Cover

Inhalt:



1. Andrea Bottlinger: Neues Leben (Leseprobe)

2. Aus dem Vorwort

3. Liste der Autoren


Andrea Bottlinger: Neues Leben (Leseprobe)



Wie ein Troll machten die Krieger einen Schritt nach vorn, hoben ihre Keulen über den Kopf und ließen sie auf einen unsichtbaren Gegner niedersausen. Ein gewaltiger Kriegsschrei erhob sich aus ungezählten Kehlen wie aus einer. Turg glaubte, die Wand in seinem Rücken erzittern zu spüren. Er selbst stand am Rand des Übungsplatzes, ausgeschlossen.
„Wir sollten mit in den Kampf ziehen. Orkschädel zertrümmern.“ Krus Stimme erklang dicht neben ihm und ließ Turg zusammenfahren. Er hatte nicht bemerkt, wie sein Freund sich ihm genähert hatte, hatte nicht einmal seinen Geruch wahrgenommen, so versunken war er in die Betrachtung der Krieger gewesen.
„Vielleicht bekommst du die Gelegenheit“, wandte Turg ein. „Du weißt noch nicht, was für eine Aufgabe wir erhalten werden.“
Er warf Kru nur einen kurzen Blick zu, dann sah er wieder zu den Übenden hinüber. Die Trolle hinterließen leuchtende Wärmespuren auf dem Boden, zogen damit ein kompliziertes Muster durch die Halle, während sie Schlag für Schlag durch das Heer nicht existenter Gegner vorrückten.
„Bald finden wir es heraus.“ Das Schaben von Leder auf Leder erklang, als Kru sein Gewicht verlagerte. Für eine Weile herrschte Schweigen, zumindest bei ihnen am Rand.
Dann holte Turg tief Luft. Eine Frage, die er schon länger mit sich herumtrug, wollte heraus: „Meinst du, es ist richtig, gegen die Schwarzorks zu ziehen?“
Er starrte weiter zu den Kriegern hinüber, während er sprach, war sich bewusst, wie gefährlich seine Worte waren. Man zweifelte die Entscheidungen des Rle nicht an.
„Wegen der Zwerge, meine ich“, fuhr er schnell fort. Nun da er begonnen hatte, seine Zweifel in Worte zu fassen, wollte er die Gelegenheit haben, auszureden, bevor Kru ihn unterbrechen konnte. „Sie sind unsere Feinde, sie sollten wir vernichten! Sie werden uns in den Rücken fallen, sobald wir unsere Aufmerksamkeit den Orks zuwenden. Genau wie die Dunkelelfen, die ja bereits ihre Magie benutzen, um uns zu schwächen. Und mit den Orks besteht keine Feindschaft. Zumindest bestand sie nicht, bis sie unseren Späher erwischt haben.“
Plötzlich fühlte Turg sich an der Schulter gepackt, fühlte Krus Krallen, die sich unter das Leder seiner Rüstung und in sein Fleisch bohrten. Der Freund stieß ihn heftig gegen die Wand aus Lehm und Holz, sodass ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde. Krus Gesicht schwebte dicht vor seinem, die Ohren angelegt, die spitzen Zähne sichtbar.
„Willst du sagen, die Trolle sind nicht stark genug, um es mit mehreren Gegnern gleichzeitig aufzunehmen?“ Krus Stimme war ein heiseres Zischen, kaum zu verstehen über das Stampfen und Brüllen der Krieger. „Auch du hast Rutargs Rufe vernommen! Du hast gespürt, wie die Erde gebebt hat! Der Rle sagt, der Ruf bedeutet, dass Rutarg will, dass wir alle Eindringlinge in die Oberwelt zurücktreiben. Die Orks sind Eindringlinge, also müssen sie zuerst sterben, bevor wir uns wieder den Zwergen zuwenden können.“
Für ein paar Herzschläge standen sie einander gegenüber, starrten sich wortlos an. Schließlich jedoch senkte Turg den Blick. „Du hast recht. Es tut mir leid, dass ich gezweifelt habe.“
Kru nickte und trat einen Schritt zurück. Seine Haltung entspannte sich, die Ohren stellten sich wieder auf. „Sag so etwas nie wieder.“
Bevor Turg etwas erwidern konnte, brüllte jemand ihre Namen durch die Halle. Schnell rückten sie ihre Rüstungen zurecht, strichen sich das Fell glatt und eilten über den Platz auf einen der Durchgänge zu, in dem der Kommandant stand und bereits ungeduldig winkte.

