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Blutsommer


Anne Reef

 

Der Mond warf sein silbernes Licht durch die Lamellen der Jalousien des heruntergekommenen Hauses und strich zärtlich über die Gesichter der beiden Kinder, die aneinander gelehnt auf dem Boden an der Wand saßen und ihre Beine mit einer dünnen Wolldecke bedeckten. Der Junge hatte die Augen geschlossen, sich an seine Schwester Libby gekuschelt und im Schlaf die Stirn gerunzelt. Er atmete regelmäßig und das Geräusch des leisen Prustens, jedes Mal, wenn er die Luft zwischen seinen Zähnen ausstieß, war nicht das einzige, das Libby hörte. Das andere war quasi immer anwesend, drang in ihre Seele ein und erschütterte sie immer wieder aufs Neue bis ins Mark. Dieses kratzige Stöhnen, das Gurgeln aus verwesenden, stinkenden Kehlen…

Sie zog den Kopf ein und presste die Augenlider fest zusammen. Sie konnte ihre Tränen nur schwer unterdrücken, doch sie musste stark sein, jetzt, wo sie mit Stew auf sich alleine gestellt war. Ein Schluchzen entfuhr ihrem halb geöffneten, trockenen Mund. Wie sollte sie mit ihren vierzehn Jahren ihren kleinen Bruder beschützen können vor diesen … Monstern.

Wie automatisch tasteten Libbys Finger zu der Wunde an ihrer rechten Hand. Sie zog das blutdurchtränkte Stofftaschentuch zur Seite und betrachtete die kleinen halbmondförmigen Vertiefungen in ihrem Fleisch, die klar und deutlich einen Gebissabdruck darstellten. Sie wusste, was das bedeutete. Sie würde sterben.

In der Gruppe, in der sie zuvor mit ihren Eltern gelebt hatten, waren hin und wieder Leute gebissen worden. Alle waren sie krank geworden, hatten Fieber bekommen, die Lippen hatten sich schwarz gefärbt und dann hatten sie aufgehört zu atmen. Mehr hatte Libby nie mitbekommen, denn die Erwachsenen hatten die Sterbenden und Toten immer weggebracht. Doch sie wusste, dass man nach dem Tod als eines von den Monstern wieder zurückkommen würde, als einer von den Untoten oder Beißern, wie sie von den anderen immer genannt wurden.

Das war auch das Schicksal, das sie ereilen würde. Es würde nicht mehr lange dauern, vielleicht ein, oder zwei Tage, vielleicht auch nur ein paar Stunden. Doch das war nicht, was ihr Angst machte. Sie hatte geahnt, dass es auch sie früher oder später treffen würde. So viele, die sie gekannt hatte, waren bereits gestorben. Ganz zu Beginn, vor ein paar Monaten, waren die ersten ihre Nachbarn aus dem kleinen Dorf, wo sie gewohnt hatten, nur einen Tag später ihre Tante, die sie auf ihrer Flucht mitgenommen hatten und im Laufe der Zeit wurden auch viele Leute aus der Gruppe, bei der sie unter gekommen waren, gebissen. Zuletzt ihre Mutter, vor nur wenigen Tagen.

Dennoch, sie machte sich keine Sorgen um ihr eigenes Schicksal. Ein Beben ging durch ihren Körper und nun schafften es doch einige Tränen zum Vorschein zu kommen. Nein, die Angst, die ihr Herz mit eisigen Fingern umklammerte, war die, um ihren Bruder. Wenn sie nicht mehr da war, hätte er niemanden mehr. Er wäre alleine auf dieser grausamen und trostlosen Welt.

Sie dachte an ihre Flucht aus dem Versteck zurück. Alles war drunter und drüber gegangen. Die Untoten hatten sie überrascht, die Wache war wohl nicht aufmerksam genug gewesen. Nur mit ihrer Kleidung am Leib und einigen Kleinigkeiten, die man auf die Schnelle zu fassen bekommen hatte, hatten sie ihr bisher so sicheres Zuhause verlassen müssen. Libby erinnerte sich an die panischen Schreie, an das grunzende Fauchen der Kreaturen, an ihre verwesende Haut. Und immer dieser allgegenwärtige, unerträgliche Gestank, der sie zum Würgen brachte. Die Menschen stoben auseinander, völlig kopflos, verzweifelt, im Rücken die Beißer. Beinahe hatte einer sie zu fassen bekommen. Irgendwo in diesem Chaos hatten sie ihren Vater aus den Augen verloren und während sie, an der Hand ihrer Mutter, noch nach ihm schrie und gleichzeitig ihren Bruder umklammerte, spürte sie, wie auch ihre Hand ihr entglitt. Sie sah die panisch aufgerissenen Augen ihrer Mutter, wie sie verzweifelt versuchte, den untoten, kalten Händen zu entkommen, in der Nähe ihrer Kinder zu bleiben und der Schmerz, als sich die Zähne in ihr Fleisch gruben. Sie wurde ihr regelrecht entrissen, doch Libby hielt Stew´s kleine Hand fest umklammert und rannte weiter. Zog ihn hinter sich her. Blind für alles, was um sie herum geschah, sie hatte nur ein Ziel: weg von hier!

