Inhaltsverzeichnis:
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
1. KAPITEL
Tick, Tack. Tick, Tack.
Weitere zwei Sekunden waren endlich vergangen. Fehlten nur noch 368. Der Zeiger bewegte sich im Schneckentempo, und wenn man mal kurz weg- und wieder hinschaute, war die Zeit wie stehengeblieben. Tick, Tack. Es würde endloslange dauern, bis ER endlich mal kam...oder besser gesagt ES. Denn er war nicht wie andere, und das war auch gut so. Er war ein Werwolf
, und das war wiederrum doch nicht mehr ganz gut, schließlich sind unsere Familien seit hunderten von Jahren verfeindet und hassen sich bis aufs Letzte. Okay, jetzt übertreibe ich vielleicht ein bisschen... meine Mutter und ER waren früher ja mal beste Freunde, sie waren sogar ineinander verliebt gewesen. Aber seitdem mein Vater, ein Vampir
, sie in Seinesgleichen verwandelt hat, hat sie keine Gefühle mehr für ihn. Besser für mich, denn ich liebe ihn. Und genau deshalb zählte ich jetzt die Sekunden, bis er ankommt. Aber der Zeiger wollte ja einfach nicht von der Stelle rücken! Ich schloss meine Augen, um mich ganz meinen Träumen hinzugeben, als eine tiefe, gedrungene Stimme von ganz weit weg meine Ohren erreichte:
"Nessie?". Ich konnte sie nicht erkennen, mein Kopf war ganz benebelt von IHM. Ich ignorierte den Ruf, um mich wieder meinen Gedanken zuzuwenden, als ich es wieder hörte: "Renesmee !?". Diesmal war sie schon näher, aber sie machte mich dadurch nicht weniger wütend, sondern mehr. Wie konnte es bloß jemand wagen, meine schönen Träume zu stören? Warum musste das sein? Soooo wichtig kann doch nichts sein! Aber egal wie sehr ich mich aufregte, es änderte nichts an der Tatsache, dass ich jetzt aufwachen musste. Wiederwillig öffnete ich meine Augen...
...und erblickte Rose, die mich besorgt beäugte und das nicht als Einzige, denn die ganze Runde blickte mich an. Bella, meine Mutter, starrte mich erschrocken an. Es sah aus, als ob sie einen Geist gesehen hätte, oder eher einen Vampir
...Haha Nessie, sehr witzig! Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, es war gerade wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für sarkastische, humorlose Witze, denn ich wusste, was mich jetzt erwartete. Ich konnte es nicht mehr verbergen, jetzt hatten wirklich ALLE gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmte und ich wusste, dass ich dem klärenden Gespräch nicht länger ausweichen konnte. Eigentlich müssten doch alle schon längst wissen, was los ist. Schließlich kann mein Vater doch Gedanken lesen und zu meinem Bedauern auch meine. Er wusste genau was los war. Warum hatte er noch nicht allen längst alles erzählt? Seit meiner Geburt an hatte ich doch so gut wie keine Privatsphäre gehabt, jeder wusste immer sofort Bescheid über meine erste Freundschaft, meine erste Liebe, meinen ersten festen Freund. Es war wie in einem Theaterstück, indem ich und mein Leben die Hauptrolle waren, nie hatte es ihn interessiert, aber jetzt tat er plötzlich auf den einfühlsamen, freiraumlassenden Vater. Warum?
"Renesmee, erklär' mir mal bitte, was das jetzt schon wieder soll!" Als die piepsige Stimme meiner Mutter leise, aber doch streng, ertönte, schob ich wiederwillig meine unbeantworteten Fragen und meinen kaum zu bändigenden Wissensdurst beiseite. Ich musste mich wohl später damit beschäftigen, denn die Wut meiner Mom war deutlich zu hören und auch zu spüren. Sie kochte nur so vor Zorn und würde jeden Augenblick explodieren. Also lieber nichts Falsches sagen!
