Traumjob
Schlüsseldienst
0-24Uhr
Samstag – Sonntag – Feiertag
von
Michael Bübl
Alle Rechte vorbehalten
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt
Copyright by Michael Bübl
Traumjob Schlüsseldienst
2015
Hinweis:
Dieses Buch ist in der Rechtschreibordnung für Schlüsseldienste geschrieben. Zum Beispiel wurde das scharfe ß einfach gegen ss getauscht (geht ganz einfach und weg ist dieser sinnlose Buchstabe). Wahrscheinlich sind auch ein paar gravierende Grammatik- und Rechtschreibfehler zu finden.
Für strenge Deutschlehrer mag das untragbar sein. Dem Autor ist dies egal. Lesern, denen es um den Inhalt bei Büchern geht, auch
Internet: www.buebl.com
Mail: michael@buebl.com
Dieses Buch widme ich niemanden
Was soll das immer mit der Widmung? Für Maurin, für meine Kinder, für Oma, für was weiss ich noch allen....
Wen interessiert das, wer ist Maurin?
Das lassen wir aus, einverstanden? Der Prolog ist ausführlich genug.
Oder vielleicht doch eine Kleinigkeit:
Verdammt!
Ich brauch den Schlüsseldienst!
Gibt es etwas Schlimmeres?
...JA, der Schlüsseldienst zu sein!
gibt es nicht viel zu erzählen. Was soll man auch über Michael Bübl, den Wiener Schlossermeister – Mechanikermeister - Schmiedemeister mit Auszeichnung und goldenen Händen schreiben, der gerade mal so um die zwanzig Jahre Berufserfahrung im Schlossknackergewerbe gesammelt hat, einen Welt-Bestseller (Geheimwissen Schlüsseldienst) gelandet hat, und als Sicherheitsberater für Leute tätig ist, die niemals Opfer von Kriminellen werden wollen. Für bildungshungrige, wissbegierige Personen, die an Sicherheit und Öffnungstechnik interessiert sind unterhält er ein Ausbildungscamp (lockpickcamp.com). Ausser, dass er der bekannteste Schlossermeister und Sicherheitsexperte der Gegenwart ist und in Insiderkreisen Wunderschlosser genannt wird, vielleicht noch, dass er gerne Vorträge und Schulungen abhält und der Gründer des Instituts für wirkungsvolle Einbruchsprävention ist. Anderes Zeugs, wie unterhaltsame Romane und Fachartikel für Zeitungen schreibt er auch ab und zu, manchmal auch wissenschaftliches langweiliges Geplänkel über Kriminologie und Einbruch. Das ist jetzt aber schon alles, Sie sehen, ein ganz normaler Durchschnittstyp. Eines noch: Für die Tierhilfe und die Umwelt tut er auch was.
Ich bin primitiv
Hier die langweilige Einleitung, pfffff ist das fad
Türe zugefallen? Schlüssel verloren? Schloss defekt? Schlüssel abgebrochen? Schloss verklebt? Schlüssel vergessen? Da gibt es eine Menge Malheure. Sie denken, ach das kann Ihnen nicht widerfahren, Sie passen selbstverständlich immer auf. Na, dann täuschen Sie sich mal nicht, das geht schneller als man glaubt. Plötzlich steht man vor der eigenen Wohnung und schaut wie die Kuh vorm neuen Tor. Der Schlüssel ist manchmal nur fünf Zentimeter entfernt von Ihnen, aber, was aber? Genau! Die Türe ist dazwischen und exakt fünf Zentimeter stark, OK manchmal auch sechs. Tja das genügt, um unerreichbar zu sein, denn durchgreifen können Sie ja schlecht. Sie draussen, Schlüssel drinnen, das ist ärgerlich, oder? Sie glauben nun, Sie sind der Arme, dem das grösste Unglück der Welt passiert ist, und jetzt kommt der Fiesling vom Schlüsseldienst und hat nichts anderes im Sinn, als Ihnen die Kohle aus der Tasche zu ziehen, Sie so richtig nach Strich und Faden abzuzocken. Dass Sie sich da nicht schon wieder täuschen, wir vom Schlüsseldienst wollen niemand ausnehmen, selbst wenn wir wollten, könnten wir das gar nicht! Wir haben eigentlich nur zwei Ziele: Überhaupt Geld zu bekommen und heil über den