Irrweg der Gefühle
Die Sonne schien am frühen Morgen schon erstaunlich warm, ein laues Lüftchen wehte und am geöffneten Fenster, bauschte sich die Gardine. Ganz langsam, drang liebliches Vogelzwitschern, bis in die letzte Ecke des Unterbewusstseins.
Genüsslich reckte und streckte sich Gina in den weichen Kissen, sie überlegte ob sie noch für ein Weilchen liegen blieb.
In der Wohnung schien noch alles ruhig zu sein, scheinbar schliefen die Eltern, ausnahmsweise ebenfalls etwas länger. Eigentlich war das völlig untypisch für Mutti, seit der Hochzeitsvorbereitung war sie ein absolutes Nervenbündel. Der Blick fiel auf die kleine Tischuhr, ruckartig sprang sie aus dem Bett, heute war der große Tag, wie würde wohl das Wetter sein? Schnell den Bademantel übergezogen und ein Blick nach draußen.
Flüchtig fuhr sie sich mit gespreizten Fingern, durch die zerzausten Haare, tief atmete sie die frische Luft ein. In der lag ein intensiver Duft, von dem blühenden Goldlack aus dem Vorgarten. Auf dem Trockenplatz hing schon Kinderwäsche auf der Leine, die bestimmt wieder von Frau Schubert aufgehängt wurde. Sie erledigte das immer, bevor sie zur Arbeit ging, dann brauchte sie aus der vierten Etage nur einmal hinunter zulaufen. Dass der Ehemann sich mal darum kümmerte, sah man leider kaum, scheinbar war er sich dafür zu fein, sah sich wohl nur als Familienplaner.
Im Kirschbaum zankten sich einige Stare lautstark um die reifen Früchte. Der alte Herr Kollmann besprühte mit einem Wasserschlauch, die Blumen in dem kleinen Hausgarten. Dem Kater Carlo gefiel das gar nicht, mit leichtem Fauchen und einem Buckel, sprang er am Stamm des Kirschbaumes hoch. Das wiederum löste Aufregung unter den Vögeln aus, aufgescheucht flatterte die Schar um die Baumspitze. Als der alte Mann für einen Moment aufblickte, winkte sie ihm fröhlich zu. „Na mein Mädchen, das Lampenfieber lässt dich wohl nicht länger schlafen!“ Verschmitzt lachte sie ihm zu. „Das ist doch normal ich heirate ja nicht täglich.“ „Ja so ist das halt, ich sehe dich noch mit deiner Schultüte hier vor dem Kirschbaum stehen. Der war damals nicht viel größer als du, die Jahre vergehen so schnell, nun wirst du bereits eine Ehefrau. Ein ereignisreicher Tag, den erlebt man oft nur einmal.“
„Das will ich doch stark hoffen Opa Kollmann“, schmunzelte sie leicht. Was er wohl anfangen würde,wenn er dort nicht herumbuddeln konnte. Zum Glück zeigen die anderen Einwohner viel Verständnis dafür, für die acht Familien im Haus war es ein recht kleines Gartenstück. Der Arbeiter-Wohnungs-Gesellschaft (AWG) war das egal, die Mieter mussten sich über die Nutzung selbst einigen.
Oma Kollmann kochte eine wunderbare Kirschkonfitüre, jeder der Hausbewohner bekam einige Gläser davon ab. Mit frischen Kräutern versorgte sie das gesamte Jahr alle Mieter, die alten Leute wollten sich damit bedanken. Dabei taten sie den anderen Einwohnern nur einen Gefallen, niemand war versessen, auf die Gartenarbeit. Es schien tatsächlich ein herrlicher Sommertag für die Hochzeitsfeier zu werden.
Gut gelaunt stürmte Gina ins Bad, als sie bereits die Tür aufgerissen hatte, dachte sie an Manfred. Gut dass er nicht unter der Dusche stand er pochte sehr auf seine Privatsphäre. Schon hundert Mal predigte der Bruder dass Gina, vorher anklopfen sollte wie albern der sich immer anstellte. Seinen nackten Hintern, kannte sie schon über zwanzig Jahre, außerdem war es seine Schuld, denn er hatte den Schlüssel abgebrochen.