Ich musste schlucken, bevor ich eine Antwort Zustandebringen konnte: "Es ist nichts Schlimmes, es ist nur...", verzweifelt rang ich nach einer plausiblen Erklärung, "...ich bin ein bisschen müde. Ich bin wegen der Hausaufgaben erst ziemlich spät ins Bett gegangen. Was fällt Mr. Horrson bloß ein, uns so einen riesigen Haufen von Vokabeln aufzugeben! Richtig unverschämt!"
Ich blickte in die Runde. Emmett grinste belustigt, Carlisle schlug sein Bein über das andere, Esme lächelte mich liebevoll an, Jasper starrte den laufenden Fernseher an. Es lief gerade irgendein Frühstückssender, der Tipps zum Richtigen Anwenden von Kamille gab. Durch diese Tatsache, war es nur zu offensichtlich, dass Jasper versuchte meinem Blick auszuweichen. Meine Augen schweiften rüber zu Edward. Er erwiderte meinen Blick mit einem verkrampften Ausdruck. Was hatte er denn jetzt schon wieder?! Konnte er mich nicht wenigstens einmal liebevoll angucken? Oder wenigstens einigermaßen NORMAL, soweit es für einen Vampir möglich war ?
"NESSIE ! Hast du mir wieder nicht zugehört?!“, erklang plötzlich wie aus dem nichts die Stimme meiner Mutter. Mist, ich hatte sie wieder vollkommen vergessen! Ich rechnete damit, dass sie jeden Moment auf mich losgehen und mir den Kopf abreißen würde. "Nein, Mom, tut mir leid. Kannst du es vielleicht bitte nochmal wiederholen?"
"Ach Nessie, mein Schatz, was soll ich bloß mit dir anstellen?"
"Sie beißen! Ich glaube, das wäre Strafe genug!", rief Emmett dazwischen. Grölend brach er in
Gelächter aus. Knurrend warf Bella ihm einen vernichtenden Blick zu. "Ist ja schon gut, war ja nur ein Scherz!", beruhigte Emmett sie. Mom wandte sich mit einem langen, wehmütigen Seufzer wieder mir zu. "Warum bist du bloß in letzter Zeit so abwesend? Immer träumst du was vor dich hin, ich weiß nicht mehr, wie ich an dich rankommen soll. Könnte es sein, dass du irgendein Problem hast?"
Ja, ich hatte ein Problem...ein sehr Großes sogar. Und es war pelzig.
Ich wusste nicht, wie ich es ihnen beibringen sollte. Die Chancen, dass sie es verstehen würden, waren sehr gering, eigentlich ja null. Ich konnte ihnen das nicht antun. Wenn sie erfahren würden, dass ich mich in einen riesigen und groben Werwolf verliebt hatte, würden sie mich umbringen. Auch, wenn sie sich einigermaßen mit ihm „angefreundet“ hatten, würde diese Liebe nur den Waffenstillstand zwischen den zwei mächtigsten Wesen der Welt, ja wahrscheinlich sogar des Universums, ungültig machen. Der Kampf zwischen den „Blutsaugern“, wie ER sie immer liebevoll und spöttisch zugleich nannte, und den „Hunden“ würde wieder neu entfachen. Und schuld daran wäre natürlich nur ICH gewesen.
„Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin, oder? Dass du immer zu mir kommen kann, wenn dich etwas bedrückt.“ - Ja, ich wusste, dass Mom immer für mich da ist, wenn ich sie brauche. Aber bei dieser Sache konnte sie mir nicht helfen. Leider. Denn gerade hier konnte ich Unterstützung sehr gut gebrauchen, aber da konnte ich lange warten. Also gab ich Bella ihre Antwort: „Ja Mom, ich weiß es. Aber ich sagte doch schon, es ist nichts mit mir los!“
Seufzend gab sie nach. „Na gut dann werde ich mir wohl noch länger angucken müssen, wie meine Tochter sich immer mehr zurückzieht.“ Gespielt beleidigt zog sie eine Grimasse.