Tag kommen! Diese Ziele sind praktisch unerreichbar, denn wer den ganzen Tag mit ausgesperrten Menschen zu tun hat, der hat ein schweres Schicksal zu ertragen. Der Löwenanteil unserer Kunden hat echt einen sitzen, zumindest in deren schlüssellosen Zeiten. Meist wird das Hirn mit dem Schlüssel gleich mitverloren oder mitvergessen. Wie oft ich mir schon wünschte, ich sei der Kunde und nicht der Handwerker, dann dürfte ich herumschimpfen und müsste nicht minutenlange Fluchtiraden über mich herabprasseln lassen und die skurrilsten Schimpfwortkreationen ertragen dürfen. Als Schlüsselmann muss ich mir Beleidigungen anhören, die sich nur der Leibhaftige im Zorn auszudenken im Stande ist. Sie glauben, die Männer vom Schlüsseldienst sind ausschliesslich halb schwachsinnige Stümper mit einem billigen Wochenendhandwerkerkurs, die millionenschwer im Luxuspenthouse residieren und für „die drei Sekunden Arbeit“ so richtig Kasse machen, und nur, wenn sie Lust haben kurz mit dem Porsche oder Ferrari irgendeinen Deppen die Tür aufmachen. Kann sein, dass es so etwas gibt, ich jedenfalls kenne keinen. Schade, denn wenn ich jemals von solch einer Firma gehört hätte, wäre ich garantiert dort Chef oder Generaldirektor. Die Firma in der ich schufte, beschäftigt ausschliesslich gelernte Schlosser oder Schlossermeister, so wie ich es bin. Schlossermeister wird man ja relativ leicht. Nur sieben bis acht Jahre Ausbildung mit mehreren staatlichen Prüfungen in Theorie und Praxis und Sie sind schon fertig. Sie sehen also es ist keine Hexerei, jeder Minderbegabte mit Lernschwäche wird Handwerksmeister, wenn er zu sonst nichts taugt. Polizist ist man übrigens in zwei Jahren, mit Pistole und Kapperl. Und ja, wir Schlüsseldienstler können sogar lesen und schreiben. Warum man uns das nicht anmerkt, wollen Sie wissen? Die Antwort ist ganz leicht, weil wir den ganzen Tag mit völlig verstörten Ekelkunden zu tun haben und das färbt ganz schön ab. Daher kommt auch unser leerer, eines Geisteskranken ähnelnder Blick, daher und natürlich von der unmenschlichen Tätigkeit, von einer Arbeit, die eigentlich gar keine richtige Arbeit ist. Warum ich trotzdem beim Schlüsseldienst bin? Weil ich primitiv bin!
E N D E der Einleitung, Sie haben es geschafft!
Jetzt geht es gleich weiter mit dem ersten Kapitel. Keine Sorge, es gibt nur ein Kapitel. Die ganze Geschichte ist in einer Wurst durchgeschrieben.
Erstes und letztes Kapitel
Der Montag
„Ich bin vom Schlüsseldienst, für mich ist jeder Tag Montag“
Mein Dilemma fängt schon morgens an, liegt an meinem Charakter, denn ich bin ein richtiger Neidhammel, ich bin neidig auf jeden Menschen, der so lange schlafen kann, bis der Wecker läutet. Dieses Privileg habe ich nicht, mich weckt das Telefon schon lange bevor der Wecker die Möglichkeit dazu hat. Als ersten Satz höre ich im Morgengrauen kein »Guten Morgen«, oder »Schöner Tag heute«, sondern nur »Kommen Sie schnell, ich muss zur Arbeit!« Muss das nicht jeder?, frage ich mich in Gedanken. Na, gut jeder muss das nicht. Manche Leute dürfen mit Delphinen Schwimmen gehen, die haben riesiges Glück, die sind behindert. Diesen Vorteil habe ich nicht, ich bin ja gesund und normal. Ich muss arbeiten und muss überall den vollen Preis zahlen. Meine Eltern bedauerten schon meinen hervorragenden Gesundheitszustand, denn für einen Hirni hätten sie mehr Geld bekommen. Kann man nichts machen, immer hat man kein Glück. Mein kurzes belegtes Räuspern und ein gekrächztes »Hallo« wird mit »Sagen Sie, haben Sie geschlafen?