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„… In Japan, wo die Kamelie tsubaki genannt wird, hat sie eine weitere symbolische Bedeutung. Sie verliert ihre roten Blütenblätter einzeln, während noch der Schnee liegt, was an vergossene Blutstropfen erinnert. Daher wird die Blüte auch als Symbol von Tod und Vergänglichkeit gesehen …“




„Oh Gott, wenn es dich gibt, schenke mir einen leichten Tod.“

Die junge Frau liegt auf dem Rücken. Sie hat jegliches Zeitgefühl verloren. Da ihre Augen mit einem klebrigen Ding verschlossen sind, lebt sie jetzt, im zweiten Teil ihres Lebens in beständiger Dunkelheit. Sie weiß nicht, wie lange sie schon hier liegt, sind es Tage, Monate, Jahre?
Oder Stunden?
Sie kann sich nicht bewegen, sie ist an Armen und Beinen fest fixiert. Und sie ist nackt. Sie ist schon nackt gewesen, als sie zu sich gekommen ist. Offensichtlich liegt sie auf einer hart gepolsterten Liege, ihre Haut signalisiert den Kontakt mit Kunstleder.
Es ist still um sie. Ab und zu hört sie minimale Geräusche, ahnt die Gegenwart einer zweiten Person.
Ahnt die Anwesenheit von IHM.

Er spricht nicht mit ihr, er berührt sie nicht, er ist nur DA.
Sie zittert, als sie fühlt, dass er jetzt ganz nah bei ihr ist.
Sie liegt schutzlos aufgefächert da, nackt und fixiert und zittert.



„Oh Gott, schenke mir einen leichten Tod.“

Mit einem Mal fühlt sie an der Innenseite ihres Schenkels einen scharfen Schmerz. Dann ein warmes Gefühl, das sich auf ihrer Haut nach unten ausbreitet. Die junge Frau bäumt sich panisch auf und beginnt in ihren Knebel zu schreien. Ihr Schließmuskel gibt nach, und der Inhalt ihrer Blase sprudelt auf das Kunstleder der Liege, vermischt sich mit ihrem Blut.

Doch niemand erbarmt sich ihrer.




Die junge Frau die sich nicht wusch, stand etwas abseits von der restlichen Gruppe.
Sie stand immer etwas abseits.
Sie war jetzt seit etwa vier Wochen hier, seit neunundzwanzig Tagen und 5 Stunden.
Sie mochte die Klinik nicht besonders.
Man hatte ihr nahe gelegt, hier herzukommen, aufgrund ihrer „Auffälligkeiten“ ohne dass sie genau verstanden hätte, worin ihre Auffälligkeiten nun eigentlich bestehen sollten.
Sie sprach wenig.
Ihr Zimmer war zu klein, und sie konnte es nicht abschließen. Vom Fenster aus sah sie die Wipfel in der Nähe stehender Bäume. Der Klinikpark war alt und wohl auch von einem gewissen Bekanntheitsgrad, im vorletzten Jahrhundert, so lange gab es die Klinik schon, hatte man hier Mammutbäume, Zypressen, und Ginkgobäume angepflanzt.
Und Kamelien in großen Pflanzenkübeln, die, so hatte sie gelesen, im Winter als Schutz vor der Kälte in die Vorhalle des Hauptgebäudes gestellt wurden.
Sie sah die Mammutbäume gerne an und hätte dazu auch das Fenster geöffnet, aber die Fensterflügel ließen sich nur kippen, nicht öffnen.
Und die holzgetäfelten Wände ihres Zimmers waren zu dunkel.

Nun stand sie da, ein Handtuch über den Unterarm gelegt, etwas abseits der restlichen Gruppe und wartete auf den Beginn des autogenen Trainings, zu dem sie eingeteilt worden war.
Sie trug eine weite Jogginghose, ein graues, leicht fleckiges Sweatshirt, Wollsocken und Badelatschen. Ihre Haare waren fettig und ungekämmt.
Sie sprach wenig.

Sie wartete. Darauf, dass jenes autogene Training beginnen, darauf, dass es enden möge.
Darauf, dass der Tag enden möge.
Die Woche.
Der Aufenthalt.

Der Psychologe, welcher das Training leitete, erschien endlich.
Sie mochte ihn nicht.
Er machte das Training nicht gut.
Der Mann, immerhin trug er jetzt keinen weißen Kittel, schloss den Raum umständlich auf und ließ die Patienten eintreten. Die Gruppe strömte der Ecke mit den Gymnastikmatten zu, die junge Frau, die sich nicht wusch, ließ sich mit treiben. Die anderen Patienten wichen wie immer etwas von ihr zurück.
Sie nahm sich eine der Isomatten, eine etwas ausgefranste grüne und suchte sich einen Platz ein Stück weit abseits. Das Gerede des Psychologen plätscherte an ihr vorbei und sie streckte sich, wie alle anderen, auf ihrer Matte aus, nachdem sie ordnungsgemäß und aus hygienischen Gründen ihr Handtuch darauf ausgebreitet hatte.

„Blabla .. ganz schwer … blablabla … Augen …blabla.“

Die Isomatte roch.
Sie roch wie…, ja, sie roch künstlich.
Wie …
Sie öffnete schnell die Augen, doch es war zu spät.
Die Wände rasten auf sie zu. Die Wände und die Decke mit den schweren Deckenbalken, dem weißen, zum Teil etwas angeschimmelten Putz.
Du darfst die Gruppensitzung nicht stören

, dachte sie noch, dann war sie aufgesprungen und hinausgestürmt. In Panik raste sie durch die leeren Gänge, bis sie gegen eine Wand prallte.

Die junge Frau, die sich nicht wusch, stand mit dem Rücken zur Wand, beide Hände etwas oberhalb Hüfthöhe in den rauen Putz gekrallt und schrie.
Blut sickerte aus ihren aufgerissenen Fingerkuppen, und sie schrie.
Durchdringend, laut und unartikuliert.
Pfleger eilten herbei, wollten sie anfassen, aber sie schlug und trat so heftig um sich, dass jene erschrocken zurückwichen.
Sie schrie.
Die alarmierte Oberärztin eilte herbei, hob die Hand und die Pfleger zogen sich zurück, trieben die neugierigen Patienten wieder in ihre Zimmer.
Die junge Frau, die sich nicht wusch, schrie immer noch.
Die Ärztin setzte sich in etwas Abstand zu ihr auf eine der Bänke und sah ihr zu, ohne Regung zu zeigen.
Nach einer Weile begann die junge Frau zu weinen.
Die Ärztin wartete.
Die junge Frau weinte und weinte, Tränen und Nasenschleim liefen ihr Gesicht hinunter, versickerten in ihrem schmuddeligen Sweatshirt.
Schließlich stand die Ärztin auf. Sie griff in die Tasche ihres Kittels, und reichte der jungen Frau ein Papiertaschentuch.

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Tag der Veröffentlichung: 28.09.2010

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