Es war unglaublich, dass nicht einmal die hässligste Schnute ihr wunderschönes Gesicht auch nur ein kleines bisschen entstellen konnte. Sie war ein lieblicher Anblick: Ihre schokoladenbraunen langen Haare fielen sanft über ihre Schultern, ihre zierliche Figur sah so zerbrechlich aus, obwohl sie es kein bisschen war, und ihre topasfarbenen Augen erwärmten mein Herz mit ihrer Sensibilität. Ich konnte sie mir gar nicht mit braunen Augen vorstellen, aber alle sagten immer, ich hätte sie von ihr vererbt bekommen.
„In genau 2 Minuten und 13 Sekunden kommt Jake.“, vernahm ich Alices hohe Stimme ein wenig verärgert vorhersagen.
Bei SEINEM Namen fing mein Herz höher zu schlagen an... Es schlug nicht nur, es krachte gegen meine Brust.
Jake, Jake, Jake. Der schönste Name der Welt.
Jake, Jake, Jake. Eigentlich hieß er ja Jacob.
Jacob, Jacob, Jacob. Noch schöner.
Jacob, Jacob, Jacob. Ich musste es einfach noch einmal sagen.
Ich genoss jede Silbe, jeden Buchstaben seines Namens, als ob ich ihn nie mehr aussprechen dürfte. Als ob gleich jemand kommen würde, und ihn mir, mitsamt all meiner Erinnerungen an ihn, nehmen würde. Und nie wieder geben würde… schon der Gedanke daran, ihn jemals zu verlieren, war unerträglich, er wirkte wie ein mentaler Killer, der jeden Moment zuschlagen und mein Herz zerstückeln würde.
Hör auf, Renesmee! , sagte ich mir. Du darfst nicht daran denken! Niemand wird euch jemals auseinanderbringen und das weißt du! Hör endlich auf, dir unnötig Sorgen zu machen!
Aber vielleicht mache ich mir ja nicht unnötig Sorgen, vielleicht …
„Guten Morgen !“
Ich schrak hoch. Durch meinen plötzlichen Schrecken fing der Stuhl, auf dem ich saß, an zu wackeln, immer heftiger, bis er das Gleichgewicht verlor und nur noch auf einem Stuhlbein wankte und im nächsten Moment spürte ich die Luft an mir vorbeirauschen, mich nach hinten kippen und… ich schwebte.
Zuerst verstand ich nicht, warum ich in der Luft hing. Vielleicht war ja die Zeit stehengeblieben? Vielleicht konnte ich jetzt einfach auch aufstehen und die Gegenwart verändern, wie in so vielen Superheldenfilmen?
Aber dann merkte ich, dass nichts stehengeblieben war; dass es andersherum war. ICH war diejenige, die schwebte und sich nicht bewegte.
Und dann spürte ich einen seligen Schauer meinen Körper durchfahren, als eine große Hand mir zärtlich über die Wange strich. Und noch Einen, als mir volle Lippen einen sanften Kuss auf die Haare drückten.
Es war Jacob. Kein Zweifel. Seine flammenheißen Arme hielten mich umklammert, drückten mich an sich und brannten auf meiner nackten Haut. Ich schloss meine Augen und schmiegte mich an seinen muskulösen Körper, der mich wärmte. Es tat mir unbeschreiblich gut, auch wenn mir vorher nicht kalt war.
Ich wusste, dass meine ganze Familie mich gerade mit argwöhnischen Blicken ansah und jede klitzekleine Bewegung beobachtete, aber es war mir egal. Für mich zählte nur dieser eine Moment, den ich so lange ersehnt hatte.
Ich konnte jeden Herzschlag, jeden Atemzug hören, als ob es mein eigener wäre und konnte das regelmäßige Auf und Ab seines mich umhüllenden Körpers spüren. Ihm ging es anscheinend genauso wie mir. Das beruhigte mich, ich konnte langsam wieder einen klaren Gedanken fassen. Leider war dieser nicht sonderlich freudenvoll - meine Eltern!
Als ob er gehört hätte, was ich gedacht hatte, lockerte Jake seine feste Umklammerung mit einem klagenden „Deiner Familie scheint das nicht zu gefallen.“. Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, er könne meine Gedanken lesen, wie mein Vater, aber das gelang ihm zum Glück nur bei seinen Wolfskameraden und bei Sam, dem Alphatier seines ehemaligen Rudels aus seinen La Push-Zeiten.
