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Mein Weihnachten

Man sagt, Weihnachten sei das Fest der Liebe. Ich jedoch bekam diese Liebe nie zu spüren – bis zu meinem neunten Lebensjahr.Meine Name ist Lea. Bis zu besagtem Lebensjahr wohnte ich in einem Heim, wo ich mich alleine und verlassen fühlte. Meine Eltern waren gestorben, so früh, dass ich mich nicht einmal mehr an sie erinnern konnte. Ich wurde von den anderen Kindern ausgelacht und verspottet, weil ich anders war. Weil ich Fähigkeiten besaß, die man sonst zur einer Hexe zugeschrieben hätte. Ich konnte mit Tieren sprechen, und ich machte nicht selten Gebrauch von dieser Fähigkeit.Doch auch mein Aussehen wich von dem ab, was ein durchschnittlicher Mensch als normal bezeichnen würde: Ich hatte langes, schwarzes Haar, in dem sich kleine, hellblaue Strähnen abzeichneten. Schon oft hatten meine Erzieherinnen versucht, diese Strähnen anhand eines Färbemittels zu entfernen, doch nach spätestens einigen Stunden war die Farbe zurückgekehrt.So fristete ich also mein Dasein als Außenseiterin, musste mir täglich anhören, was für ein Freak ich doch sei. Während die anderen Kinder zusammen lachten und von den Erzieherinnen umsorgt wurden, machten um mich alle einen großen Bogen. Den Erwachsenen jagte ich Angst ein, die Kinder entwickelten eine grundlose Antipathie gegen mich, die ich ihnen nicht einmal übel nehmen konnte. Welches Kind spricht denn schon mit einem Fuchs, wo sich doch jedes andere schleunigst aus dem Staub machen würde?Dann kam er, der Dezember, der mein Leben veränderte. Eine Frau besuchte unser Heim, weil sie an einer Adoption interessiert war, und von allen hübschen und lieben Kindern wählte sie ausgerechnet mich, die Außenseiterin. Ich war überglücklich, doch es entging mir nicht, dass meine Erzieherinnen dieser Frau ebenso auswichen wie mir. Das musste wohl an dem Aussehen der Frau liegen, das nicht minder ungewöhnlich war als meines. Ihre Haare jedoch waren rot, ebenso wie ihre Augen, die geheimnisvoll, aber freundlich aufleuchteten.Wenige Tage später kam die Frau zurück, um mich zu ihrer Familie zu bringen. Ich war furchtbar aufgeregt, und obwohl ich mich riesig darüber freute, das Heim endlich hinter mir zu lassen, schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich fragte mich, was wohl wäre, wenn es mir in dieser Familie nicht besser gehen würde. Doch diese Zweifel erwiesen sich als überflüssig.Der Mann meiner neuen Mutter hatte ebenso rote Augen wie seine Frau und begrüßte mich nicht weniger freundlich. Nachdem sich die beiden noch einmal kurz mit mir unterhalten und mir versichert hatten, dass ich keine Angst zu haben brauchte und sie sich gut um mich kümmern würden, war es endlich so weit: Mike und Clara, meine neuen Geschwister, betraten den Raum, um sich mir vorzustellen.Mike war fünfzehn Jahre alt, hatte ein charmantes Lächeln und auffällige, blaue Haare, die er in einem gut geschnittenen, aber keinesfalls biederen Kurzhaarschnitt trug. Clara hingegen war nur zwei Jahre älter als ich, und bei ihr waren es die Augen, die blau waren. Dafür hatte sie, genauso wie ihre Eltern, feuerrote Haare.Wir fingen ein Gespräch an und ich konnte förmlich spüren, wie das Eis zwischen uns brach und sich auch meine Unsicherheit verflüchtigte. Die beiden waren nett und gaben mir das Gefühl, etwas wert zu sein. Sie erzählten mir von ihrem Internat, das sie besuchten, eine Schule nur für Leute, die anders waren als die normalen Menschen. Bei ihren Beschreibungen