« hinterfragt. »Ja, habe ich«, antworte ich. Was sollte ich sonst tun um 4 Uhr 37. Vielleicht die ganze Nacht aufrecht im Bett sitzen und warten, bis dieser Kauz bei mir anruft? »Ah so eine Frechheit«, schmettert mir die tenore Stimme aus dem Hörer entgegen, »ich stehe vor der Türe und die faule Sau schläft, das hat ein Nachspiel, Sie dürfen doch nicht schlafen während des Dienstes, ich rufe jetzt Ihren Chef an, und setze mich persönlich dafür ein, dass Sie Ihre Arbeit verlieren.« Das waren die ersten Worte heute und gleichzeitig die letzten in diesem Gespräch, die ich höre, dann legt der erste Kunde auf. Einschlafen ist sowieso nicht mehr drin, also schleppe ich mich mit bleierner Müdigkeit in die Küche, um frischen Kaffee zu zubereiten, denn ich bin durstig wie ein Frischoperierter. Durch meine verschwollenen Augen entdecke ich noch eine halbe Karaffe Restkaffee von gestern. Sieht zwar widerlich aus, irgendwie wie giftiges Schweröl, aber zum Wegschütten kann ich mich aus Kostengründen auch heute nicht entscheiden. Übrigens seit einigen Tagen nicht. Ausserdem gibt es noch das Zeitmangelargument, denn bis das Wasser durch meinen seit Monaten verkalkten Filterautomat wie ein erstickender Asthmatiker durchröchelt, würde ich garantiert den Tod durch Verdursten erleiden, also beschliesse die schwarze zähe Brühe erneut in der Mikro aufzuwärmen. Es wird Zeit mein Leben um ein Vielfaches zu verbessern und auf Löskaffee umzusteigen. Vor mir liegt wieder ein Tag in der Stadt, der wahrgewordenen Albträume. »Ding« Ah! Die Mikro gibt mein Edelgetränk frei! So ein Mist, im Milchpackerl ist nur mehr ein winziger Schluck. Hatte wieder keine Zeit zum Einkaufen. Der Sirup bleibt schwarz. Aller Logik zum Trotz freue ich mich eine warme Flüssigkeit in meine Staubkehle zu schütten, selbst, wenn es sich um ein derart ekelhaftes, brennheisses und pechschwarzes Kaffeeöl handelt. Exakt während des ersten genüsslichen Schlucks läutet wiederum das Handy und mein Freund von vorhin ist wieder an der Strippe. Ich erschrecke dermassen, dass der halbe Kaffee auf meinem klatschnassen durchgeschwitzten T-Shirt landet, die andere Hälfte in meiner Nase. Mit einem viertel Liter brodelnden Klebekaffee in den Nebenhöhlen und auf den Stimmbändern, aber bereits etwas munterer melde ich mich diesmal mit entstellter nasaler Kopfstimme »Schlüsseldienst«, und nicht mehr mit einem einfachen »Hallo«, wie vorhin. Ich bin entsetzt wie grausig das klingt, ähnlich der singenden Frauen am Land. »Hallo, ich wollte nur schauen, ob du dich wieder hingelegt hast.« Gesagt und aufgelegt. Heute ist wieder ein guter Tag, denke ich mir. Nicht ganz eine viertel Stunde später, inmitten meines Morgenrituals im kleinen Sitzungssaal vernehme ich zum dritten Mal den penetranten Klingelton meines Horrorhandys. Was tun? Durchzuckt es mich. Wenn ich nicht rangehe und einen Auftrag versäume, ist das eine verdammt teure Sitzung. Hm, grübel, also was soll`s – abzwicken und rausstürmen. Es ist wiederum mein morgendlicher Freund. »Hallo, ich bin es noch Mal, ich erreiche keinen anderen, kommen Sie nun doch zu mir und sperren Sie mir auf, ich rufe dafür nicht Ihren Chef an und verrate Sie auch nicht.« Ich wusste sowieso, dass er auf mich zurückkommt, denn um 5 Uhr in Früh kommt doch kein anderer Handwerker ausser uns armen Schweinen vom Schlüsseldienst.
»Ich kann in einer halben Stunde bei Ihnen sein.«
»Was heisst das?«
Was soll das schon heissen? Was kann das wohl bedeuten? So schwer ist dieser kurze Satz ja nicht, wieso versteht mich der Mann nicht. Ich probier es einfach noch mal.