Seufzend öffnete ich erst das eine, dann das andere Auge und blinzelte verwirrt in das Licht. Ich war enttäuscht. Das selige Gefühl von Geborgenheit und Vertrauen war verblasst, nur ein paar Schmetterlinge, die sich wahrscheinlich verirrt hatten und den Ausgang nicht fanden, flatterten noch in meinem Magen herum, und mit dem nächsten Herzschlag verschwand auch das letzte bisschen Wärme.
Ich sah zur Uhr. Es war fünf nach halb acht.
„Ich muss mich noch fertig machen!“
Erschrocken sprang ich auf. Ich war so schon spät dran und musste ich mich noch zurechtmachen! Jacob hatte mich so sehr abgelenkt, dass ich die Zeit völlig vergessen hatte. Typisch für mich. Wenn ich bei ihm war, war mein Gehirn vollkommen unbrauchbar, es herrschte nur ein chaotisches Wirrwarr in meinem Kopf und ich vergaß alles um mich herum. Das war leider nicht sonderlich nützlich, aber was sollte ich tun? Ich konnte unmöglich auf ihn verzichten, also musste ich mit dem Chaos leben. Aber für das Bauchkribbeln und das unbeschreiblich schöne Gefühl nahm ich das gerne in Kauf.
Schnell raste ich die Treppe hoch ins Bad, wo ich mir schnell noch mal die Zähne putzte. Ich versuchte krampfhaft den Schmutz des Frühstücks wegzukriegen; ich schrubbte und schrubbte immer weiter. Mir tat schon die Hand weh vom viel zu festen Druck auf meine Zähne, aber ich ignorierte einfach den Schmerz.
Nach einer Ewigkeit gab ich auf. Was machte es denn für einen Sinn? Jake konnte den Geruch eh nicht entgehen, dafür hatte er einen viel zu ausgeprägten Geruchssinn.
Ich spülte mir noch kurz mein Gesicht mit eiskaltem Wasser ab, um die Benommenheit, die er in mir ausgelöst hatte, loszuwerden.
Es zeigte Wirkung, ich war jetzt hellwach.
Als nächstes kämmte ich meine schönen langen Haare durch und tupfte einen Klacks rosafarbenen Lipgloss auf meine Lippen.
Ich betrachtete mich im Spiegel – ich sah wirklich gut aus, richtig hübsch sogar. Meine bronzefarbenen Haare umschmeichelten mein rundes Gesicht und lagen sanft auf meinen Schultern. Die schokoladenbraunen mandelförmigen Augen hatten einen verträumten- ja verliebten – Ausdruck und meine wohlgeformten weichen Lippen luden zum Küssen ein.
Ich musste seufzen. Egal, wie sehr ich versuchte mich auch zusammenzureißen, in Momenten wie diesen übermahnte mich diese Sehnsucht, dieser verlangende Wunsch, nach ihm. Ich wollte ihn schon krampfhaft, wollte, dass seine vollen Lippen meine berührten, würde ALLES nur für diesen einen Wunsch aufgeben.
Ich war wie besessen von ihm, es dürstete mich so sehr nach ihm, nach seinen Berührungen, wie einen jahrelang heimatlosen Seefahrer nach Land, sogar noch mehr.
Plötzlich klopfte es.
„Nessie? Bist du fertig?“
Jacob machte sich anscheinend schon Sorgen. Ich musste lächeln. Vielleicht bestand doch noch ein klitzekleines bisschen Hoffnung für mich, vielleicht war das ein kleines Anzeichen dafür, dass er mich nicht nur als kleine nervige „Schwester“ sah, sondern mehr für mich empfand. Jetzt musste ich grinsen.
„Nessie?!“, die Stimme klang jetzt besorgt und drängend. Ich erlöse ihn jetzt lieber mal von seinem Leid, dachte ich mir und antwortete: „Ja, bin gleich fertig!“.