sehnte ich mich danach, auch auf dieses Internat zu gehen, doch ich war nur zu jung. Clara, die im ersten Jahr auf dem Internat war, erklärte mir, dass man erst ab dem elften Lebensjahr dort zur Schule gehen konnte. Angeblich lernte man dort, seine Kräfte zu kontrollieren und richtig einzusetzen, doch auch die normale Schulbildung kam nicht zu kurz – und von der hatte ich in den letzten Jahren reichlich wenig gehabt.So kam es, wie es kommen musste: Bereits am zweiten Tag fragte mich meine neue Mutter, ob ich denn lesen und schreiben könne. Ich verneinte, erzählte ihr, was mir im Heim zugestoßen war. Sie war schockiert über meine Geschichten und schlug mir vor, dass sie mich zu Hause im Lesen und Schreiben und auch in Mathematik unterrichten würde. Begeistert sagte ich zu, denn ich wollte sofort damit anfangen, die schönen Bücher in der Bibliothek meiner neuen Familie zu lesen.Die nächsten drei Wochen verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Ich verbrachte eine wundervolle Adventszeit mit meiner Familie, wir unternahmen Sachen, die ich noch nie in meinem Leben getan hatte. Einmal schneite es und wir gingen Schlittschuh laufen, was für mich ein aufregendes, aber durchaus schönes Erlebnis war.Kurz vor Weihnachten entschieden sich meine Eltern schließlich, mir die Wahrheit zu sagen. Sie bereiteten mir eine Tasse Tee zu und setzten sich mit mir auf mein warmes Bett, wo sie anfingen, mir zu erzählen, was es wirklich mit ihnen auf sich hatte.»Lea, Schätzchen, wir sind Vampire.«, gestand meine Mutter mir. Auf einmal hatte ich Angst, doch dann erklärte mir mein Vater schnell, dass die Schauergeschichten, die man sich über die Vampire erzählte, keinesfalls der Wahrheit entsprachen. Nach einer Weile verflog die Angst, nun hörte ich gespannt zu, wollte unbedingt wissen, ob ich auch zu ihnen gehörte.»Ja, Lea. Wir nennen deine Rasse den Phönix. Von ihnen gibt es verschiedene Arten, doch sie haben alle etwas gemeinsam: Eine spezielle Augenfarbe und Strähnen in den Haaren, die verraten, welches Element sie kontrollieren können.« Mein Vater strich durch meine blauen Strähnen, als seien sie etwas unglaublich wertvolles. »Die Farbe blau steht für das Wasser. Grün für die Erde, rot für das Feuer und Silber für den Wind.«Nun übernahm meine Mutter das Wort. »Tut mir Leid, Lea, vielleicht ist das jetzt ein wenig zu viel für dich.«»Nein, ich finde das … das ist toll!«, sagte ich, doch ich konnte fast nicht klar sprechen, so aufgeregt war ich.»Weißt du-«, fuhr meine Mutter fort, »- sobald du auf das Internat kommst, wirst du viele Leute deiner Art kennen lernen. Keine Angst, du kannst immer noch bei uns wohnen, das Internat ist schließlich in der Nähe. Aber du wirst viele Freunde finden, glaub mir.«Überglücklich umarmte ich meine Eltern. »Mum, Dad, ich hab euch echt liebt!«»Wir dich auch.«, sagte meine Mutter und strich mir über den Rücken. »Wir dich auch, Lea.«Am nächsten Tag stand wieder etwas an, das ich noch nie getan hatte: Den Weihnachtsbaum aufstellen und ihn schmücken. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie verdutzt mein Blick war, als Papa und Mike einen Tannenbaum nach Hause brachten. Meine Familie nahm diesen Umstand mit Humor auf, erklärte mir, dass dies ein Weihnachtsbaum sei. Als ich sie verständnislos ansah, fragte mich meine Mutter schockiert, ob ich denn noch nie einen gesehen hätte.»Nein.«, gab ich zu und schüttelte traurig den Kopf.»Ach, Süße. Dann wird es langsam Zeit.