Cover

Mir sind meine Eulenspiegelspäße
gestohlen worden,
oder sie wurden wegrationalisiert.
Doch das ist dasselbe.
Mein Spiegel, die Eule und ich,
wir sind ab heute arbeitslos.
Auf den Fluren,
wo an den Türen durch Schlüssellöcher
das prozentuale Leben ausgeteilt wird,
stehe ich auf Zehenspitzen.
Doch die dort sitzende,
unkündbare Beamtenseele
schaut über mich hinweg
und sucht den Feierabend.
Für Narren gibt es
in keinem dieser Häuser
einen Sachbearbeiter.
Ernst,
sehr ernst
ist das Leben der Lohnabhängigen geworden.
Nur dort, wo die Mammonkaste wohnt,
ist die Lebensfreude noch ausgebucht.
Doch mein Spiegel, die Eule und ich,
wir werden nicht die Stufen
zum Tempel der Macht
auf Knien heraufrutschen.
Wir werden mithelfen und das Seil spannen,
damit diese nadelgestreiften Marionetten
vor uns in den Staub fallen.
Wir sind weder wehr- noch mutlos,
doch eine geballte Faust in der Tasche
verändert noch nichts.


Tradition

Mein toter Großvater
kämpfte für das Wahlrecht
der Arbeiter,
wurde durch das Sozialistengesetz
verfolgt,
war Dauerarbeitsloser und ein sogenannter
"vaterlandsloser Geselle".
Er sang später oft das Lied
vom kleinen Trompeter.
Mein Vater sog die Armut
aus den leeren Brüsten seiner Mutter,
stand schon früh
in den langen hungrigen Reihen
vor den Wohlfahrtsküchen
und später vor der Stempelgeldkasse.
Er bekämpfte die Nazis
und ging nach '33 in den Untergrund,
denn er war ein klassenbewusster,
aber arbeitsloser Proletarier.
Er summte später oft
die Internationale.
Ich wurde ein Jahr vor Kriegsende geboren,
lernte das zerstörte Nachkriegsdeutschland kennen,
spielte in den Ruinen meiner Stadt,
wurde mit Milch- und Eierpulver der Alliierten gefüttert,
rauchte heimlich Besatzungszigaretten
und versteckte mein schon
seit Wochen ausgelaugtes Kaugummi
aus Angst vor Dieben.
Als ich die Zuchtanstalt
der alten Nazipädagogen verließ,
stieg ich in die ererbten
Arbeitsstiefel meiner Väter,
lernte sehr schnell,
was es heißt, lohnabhängig zu sein
und für mein elementares Recht
zu kämpfen.
Ich stehe heute
auf der schwarzen Liste
der heimischen Industrie
und bin als ein sogenannter
Verfassungsfeind
fast schon arbeitslos.

Der Untertan

Die aufkommende Wut,
nicht umgesetzt,
fast daran erstickt,
zu Hause
die Kinder geschlagen,
die Frau beschimpft.
Später, am Kneipentresen
das abgekratzte Selbstwertgefühl
mit Heldentaten der Phantasie aufpoliert.
Spät in der Nacht den willenlosen Körper lieblos benutzt und die Jahre der Ehe verflucht.
Am Morgen verkatert aber wieder mit
angeborenem Bückling
und mit der
Seeleninvalidität
der Kindheit unter der Haut
durchs Fabriktor
geschlichen.


Know how

Die Wächter
der Arbeitstugenden
sitzen
in klimatisierten
Wachstuben
des Großkapitals
und blättern
mit polierten
Fingernägeln
in Personalakten,
um die lohnabhängige
Arbeitskraft
gewinnbringend
auszunutzen.
Die unfreiwillige
Arbeitsmoral
steigt mit der Angst,
die von ihnen
geschürt wird.


Inserat

Arbeitsloser,
getrennt lebender,
unterhaltspflichtiger,
an Staatsverdrossenheit gebrochener
junger Mann
sucht kleines, einfaches
billiges Zimmer
mit Waschgelegenheit
und WC-Benutzung.
Tagsüber verschlucken ihn
die langen Flure
der Stellenvermittlung,
nachts die neonbeleuchteten
Betonschluchten der Stadt.
Die Worte "keine Zukunft"
haben seine Hände
schon verzweifelt an eine Hauswand geschrieben.