Schnell kämmte ich mir meine Haare noch mal mit den Fingern und hoffte, dass Jake gefallen würde, was er gleich sah, bevor ich die Tür öffnete und austrat.
Ich sah mich um. Jake war nicht da; es war niemand
da.
„Jake?“ Keine Antwort.
„Jaaaake?!“, startete ich jetzt besorgter einen zweiten Versuch, aber auch diesmal kam nichts zurück, außer schweigender Stille.
Hm…merkwürdig, versuchte ich mich zu beruhigen, bestimmt ist er schon zum Auto gegangen.
Achselzuckend machte ich mich auf in Richtung Treppe. Kaum hatte ich die erste Stufe erreicht, hielt mich plötzlich eine starke Hand am Arm fest und drehte mich zu sich.
Natürlich wusste ich sofort wer es war, auch ohne sein Gesicht zu sehen. Ich spürte einfach seine Anwesenheit. Und seinen Herzschlag konnte ich natürlich auch hören.
„Hallo Renesmee.“
Jacob nahm jetzt auch meine andere Hand und legte beide um Taille.
„Hi Jake.“ Ich brach nur ein unverständliches Flüstern raus. Aber er konnte es ja trotzdem hören.
„Weißt du…ich muss mal mit dir reden…“
Er hielt inne und nahm mein Gesicht. Meine Wangen glühten von seinen brennenden Fingern. Mir wurde davon warm ums Herz.
Jacob hielt mein Gesicht fest, sah mir unverwandt in die Augen. Ich konnte nicht von seinen braunen, warmen Augen wegsehen, sein Blick hypnotisierte mich, zog mich automatisch an, wie die Erde den Mond oder Gretel Faust.
„Du weißt doch, dass ich ein Werwolf bin.“, setzte er wieder an.
„Ja.“
„Weißt du auch von einer bestimmten Fähigkeit, die wir besitzen?“
„Ihr könnt nicht altern, wenn ihr euch regelmäßig verwandelt.“, antwortete ich ihm rasch.
„Ja, die auch. Die meine ich aber nicht. Ich rede über eine andere…die Präg…“
Plötzlich stoppte er, hob den Kopf und horchte.
„Mist…!“, flüsterte er verärgert und schon war er verschwunden.
2. KAPITEL
Alles war ruhig. Nur mein stürmischer Herzschlag durchbrach die vollkommene, aber unheimliche, Stille. Es hatte sich noch nicht von der Aufregung erholt; ich stand unter Schock.
Was war das denn eben gewesen?
Ich realisierte, was gerade passiert war, Empörung machte sich unaufhaltsam in mir breit.
Was fiel ihm eigentlich ein? Was, was glaubte er eigentlich, mit wem er da sprach?
Einfach abzuhauen, war ja typisch für ihn! So ein feiger Hund!
Ich musste mich abreagieren, auch wenn ich es nicht wollte. Ich atmete tief ein und wieder aus.
Ein…Aus…
Ein…Aus…
Ich kam mir plötzlich ziemlich lächerlich vor, wie ich hier stand und versuchte nicht hektisch nach Luft zu schnappen, sondern meinen Atem zu regulieren. Ich wusste auch nicht, wie lange ich schon so dastand – bestimmt 10 Minuten, vermutete ich -, aber langsam zeigte meine Methode Wirkung.
Und dann fiel es mir plötzlich wieder ein. Wie Schuppen flog es mir vor die Augen, in direkter Verbindung zu meinem Gehirn und meinem Herzen, um mühevoll erarbeitete innere Ruhe wieder zunichte zu machen und mich in Rage zu versetzen.
Was hatte Jacob noch einmal gesagt?
„Weißt du auch von einer bestimmten Fähigkeit, die wir besitzen?“
Von was für einer Gabe sprach er? Irgendwas mit „Präg…“.
Er konnte es ja leider nicht mehr aussprechen, was mir das recherchieren erschweren würde, aber ich musste es einfach wissen.
Und ich wusste auch schon wie.