»Das heisst, ich kann in einer halben Stunde bei Ihnen sein.« So das muss er verstanden haben, ich rede ja nicht altgriechisch. »Das ist aber nicht Ihr Ernst, Sie sind doch jetzt eh schon munter, also wie lange dauert das wirklich?« Ohne Gefühlsregung, solche habe ich schon lange nicht mehr, spreche ich monoton wie ein automatischer Anrufbeantworter ins Telefon. »D-r-e-i-s-s-i-g M-i-n-u-t-e-n.« Schneller kann ich wirklich nicht, ich muss ja noch einiges zu Ende bringen. »Ha, ha, sehr witzig, Sie sind ein ganz ein Lustiger, der Mann gefällt mir, der hat Humor, eine halbe Stunde, ha, ha, ist zwar eine Frechheit, aber kommen Sie halt.« Er gibt mir noch die Adresse und sagt mir, dass er vorm Haus steht. Schlauer Bursche, denke ich mir, in der Wohnung wird er schlecht warten können. Kaum aufgelegt ruft schon der nächste an und erkundigt sich nach dem Preis für »Einmal Aufsperren.« Die Frage wo das Unglück passiert sei, will er nicht beantworten, denn ich brauche nicht zu wissen wo er wohnt, denn »Typen wie ich, können ja überall rein und kommen dann in der Nacht um bei ihm einzubrechen.« Das habe ich garantiert vor! Sonst nichts. Ich sage ihm trotzdem, dass er mit 55 Euro rechnen muss, was er mit »Du bist a bissl deppat!«, kritisiert und auflegt. Auf dem kurzen Weg zum ersten Kunden, es ist einmal, dem Himmel sei Dank, nicht auf der anderen Seite der Stadt sondern auf dem Weg zu Firma, läutet exakt noch viermal mein Handy. Der hohle Klang im Innenraum meines Renault Express aus den späten 80iger Jahren mit monströsen Kastenaufbau macht ein deutliches Hören und Sprechen während der Fahrt nahezu unmöglich. Haben die Menschen vor 20 Jahren nicht geredet im Auto? Eine Dame, der Stimme nach nicht mehr zur Jugend zählend, will wissen, ob wir auch um diese Zeit erreichbar sind. »Ja, das sind wir«, antworte ich freundlich. »Danke junger Mann, Ihre Nummer schreibe ich mir gut auf, wenn ich einmal einen Schlosser benötigen sollte, sind Sie die erste Wahl!« »Vielen Dank für Ihr Vertrauen.« Auf das kann ich bauen. Dann meldet sich mein Kunde wieder mit der Frage, wie lange es noch dauert bis ich endlich eintrudeln zu gedenke. »Nicht mehr lange, ein paar Minuten höchstens.« Kaum aufgelegt bekundet ein älterer Herr sein Interesse an unseren Öffnungszeiten in unserem Gassenlokal. »Seit Oktober 1972 von 8 Uhr bis 19 Uhr, durchgehend« »Haben Sie auch Mittagspause?« »Nein, sonst hätte ich es Ihnen ja gesagt, beispielsweise von 8 Uhr bis 12 Uhr und von 14 Uhr bis 19 Uhr ist offen. Von 12 Uhr bis 14 Uhr ist Mittagspause« »Gut, ich komm dann so um 9 Uhr.« Wozu stellt man diese Frage? Um diese Zeit wäre der Laden sowieso offen, denn um 9 Uhr ist mit Sicherheit noch keine Mittagspause. Heute ist Seniorentag denke ich mir und sämtliche Pensionisten rufen alle bei mir an, zumindest die schon seit Stunden munter sind, und das sind viele, verdammt viele. Pensionisten stehen bekanntlich zeitig auf, sehr zeitig. Dann meldet sich noch mal mein Kunde, wo ich denn nun geblieben sei. Er warte »seit Stunden«. Ich schaue auf meine Uhr und muss feststellen, dass seit der Auftragsvergabe erst knapp 17 Minuten vergangen sind und seit seinem letzten Anruf gerade mal drei. Ich vertröste ihn mit den Worten, dass mir unser langsames Service aufrichtig leid tut und ich wirklich in wenigen Augenblicken bei ihm bin. Da bieg ich schon in die Gasse ein und sehe den Kerl vor dem Haustor warten. Wir Sklaven vom Schlüsseldienst erkennen untrüglich aus 1000 Meter, welcher der Wartenden »unser« Kunde ist. In diesem speziellen Fall hätte auch ein nicht geschädigter Laie den Kunden als solchen erkannt, er ist der einzige Mensch in der ganzen Gasse. Er begrüsst mich mit einem unfreundlichen »Na Endlich.