Ein Pärchen schlenderte scheinbar gelassen die Hauptstraße entlang. Schneeflocken tanzten über ihren Köpfen hin und her und bedeckten ihre Mützen.
„Du weißt, dass wir nicht mehr viel zeit haben?“, fragte das Mädchen.
„Wie könnte ich es vergessen, wenn du mich jeden zweiten Tag daran erinnerst und das seit September?“, fragte der Junge und schnaubte.
Das Mädchen blieb stehen und schaute ihn finster an. „Du vergisst es ja auch immer wieder! Ich möchte einfach, dass unsere Weihnachten perfekt werden!“
Der Junge verdrehte die Augen. „Von mir aus, ich hole nachher den Baum und stell ihn auf.“
Das Mädchen nickte zufrieden. „Dann backe ich Plätzchen.“
Zufrieden mit der Welt, schloss sie sich ihrem Freund wieder an und die beiden staksten weiter durch den hohen Schnee. Es hätte so schön werden können, wirkte es doch in diesem Moment fast perfekt, so wie das Mädchen es gewollt hatte, doch sah man keine zwei Stunden später den Jungen hektisch über die schneebedeckten Straßen der Stadt rennen.
„Wieso gibt es nirgends Weihnachtsbäume?“, fluchte er vor sich hin. „Es kann doch nicht sein, dass man keine Weihnachtsbäume mehr finden kann! Die wachsen doch wie Unkraut! Sie will einen Weihnachtsbaum? Bitte, die bekommt einen Weihnachtsbaum!“
Immer noch vor sich hin brummend, lief der Junge in einen kleinen Wald, welcher an der Stadt grenzte. Suchend schaute er sich die kahlen Bäume an, ehe er gefunden zu haben schien, was er suchte und schnellen Schrittes auf eine kleine Tanne zu ging. Die äste der Tanne hingen herab von dem dichten Schnee der sich auf ihnen niedergelassen hatte und war in etwa so groß wie der Junge selbst. Ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, ehe er sich daran machte, den Stamm der Tanne mit einem kleinen Taschenmesser zu bearbeiten.
„Aua!“, schrie er keine drei Minuten später und biss sich vor Schmerz auf die Lippen. „Scheiß Splitter! Scheiß Tanne! Scheiß Weihnachten!“
Außer sich vor Zorn und wahrscheinlich auch Schmerz, trat er immer wieder gegen die Tanne und fluchte dabei aus vollem Halse. Nach dem zehnten Tritt und einer derben Beleidigung auf das Christkind, knickte die Tanne mit einem lauten Ächzen ein und fiel genau auf den Jungen. Dieser versuchte vergeblich auszuweichen, wurde jedoch unter der Tanne begraben.
„Warum ich?“, fragte er und seufzte.
Nachdem er sich unter der Tanne hervor gekämpft hatte und sich den Schnee vom Mantel klopfte, packte er die Tanne an dem abgebrochenen Stamm und schleifte sie hinter sich her aus dem Wald hinaus und zurück in die Stadt.
Zu Hause angekommen zog er die Tanne in die kleine Wohnung, welche er anscheinend mit seiner Freundin bewohnte. Den Widerstand der Tanne ignorierte er gekonnt und zerrte sie ungerührt in den kleinen Flur und durch in das Wohnzimmer.
„Michael, was machst du da?“, rief seine Freundin und streckte den Kopf in das Wohnzimmer.
Der Junge namens Michael, der der Tanne gerade noch ein paar abfällige Tritte verpasst hatte, setzte ein scheinheiliges Lächeln auf.
„Nichts, ich habe den Weihnachtsbaum geholt. Ist er nicht schön?“
Seine Freundin schaute skeptisch auf die ramponierte Tanne hinab. Von zahlreichen Tritten, über die Straßen geschliffen werden und den letzten Angriffen, war die Tanne ziemlich mitgenommen. Einige Äste waren angeknackst und hingen schlaff hinab und auch so dicht benadelt wie zuvor war die Tanne nicht mehr.
„Was soll's“, seufzte das Mädchen und schlurfte zurück in die Küche.
„Ich hab mein bestes gegeben Anna!“, rief Michael ihr hinterher.
„Ja ja.“ Kam es zurück.
Michael fuhr sich durch seine braunen kurzen Haare und seufzte erneut, ehe er sich in einen weiteren Kampf mit der Tanne stürzte um diese in den bereits platzierten Weihnachtsbaumständer zu schaffen. Nach einer viertel Stunde stand die Tanne ziemlich schräg in ihrem Ständer. Hätte sie sprechen können, würde sie wahrscheinlich weinen... oder stöhnen.
Michael grinste triumphierend und begann damit, den Baum zu schmücken, er hatte gerade die Lichterkette um den Baum gelegt und angeschaltet, als ihn ein lauter Fluch aus der Küche aufschrecken lies. Als er die Türe zur Küche öffnete, schlug ihm beißender Qualm entgegen und brannte direkt in seinem Hals.
„Alles okay mit dir?“, fragte er seine Freundin, welche hustete.
„Oh nein!“, sagte Anna nur und deutete mit traurigem Blick auf die verbrannten Plätzchen, welche vor sich hin qualmten.
„Ach, halb so wild. Ein bisschen Zuckerguss darauf und schon schmecken sie super!“, meinte Michael.
„Vergiss es, die sind nicht mehr zu retten!“
„Dann kaufen wir eben welche.“
Entsetzt schaute Anna ihren Freund an. „Das kann nicht dein ernst sein! Das ist absolut nicht weihnachtlich! Seine Plätzchen backt man selber! Genauso wie man die Geschenke selber verpackt und den Baum selber schmückt!“
Michael verdrehte die Augen. „Du machst dir viel zu viel Stress! Die Plätzchen schmecken doch eh gleich und es fällt keinem auf ob die Geschenke selbst verpackt wurden oder nicht.“
er hatte anscheinend genau das falsche gesagt, denn Anna stieß ein entrüstetes schnauben aus und wollte sich schon auf Michael stürzen, als ein schrilles Piepen die beiden unterbrach.
„Was ist das? Klingt fast wie-“
„Der Feuermelder!“, reif Anna und rannte gefolgt von Michael in das Wohnzimmer.
Dort stand die perfekt ramponierte Tanne und fackelte vor sich hin.
„DER BAUM BRENNT!“, rief Anna.
Starr vor entsetzen schauten die beiden sich an, ehe Michael zu der Steckdose sprintete und den Stecker der Lichterkette aus eben dieser zog. Währenddessen hatte Anna sich eine Decke geschnappt und warf sie über den brennenden Baum. Die Tanne fiel aus ihrem Ständer auf den Boden und sofort stürzten sich die beiden auf sie und traten wie wild auf ihr herum, um auch die letzten Flammenzungen zu löschen. Kleine Rauchfahnen stiegen von der nun endgültig zerstörten Tanne empor und Anna und Michael schauten sich an.
„Ich gehe Plätzchen backen“, sagte Anna schließlich. Michael seufzte.
„Ich hole einen Weihnachtsbaum.“
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2011
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