Der Wind rauschte, die kalte Luft blies mir ins Gesicht und zerzauste mir meine lockigen Haare. Ich saß im Auto meines Vaters und wartete, bis wir bei meiner Schule ankamen. Niemand von uns beiden versuchte auch nur ein Gespräch anzufangen, was mir ehrlich gesagt auch mehr als recht war.
Frische, grüne Bäume, die erst neu erblüht waren, und hellbraune, halb verwesene Büsche, deren Äste so sehr ineinander verhakt waren, dass man sie nicht mehr auseinanderknoten könnte, egal, wie sehr man sich anstrengen würde, und weite, gelbe Weizen- und Maisfelder zogen langsamer als sonst an mir vorbei.
Warum fuhr Edward heute nicht so schnell wie sonst. Normalerweise raste er mit so einer unglaublich hohen Geschwindigkeit über die Straßen, dass es schon aussah, als ob er fliegen würde. Er wurde aber komischerweise noch nie von der Polizei angehalten oder geblitzt.
Das war mehr als merkwürdig. So versuchte ich den Gedanken zu verscheuchen, mich wieder auf die Landschaft zu konzentrieren, aber es ging nicht, sie flogen einfach an mir vorbei, ohne dass ich sie realisierte.
Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich meine Gedanken automatisch zu anderen, viel wichtigeren, Angelegenheiten schweifen ließ.
Doch dann schaffte ich es doch, mich von dem merkwürdigen Verhalten meines Vaters loszureißen, aber das des nächsten Grübelgrundes war mindestens genauso merkwürdig, wenn nicht noch mehr: Jake. Warum tat er so geheimnisvoll, warum taten alle so geheimnisvoll? Sie hatten ein Geheimnis, was mir einfach nicht erzählt werden durfte und dieser Gedanke, dass alle etwas vor mir verheimlichten, raubte mir langsam den Verstand. Umso länger ich daran dachte, umso mehr glaubte ich verrückt zu werden.
„Wie lief deine Englischarbeit? Hast du sie schon zurückbekommen?“, durchbrach die sanfte, melodische Stimme meines Vaters meine Gedankenabschweifungen.
Überrascht drehte ich mich zu ihm um. Mir fiel sofort auf, wie besorgt er dreinblickte. Als ob er sich ernsthaft Sorgen um mich machen würde, oder als ob er Angst
um mich hätte. Dieser Blick verwirrte mich so sehr, dass ich nicht sofort antworten konnte.
„Ja, hab ne 1 bekommen. Wie immer. Wieso?“, ich war ziemlich misstrauisch. Wahrscheinlich will er mich nur ablenken, vermutete ich und dachte mir nichts mehr dabei, was ein Fehler war.
Ich wartete noch auf eine Antwort, obwohl ich genau wusste, dass ich lange darauf warten konnte. Dad schwieg still in sich hinein, er hatte sich wieder abgewandt. Er schien vollkommen in seine Gedanken versunken zu sein, nur zu gern hätte ich in diesem Moment gewusst, was ihn so zum Grübeln brachte. Und da war sie, meine zweite Erleuchtung an diesem Tag. Ich sah es so klar, wie ein Kurzsichtiger, der zum ersten Mal eine Brille aufsetzt.
Ich war so unvorsichtig gewesen. Ich hatte ganz vergessen, wer der Mann neben mir war und was er konnte. Wieso hatte ich es nicht früher bemerkt?
Natürlich hatte Edward alle meine Überlegungen gehört und wusste jetzt, was in mir vorging. Und natürlich schnüffelte er auch genau in diesem Moment in meinem Kopf herum; er wusste, dass mir eingefallen war, dass er meinen Gedanken, die privat bleiben sollten, horchen konnte, und diese plötzliche Gewissheit tat so fürchterlich weh wie ein erbarmungsloser, kalter Messerstich direkt ins Herz, dessen Schadensspannweite ich noch nicht genau schätzen konnte.