« Meine Mutter nahm mich an der Hand und führte mich ins Wohnzimmer, wo unzählige voll gepackte Kisten lagen. Als ich näher an eine der Kisten trat, erblickte ich rote, in Gold glitzernde Kugeln darin und sah meine Mutter mit großen Augen an.»Zu Weihnachten kaufen sich die meisten Leute einen Baum wie den, den Mike und dein Papa gerade nach Hause gebracht haben. Dann schmücken sie diesen Baum mit hübschen Kugeln wie diesen.«»Wow, das ist echt schön!«, sagte ich begeistert. Ich konnte es gar nicht abwarten, genauer zu erfahren, wie man den Baum schmückte. Einige Minuten später war der Baum tatsächlich aufgestellt und ich durfte die erste Kugel anbringen. Clara half mir freundlicherweise, zeigte mir noch einmal, wie es ging. Ich begriff schnell und begann, mit unglaublicher Schnelligkeit und Leidenschaft den Baum zu schmücken. Die anderen Familienmitglieder bemerkten das und ließen mich einfach weiter machen, um mir den Spaß nicht zu verderben. Als ich fertig war, strotzte der Baum nur so vor glitzernden Kugeln, Sternen und Schneemännern. Ich drehte mich um und erntete ein so stolzes Lächeln von allen Familienmitgliedern, dass sich Tränen in meinen Augen bildeten.Dann endlich war es so weit: Weihnachten stand vor der Tür, nur noch ein Tag, dann würden wir die Geschenke auspacken und zusammen Lieder singen. Wir, die Frauen, backten Kekse, während die zwei Männer draußen Holz hacken gingen, wie man es in früheren Zeiten getan hatte. Es war ein wunderbarer Nachmittag, und nachdem wir am Abend ein tolles Kartenspiel miteinander gespielt hatten, schlummerten alle erschöpft, aber zufrieden in ihren Betten. Nur ich lag wach und konnte nicht schlafen, aus Angst, Weihnachten zu verschlafen. Nach einer Weile schlich ich mich mit meiner Decke aus meinem Zimmer und machte es mir im Wohnzimmer gemütlich, um den wunderschön dekorierten Weihnachtsbaum nicht aus den Augen zu verlieren. Als meine Mutter das Zimmer betrat, war ich bereits so sehr in Gedanken versunken, dass ich vor Schreck zusammen zuckte. Sie lächelte freundlich und drückte mir eine Tasse heiße Milch in die Hand.»Hier. Ich hatte schon geahnt, dass du nicht schlafen kannst.«Unsicher nahm ich die Tasse entgegen. »Weißt du ich … ich hatte Angst, den Tag zu verschlafen.«, gestand ich ihr.Sie nahm mich tröstend in den Arm, fragte mich, wie ich denn Weihnachten im Heim verbracht hätte. Traurig erzählte ich ihr, dass wir kein Weihnachten gefeiert hatten. Nun, eigentlich stimmte es nicht ganz, nur hatte man mir immer erzählt, dass ich nicht mit feiern durfte, weil ich abnormal und gefährlich sei. Schließlich gab ich auch das zu. Meine Mutter sah mich voller Mitleid an, doch dann lächelte sie und stellte meine Tasse noch einmal ab, um mir etwas zu erklären.»Lea, auf dieser Welt gibt es leider viele Menschen, die so sind wie die Leute in deinem Heim. Doch vergiss nie, dass es immer welche geben wird, die genauso wie du sind. Jetzt bist du bei uns und brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Wir sind für dich da.« Liebevoll fuhr sie durch meine Haare. Ich lehnte mich an sie, wir saßen eine Weile lang schweigend da und schauten beide zum Fenster hinaus, wo aus der Ferne ein Stern aufleuchtete.Nach einigen Minuten ertönte das Schlagen der Uhr, um uns mitzuteilen, dass es nun Mitternacht war. Strahlend wandte sich meine Mutter mir zu.»Fröhliche Weihnachten, Lea.«

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die Kurzgeschichte Widme ich meiner Freundin Hexesjoell :)

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