« Die Wohnung ist im fünften Stock Altbau ohne Aufzug, na ja Morgensport ist ja gesund. Drei Minuten später ist seine Wohnungstür ohne Kratzer oder Beschädigung fachmännisch geöffnet und ich präsentiere ihm noch etwas keuchend die Rechnung über 55 Euro inklusive gesetzlicher Mehrwertsteuer, Anfahrts- und Abfahrtskosten im Sonderdienst, es ist schliesslich erst 5 Uhr 45. Widerwillig übergibt er mir nach über einer viertel Stunde heisser, jedoch einseitiger Diskussion endlich den gigantischen Geldbetrag. Ich habe lediglich im Minutentakt völlig teilnahmslos Mhh, Aha, und Ach so von mir gegeben, Diese Übergabe wird mit dem lautstarken Hinweis kommentiert, dass wir eine Drecksfirma wären und er nie mehr wieder in seinem gesamten Leben sich dermassen betrügen lassen wird. Er hat von uns elendigen Abzockern endgültig die Schnauze voll. Ich denke mir meinen Teil und hoffe keinen Strafzettel bekommen zu haben. Sie merken schon, wir Schlosser denken viel. Kaum sitze ich im Auto bekomme ich den nächsten Anruf. Einer jungen Mutter ist die Tür zugefallen und ihr kleiner Engel schläft in der Wohnung. Ich erkläre der verzweifelten Frau, dass sie sich entscheiden muss zwischen mir und der Feuerwehr, denn ich könne nicht 100 Prozent garantieren innerhalb von zehn Minuten helfen zu können, würde es aber wahrscheinlich schaffen. Ich frage sicherheitshalber nach, ob das Kind tatsächlich schläft. In diesem Fall sind zehn Minuten Wartezeit völlig gefahrlos, oder ob es bereits wach ist oder gar weint. Die Mutter teilt mir noch stolz mit wie tief ihr Baby schläft, dann lässt sie sich plötzlich und ohne Vorwarnung fürchterlich aus, wozu es denn überhaupt einen Schlüsseldienst gäbe, wenn dieser nicht sofort kommen kann. Ich will noch einwenden, dass zehn Minuten als sofort zu werten sind, zu dieser Rechtfertigung komme ich nicht mehr. Die Dame hat sich allen Anschein nach für die Feuerwehr entschieden, die sicherlich nicht in zehn Minuten vor Ort sein wird, trotz einer gesalzenen 1200 Euro Rechnung und eines fünfzehnköpfigen Einsatzteams in zwei oder mehr knallroten Transportlastwägen. Mir soll es mehr als recht sein, eine hysterisch kreischende Mutti, das kann ich um diese Tageszeit wirklich nicht verkraften. Sollen sich doch die kartenspielenden sonderprivilegierten Biersoldaten im Beamtenstatus mit ihr rumstreiten. Es ist zwar noch sehr zeitig, nochmals nach Hause fahren ergibt keinen Sinn, also geht es ab in die Firma. Dort wartet sowieso eine Menge Arbeit auf mich und zu Hause niemand. Und mit niemand meine ich niemand, nicht einmal ein Fisch. Ich öffne die Sicherheitsschlösser unseres Geschäftes, stelle die Alarmanlage ab, deaktiviere die Anrufumleitung und fange an den Laden für den Tagesbetrieb herzurichten, da läutet wiederum das Telefon wie verrückt, diesmal das Festnetz. Notfall am anderen Ende der Stadt. Ein Mann hat seinen Schlüssel abgebrochen und braucht natürlich schnelle Hilfe vom Schlüsseldienst. Ist zwar weit entfernt, aber um diese Zeit ist noch kein Wahnsinnsverkehr, das könnte ich in 25 - 30 Minuten schaffen, denke ich mir und nehme den Auftrag an. Alles vorher Getätigte mach ich blitzschnell wieder rückgängig, Lichter ab, Anrufumleitung aktivieren, Alarmanlage scharf, und mindestens noch zehn Handgriffe. Schnell springe ich in mein Steinzeitreliktauto reisse an der Revolverschaltung herum bis endlich irgendein Gang eingelegt ist, welcher ist völlig egal, es lässt sich sowieso kein Unterschied feststellen. Mir kommt vor, dieses Fahrzeug hat überhaupt nur einen einzigen Gang. Mit Vollgas röhrt dieses seltsame Vehikel mit den riesigen vergilbten Schlüsselaufklebern und den gelben Franzosenlichtern durch die dunkle Stadt. Nach wenigen Minuten durchfährt mich ein fürchterlicher Schrecken, mich plagt der Gedanke, ob ich das Geschäft versperrt habe. So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann mich einfach nicht erinnern. Ich wende und brause mit strengstens verbotener Geschwindigkeit zurück, im Kopf die Sorge, dass sich bereits ein Dieb eingeschlichen haben könnte und den Laden leer räumt. Sprung aus dem Auto, ahhh stöhne ich erleichtert, Gott sei Dank, es ist zugesperrt. Ist eh logisch, das mache ich doch schon automatisch. Trotzdem fahre ich mindestens dreimal die Woche wieder zurück. Ich bin nicht nur geistig unterentwickelt, nein ich habe auch ein Gehirn wie ein Nudelsieb. Schnell springe ich wieder in den Wagen und rase wie Michael Schuhmacher mit Gipsbein und auf der Flucht vor der Chinamafia zu meinem Kunden. Glück muss man haben, alle Strassen sind frei! Trotz meiner unfreiwilligen Umkehr erreiche ich mein Ziel in knapp 25 Minuten. Als ich in die kleine Gasse einbiege staune ich jedoch nicht schlecht. Fünf Autos von der Konkurrenz parken kreuz und quer, teilweise auf dem Gehsteig oder auf der Rasenfläche. Die Fahrzeuge sind allesamt Schrottlauben und werden nur durch den jahrzehntelang angesammelten anhaftenden Grossstadtdreck zusammen gehalten. Die rollenden Leichen sind zwar verschiedene Fabrikate und unterschiedlich lackiert und bunt beklebt, aber doch irgendwie gleich. Ich kenne natürlich alle. Besser, als mir lieb ist. Das Verhältnis zwischen den Schlüsseldiensten innerhalb einer Stadt wäre mit extrem verfeindet als untertrieben beschrieben. Ich habe ordentlich Bammel das Haus zu betreten, denn eine Konfrontation mit einem Mitbewerber endet garantiert nicht gütig und friedlich bei einer Tasse Tee und einem Plauscherl, eher mit einem ausgeschlagenen Einser und einen anhängenden Gerichtsverfahren. So hoffe ich insgeheim, was heisst hoffen, ich bete inständig zu Gott, dass die anderen Schlosser nur zufällig hier parken und ganz wo anders was zu tun haben, aber Sie wissen ja Hoffen und Glauben... Wie kann ein Mensch so dumm sein und so etwas Abstruses hoffen? Die schlimmsten Befürchtungen werden jäh übertroffen. Kaum bin ich die Treppe vorsichtig ein Stück hoch gegangen erblicke ich eine Ansammlung von fürchterlich verwahrlosten und unrasierten Männern, die mit erhobener Stimme im Stiegenhaus lautstark diskutieren, niemand versteht ein Wort, weil alle gleichzeitig ihren Wortschwall rauslassen. Schlüsseldienstler haben bedingt durch ihre soziale Armut für gewöhnlich einen gewaltigen Drang zu sprechen. Das rührt daher, weil sie den ganzen Tag alleine im Auto sitzen und mit niemand Konversation betreiben können. Mit uns spricht einfach kein Mensch. Wer sollte auch? Dieser immense Stau an nicht gesprochenen Wörtern entlädt sich ab und zu, aber immer an Plätzen, an denen es keine Sau interessiert. Im gesamten Stockwerk liegt gesättigter Pulverkaffeegestank, der teilweise aus den Poren und teilweise aus den ungereinigten Mündern der Kontrahenten in den Raum geblasen wird. Drei der fünf Männer kenne ich persönlich, lauter altgediente abgebrühte Schlüsseldienstler. Die anderen zwei sind mir niemals zuvor begegnet, sind jedoch garantiert