Bisher schaffte er es nicht das defekte Schloss auszuwechseln, jede freie Minute bastelte er mit seinem Freund Holger am Motorrad herum. Natürlich war das Waschbecken wieder nicht gesäubert, ein ewiger Streitpunkt zwischen ihm und seiner Mutter. Gina war überzeugt das es von ihm gewollt war, er zankte sich nämlich ganz gerne herum. Ein Blick zum Spiegel der war mit Zahnpasta besprenkelt das lernte er wohl nicht mehr.
Sie verzog das Gesicht zu absurden Grimassen. Na und du, zum letzten Mal schaust du dich als Mädchen an, du wirst dich noch wundern! Bald beginnt der Ernst des Lebens, da wird dir das Lachen bestimmt vergehen. Sie machte einen Schmollmund, die Locken ringelten sich wirr über die Schultern. Biggi würde schon wissen wie man daraus, eine festliche Frisur zauberte. Nur gut dass der Vati so großen Einfluss auf Oma besaß, sie konnte manchmal, störrisch wie ein Esel sein. Zum Glück war es ihm gelungen, der alten Dame, ihr Vorhaben auszureden, sie wollte nämlich unbedingt dabei sein, wenn die Enkelin zur Trauung angekleidet wurde.
Unterstützung bekam er dabei von seiner Frau, ohne deren Hilfe wäre es schwierig geworden. Monika besaß einen guten Draht zur Mutter, kein Wunder sie war das Nesthäkchen von vier Geschwistern.
Eine gute Flasche Sherry, absolutes Lieblingsgetränk der alten Dame, tat dann den Rest. Im Delikatladen bekam man den für einen stattlichen Preis. Einige Tage lang, wurde Gina von der Großmutter bekniet, sie jammerte ihr stundenlang, die Ohren voll. Schließlich wäre sie bei Giselas Hochzeit der ältesten Enkeltochter auch dabei gewesen. Sie liebte die Omi wirklich sehr, aber an so einem Tag, konnte sie zusätzliche Aufregung nicht ertragen. Immerhin erreichte sie dass Gina nun in „Weiß“ ging und einen Schleier trug, eigentlich war es gar nicht geplant.
Zu einer kirchlichen Trauung ließ sich Simon leider nicht bewegen, selbst endlose Diskussionen änderten nichts daran. Getauft war er, wollte jedoch in der Kirche nicht heiraten das gab nur Gerede bei den Genossen, begründete er seine Entscheidung. Warum war er bloß so feige, die Meinung der anderen sollte ihm eigentlich egal sein, ein Kerl groß wie ein Baum aber ziemlich labil.
Pastor Reuter der sie damals konfirmierte, wäre ihm gern entgegen gekommen, er bot Religionsstunden und somit für Erwachsene die Konfirmation an. Leider schlug ihr Verlobter dieses Angebot aus, deshalb würde sie gerne auf Schleier und Brautkleid verzichten. Für das Standesamt war ein Kostüm viel angebrachter. Ein schneller Blick zur Uhr an der Wand gegenüber, sie musste sich ranhalten, die Zeit lief davon.
Aus dem Schlafzimmer hörte sie die Stimmen der Eltern die beiden hatten immer etwas zu bereden. Durch die geöffnete Tür sah sie ihren Vater stehen, in dem schwarzen Frack wirkte er sehr elegant, es war eine schwierige Angelegenheit ihn von diesem Kauf zu überzeugen. Einen Anzug zu tragen war für ihn die reinste Folter, er legte den Finger auf die Lippen und zwinkerte seiner Tochter lustig zu.
Seine Frau stand mit leicht gebeugtem Oberkörper vor ihm, sie hielt mit einer Hand die Haare hoch, scheinbar gab es ein Problem, mit dem Reißverschluss. „Sei ganz vorsichtig Fredi mach bloß langsam“, jammerte sie. Wenn der Stoff verklemmt und zerreißt kannst du allein zur Hochzeit gehen.“
„Meine Güte“, stell dich nicht so an Schatz, dann ziehst du ein anderes Kleid an, der Schrank hängt doch voll davon!“ Ein undeutliches Gemurmel war zu hören das langsam immer lauter wurde. „Ach, irgend einen Fummel, da kann ich gleich in der Schürze gehen“, so primitiv können nur Männer denken“, schnaubte sie wütend.