Die Arbeitszeit verkürzen 1984

"Wer soll das denn bezahlen?",
fragt mich ein mittelständischer Unternehmer
in einer kleinen, noblen Bierkneipe.
Und ich sage nur,
"Ihr - ihr alle,
die ihr trotz Millionen
von Arbeitslosen Gewinne gemacht habt".
'Früher in Rente gehen`,
will mir ein älterer Kollege
klarmachen.
Ich frage nur,"Für wie viele und wie lange?"
Er weiß keine Antwort.
"Schuld ist doch nur
die Profitgier
und das Automatisieren",
argumentiert der im Werk
als 'Roter' verschrieene Kollege.
Ich nicke zustimmend
mit dem Kopf und weiß,
die Arbeitszeit
muss kürzer werden.


Dekadenz

Ihr Verwalter der Macht,
eure Verlogenheit
ist der Stachel
im Leib der Erde.
Ihr seid der Hass
auf den Straßen der Welt,
die geprügelte Hure
an der Ecke in Kalkutta,
Lima oder Hamburg,
der hinterhältige
Handtaschendieb im Park,
die tote Fixerin auf dem Bahnhofsklo,
der Rolex tragende Zuhälter,
der seine Frauen zwingt und schlägt,
der verlogene Drücker,
der alte Menschen in ihrer Einsamkeit
an der Tür betrügt
und der biedere Kirchgänger,
der Moral immer nur
Anderen predigen.
Ihr seid die ideologische Lüge,
die Menschen zu Herren
oder Knechten macht,
die Arbeitslose zwingt,
an sich selber zu zweifeln
und Mord in Uniformen
legalisiert.
Kinderträume werden von euch
einbetoniert,
und die toten Körper
müssen Mietzins dafür zahlen.
Für euch darf das Lachen
nur noch künstlich sein
und Liebe
wurde von euch verboten,
Gedanken bekommen
die dogmatische Kette
und einfach nur Mensch sein ist, nicht mehr erlaubt.


Arbeiterlos

Er wurde
zwangsrekrutiert,
ab morgen ist er
unfreiwilliges Mitglied
der kapitalistischen
Reservearmee.
Die ihm unangenehme Uniform,
das sogenannte
Null-Bock-Gesicht
hat er schon anprobiert,
nur hier und da
noch ein paar kleine
Änderungen, und er ist mediengerecht
zu vermarkten.
Das großmaschige
Sozialnetz
hat auch für ihn eine Öffnung,
durch die er fallen muss,
um mundtot und gebrochen
einsatzbereit zu sein.


Almanci

Fremde geworden
in der Heimat,
ohne Vertraulichkeiten
zu erkennen
ins Niemandsland
der Geburt
zurückgekehrt.
Mit geschlossenen Augen
auf die One Way Reise
gegangen.
Heute, -
in Tagträumen
die Traditionen
durch Sehnsucht
sprengen,
um nachts
auf weißen Laken
das Echo der Rufe
zu ersticken.
"Almanci! Almanci!" "Almanci!"
rufen die Städte
der Väter und Mütter
abweisend
und Heimweh
nach dem Land
der vertrauten
Ausländer-raus-Sprache
macht sich breit.


Fahri

Kind, -
aus Anatolien,
ich fühle, wie kümmerlich
du erwachsen wirst,
in deiner Hinterhofsonne
mit Ausbeutermief.
Du hast das Zillemilieu
mit Mauerblick geerbt,
als deine Eltern sagten
komm, wir gehen ins gelobte Land.
Deine Sprache, noch gebrochen
wie die Stacheldrahtinsel,
die dir nicht Heimat sein will,
stört die unbelehrbaren Ohren.
Im Treppenhaus des Jahrhunderts
haben Hände die bösen Worte geschmiert:
"Nur ein toter Türke
ist ein guter Türke."
Deine Tränen der Angst
und Wut
haben sich in die Fugen
der Mauern gefressen,
und in der gekränkten Seele
ist Trauer zu Hause.


Das Wiedersehen

Die Bank auf dem Arbeitsamt
ist hart,
sagt der vor einem Jahr
entlassener Kollege
und holt sich seinen
halbschwarzen Tabak aus der Tasche,
um sich eine Zigarette zu drehen.
Komm, lass uns
ein Bier trinken, sage ich,
doch er schüttelt nur den Kopf
und meint,
ist nicht mehr drin,
die Arbeitslosenhilfe
reicht gerade noch so zum Leben.



Bild: Alfonso C. Fabbri 2005


Verbrauchtes Leben

Auf Parkbänken
gebeugte Rücken, die
leere Faltengesichter in die Sonne gehalten.
Das kurze Leben
wehrlos verbrauchen lassen.
Von den Mächtigen
und ihren schlauen Helfern
in Fabrikhallen
auf den Stachel der Ausbeutung gespießt.
Jahr für Jahr
Akkord gearbeitet
und den Reichen
noch reicher gemacht.
In klimatisierten Büros
an die Technologiekette gelegt,
täglich menschliches
durch unmenschliche
Codenummern ersetzt.
Auf Schritt und Tritt
mit der Abhängigkeit
konfrontiert.


