte. Erst als er sie leicht drückte, realisierte ich es. Ich sah zu ihm und sah sein selbstgefälliges, zufriedenes Lächeln und ließ seine Hand los. Idiot!
»Weißt du, ich bin ihr gefolgt. Wollte mit ihr reden. Sie wollte nicht hören. Sie hat den Tod nur verdient! Willst du wissen, was ich mit ihr vor hatte?«
»Nein«, sagte ich schnell und stand auf. »Wir müssen jetzt los. Komm, Austin.«
Mit schnellen Schritten entfernte ich mich von der Bar. Automatisch steuerte ich Jeff an, der gerade einem muskulösen, bulligen Typen befragte.
»Jeff«, sagte ich von weitem.
»Nicht jetzt, Raven«, sagte er abgelenkt.
»Jeff«, wiederholte Austin.
»Ja, Austin.« Mein Stiefvater wandte sich ihm zu. Wirklich? Er wurde ernstgenommen und ich nicht? Kopfschüttelnd sah ich, wie Jeff das ganze Team zusammenrief und ihnen die neuen Informationen mitteilte.
Für allen war der Fall klar. Ich war wohl die Einzige, die sich Gedanken machte. Irgendwas war faul.
Die Todesursache
Ich lief durch den Club. Da alle mit Austin beschäftigt waren, bemerkte niemand mein Verschwinden.
»Du hast sie umgebracht!«, hörte ich jemandem schreien, als ich neben einer Tür vorbeilief.
»Würdest du wohl still sein?«, sagte eine ruhige Stimme. »Ich wollt' das nicht!«
Ich schlüpfte durch die Tür, die von einem roten Vorhang verdeckt wurde und fand mich in einem kleinen Flur wieder. Hier gab es nur eine Tür, aber die Stimmen kamen nicht von der Tür. Nein, die zwei Personen standen im Flur. Es waren Tom und eine total wütende und aufgelöste Lora.
»Ich hab' etwas in ihr Getränk geta'...«, sagte Tom, stoppte aber mitten im Satz, als er mich bemerkte. »Was machst du hier!?«
»Raven, du darfst...« Lora wollte etwas sagen, aber der Barkeeper machte einen Satz vor und wollte mich packen. »Tom, nein, lass sie!!«
Ich stolperte zurück, durch den Vorhang und damit wieder in den Club. Er folgte mir und ich rannte schnell in weg. Ich wusste nicht, wohin, jedoch wurde ich schnell aufgehalten, als ich mit jemandem zusammenstieß. Dieser jemand hielt mich fest. Hätte er dies nicht getan, wäre ich hingefallen.
»Austin«, stellte ich erleichtert fest. So erleichtert, dass ich ihn vor Freude umarmte. Als mir bewusst wurde, was ich da tat, ließ ich ihn los. Er sah nicht wirklich glücklich aus, aber seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben und er war auch erleichtert.
»Wo warst du?«, fragte er angesäuert. »Und vor wem rennst du weg? Hat dir jemand etwas getan?«
Ich warf einen Blick über meine Schulter. Tom stand ein paar Meter weiter weg und sah mich warnend an. Auch Austin schien es bemerkt zu haben. Er zog mich hinter sich und musterte mich prüfend. »Was ist passiert?«
Und so erklärte ich es ihm. So leise es ging. Trotzdem wusste Tom, was ich da tat und ohne Vorwarnung stürmte er auf mich zu. Austin verpasste ihn einen kräftigen Schlag. Um ehrlich zu sein, dass er so stark war, hätte ich nicht gedacht. Tom, der als Barkeeper wahrscheinlich sehr oft mit Betrunkenen und Aggressiven in Kontakt kam, fiel einfach zu Boden. Schon eilten einige Polizisten herbei und legten ihm Handschellen an.
»Was ist los?«, wollte Jeff wissen, als er zusammen mit Kate zu uns herüber gerannt kam. David, der Tom hochzog, sah ebenfalls verwirrt aus.
»Der Kerl ist der Mörder«, meinte Austin gelassen. »Und er wollte der kleinen Raven etwas antun, weil sie es herausgefunden hat. Übrigens, steht sie auf mich.«
»Was!?« Jeff sah mich entsetzt an und ich wusste nicht genau, was ihn entsetzte. Ich bemerkte, dass ich zu nahe an Austin stand. Wütend schubste ich ihn von mir weg.
»Hör einmal auf! Gerade wo ich dich langsam erträglich fand, verhälst du dich wieder wie ein Idiot!«
Die nächsten fünf Minuten saß ich beleidigt auf einem Stuhl und hörte mir Toms Geständnis an.
»Ich wusst' nicht, dass sie die nicht verträgt!«, schrie Tom. »Ich wollt' die doch nicht umbring'n.«
»Aber sie ist tot«, sagte David mit Nachdruck. »Wieso?«
»Sie sollte lockerer werden. Es waren nur ein paar Tropfen!«
»Ehm... Raven?«, sagte Austin und klang dabei etwas schüchtern. Moment! Schüchtern!?