In der Küche schenkte Gina sich eine Tasse Kaffee ein, ausnahmsweise tat sie einen Löffel Zucker hinein. Sollte gut für die Nerven sein denn essen konnte sie absolut nicht, im Magen lag ein Ziegelstein und im Bauch rumorte es wie verrückt. Sie ging vorsichtig mit dem Getränk zurück ins Zimmer, dort stand schon das Gepäck für die Hochzeitsreise. Simon schleppte so nach und nach seine persönlichen Sachen von zu Hause an, zum Glück besaß er keine eigenen Möbel. Nach der Rückkehr würden sie sich, dass Zimmer teilen eine ziemliche Umstellung für beide, bisher übernachtete er selten mal hier.
Durch die Wand drang das dröhnen der Beatmusik, die Manne voll aufgedreht hatte. Ihr Fuß wippte automatisch den Takt mit. Wenn die Eltern nicht so angespannt wären hätte Fred ihn längst zur Ordnung gerufen.
Der Raum war nicht sehr groß, aber immer ihr Reich alleine gewesen, für DDR Verhältnisse wohnten sie sehr gut. Selten bekamen Familien mit zwei Kindern eine Vierraumwohnung im Plattenbau, Fleiß zahlte sich eben aus, die Eltern leisteten dafür unzählige Aufbaustunden. Dazu kam der zu zahlende Genossenschaftsanteil bei der (AWG) Arbeiterwohnungsgesellschaft, in der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) gab es das nicht. Der Neubau war typischer Standard, die Zimmeraufteilung überall gleich, es gab nicht viele Möglichkeiten die Wohnung zu verändern. Das Bad war ziemlich schmal ohne Wanne, nur eine Duschkabine die Waschmaschine passte gerade noch rein.
In der Küche fand neben den Einbaumöbeln eine Essecke Platz, praktisch war die Durchreiche zum Wohnzimmer. So brauchte man nicht mit dem schweren Tablett über den Flur schleppen. Der war recht lang von dort gingen sämtliche Türen ab, deshalb bot er wenig Stellmöglichkeit für eine Garderobe.
Stolz betrachtete sie die eigenen Möbel, gleich vom ersten Gehalt schaffte sie sich die praktische Schlafcouch an. Davor stand der kleine runde Tisch mit dem gedrechselten Fuß.
Reine Glückssache das der, nach der Anfertigung beim Tischler nicht abgeholt wurde so konnte sie ihn erwerben. Zwei kleine Schalensessel dienten als Sitzmöglichkeit, neben dem Fenster stand die alte, reich verschnörkelte Frisierkommode sie stammte aus dem Besitz der Urgroßeltern. Sie bekam das Kleinod zur Konfirmation geschenkt, es war ein seltenes Möbelstück, aus kaukasischem Walnussholz gearbeitet. In schweren Zeiten wollte Opa die Kommode schon verkaufen, zum Glück konnte seine Frau das gute Stück, jedes Mal davor bewahren.
Der ovale Spiegel dazu war wunderbar geschliffen. Ein kleiner Hocker dessen Sitz, von buntem Chintz bezogen war passte ebenfalls. An der Wand gegenüber erfüllte ein Kleiderschrank seinen Zweck, über der Couch hingen Bilder von der heiligen Taufe, dem Schulanfang, der Konfirmation und Jugendweihe. Sie lachte leise in sich hinein, was gab das damals für einen Aufstand in der Schule.
Als einzige Schülerin der Klasse, wollte sie beides machen, mehrfach mussten die Eltern zu einem Gespräch bei dem Direktor erscheinen. Sein Gesicht lief während der Aussprache feuerrot an, er sah aus als wenn er einen Schlaganfall bekäme. Gerne sahen es die Lehrer nicht dass Gina an diesem Wunsch festhielt. Das passte nicht in das sozialistische Schulsystem, umso mehr man sie beeinflussen wollte, umso sturer wurde sie.