Ein Gutes hatte die Sache wenigstens – Ich brauchte ihn nicht selber darauf ansprechen, er tat es selber:
„Nessie…es tut mir leid. Ich kann nicht anders, das weißt du. Es ist fast unmöglich für mich, es sein zu lassen und es ist unerträglich, dir das anzutun. Aber egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich schaffe es nicht; ich bin nicht stark genug, es mir zu untersagen. Verzeihe mir …“
Jetzt sah er mich mit einem so reumütigen und beschämten Blick an, dass ich ihm nicht böse sein konnte. Aber ich wollte nicht ganz aufgeben, ich musste meine Chance nutzen, solange sie noch zum Greifen nah war.
„Ja, das verstehe ich. Es ist nicht so schlimm, Dad. Aber ich verstehe vieles andere nicht.
Zum Beispiel, warum du heute so merkwürdig bist!? Es fühlt sich echt furchtbar an, so im Unklaren zu sein! Ich will verdammt noch mal endlich wissen, was los ist!“
Ich blickte ihm fest in die Augen. Das machte ihn anscheinend ziemlich nervös, denn er fing an, auf seinen Lippen rumzukauen. Wenn ich es nicht besser wüsste…wenn ich nicht wüsste, dass es ihm nicht wehtat, nicht verletzte, hätte ich mir Sorgen um ihn und seine Lippe gemacht. Aber ich wusste es ja besser.
Als ich immer noch keine Antwort bekam wechselte ich einfach zu der nächsten, für mich deutlich wichtigeren, Frage:“Oder was ihr, und vor allem du, gegen Jake habt! Er hat so viel für euch getan. Ihr solltet dankbar sein, anstatt ihn so zu behandeln. Er ist ein Teil der Familie und ich kann auf ihn genauso wenig verzichten, wie ich es auf euch könnte.“
Jetzt antwortete Edward, irgendetwas in meinen Worten schien ihn aus der Starre geweckt zu haben. „Hör zu Renesmee…es ist nicht so einfach zu erklären.“
„Dann versuch’s.“
Er hielt inne, zögerte, warf mir einen skeptischen, aber ratlosen, Blick zu und fuhr dann fort: „Na gut. Es ist einfach so, dass…dass…“, wieder stockte er.
Ich stöhnte genervt, war aber gleichzeitig ein wenig überrascht, so unsicher und sprachlos hatte ich meinen Vater noch nie erlebt. Er war immer sehr selbstsicher im Gespräch und wusste immer ganz genau die richtigen Worte zu finden. Er tat mir sogar ein klein wenig leid. Aber ich musste es herausfinden.
„Na los, rück’s schon raus. So schlimm kann es doch gar nicht sein.“
Mein drängender Unterton verfehlte seine Wirkung nicht; er schüchterte Dad ein.
„Na gut, ich erkläre es dir. Oder ich versuche es zumindest…“
Er starrte nachdenklich auf die Straße, nach einer Weile fuhr er fort: „Du erinnerst dich noch, aber für dich war es nicht schlecht. Es hat dir nie was ausgemacht, nicht so wie uns.“ Eine kleine Pause setzte ein. „Ich kann diese schreckliche Erinnerung nicht noch einmal durchleben, was aber unausweichlich wäre, wenn ich sie dir erzähle. Ich bin überzeugt davon, dass du tief in deinem Inneren schon längst weißt, was der Auslöser für unser Misstrauen gegenüber Jacob ist. Ich nenne dir nur ein Wort.“
Jetzt blickte er von der Straße auf und sah mich an. Gespannt und verängstigt zugleich starrte ich zurück.
So lange hatte ich auf diesen Moment gewartet, doch jetzt, da er da war, machte er mir Angst. Sei nicht kindisch, Renesmee!, sagte ich mir. In ein paar Sekunden wirst du endlich erfahren, warum sie alle Jake nicht mögen und du? Du bist kurz davor zu kneifen.
„Hilflos."
3.KAPITEL
...
Natürlich ist das noch nicht das Ende der Geschichte !
Ich werde immer wieder Kapitel und Teile hinzufügen.
Fortsetzung folgt ...
Texte: Alle Charaktere gehören Stephanie Meyer.
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2009
Alle Rechte vorbehalten