»Hm«, machte ich nur und er fragte mich, ob er sich auf dem Stuhl neben mich setzen dürfe. Ich nickte, ohne ihn anzuschauen.
»Hör mal, es tut mir leid«, sagte er, kaum dass er saß. »Ich bin manchmal ein Idiot, ich weiß und kann auch oft meine Klappe nicht halten, aber sowas rutscht mir eben raus. Ich werde versuchen mich zu bessern. Okay?«
»Okay.«
Er berührte meine Wange und stupste sie immer wieder an, bis ein Lächeln erschien.
»Viel besser«, meinte er zufrieden. Ich beobachtete weiterhin Tom. »Unglaublich, dass er es getan hat.«
»Stimmt. Er kam mir nicht vor, wie ein Mörder.«
Und es gab noch andere Unreimheiten. Wieso hatte er das getan? Was sprang für ihn dabei heraus?
»Hey, Raven«, sagte eine leise Stimme.
»Hey, Lora«, lächelte ich sie an. Sie sah erleichtert aus.
»Vielen Dank für deine Hilfe!«
»Kein Problem.«
»Doch!« In Loras Augen sammelten sich wieder Tränen. »Sie war meine beste Freundin und dieser... und sie... und... das ist nicht fair! Wir hatten noch so vieles vor! Erst verliere ich mein Pferd und jetzt meine beste Freundin.«
»Das tut mir leid.« Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, deshalb fügte ich hinzu. »Wie ist dein Pferd denn gestorben?«
»Er hat irgendetwas Schlechtes gegessen. Guck mal, die zwei verstehen sich wieder!«
Neben Alex, der vorhin noch so unglücklich und verzweifelt gewesen war, saß Jessie. Die zwei lachten, wie Freunde, die sich jahrelang nicht wieder gesehen haben. Ich fragte mich, wie lange der Streit um Carly gelaufen hatte.
»Komm her, Lora!«, rief Jessie ihr zu und winkte sie zu sich. Sie verabschiedete sich und eilte zu ihm. Für jemand, der gerade das Mädchen, das er so sehr geliebt hatte, sodass er sogar die Freundschaft zu seinem besten Freund aufgegeben hatte, wirkte er ziemlich glücklich.
»Das war ein anstrengender Fall«, seufzte Kate, die mit einer Plastiktüte in der Hand zu David ging. Sie legte die Tüte auf den Tisch neben mir ab. »Das ist Carlys Glas«, erklärte sie ihm. Als niemand hinsah, nahm ich mir die Tüte und begutachtete das Glas. Unvorstellbar, dass der Inhalt dieses Glases einer jungen Frau das Leben gekostet hatte. Jetzt war es leer, bis auf die dieses schwarze etwas, das am Glasrand klebte... Moment! Das gehörte weder zum Getränk, noch zum Mittel, das Tom ihr verabreichen wollte. Er hatte etwas Flüssiges hinein gegeben. Das hieß...
»... das Mittel war nicht die Todesursache.«
Der Preis des Egos
Verwirrt sahen mich alle an. Ich ließ den ganzen Ablauf Revue in meinem Kopf passieren und erst jetzt traf mich die Erkenntnis. Ein altes, längstvergangenes Gespräch kam wieder zurück. Ich vergaß solche Sachen zum Glück nicht und das Gute daran ist, ich hatte es mit Jeff geführt. Am ersten Tag, als wir bei ihm eingezogen waren. Wir hatten gerade gefrühstückt und Fern gesehen und das Thema kam in den Nachrichten.
Ich sah wieder ins Glas. Ja, das könnte gehen. Ich wusste jetzt, wer sie umgebracht hatte und auch warum.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Austin besorgt.
»Das war wohl alles zu viel für dich«, meinte Jeff. »Geh am besten schon mal in...«
»Nein!«, unterbrach ich ihn. Mein Blick glitt zu Tom, der gerade abgeführt wurde. »Stop! Er ist unschuldig. Na ja... halbwegs... Die Tropfen, die er ihr ins Glas gegeben hat, waren nicht der Grund, weshalb sie gestorben ist. Hier, guck mal, was noch im Glas ist.«
David, der mir am nähersten war, nahm die Tüte mit dem Glas und inspizierte es.
»Tatsächlich. Was ist das?«
Austin schnappte es ihm aus der Hand und sah es sich ebenfalls an.
»Mom!«, rief er.
Er übergab es Kate und sie nickte.
»Das ist Cystisin«, erklärte ich und sah zu Jeff. Seine Miene hellte sich schlagartig auf.
»Es sorgt für Schweißausbrüche«, fing ich an und er zählte weiter mit auf: »Krämpfe und Atembeschwerden und noch andere Sachen.«
»Genau das weist das Opfer hier auf«, murmelte David.
»Und ich kenne auch den Mörder.«
Jetzt sahen mich alle in der Disco an. Jedes Augenpaar. Ich hasste so etwas, aber ich ließ mir nicht anmerken.
»Es war...« Ich hob meinen Armen und wanderte durch die Menge, bis ich die Person fand. »Es war Lora!«
Sie sah mich geschockt an und kurz streifte ein Schatten über ihr Gesicht, bis sie sich fing.