Pastor Reuter und die Großeltern unterstützten sie dabei, ohne deren Hilfe hätte sie vielleicht aufgegeben, sie blieb fest und setzte den Kopf durch. Gina schüttelte sich, der süße Kaffee war einfach widerlich, wie konnte Renate den nur täglich trinken, aber die Kollegin war eine absolute Naschkatze. Ihr Blick blieb jetzt an dem Brautkleid hängen es hing auf einem Bügel am Kleiderschrank. Was war das für eine endlose Rennerei gewesen, sie befürchtete schon, dass sie kein Hochzeitskleid finden würde.
Birgit, begleitete sie bei der Suche in den Geschäften, sie wäre heute in Omas Gegenwart, bestimmt nervös geworden, die noch so gut gemeinten Ratschläge der alten Dame, konnten anstrengend sein. Eigentlich, müsste die Freundin jeden Moment erscheinen, um sie als Braut herzurichten. Gestern am Polterabend beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl, war es nicht Leichtsinn nach so kurzer Zeit zu heiraten?
Simon kannte sie als eifrigen Kollegen schon etwas länger, im Dienst war er immer sehr gewissenhaft. Fast von einer krankhaften Genauigkeit das konnte sie mehrfach, während ihrer Tätigkeit bei der Polizei feststellen.
Vor einem knappen Jahr, wurden sie ein Pärchen, seine Einladung mit ihm ins Theater zu gehen kam völlig überraschend für sie.
Er stellte sich recht schüchtern an aber gerade das gefiel ihr, die meisten Männer wollten so schnell wie möglich, zur Sache kommen. Für Draufgänger hatte sie absolut nichts übrig, im Backfischalter küsste sie sich aus Neugier, einige Male mit den Jungen aus der Nachbarschaft, aber mehr war da nicht.
Als sie bereits achtzehn war, kam es zum ersten Geschlechtsverkehr, allerdings kein berauschendes Erlebnis nur eine schnelle Handlung. Sie ging damals mit Birgit zum Tanz, ihr Partner an dem Abend war einige Jahre älter, jedoch ein sehr guter Tänzer. Sie hatte mit Alkohol fast keine Erfahrung. Während des Abends, trank sie einige Gläser Sekt das ungewohnte Getränk benebelte sie leicht. Sie war ziemlich in Stimmung gekommen, auf dem Heimweg nutzte Norbert das aus.
Es war eine gefühllose Angelegenheit, die nur ihm Erleichterung verschaffte, sie begriff erst gar nicht was da ablief. Als sie sich dann wehren wollte war es zu spät, hinterher empfand sie Ekel vor sich selbst.
Zum Glück nahm sie bereits die Pille, danach hielt sie ziemlichen Abstand zu den Männern. Von der Geschichte wusste niemand etwas, nicht einmal Biggi. Fast alle Genossen rätselten, was sie an Simon fand, um sich deren Sticheleien nicht laufend anhören zu müssen, kündigte sie.
Beide hielten nichts davon im selben Betrieb beschäftigt zu sein, als Gina nicht in die Partei eintreten wollte, kam der Ärger noch dazu. Gab das einen Aufstand, sowie endlose Gespräche um sie zu überzeugen, sie lernte den Revierleiter Genosse Kleemann von einer ganz anderen Seite kennen. Mit dem Parteisekretär, wäre sie schon gar nicht ausgekommen, wie Simon das aushielt blieb absolut ein Rätsel.
Bald darauf konnte sie in einem Rundfunk- und Fernsehfachgeschäft arbeiten, dort fand sie sich im Verkauf schnell zurecht. Damit das Drama nicht erneut losging, trat sie einfach der CDU bei, in den Betrieben wollten Sie jeden Mitarbeiter als Genossen werben, sie wurde in Ruhe gelassen und war ohne Verpflichtung. Ein Wunder das sie trotzdem, schon einige Zeit die Filiale leiteten durfte, bestimmt wussten die genau über Simon Bescheid, er war seit vielen Jahren Parteimitglied.
Bei der Polizei wurden sie oft, in entgegen gesetzter Schicht eingeteilt, ob es Absicht war fanden sie nicht heraus. Sie konnten sich nur an den seltenen, freien Wochenenden sehen, dieser Dienst trug zum besseren Kennen lernen nicht gerade bei.
