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Kur im Spätfrühling


Nun bin ich schon den 5.ten Tag in Rehabilitierung, in Bad Driburg. Ein kleines Kurörtchen im Naturpark Eggegebirge mitten im südlichen Teutoburgerwald, nicht weit von den Externsteinen und dem Hermannsdenkmal . Mehr als 700 Jahre Geschichte liegen hinter der Stadt, sie entwickelte sich einst im Schutze der Iburg, einer eindrucksvollen sächsisch-germanischen Befestigungsanlage. Im Gegensatz zu den meisten anderen westfälisch-niedersächsischen Bädern handelt es sich hier um ein Privatbad, das seit mehr als 200 Jahren im Besitz der gräflichen Familie von Oeynhausen- Sierstornsklinikenpff befindet. Viele Versicherungsträger haben hier ihre Rehabilitationskliniken.

Ein strammer Behandlungsplan soll mir wieder Kraft verschaffen, damit ich wieder dienen kann und meine Leistungen sich wieder stabilisieren. Dr. Cent hat mich am ersten Tag interviewt und mich in viele Gruppen eingeteilt, Wassertreten, Halswirbel und Schultergymnastik, Wirbelsäulengymnastik, Wassergymnastik, Rückenschule, Sportspiele, Ultrareizstrom, Sequenztraining, Sequenz unter Aufsicht, Ergometrie, Moorpackung, Hydrometrie, Schwimmen und Sauna sowie Vorträge über Ernährung, Wirbelsäulenerkrankungen, Trainingsmethoden und die Fjorde in Norwegen, wenn man gerade nichts besseres zu tun hat.
Am frühen Morgen schon, das heißt zwischen Sechs und Sieben in der Früh darf ich schon Wassertreten, Drei Mal im Kreis im warmen Becken und Einmal Mal im kalten Becken und dies dann Dreimal im Wechsel. Das schaffe ich aber morgens meistens nicht, da mich noch immer der Nilvirus im Griff hat und ich morgens erstmal der Toilette thronen muss. Zwei mal täglich überfällt er mich hinterrücks und jagt mir plötzlich eine heftige Krampf und Schmerzwelle durch Magen und Darm und auch in der Nacht finde ich selten am Stück die nächtliche Ruhe. Alle Medikamente die gegen Magen und Darmerkrankungen, gegen Blähungen, gegen Schmerzen und Krämpfe sind und Übelkeit, schlucke ich im Wechsel, mein Körper gleicht einem alten ausgeleierten Leinensack, ich fühle mich scheußlich und nervig.