Sie hatte den Puls in ihr gespürt, wie er voll mit Adrenalin gepumpt nach oben schnellte, wie ihr Herz ihr bis zum Hals klopfte und das Blut in ihrem Kopf zirkulierte. Sie hatte Stew´s vom Schmerz verzerrtes Gesicht gesehen, wie schwer er atmete, wie seine Knie immer wieder wegsackten und er sich im Laufen wieder fangen musste, um nicht zu stürzen. Doch sie konnten nicht stehen bleiben. Sie hatten keine Wahl. Sie rannten um ihr Leben.

Stew wimmerte leise im Schlaf und Libby hob den Kopf. Er hatte wieder einen Albtraum. Wie beinahe jede Nacht in den letzten Monaten. Sonst waren immer ihre Eltern gekommen, um ihn zu beruhigen. Das war nun ihre Aufgabe. Sie strich ihm über die Wange und machte leise: „Sch… Ist alles gut, Stew, kleiner Stew.“ So, wie auch ihre Mutter es immer getan hatte. Augenblicklich verlangsamte sich die Atmung wieder.

Die tagelangen Strapazen hatten den kleinen Jungen gezeichnet. Er war sehr schmal, die Augen lagen tief in den Höhlen und der Ausdruck in seinem Gesicht war immerzu von einer tiefen Trauer überlagert, die von nichts gemindert werden konnte.

Unwillkürlich musste sie an den letzten Sommerurlaub denken, als sie gemeinsam an den Strand gefahren waren. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die strahlende Sonne, den tiefblauen Himmel. Sie roch die salzige Luft, die ihre Lungen belebte. Sie sah ihre Mutter auf einem großen Badetuch sitzen mit einem Buch auf dem Schoß und einem großen Strohhut auf dem Kopf. Ihr Vater warf sich Stew über die Schulter und rannte durch den glitzernden Sand.

„Max, lass den Unfug“, rief ihre Mutter ihnen hinterher, während Libby zu ihrer Mutter rannte und sich in ihre Arme warf. Sie kicherte, als sie ihr einen Kuss in den Nacken gab und ihre Arme fest um sie schloss. Sie roch den blumigen Duft, den ihre Mutter immerzu umgab, und spürte die Perlen ihrer Halskette auf ihrer Haut. Die Erinnerungen waren so real, so nah. Es war so –

Ein zuckender Schmerz durchfuhr ihren schmalen Körper und sie winkelte ihre Beine fester an, um mit Druck dagegen zu wirken. Ein Pochen ging von ihrer Hand aus und vor ihren Augen wurde es schwarz. Hitze stieg in ihr auf und Libby wusste, dass nun das Fieber einsetzte. Weiße Blitze tauchten vor ihrem Innern auf, totes Fleisch, Maden und Fliegen. Ein Summen, das durch ihren Kopf ging. Ihre Sinne vernebelten und sie konnte nichts tun, als sich auf dem Boden zu winden und die Qualen zu ertragen.

Als sie wieder zu sich kam, ging gerade die Sonne auf. Staub tanzte in den Lichtstrahlen, die zu ihnen hinein drangen und bei jeder Bewegung wurde neuer durch die Luft gewirbelt. Sie reckte sich. Sie mussten weiter. Es war nicht klug, zu lange an ein und demselben Ort zu bleiben, das hatte sie in der Zwischenzeit gelernt.

Sie weckte ihren Bruder, half ihm beim Anziehen und gemeinsam verließen sie das Haus. Auf den Straßen war es ruhig. Kaum einer der Untoten war zu sehen und die, die sie sahen, waren so weit weg, dass sie ihnen gut entkommen konnten.

Das Fieber nahm in den folgenden Stunden zu und Libby konnte spüren, wie diese Krankheit an ihrem Verstand nagte, wie eine Ratte an ihren toten Verwandten. Immer wieder wurde ihr Blick von einem pochenden Schmerz in ihrem Kopf vernebelt und Zuckungen in ihren Muskeln ließen sie immer wieder innehalten.

„Ich habe Hunger, Libby“, nörgelte Stew und spielte an dem Träger seines Rucksacks herum.