Besorgt, nahm sie die jetzt schon kräftigen Sonnenstrahlen wahr, hoffentlich würde es nicht zu heiß werden. Für Simon war die Hitze eine Quälerei er vertrug sie nicht sehr gut, außerdem währe seine Stimmung dementsprechend schlecht. Seine miese Laune die er dann bekam könnte den Tag gründlich verderben. Die Tür wurde hastig aufgerissen und Birgit stürmte ins Zimmer, Manfred der sogleich folgte, wurde energisch zurückgedrängt.
„Du hast hier, nichts verloren die Braut ist noch nicht angezogen“, funkelte sie ihn an. Nur unter lautem Protest schloss er die Tür. „Hallo meine Süße du bist bestimmt schon mächtig aufgeregt.“
Biggi warf schwungvoll die leichte Jacke auf die Couch, darunter trug sie ein ärmelloses, hochgeschlossenes gelbes Seidenkleid. Es hatte einen tiefen V-Ausschnitt im Rücken und wirkte sehr elegant, die endlos langen Beine kamen durch den kurzen Rock erst richtig zur Geltung. Die langen blauschwarzen Haare, wurden von zwei goldenen Spangen gehalten, sie fielen wie ein Schleier bis fast zur Hüfte. Deshalb nannte der Verlobte sie oft Schneewittchen.
Schnell nahm sie die Schminkutensilien aus der Tasche, geschickt baute sie die vor dem Spiegel auf. „Entschuldige bitte meine Verspätung, aber ich habe wirklich nicht den Wecker klingeln hören, wahrscheinlich war die Nacht etwas zu kurz“, zerknirscht sah sie Gina von der Seite an. Ob Sie sehr verärgert war? Die Freundin verzog leicht spöttisch den Mund. „Siehst du das kommt davon wenn man einen guten Rat in den Wind schlägt, also bist du doch in das Jugendhaus zum Tanz gegangen!“
Begeistert nickte sie. „Dort haben Sie eine neue Band, die Boys spielen einmalig gut, du musst unbedingt mal mitkommen!“ „Das mache ich gerne, aber erst nach meiner Hochzeitsreise, wenn die in drei Wochen noch auftreten, bin ich mit dabei.“ Sie zog den Bademantel aus und stand im spitzenbesetzten Unterkleid da. Vorsichtig nahm Biggi das Brautkleid vom Kleiderbügel und half ihr beim Ankleiden.
Während Gina geschminkt wurde saß sie mit geschlossenen Augen auf dem Hocker. Ihre Gedanken schweiften ab, wie Simon wohl aussehen mochte, was für eine Farbe sein Anzug hat.
Schwarz hoffentlich nicht, kleidet ihn auf keinen Fall, Inge wird ihn sicher beraten haben versuchte sie sich zu beruhigen. Sie ist ein liebevoller Mensch da bekam sie eine gute Schwiegermutter. Seine Schwester Elke war gerade im zweiten Lehrjahr, sie wollte einmal Sprechstundenhilfe werden, ein aufgewecktes Mädchen, der Quertreiber in seiner Familie war der Vater.
Biggi unterbrach die Gedanken. „Jetzt ist es natürlich viel zu spät meine Süße, ich hoffe nur du machst mit diesem Schritt, nicht den größten Fehler deines Lebens.“
Gina ließ langsam die Luft aus den aufgeblasenen Wangen. „Wie oft ich das schon von dir hörte, weiß ich nicht, trotzdem habe ich ein gutes Gefühl.“ Nie würde sie ihre Bedenken äußern, die sie plötzlich überfielen, es war für einen Rückzug so oder so zu spät das ist, bestimmt nur das Hochzeitsfieber.
Birgit war seit dem Kindergarten ihre Freundin, eine echte Freundschaft verband die Mädchen. Sie vertrauten sich blind, nur bei Dingen die Simon betrafen, stieß sie auf taube Ohren, Gina runzelte ärgerlich die Brauen wütend platzte sie dann heraus. „Jeder hat schließlich, seinen eigenen Geschmack.