Sie traten durch eine mit Fellen verhängte Öffnung in den Gang, der um den Kampfsaal herumführte. Trolle in Rüstungen eilten an ihnen vorbei. Manche von ihnen trugen große Bündel Waffen unter den langen Armen, andere Stapel von aus Holz und Leder gefertigten Schilden. Es herrschte emsige Betriebsamkeit – wie in einem Ameisenbau.
Der Kommandant ging wortlos vor ihnen her. Ein wenig seltsam war es, dass er sie persönlich abholte, anstatt einen Boten zu schicken. Doch weder Turg noch Kru stellten eine Frage. Sie würden früh genug erfahren, was sie wissen mussten.
Schließlich blieb der Kommandant bei dem Durchgang zum Planungsraum stehen, hielt das Fell davor beiseite und winkte sie hindurch.
Turg trat als Erster ein. Er hatte den Planungsraum bisher nur selten gesehen, denn dort wurden die wirklich wichtigen Dinge besprochen, das große Ganze des Krieges, von dem er nur ein kleiner Teil war. Doch jeder Troll in Sra-Ru wusste, dass sich in der Mitte des Raumes eine große Karte befand. Ein Modell der Unterwelt, aus Holz geschnitzt und zerlegbar in dünne Scheiben, sodass man jeden noch so kleinen Gang genauestens betrachten konnte.
Doch seit Turgs letztem Besuch hatte sich einiges verändert. Viele der alten Gänge waren mit Lehm verstopft und man hatte neue in das Modell getrieben. Rutarg hatte mit seinem Ruf die Unterwelt neu gestaltet, und die Karte war angepasst worden.
Hinter Turg fiel das Fell mit einem leisen, ledrigen Geräusch zurück an seinen Platz. Nun erst wurde er sich eines unbekannten Geruchs bewusst. Es war noch jemand im Raum, hinter der Karte.
Als wäre der Gedanke ein Stichwort gewesen, erklangen Schritte aus dieser Richtung, und ein besonders großer Troll trat hinter dem Modell der Unterwelt hervor. Er trug das Fell einer Riesenfledermaus, deren Schädel ihm als Helm diente. Die Flügel hingen ihm über die Schultern wie ein Mantel, schleiften über den Boden und sammelten dort Dreck und Staub.
Neben sich hörte Turg Kru überrascht nach Luft schnappen und fast war er sich sicher, dass er im selben Moment dasselbe tat. Sie beide fielen beinahe gleichzeitig auf die Knie und beugten den Kopf, um ihren Nacken zu entblößen.
„Rle.“
„Erhebt euch.“ Die Stimme des Rle war vertraut von den Ansprachen, die er oft vor den Kriegern hielt. Er wartete kaum ab, bis die beiden Späher seiner Aufforderung nachgekommen waren, sondern sprach sofort weiter.
„Ihr werdet nun eine sehr wichtige Aufgabe erhalten. Ihr werdet sie erfüllen – oder bei dem Versuch sterben. Wagt es nicht, mir noch einmal unter die Augen zu treten, solltet ihr versagen, aber dennoch überleben. Verstanden?“
„Jawohl, Rle!“
Der Rle machte eine herrische Geste und der Kommandant trat vor, überreichte ihm ein Schwert. Es war aus Metall, nicht aus Stein, Knochen und Holz wie die Waffen der Trolle – eine Zwergenwaffe.
„Wir haben einige dieser Waffen im Laufe des Krieges von den Zwergen erbeutet“, fuhr der große Troll fort. „Doch es sind lange nicht genug, um jeden unserer Krieger damit auszurüsten. Außerdem sind Zwergenwaffen klein, ein Troll könnte eine größere Klinge mit Leichtigkeit schwingen.“
Er begann langsam, in dem Raum auf und ab zu gehen. Seine Schritte und das Schleifen der Fledermausflügel auf dem Boden waren für einen Moment die einzigen Geräusche im Raum.
„Die Trolle sind stark, aber durch die Seuche, die die verfluchten Dunkelelfen uns geschickt haben, haben sich unsere Reihen gelichtet.“
Der Rle blieb stehen, sah ihnen beiden nacheinander in die Augen. „Wir werden uns in Zukunft viele Feinde machen. Wir werden die Unterwelt säubern! Doch dafür brauchen wir stärkere Waffen. Das ist euer Auftrag: Geht ins Land der Zwerge und bringt mir einen von ihnen, der uns zeigen kann, wie man ihre Metallwaffen herstellt.“
„Jawohl, Rle!“ Turg fühlte sein Herz höher schlagen, als die Worte seine Lippen verließen. Auch die letzten Reste seiner Zweifel, die Krus Worte nicht hatten zerstören können, waren nun wie weggeblasen. Der Rle hatte die Zwerge und die Dunkelelfen nicht vergessen, auch ihr Blut würde bald Fels und Erde benetzen. Es war wie Kru gesagt hatte: Waren die Orks erst einmal vernichtet, würden sie sich ihren anderen Feinden zuwenden.
„Ihr werdet mit Rutargs Schutz gehen.“ Wiederum trat der Kommandant auf einen Wink des Rle hin vor. Diesmal hielt er zwei Säckchen in den Händen, die er Turg und Kru überreichte.
„Dies ist heilige Erde aus dem Tempel des Rutarg. Hütet sie gut.“
Voll Ehrfurcht nahm Turg sein Säckchen entgegen und verneigte sich gemeinsam mit Kru zum Dank für die kostbare Gabe.
„Wir werden Euch nicht enttäuschen, Rle.“
Der große Troll lächelte, eine Geste, bei der seine spitzen Zähne verborgen blieben. „Davon gehe ich aus. Ihr solltet nun sofort aufbrechen.“
Noch einmal fielen sie vor dem Rle auf die Knie, dann verließen sie den Raum. Die Freude machte ihre Schritte leicht, als sie gingen, um ihre Ausrüstung zu packen. Nicht nur hatten sie erfahren, dass der Krieg gegen die Schwarzorks erst der Anfang eines viel größeren Unternehmens war, sondern sie wussten nun auch, dass sie in diesem Unternehmen eine wichtige Rolle zu spielen hatten.