ebenfalls hartgesottene Berufsgenossen. Leicht zu identifizieren an den zentimetertiefen kohlrabenschwarzen Ringen unter den blutunterlaufen verschwollenen Augen und der fast bis zu den Kniekehlen heruntergerutschten Billig-Jeans, die von hinten tiefe unerwünschte Einblicke aufdrängt in eine unbekannte und furchteinflössende aber vor allem ekelerregend Zone, genannt das Bauarbeiter Dekolletee. Der fleckig weisse Dreiwochen-Bart, welcher teilweise das gelblich aufgedunsene Gesicht verdeckt, geht nahtlos in schütteres verfilztes struppiggraues Haupthaar über, mit deutlicher Tendenz zum totalen Kahlschlag, zumindest weitgehend gelichtet. Wir Leute vom Aufsperrdienst sehen alle so aus! Jahrelanger Schlafentzug gepaart mit sozialer Ausgrenzung und wertlosen Nahrungsmittel meist zwischendurch hinunter gebampft, verhalfen uns zu diesem Image und Auftreten. Augenblicklich verstummt die Meute als sie mich erkennen. Ich spüre die unendliche Abscheu gegenüber meiner Person und den nackten puren Hass, der mir von diesen desolaten Typen entgegen geschleudert wird. Langes eisiges Schweigen und bedrohliche Stille erfüllt das Stiegenhaus, bis einer der Männer das Wort ergreift und mir mit schadenfrohen Spott höhnisch entgegengrinst: »Noch ein Trottel, Guten Morgen Kollege!« Ich will gerade fragen was hier los sei, da lacht mir ein korpulenter Mann mit ungebührlich kleinem Schädel, offensichtlich der Kunde, ins Gesicht. »He Sie da unten, Sie können gleich wieder umdrehen, ich brauche Sie nicht mehr, Sie waren zu langsam. Ich habe fünf oder sechs Aufsperrdienste angerufen und bestellt. Ich habe mir gedacht, einer wird der schnellste sein, Sie waren es wohl nicht, Auf Wiedersehen! Bon Vojage! Gute Reise!« Ich erkenne sofort die Aussichtlosigkeit hier auch nur einen müden Euro zu kassieren und verabschiede mich mit »Pfiat euch Kollegen« und »Tschüss Schrumpfkopf!« Schallendes Gelächter im Stiegenhaus. Ich bin erleichtert über den friedlichen Ausgang dieses Klassentreffens der anderen Art und mache mich schleunigst auf die Socken, nur weg hier. So gut haben wir uns noch nie verstanden. Sollen sich die anderen weiter streiten, ich fahre wieder in Firma und hoffe nicht geblitzt worden zu sein, während meiner Eilfahrt hierher. Irgendwie bilde ich mir im Hinterkopf ein einen Radarblitz wahrgenommen zu haben. Gut, dass ich kein Neuling mehr im bin in diesem Job, sonst würde ich mich ja kränken oder ärgern, oder sogar beides? Auf dem Weg in die Firma komme ich bei einer Tankstelle vorbei, bei der ich ab und zu einen Stopp mache und einen Automatenkaffee schlürfe. Heute bereue ich diesen Entschluss, denn erst die dritte Münze wird nach längerem Hauchen und Reiben akzeptiert, die anderen sind im Münzennirwana gelandet. Statt Kaffee erhalte ich lauwarmes Wasser mit schwarzen Klumpen. Der Weisser kommt exakt eine Minute später. Aha, ich bin also der erste Kaffeeschlürfer heute, der Automat ist noch kalt. Wie kann ein Automat überhaupt kalt sein? Trotzdem Glück gehabt, ansonsten hat das Getränk immer einen Touch Gemüsesuppengeschmack des Vorbenutzers. Wer kauft sich eigentlich bei einem Automat eine Gemüsesuppe, wer macht so etwas? Einmal möchte ich diesen Menschen begegnen. Für mich ist das ein Gott, er ist der Gott der Ernährung. »Morgen Schlosser«, begrüsst mich Sigi, der Kassier, »geh weil du schon da bist, hinten im Büro klemmt die Lade. Machst du mir schnell auf, nimmst das Schloss mit und machst mir zwei Schlüsseln. Bitte – Danke, ist ja keine Hexerei für dich.