Du lässt dir in deine Beziehung auch nicht reinreden.“ Biggi lächelte etwas mitleidig. „Du kannst die beiden unmöglich in einen Topf werfen, Nicholas ist ein ganz anderer Typ!“
Der temperamentvolle Mann, war ihr vom ersten Sehen an sympathisch das war vor über vier Jahren, während der Suche nach Weihnachtsgeschenken. Nach tagelangem Frost, fiel endlich der erste Schnee, sie trug Stiefel mit dünnen sehr hohen Absätzen. Als sie aus dem Kaufhaus kam, rutschte sie fast auf dem verdeckten Eis aus, in der ersten Schrecksekunde ruderte sie mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten.
In beiden Händen trug sie einige Beutel mit Geschenken. Plötzlich spürte sie einen kräftigen Ruck und lag an einer festen Männerbrust. „Immer schön langsam“, meinte der Retter. „Zum Schlittern sollten Sie wirklich, bequemere Schuhe tragen.“
Empört machte sie sich los. Verdutzt sah sie in sein Gesicht, was war denn mit dem los, wieso war er so braun wie andere gerade im Hochsommer? Ein schöner Mann er strahlte sie förmlich an, auf seinen Wangen zeigten sich kleine Grübchen. Biggi atmete tief durch. „Allerdings“, habe ich nicht die Absicht, jetzt auf einer Eisbahn zu schlittern. Für dieses Vergnügen fehlt mir leider die Zeit.“ Sie blitzte ihn über die Schulter an und wollte weitergehen.
Sanft hielt er sie am Ärmel fest. „Das sehe ich, Sie machen dem Weihnachtsmann, ganz schön Konkurrenz.“ Jetzt musste sie doch lachen.
Er lud sie dann zu einem Kaffee ein und erzählte dabei von seiner Familie. Schon als Schulkind, wäre er von Griechenland, mit seinen Eltern in die DDR gekommen. Damit war die auffallende Hautfarbe geklärt, sie war also, in den Armen von einem griechischen Gott gelandet.
Sein Vater bekam eine Anstellung als Koch in einem Hotel, leider verstarb er bereits vor elf Jahren, an einer verschleppten Grippe. Seine Mutter zog die drei Kinder alleine auf, noch einmal zu heiraten, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Eigentlich wollte die Familie in die BRD einreisen, durch ein Missverständnis, landeten sie in der DDR, weil dort ähnliche Verhältnisse herrschten wie in Griechenland, blieben sie da hängen.
Das konnte sie nicht nachvollziehen, zwischen den zwei deutschen Staaten, lagen ja wirklich Welten. „Au, verflixt noch mal“, schrie die Braut empört auf. „Das ist mein Kopf und kein weiches Nadelkissen.“
Biggi starrte erschrocken die Freundin an. „Oh entschuldige bitte, ich stecke zum ersten Mal einen Schleier auf das ist gar nicht so einfach. Sie hatte die restlichen Haarnadeln zwischen den Lippen. „Nun bist du aber erlöst und darfst dich anschauen.“ Sehr gespannt öffnete Gina die Augen und war fasziniert vom eigenen Spiegelbild, Biggi konnte das wirklich gut.
Das Make-up war sehr dezent aufgetragen geradezu perfekt, eine schöne Braut sah ihr entgegen.
Die braunen Augen strahlten das rotbraune Haar glänzte in der Farbe reifer Kastanien. Es war straff nach hinten gekämmt endete in einem lockigen Knoten. Diese strenge Frisur ließ sie sehr jung erscheinen. „Sehr gut hast du das gemacht“, begeistert sah sie die Freundin an.
„Ist der Ausschnitt nicht zu gewagt“, mit kritischem Blick sah sie an sich herab, wie findest du die Stoffrose an der Taille, schaut es nicht albern aus?“ „Quatsch“, lachte Biggi herzlich. „Du bist nur nervös, siehst echt gut aus das Kleid ist wie für dich gemacht, diese feine Seide ist wunderschön.“ Zart strich sie darüber die grauen Augen leuchteten, ob Nico ihr bald einen Heiratsantrag macht, sie würde ihm keinen Korb geben.
Schnell sammelte sie die Schminkutensilien wieder ein. Gina stand ziemlich abwesend da. Energisch wurde sie angestoßen. „Woran denkst du?“ Leicht erschrocken zuckte sie zusammen. „Ach ich beneide dich mal wieder, um deine Taille.“ Die Freundin drehte sich graziös, einmal im Kreis. „Ein Erbe meines Vaters dabei kann ich futtern wie ein Schwerarbeiter.“
Eigentlich, fand sie sich zu dünn und Gina, viel hübscher die wirkte so fraulich, mit dem schönen Busen trotzdem war sie schlank dabei. In dem Moment öffnete Frau Bergmann leise die Tür ihr Blick schweifte durchs Zimmer. „Na sagt mal Mädels, werdet ihr nie fertig, auf dem Standesamt warten sie nicht.“ Schön wäre es ja wenn die Hochzeit ausfallen würde, den Gedanken behielt Biggi lieber für sich.
Ginas Mutter wirkte total abgehetzt, in den letzten Tagen war sie sehr angespannt, aus Sorge das etwas nicht klappen könnte.
Zum Glück würde der Sohn nicht so schnell heiraten er hatte nicht mal eine Freundin. „Komm einmal her“, zart legte Gina ihr die Hände auf die Schultern. Schaute dabei tief in die besorgten Augen. „Du brauchst nicht beunruhigt sein Mutti ich heirate doch.“ Fiebrig sah sie auf die Braut, die Lippen zuckten leicht nervös. „Ja natürlich. Aber wenn die einzige Tochter Hochzeit macht, ist das ganz schön aufregend jetzt kann ich Agnes verstehen, meine Schwester war damals auch erledigt.
Na vielleicht erlebst du es selbst einmal“, mühsam lächelte sie. Mit zitternden Fingern zupfte sie an der Blume des Hochzeitskleides herum. „Also, ohne zu schmeicheln Birgit, du hast das sehr schön hinbekommen du kannst glatt als Kosmetikerin arbeiten, statt in so einer verstaubten Anwaltskanzlei zu hocken.“ Das Mädchen nickte erfreut. „Hanna wird stolz sein, sie hat mir gezeigt wie man es macht, war eine Ehre für mich, Gina soll schließlich eine hübsche Braut für Simon sein.“ Als die jetzt ins Wohnzimmer trat grinste Manfred über das ganze Gesicht.
Er war das Abbild seines Vaters nur jünger, wirkte sehr sportlich, hatte aber die blaugrauen Augen der Mutter. Sein dunkles Haar stand immer etwas auf Sturm, Schuld daran war ein ziemlicher Wirbel. Der Bruder kam zur Welt, als die Eltern schon fast vier Jahre verheiratet waren, zwei Jahre später lag seine Schwester in der Wiege. Ärgerlich musterte sie ihn. „Den Spott kannst du dir glatt sparen, ich weiß das ich komisch aussehe.“
Seine Augenbrauen zogen sich hoch. „Dass würde ich nicht sagen nur sehr ungewohnt, wie ein Mannequin bei der Vorführung von eleganten Brautmoden“, feixend zwinkerte er Biggi zu. Die biss sich heftig auf die Lippen, jetzt zu lachen hätte Gina stark verunsichert, dem großen Jungen konnte man einfach nicht böse sein.
Fred nahm den Stammhalter sogleich in Schutz. „Wirklich Regina, als Braut sehen wir dich zum ersten Mal. Du siehst wunderschön aus aber total verändert.“
Er war der Einzige in ihrer Familie, der Sie stets mit vollem Vornamen ansprach. Ruhig war auch er nicht mehr, zerrte nervös an seiner Fliege herum, dabei blickte er zum wiederholten Mal auf die Armbanduhr. Simon hatte die Ruhe weg, oder war ihm entfallen das er heute um elf Uhr heiraten sollte?
Sein kleines Mädchen, wurde tatsächlich eine Ehefrau, so richtig konnte er es noch nicht glauben. Bisher gelang es den Eltern nicht Simon einzuschätzen, er wurde das Gefühl nicht los, dass der Bräutigam zu labil war.
Vor gar nicht langer Zeit, war Gina als Püppchen an seiner Hand gelaufen, jetzt musste sie auf eigenen Füßen stehen. Eigentlich war er froh das sie vorläufig, hier wohnen blieben viel Platz in dem Zimmer, hatte das junge Paar nicht. Aber für eine Weile würde es gehen, wenn nicht gleich ein Baby kam, aber damit hätten sie eine richtige Begründung für den Wohnraumantrag.
Hastig wischte er den Schweiß von der Stirn, sein Gesicht war beängstigend rot, langsam konnte der Bräutigam erscheinen die Zeit wurde knapp. Wie aufs Stichwort klingelte es.
Manfred verdrehte die Augen und griff leicht genervt, nach der Bonbonschale auf dem Tisch. „Bestimmt sind das wieder Kinder, die eine Glückwunschkarte oder Blumen bringen, so langsam werden die Süßigkeiten knapp. Ich glaube die gesamte Nachbarschaft, hat heute schon gratuliert.“ Bereits auf dem Weg zur Tür, rief Monika die auf dem Flur war laut ins Zimmer. „Simon ist unten er wartet mit der Kutsche unser Taxi ist auch gekommen. Nun beeilt euch, wir müssen los.“ Erleichtert atmete der Brautvater auf.
Manne wollte seine Schwester eigentlich mit der alten „EMW Limousine“ Baujahr 55 zur Trauung fahren. Sein Werkstattmeister hatte sich den Wagen in liebevoller Arbeit aufgebaut. Gerne war er ihm in seiner Freizeit dabei behilflich gewesen für alte Autos hatte er eine Vorliebe. Das Fahrzeug war ein absolutes Glanzstück geworden, so manches Wochenende hatten sie daran getüftelt. Simon wählte jedoch die Kutsche, er war überhaupt ein komischer Typ was seine Schwester an dem gefressen hatte, würde er nie begreifen. Sah nicht besonders gut aus und kontaktfreudig war er auch nicht, mit ihm konnte man kein lockeres Gespräch führen.
Es endete immer in eine Belehrung, in seiner Art wirkte er oft wie ein älterer Herr, Simons Vater besaß weit mehr Temperament als der Sohn.
Es machte die Braut wütend dass der Zukünftige nicht in die Wohnung kam. Scheinbar, war er gar nicht neugierig auf den Anblick. „Manne?“, die Stimme seiner Mutter klang gereizt. „Hast du den Wohnungsschlüssel eingesteckt?“ Hektisch zog sie die Schublade an der Flurgarderobe auf, sie wühlte nervös darin herum. „Mama komm, atme mal tief durch“, versuchte er sie zu beruhigen. „Sieh nur der Schlüssel steckt bereits in der Tür.“
So aufgeregt sah er sie selten, ein Glück das nach dem Trubel, wieder der normale Alltag lief. In letzter Zeit, störte sie selbst die Fliege an der Wand, für seine Probleme zeigte sie gar kein Interesse mehr. Alles drehte sich ständig um die Hochzeit. Fred sah überrascht auf seine Frau. „Gut das wir nur die eine Tochter haben, du bist total erledigt Mona!“ Rasch flammte Ärger in ihren Augen auf. „Na und du, bist doch selbst nervös“, fauchte sie ihn an. Es zuckte um seine Mundwinkel, als wollte er etwas sagen, er reichte aber der Braut seinen Arm und führte sie die Treppe hinunter.
Der erstaunte Blick, des Bräutigams, entschädigte Gina etwas. Er fing sogar ein wenig zu stottern an. „D...du siehst sehr hübsch aus als Braut.“ Der Strauß, den er ihr überreichte war mit rosa Nelken und weißen Gerbera gebunden, den bekam man nur mit einer Bescheinigung vom Standesamt. In den Blumenläden war an so etwas kein rankommen. Verstohlen sah sie sich um, dabei bemerkte sie Oma Kollmann, die im Erdgeschoss hinter der Gardine stand. Natürlich sind die Leute neugierig, kennen sie schließlich seit der Kindheit.
„Guck
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2013
ISBN: 978-3-7309-1321-5
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