Das Reich der Zwerge lag über dem der Trolle, denn Rutarg hatte es so eingerichtet, dass seine Lieblinge die untersten Plätze bekamen, damit sie ihm am nächsten waren. Der Weg, den Turg und Kru nehmen mussten, führte sie also nach oben.
Die beiden allgemein bekannten Aufgänge waren stark bewacht und damit nicht passierbar, die meisten der alten Schleichwege verschüttet. Doch dafür waren neue Gänge entstanden, Gänge, die die Zwerge noch nicht kannten. Kru wusste von einem solchen. Er begann in der Decke der großen Höhle und war nur über die Pflanzen erreichbar, die von dort hinunterwuchsen.
„Wir hätten einen der seitlichen Gänge nehmen sollen.“ Turg bemühte sich angestrengt, nicht nach unten zu sehen, während er kletterte. Rutarg hatte die Trolle geschaffen, damit sie fest mit beiden Beinen auf dem Boden standen und nicht sich an trügerischen Gewächsen hinauf hangelten. Tief grub er seine Krallen in die weiche Rinde der Ranke, Zug um Zug kamen sie der Decke näher.
„Alle verschüttet“, erklang Krus Antwort von weiter oben. „Das weißt du ganz genau.“
„Wir hätten einen neuen gefunden.“
„Wir haben einen und wir mussten ihn noch nicht einmal suchen. Rluneg hat mir von diesem Weg erzählt.“
„Was auch immer Rluneg hier oben wollte.“
Inzwischen waren sie beunruhigend weit über dem Höhlenboden. Die Ranke wurde dicker, schwankte nicht mehr so stark wie am Anfang und verzweigte sich seltener. Irgendwo in der Decke hatte sie ihre Wurzeln, und Turg spähte immer wieder hoch an Kru vorbei, in der Hoffnung, diese bereits entdecken zu können. Doch bisher sah er nur ein Pflanzendickicht, das immer verflochtener zu werden schien, je höher sie kamen. Junge, dünne Ranken wickelten sich um die holzigen Stämme der alten.
„Hast du davon noch nicht gehört? Er hat einen Goblin von der Decke fallen sehen, und als er nachschauen ging, fand er auf dem Boden nicht nur den einen Goblin, sondern auch noch einen zweiten und einen Troll. Der Troll war Tleg, der Schwachsinnige, der ...“ Kru unterbrach sich, bevor er den Satz beendet hatte. „Warte, hier ist das Gestrüpp zu dicht.“
„Der Verbannte?“ Turg hielt im Klettern inne, hing abwartend über dem Abgrund, während Kru eine Klinge aus Obsidian zog und auf die Ranken über ihm einhackte. Pflanzenstücke rieselten auf Turg hinab, der den Kopf zwischen die Schultern zog und sie einfach von sich abprallen ließ. So gut es ging, sah er sich um, nach Tieren Ausschau haltend, die auch einem Troll gefährlich werden konnten. Hier und dort entdeckte er etwas Warmes, das durch das Dickicht huschte und schnell wieder verschwand, doch nichts davon war größer als sein eigener Kopf.
„Der Verbannte“, bestätigte Kru etwas verspätet. „Rluneg ist auf jeden Fall hier hinaufgeklettert, um zu sehen, wo die drei herkamen und dabei hat er ein Loch in der Decke gefunden, das direkt in den steinernen Wald führt.“
Der Regen aus Pflanzenteilen versiegte und ein schabendes Geräusch erklang, als Kru das Messer wieder hinter seinen Gürtel schob. „Weiter.“