»Das ist nicht wahr. Eine Lüge! Was für eine Unverschämtheit! Wieso sollte ich meine beste Freundin töten? Du hast doch gar keine Beweise.«
»Ganz einfach.« Ich lief erst zu ihr, Jessie und Alex rüber und blieb vor ihnen stehen. »Du liebst Jessie.« Ich zeigte auf Lora. »Er liebte Carly.« Ich zeigte auf Alex und deutete schließlich auf Jessie. »Und du hast Carly geliebt, wobei du ebenso eine kleine Schwäche für Lora hast. Leugne es nicht, ich sehe es genau«, fügte ich hinzu, als er sein Mund öffnete und schließlich wieder schloss. »Jedenfalls, Lora, musstest du Carly aus dem Weg schaffen und da du genau bei der Bar saßt, konntest du problemlos das Zeug in ihre Getränke kippen.«
»Du kleine...«, knurrte Tom laut. Hätten ihn die Polizisten nicht festgehalten, wäre er wahrscheinlich auf sie losgestürmt. »Und ich dacht', ich hättc sie umgebracht! Dabei warst du es!«
»Mir ist auch aufgefallen, dass du ihren Anfall perfekt beschrieben hast, dabei hatte Tom mir erzählt, dass man von der Bar aus Carly nicht sehen konnte.«
Lora biss sich auf die bebende Unterlippe.
»Ich bin mir sicher, dass du so einen Anfall schon einmal miterlebt hast. Cystisin wirkt bei Pferden fiel extremer. Ist dein Pferd so gestorben?«, fragte ich jetzt mitfühlender.
Sie nickte, senkte ihren Blick und sah zum Boden. Dann hob sie ihren Kopf und sprach mit überraschend fester Stimme: »Carly hatte es ihm gegeben. Es war ja eine Pflanze. Sie meinte, es würde ihm gut tun. Sie meinte, dass ich damit beim Wettbewerb bessere Chancen hätte. Ihr Pferd bekam aber nichts, ich hab mich erst im Nachhinein gewundert. Diese Krämpfe... Es war schrecklich! Carly entschuldigte sich, meinte, es täte ihr schrecklich leid und ich hatte ihr geglaubt. Und gerade, als ich den ersten Schlag verdaute, kam der nächste.« Lora sah zu Jessie. »Sie wusste, dass ich dich mochte und du mich. Sie hatte ja schließlich Alex, nur reichte es ihr nicht. Sie machte mit ihm Schluss und traf sich mit dir und ihr beiden habt euch zerstritten. Sie hatte uns alle verletzt! Sie verletzte uns, nur weil ihr Ego zu groß war. Sie tat es, weil sie nicht wollte, dass sich für mich jemand interessierte! Carly wollte im Mittelpunkt stehen.«
Es war still. Selbst die Betrunkenen regten sich nicht. Allen hatte es die Sprache verschlagen.
»Ich wollte ihr doch heute nur einen Schrecken einjagen«, heulte Lora los. »Sie hatte mein Leben zerstört. Ich wollte, dass sie einen Denketstoß bekam. Nie. Nie hatte ich gewollt, dass sie stirbt. Ich habe wohl zu viel genommen.«
»Und bei diesen Bedingungen, hatte es ihr das Atmen ganz abgeschnürt. Hier kann man ja kaum atmen«, meldete sich Kate zu Wort.
Lora nickte. Bevor sie von einem heftigen Schluchzen erfasst wurde.
Zwei Polizisten führten sie ab und Jessie wollte sie unbedingt begleiten.
Bevor sie draußen ins Auto stieg, bedankte sie sich bei mir. Verwirrt sah ich dem davonfahrenden Auto hinterher.
Um mich herum herrschte Chaos, da jetzt alle Sachen eingepackt wurden und jeder nach Hause wollte. Ich stand neben Jeffs Auto, aber von ihm und den anderen zwei war nichts zu sehen. Plötzlich wurden mir meine Augen zu gehalten.
»Kuckkuck, wer bin ich?«, fragte die Person.
»Deine Stimme erkenne ich immer, Austin.«
Er nahm seine Hände runter und lächelte mich an.
»Du hast den Fall super gemeistert.« »Danke.«
Es war kurz still zwischen uns, bevor er sagte: »Hey, wo ist dein Dad?«
»Er ist...« Ich sah zur Hintertür, wo Jeff gerade heraus trat. Plötzlich spürte ich Austins Lippen auf meine Wange. Es war nur ein kurzer Kuss, der bei mir eine Gänsehaut auslöste.
»Hat er es gesehen?«, fragte Austin. »Nein.«
»Gut«, lächelte er. »Kann ich... eh... deine Nummer? Wir könnten uns vielleicht...«
»Okay«, sagte ich und lächelte ebenfalls, bevor ich mich zu Jeff wandte. »Hey, Dad, kann ich öfter mitkommen?«
Er lachte laut auf.
»Natürlich. Mach so weiter und du kannst bei uns anfangen.«
Die Idee gefiel mir.
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2013
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