« Da freut man sich, wenn man so beliebt ist. Als Trottel vom Dienst ist man immer gerne gesehen. Egal wo ich hinkomme, es ist immer irgendwas kaputt oder klemmt. Ich hole mir mein Werkzeug baue das Schloss aus dem Holzschreibtisch im Hinterzimmer aus und als ich wieder im Verkaufsraum bin platzt ein extrem dünner und unvorstellbar riesiger Kerl mit Vokuhila Frisur und ärmellosen roten Netzleiberl in den Verkaufsraum der Tankstelle. Der Mann ist so mager, dass er zweimal reinkommen muss, um einmal da zu sein. Mit unangenehm hoher Stimme fistelt er aufgeregt: »Ich habe den Schlüssel im Wagen stecken lassen, Gott sei Dank steht da draussen ein Auto vom Aufsperrdienst, können Sie mir helfen?« Ich schaue durch die Auslage, und entdecke einen neueren schweren BMW. Dieser Eiffelturm ist mit diesem Wagen gekommen? Der muss sich beim Aussteigen eine Viertelstunde entfalten, wie ein Schweitzer Messer. Ein deutsches Fabrikat zu öffnen bedeutet konzentrierte Schwerstarbeit und präzise Fachkenntnisse, denn Autoöffnen bei modernen Limousinen ist wirklich nur mehr etwas für echte Aufsperrprofis. Amateure haben bei diesen Edelkarossen schlechte Karten und schauen blöd aus der Wäsche. »Ja, kann ich!« Gebe ich von mir mit stolz geschwellter Brust. »20 Euro, weil die Anfahrt wegfällt.« Der dürre Hund schnauzt mich sofort voll an. »Wenn du es nicht umsonst machst, rufe ich den Autofahrerclub, für den Handgriff zahle ich doch nicht. Wer weiss, ob du das überhaupt kannst, Du Pfuscher.« »Dann halt nicht, Piepsstimmerl!«, murmel ich so halb in mich hinein. »Tschüss Sigi«, sage ich zum Tankwart, »ich bring dir den Schreibtischschlüssel nächste Woche.« Den BMW Fahrer würdige ich keines Blickes mehr. »Danke, hast eine Autowäsche gut!« Als ob ich Wert lege den Rostbomber meines Chefs waschen lassen zu wollen. Also wieder ein Freundschaftsdienst. Schade, ich hätte gerne sehen wie sich der Wolkenkratzertyp in den Miniaturinnenraum seiner Proletenkutsche hineinfaltet. Im dröhnenden Renault mache ich mich wieder auf den Weg zurück in die Firma. Langsam wird es hell und mein Bein beginnt zu schmerzen. Das liegt an der Sitzposition. Was ich schon drüber nachgedacht habe, kann sich kein Mensch vorstellen. Sogar ausgebaut habe ich den Fahrersitz bereits, sogar mehrmals, und genau begutachtet. Wieso lässt sich ausgerechnet bei meinem Auto der Sitz nicht ganz zurückschieben? Sind die Franzosen nur Eins fünfzig? Ich muss sitzen wie ein Idiot, seitlich halb am Sitz und irgendwie auf dem unteren Teil der Lehne. Das
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 01.08.2015
ISBN: 978-3-7396-0780-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Miese Jobs gibt es viele. Ganz miese Jobs gibt es noch mehr. Es kann aber nur einen miesesten Job geben. Dieser Superlativ gebührt ohne Konkurrenz dem Beruf des Schlüsseldienstes. Von der frühesten Morgenstunde bis weit über Mitternacht und dann noch länger, verstörten oder manchmal gefährlichen Kunden mit Schloss- und Schlüsselproblemen die Türe zu öffnen, das ist garantiert eine Aussenstelle der Hölle. Das ewige Fegefeuer selbst, wäre eine Belohnung für den Schlüsselmann. Michael Bübl, Schlossermeister aus Wien, hat mit Traumjob Schlüsseldienst eine humoristische Meisterleistung verfasst. Es wird kein Versuch seitens der Kunden unterlassen den armen Monteur ins Irrenhaus oder auf den Friedhof zu befördern. Das Buch beginnt fulminant und kann den hohen Level bis zum Schluss halten. Es liest sich wie ein zwei Zeilenwitz. Nichts ist erfunden. Alles ist wahr und noch viel schlimmer