„Gleich, Stew“, antwortete sie ruhig. „Wir machen dann eine Rast, das habe ich dir doch versprochen.“

„Ich habe aber jetzt Hunger.“

Mit einem gehörigen Lärm kickte er eine leere, halb verrostete Dose vor sich her, bis sie im Straßengraben landete. Sie hatten das Dorf verlassen und die trostlosen, leer stehenden Häuser wurden von sanften Hügeln abgelöst. Der Sommer hatte seinen Höhepunkt erreicht und die Felder standen in voller Blüte. Es erinnerte sie an eine Fahrradtour, die sie mit der Familie gemacht hatte. Es war beinahe wie damals. Die Maisfelder, deren Pflanzen sich im Wind wiegten, die Weizenfelder, die golden erstrahlten und die roten Farbkleckse der Mohnblumen. Mitten auf einer Wiese hatten sie den selbstgebackenen Kuchen gegessen und frisch gepressten Orangensaft dazu getrunken.

Wieder wurde ihr Körper von einem Anfall geschüttelt, doch Libby versuchte es vor Stew zu verbergen. Trotzdem ahnte sie, dass er ahnte, was mit ihr passieren würde. Es war dabei gewesen, als der Zombie sie gebissen hatte.

Eigentlich wollte sie bis zum nächsten Dorf laufen, um dort einen Unterschlupf für die nächste Nacht zu suchen, doch sie wusste, dass sie das nicht mehr schaffen würde. Die Kräfte verließen sie. Bald würde es mit ihr zu Ende gehen. Sie hatte sich lange Gedanken über Stew´s Schicksal gemacht und schließlich zu einem Entschluss gekommen. Was mit ihm sein würde, wenn sie nicht mehr war. Es war unerträglich für sie.

Libby lenkte ihre Schritte von der Straße in das hüfthohe Gras, Stew immer hinter sich her ziehend. Sie hatte kaum die Kraft ihre Beine zu heben, um das Gestrüpp überwinden zu können. Weit und breit war keiner der Untoten zu sehen und sie breiteten ihre Decke aus. Wie in der Geborgenheit eines Nestes saßen sie dort in ihrer Grasmulde. Während sie das Essen auspackte, hielt sie kurz inne und genoss die Ruhe um sich herum. Alles schien friedlich. Kein Stöhnen und Grunzen. Nur das Zwitschern der Vögel und das Rascheln von Mäusen zwischen den Grashalmen. Sie schloss die Augen und atmete den Duft des Sommers ein, der sie umgab und wie eine schützende Decke einhüllte.

Sie lächelte Stew zu, der ihr schelmisch entgegen grinste und sie zwickte ihm in die Nase.

Libby konnte sich kaum noch bewegen, als sie ihm die Dose mit Erbsen öffnete und sich dann langsam ihrem Rucksack zuwand.

Zögerlich zog sie eine grüne Plastikbox heraus, in der sich löslicher Tee befand. Sie schüttelte den Inhalt und sah zwischen den rosa Körnchen auch die hellgrauen, die sie am Abend zuvor darunter gemischt hatte. Sie stammten von dem Rattengift, das sie in der Küche unter der Spüle gefunden hatte. In einem bunten Becher rührte sie den tödlichen Cocktail an und reichte ihn Stew zum Trinken.

Der nahm ihn nichts ahnend und breit lächelnd entgegen. Das gefiel ihm, dieses süße Gesöff. Damals hatte ihre Mutter das nicht gerne gesehen, wenn sie dieses Zuckerwasser tranken, doch ab und an hatte sie nachgegeben und ihnen eine Dose mitgebracht.

Den ersten Schluck hatte er schnell genommen, doch während dem Trinken verzog sich sein Gesicht, als ihm bewusst wurde, dass er nicht das trank, was er erwartet hatte. Libby sah, wie sich seine Augen vor Überraschung weiteten, wie er langsamer schluckte und den Becher absetzen wollte, doch sie legte den Finger auf dessen Boden und drückte ihn mit  sanfter Gewalt wieder nach oben, sodass er automatisch den Inhalt weiter schlucken musste. Er würde niemals alleine sein. Niemals. Das war keine Welt für Kinder.

 

FORTSETZUNG FOLGT ...

 

Dies war nur eine Leseprobe. Wer wissen möchte, wie die Geschichte endet und mit welchen Augen auch andere Autoren die Zombieapokalypse betrachten, erfährt dies voraussichtlich am 01. Juli 2014, wenn die Zombie-Kurzgeschichten-Anthologie als E-Book erscheinen wird.

 

Bei Fragen hierzu könnt ihr euch gerne hier auf Bookrix oder den anderen, auf meinem Profil angegebenen, Kontaktmöglichkeiten, mit mir in Verbindung setzen.

Impressum

Texte: Anne Reef, Karlie Reef, Christopher Caine, Debby Diamanti
Bildmaterialien: Cover: Lyn Mara; Bild: pixabay
Lektorat: Anne Reef, Karlie Reef
Tag der Veröffentlichung: 27.05.2014

Alle Rechte vorbehalten

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