Nur für euch

Diese Worte sind nur für euch, -
ihr Präsidenten, Minister,
Könige und Kriegstreiber, ihr Herren
in den Waffenschmieden,
ihr Nationalisten und Rassisten.
Ihr, die ihr die Jugend der Welt
in Uniformen steckt,
sie zum Töten abrichtet,
ihr Feindbilder suggeriert
und nach von euch
gewollten Kriegen, sie mit Orden behängt,
um sie dann mit dem Gefühl der Schuld,
Mörder zu sein, allein zulassen.
Diese Worte
sind nur für euch, -
ihr Fabrikbesitzer,
Aktionäre, Menschenhändler
und bürokratischen Wasserköpfe.
Ihr, die Ihr euch mästet
am Schweiß der Lohnabhängigen.
Eure Inhumanität spiegelt sich in den Gesichtern
der Arbeitslosen, der Hungernden,
in den großen,
leidenden Kinderaugen Afrikas,
die euch stumm anklagen,
denn eure Profitgier
ist das Übel der Welt.
Diese Worte
sind nur für dich,
du, der du nur die Krümel
vom großen Kuchen bekommst,
du, der durch Akkord
von Menschenbesitzern
ausgebeutet wird,
der arbeitslos sein Leben fristet,
die falschen Volksvertreter wählt,
und weiß, dass die Not in der Welt groß ist,
doch die aufkommende Wut
immer wieder erstickt
und Kadavergehorsam übt.


In der Pause
die Isolation
aufbrechen.
Sprachen aller Nationen
in die Stille der ruhenden Fabrik freigelassen,
gebärden sich in Zügellosigkeit,
15 Minuten Persönlichkeit
in Plastikkaffee ertränken
und darauf warten,
dass der Lärm und die Gefangenschaft
Arbeit
uns wieder ruft,
pausenlos, bis zum Feierabend.


Williges Werkzeug

In meiner Werktätigkeit
sind Staub
und Maschinenlärm
das kleinere Übel.
Die Achtstundenfolter
der Seele
ist wie ein Hammer,
der mich täglich
auf das Kreuz
der Abhängigkeit
nagelt.
Die mir vorgesetzte
Autorität
ist williges Werkzeug,
ist Hammer und Nagel
der Arbeitergeschichte.


Ohne Ausweg

Heute früh
sah ich ihn zum erstenmal
in der Fußgängerzone,
er saß da,
den Kopf nach hinten
an die kalte Mauer gelehnt,
sah mich nur an,
schwieg
und streckte mir seine Hand entgegen.
Vor ihm auf dem Asphalt
lag das kleine Pappschild,
auf dem stand:
Ich bin durch die kaputten Maschen
des Sozialnetzes gefallen,
man braucht mich nicht mehr,
meine Arbeitskraft ist überflüssig.
Bitte geben Sie mir etwas Geld,
damit ich mir wenigstens
einen Strick kaufen kann.


Monotonie

An der Stanze bewegst du deinen Fuß,
wie es der Akkord verlangt -
sechstausendachthundertmal.
Die Arme bewegen sich
immer im gleichen Rhythmus.
Acht Stunden lang,
tagaus - tagein,
um deinen Arbeitgebern,
den Aktionären, gerecht zu werden.
Die Zeitnehmer haben in ihren Büros
mit Klimaanlage
errechnet,
daß 24 Minuten persönliche Verteilzeit
genügen müssen,
um die Toilette aufzusuchen,
hastig eine Zigarette zu rauchen
und zwischenmenschliche Kommunikation
zu pflegen.





Kultur von unten, ist die Stimme der Straße,
die Stimme derer, die ohne Lobbyisten und Nepotismus ihr elementares Recht einfordern.

17 Gedichte für meine Freunde zum Mut machen,
und gegnerisch der Opponenten der elementaren


Demokratie.
Ein Zweiter Auszug folgt!
"in flagranti" Gedichte gegen die Gleichgültigkeit
Alfons Czeskleba 2008-2009

Impressum

Texte: Alfons Czeskleba/Bilder:Claudia Berg-A.C.Fabbri Auszüge aus: Gedichte gegen die Gleichgültigkeit von 1994 verlegt bei Kultur von unten Hamburg und Die Brücke e.V. Saarbrücken
Tag der Veröffentlichung: 29.10.2008

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