Um 7.00 h ist wiegen, das entsetzliche Grauen beginnt und soll mich zwei Nächte und Tage
im Griff behalten. Ich bin müde und habe eine schlechte Nacht hinter mir und dann habe ich auch noch an Gewicht zugelegt. Anstatt wie alle anderen Mitstreiter habe ich zu anstatt abgenommen! Meine Laune verschlechtert sich Zunehmens! Also renne ich im Schweinsgalopp zur Halswirbel und Schultergymnastik im Therapiegebäudeabschnitt B, Raum 25, links hinter dem Schwimmbad und verbiege mich matt und Lustlos. Außerdem ergießt sich ein Schwall Mecker über die Terminplanung aus meinem Munde, die Physiotherapeutin Fr. Zack erklärt mir geduldig, das sie auch nichts für die Terminplanung könne und ich mich an die zuständige Verwaltungsangestellte wenden müsste. Zwanzig Minuten später spurte ich in mein Zimmer im Hauptgebäude erster Stock, Station Eins, Zimmer Dreiundzwanzig und springe aus der Turnhose in den Badeanzug um zügig zur Wassergymnastik zu kommen, die wieder im Therapiegebäude B stattfindet. Dort tummeln sich cirka Acht überschwergewichtige Frauen und Männer und begucken mich mit dicken Augen. Die hagere lispelnde Schwimmlehrerin Frau Zeckenaal betritt Sieben Minuten zu spät die Schwimmhalle und verteilt in aller Ruhe Schaumstoffstangen. Nun rudern wir mit den Armen und den Beinen und laufen alle im Kreis durch das Becken. Es entsteht eine unglaubliche Strudelwirkung im Wasser und ich habe große Mühe mich nach vorne zu bewegen, es scheint als müsste ich Tonnen an Wasser auseinander schieben. Weitere Zwanzig Minuten später laufe ich mit bleiernen Beinen und Gänsehaut wieder die zwei Treppen und drei Flure zurück zu meinem Zimmer. Auf dem Weg begegnen mir die mehr oder weniger zufriedenen Patienten mit einem mehr oder weniger freundlichem Moin, Guten Morgen und Morgen. Also springe ich wieder in die Turnhose und laufe erneut los um die Mehrzweckhalle zu finden. Nach längerem umherirren finde ich sie, auf der anderen Straßenseite. Der Physiotherapeut Herr Schräder verteilt große Gummibälle, so genannte alternative Sitzgelegenheiten. Zudem erklärt er mit ausführlichen Beschreibungen wie und wann man diese benutzen kann. Während er auf dem Sitzball Vorführung, baumelt sein kleiner silberner Delphin an seinem linkem Ohr. Dann machen wir Sensibilitätsübungen und meine neue Freundin Esna, aus Kroatien, lebend in einem kleinen Vortort von Hamburg, mit Mann und sie hat zwei Söhne, in den Zwanzigern, scherzt und schreibt mir anstatt ihrem Namen Ziege auf den Rücken und ich errate Jesna Ziege. Kurz erhellt sich meine Laune und wir kichern wie die jungen Hühner.
Fortan verstehen wir uns bestens und sind unzertrennlich. Sie muntert mich auf und sagt mir, dass sie für mich genau so da sei, wie ich für sie, wenn es ihr schlecht gehe. Also gehen wir in den Speisesaal und stürzen uns mit Zweihundertachtundsiebzig Mitturnern und Turnerinnen ans Mittagbuffet. Am meinem Tisch sitzen schon Arno und Silvia. Beide sind schon drei Wochen hier im Märchenwald und unterschiedlich zufrieden. Silvia zeigt ihre gute alte Ostschule und fühlt sich gut aufgehoben und findet immer gute Worte gegen Alles was Arno und mir einfällt. Arno kommt aus Braunschweig und arbeitet schon seit hundert Jahren bei Straßenverkehrsamt. Er ist fünfzehn Jahre älter, witzig und sieht einbißchen aus wie Asterix der Gallier. Sein Sarkasmus ist herzerfrischend, so dass wir Silvia immer häufiger aufs Korn nehmen. Danach freue ich mich auf ein Telefonat mit meinem Freund und erhoffe mir eine kleine Aufmunterung von ihm, die ihm auch kurz gelingt, doch dann voll nach hinten losgeht. Ab dann hatten meine Tränen freien Lauf. Ich fühl mich dumm dick und hässlich. Der Weltschmerz dringt durch meinen Körper. Meine liebe Freundin Esna versucht mich aufzumuntern und die Gründe zu erforschen und jedes Mal heule ich von vorne los. Sie sagt dann, gut dass du heulen kannst, du musst morgen zum Doctor gehen und mit ihm sprechen. Nach einem langen Spaziergang durch sich langstreckende Wald, Wiesen, Flur und unseren Biographien, freuen wir uns, uns getroffen zuhaben und erklären uns gegenseitig zum Kurschatten.

Am nächsten Morgen geht es mir noch schlechter, ich hatte eine noch schlechtere Nacht und fühle mich der Hysterie sehr nahe. Ich laufe mit Tränen zur Schwester ins Dienstzimmer und bitte um eine Terminverschiebung ab Acht oder Neun und um ein Arztgespräch wegen meines Zustandes. Die Schwester Rabiata entgegnet mir: Was sie wollen einen Arzttermin, weil sie erst Acht oder Neun oder vielleicht doch noch lieber erst um Zehn mit den Anwendungen beginnen wollen. Das geht nicht, sie müssen sich eben daran gewönnen. Ich stottere etwas von Erschöpfung und Herzstichen und sie verpasst mir sogleich ein EKG bei Herr Spaßberger. Herr Spaßberger ist für die Ruhe EKGs zuständig und hat immer einen flotten Scherz auf den Lippen. Das nutzt leider gerade leider auch nix. Um Zehn habe ich dann einen Termin bei dem Doctor. Also laufe ich zu Herr Schräder zur Mehrzweckhalle wo gleich die Rückenschule beginnt und berichte ihm und Esna schnell von dem Arzttermin. Er unterzeichnet schnell den Behandlungsplan wegen der Anwesenheitspflicht und Esna gibt mir noch mal genau mit auf den Weg was ich mir anordnen lassen soll.
Auf dem Weg zu Dr. Cent treffe ich Arno, der freut sich schon tierisch auf seine Abreise und erwartet seine Familie. Er wünscht mir noch Durchhaltevermögen und rät mir, das ich bloß nicht Alles tun soll was die mir vorschreiben und vor Allem soll ich so bleiben wie ich bin. Wir drücken uns ganz herzlich und verabschieden uns voneinander. Durchs Treppenhaus rennend grüße ich mit dicken Augen, circa 50 Mal mit ersticktem Hallo und setze mich auf den Stuhl vorm Arztzimmer. Ich übe noch mal mit Anspannen der Pomuskeln die Tränenunterdrückung, doch die habe ich dann auch sofort wieder vergessen, Dr. Cent ruft mich ins Behandlungszimmer. Er lächelt und guckt durch seine schwarze Nickelbrille, in der das linke Glas Risse hat, auf das EKG, es ist alles in Ordnung, schmunzelt er: Was soll ich tun? Ich fange an richtig zu plärren, ich weiß auch nicht, ich schlafe schlecht und muss immer heulen und ich fühle völlig überfordert. Morgens habe ich noch Bauchkrämpfe und ich kann nicht so auf´s Klo, wenn ich schon so früh zu den Anwendungen muss. Dann muss ich sie aus den Gruppen nehmen und wir sehen nächsten Montag weiter. Etwas erleichtert bedankend verlassen ich den Behandlungsraum und flüchte mich auf mein Zimmer um vor dem Mittagessen noch mal richtig durchzuatmen und meine dicken Augen zu kühlen.
Ab heute Mittag sitze ich an einem neuen Tisch mit Esna und zwei anderen Mitturnern. Else eine drahtige Mittvierzigerin die ein großes Maß an Mitteilung hat und der Karl-Heinz aus Frankfurt mit Diabetes. Beide tun etwas überrascht, dass ich nun auch an ihrem Tisch sitze, wo es doch ihrer Freundin Ulla so schlecht geht. Esna und ich gucken uns etwas konstatiert an und versuchen es erstmal zu ignorieren und hoffen auf Besserung. Nach dem Mittagessen schlüpfe ich schnell in meinen Badeanzug und gehe im Laufschritt in die Schwimmhalle in Therapieabschnitt B. Im Schwimmbecken tummeln sich schon willig zehn Nilpferde und sorgen für den gefürchteten Strudel diesmal bekommen wir zwei kleine Schaumstoffkissen mit Schnüren und wieder schwenken wir die Arme unter Wasser vor und zurück, vor und zurück. Nach 20 Minuten steige ich völlig erschöpft aus dem Schwimmbecken, schmeiße mir meinen rosa Bademantel, den ich gerade neu in der Stadt super günstig erstanden habe, über und schleife mich mit einem ermatteten Hallo über die endlosen Flure zurück in mein Zimmer. Mir bleibt gerade genug Zeit mir die Haare etwas zu trocknen und wieder in den Turnanzug zuspringen und ab geht’s zum Ergometer mit Trainingsbogen. Dort erwartet uns schon Hr. Spaßberg und hat gleich einen Witz auf Lager: Welche Krankheit hätten sie lieber, Alzheimer oder Parkinson? Alle gucken sich fragen an und er antwortet: Ist doch klar! Alzheimer! Lieber zehn Bier vergessen bezahlen, als diese verschütten. Der Kurs biegt sich vor lachen. Nun müssen wir uns die Ergometerschnüren für die Daten mittels Saugknopf an den Körper platzieren und los geht´s, erst fahren 2 Minuten mit 25 Watt zum aufwärmen, dann 50 Watt und dann mit 75 und 100 Watt, nach weiteren 12 Minuten reduziert das Fahrrad von allein wieder auf 25 Watt, dass nennt sich dann Entspannungsphase. Herr Spaßberger korrigiert zwischenzeitlich bei jedem Mitstreiter, wie schnell er persönlich fahren darf damit der Trainingspuls nicht überschritten wird und keiner einen Herzkasper erleidet. Auch während der Trainingseinheit erzählt Herr Spaßberger: Geht ein Mann in den Park und hört sägende Geräusche. Er schaut sich um und guckt hoch in einen Baum.
Dort sitzen zwei Blondinen und sägen wie wild alle Äste um sich herum ab und sind gerade dabei den Ast auf dem sie sitzen anzusägen. Da ruft der Mann hoch: passt auf, den besser nicht, sonst fallt ihr runter und brecht euch alle Knochen. Die Blondinen gucken nur und sägen weiter. Naja, sagt der Mann, wer nicht hören will muss fühlen und geht weiter. Zwei Tage später kommt er wieder in den Park und sieht die zwei Blondinen auf einer Bank sitzen, die eine hat die Arme und Schultern in Gips und die Andere die Beine und das Becken. Da erkennt ihn die eine Blondine und sagt zu der anderen: Guck mal, da ist ja der Wahrsager!
So nun sind wir fertig und bekommen unsere Behandlungsheftchen samt Trainingsbogen unterschrieben zurück und wünschen uns gegenseitig alle einen schönen freien Tag, denn morgen ist hier, in Nordrheinwestfalen am Donnerstag ein katholischer Feiertag. Meine Laune hat sich einbißchen verbessert und ich verspreche Esna beim Abendbrot mit ihr zur Station Neun zugehen. Die Station ist eine Kneipe die vorher mal Westfalenstube, da die Kurgäste sie aber zur neunten Station erklärten, machte der Wirt sich daraus einen neuen Namen. Am nächsten Morgen lerne ich welche unterschiedlichen Matratzenarten es gibt und welche eine gute Unterlage eine gute Nacht gewährleistet. Eine halbe Stunde und eine Anwesendheitsunterschrift von Hr. Schräder, dem Physiotherapeut, ein schlanker leicht angegrauter sympathischer Mittvierziger, den man auch häufig beim Anfeuern und vorturnen der hochmotivierten Skistockschwenkern beobachten kann.
Auch Jesna-Wesna hat dann da irgendwann mal da mitgemacht. Und sie fand es gut, ich habe sie dann immer auf dem Mittelteil der Treppe heimlich beobachtet.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich dann an die Menschenmassen und ihre Aufkommen zu absehbaren Zeiten und es fing an mir Spaß zumachen zu turnen und zukuren.
Auch die Mahlzeiten wurden jetzt, wo mich Jesna-Vesna an ihren Tisch gelost hatte, immer wieder spannend komisch und aber auch ermüdend. Die auch neu gefundenen besten Freunde Welke und Zucker Endy, waren nicht so glücklich über ihre relativ spontane Entscheidung. Die hätten nämlich gerne ihre sehr neue persönliche Freundin Trulli an ihren Tisch gelassen. Diese litt doch gerade gar ganz fürchterlich an ihrer eigenen Hysterie der Rehabilitationsverscchreibung!

Welke und Jesna kamen aus der gleichen Stadt im Norden und kannten sich vom gelegentlichen Treffen am Stempelautomaten.
Welke war eine sehr energische und aufgeregte kurze Dralle, die all ihre Gedanken , Sehnsüchte und Leidenschaften mit einem Schwall von Worten zu jeder Tageszeit mit vollem Elan von sich gab.


Fortsetzung folgt....................

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Tag der Veröffentlichung: 19.09.2009

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