Turg konnte den kühlen Luftzug in seinem Fell spüren, noch bevor er das Loch entdeckte. Die Wurzeln der Ranken schlängelten sich an der Decke entlang, verzweigten sich bis hin zu haarfeinen Ästchen und gruben sich in jede Ritze. Hier und dort entdeckte Turg jedoch kahle Stellen, als wären die Wurzeln teilweise erst vor kurzem herausgerissen worden. Inmitten dieser Zerstörung klaffte der Durchgang, die Ränder dunkel von der kalten, hindurchströmenden Luft. Nur dicht an Rutargs Feuern war es warm, nach oben hin wurde es immer kälter. Der Luftzug bewies also, dass das Loch tatsächlich in die nächsthöhere Ebene führte.
Kru streckte den Kopf hindurch. Gestein bröckelte unter seinen Fingern, als er versuchte, am Rand Halt zu finden. Schließlich jedoch zog er sich in die Höhe, verschwand aus Turgs Sichtfeld.
Kurz darauf war leise seine Stimme zu hören hören: „Die Luft ist rein. Aber sei vorsichtig, der Fels ist hier nicht sehr stabil.“
Nun kletterte auch Turg hinauf und blinzelte gegen das Licht, das ihn dort oben empfing. Diese verdammten Zwerge hatten überall ihre leuchtenden Kristalle angebracht. Das Licht schmerzte in seinen Augen, blendete ihn.
Damit ihr Gewicht sich auf eine größere Fläche verteilte, und sie nicht plötzlich durch die Decke der unteren Ebene brachen, entfernten sie sich kriechend gerade weit genug von dem Loch, um auf sicheren Boden zu gelangen. Dann verharrten sie, warteten ab, bis ihre Augen sich an die gleißende Helligkeit gewöhnten.
Nach und nach wurden die vertrauten Wärmebilder überlagert von einer anderen Wahrnehmung. Eine Wahrnehmung, die nicht unterschied zwischen Lebendigem und Totem. Wie hell etwas war, hing hier davon ab, wie nah es sich an einem Lichtkristall befand.
Die normalerweise kalten, toten Stämme der steinernen Bäume ringsum wurden nun teilweise aus dem Dunkel gerissen. Sie ragten wie Säulen in die Höhe, verschwanden weit oben in den Schatten. Hier, in den äußeren Bereichen des Zwergenreiches, war es für Zwergenaugen noch recht dunkel, hatte Turg gelernt. In den bewohnten Gebieten würde das Licht heller werden, beinahe unerträglich für einen Troll.
Schließlich erhoben sie sich und schlichen nun vorsichtig voran, die Hände an den Griffen ihrer Waffen. Sie waren im Feindesland.


Aus dem Vorwort



"Es herrscht Frieden im Reich Onryn. Nach vier Jahrzehnten blutiger Kriege unterliegt das Imperium den Rebellen. Die neuen Machthaber führen die Bewohner des Reiches in eine goldene Zukunft.

Doch unter der Erde brennt das Feuer des Krieges ewig. In der dunklen und geheimnisvollen Welt der Finsternis leben und leiden sie: Erdwichte, Goblins, Kobolde, die Stämme der Menschen, Dunkelelfen, Zwerge, Trolle, Schwarzorks, Dämonen und die Wartenden. Bis aufs Blut verfeindet, in Jahrtausende alten Fehden um Ehre und Land, Liebe und Besitz, Stolz und Rache verstrickt, liefern sich die Völker der Unterwelt heiße Schlachten.

Nachdem eine furchtbare Naturkatastrophe die Reiche der Unterirdischen verwüstet und von der Erdoberfläche abschneidet, überschlagen sich die Ereignisse. Neue Helden werden geboren und uralte Gesetze gebrochen.

Dies ist die Geschichte der Unterirdischen?"


Die Autoren



Christoph Hardebusch
Philipp Bobrowski
Andrea Bottlinger
Dorothee Kaiser
Timo Bader
Jörg Olbrich
Michael Buttler
Claudia Hornung
Mandy Schmidt
Christine R. Förster
Sabrina Eberl
Harald Nebel

Impressum

Texte: Edition Geschichtenweber Bd.10: Timo Bader, Jörg Olbrich (Hrsg.) Die Unterirdischen Softcover, 236 Seiten Wurdack, 2008 Coverillustration: Ernst Wurdack ISBN: 978-3-938065-43-5 www.die-unterirdischen.de www.edition-geschichtenweber.de
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /