Cover

Der Lichtkegel erhellte die verschiedensten Formen, er zog die Schatten auseinander und an anderen Stellen wieder zusammen. Sie ließ ihn über all diese schrecklichen Szenen wandern. Er erhellte jedes Bild einzeln, ließ sie all die grausamen Einzelheiten erkennen. Sie beleuchtete die Bilder von oben bis unten, die Schatten die im Dunkeln um sie tanzten, entstanden durch den Lichtkegel ihrer Taschenlampe, sahen aus, als würden sie sich auf sie stürzen. Ihre Hand zitterte. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, er würde sie finden, und wenn er das tat, dann wäre alles vorbei. Ihre Hand zitterte jetzt immer stärker und die Schatten verwischten zu grausamen Fratzen, die sie anzustarren schienen. Ohne das Licht von den Bildern zu nehmen, schritt sie immer weiter in den Saal hinein. Der dicke Teppichboden verschluckte ihre Schritte, der Schein ihrer Taschenlampe war das Einzige was sie hätte verraten können. Als sie ein Geräusch hörte, zuckte sie zusammen und wand den Schein ihrer Lampe auf die Dunkelheit hinter sich.
Ihre Lampe erhellte nur einen winzig kleinen Teil des großen Raumes und sie konnte nicht erkennen wer oder was dahinter in der Dunkelheit lauerte. Er könnte hinter jedem Schatten stehen und sie würde ihn übersehen. Ihr Herzschlag kam ihr unnatürlich Laut vor und sie spürte ihren Puls überall an ihrem Körper. Ihre Stirn pochte, ihre Beine zitterten und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Trotzdem hob sie die Hand ein Stück mehr und ließ das helle Licht noch weiter durch den Raum wandern. Es beleuchtete Skulpturen, die sie anzustarren schienen, mit Händen, die sie greifen wollten. Sie unterdrückte einen Schrei und zwang sich, noch einen weiteren Schritt nach vorne zu machen. Sie würde es schaffen, sie würde hier lebend rauskommen und sie würde all die anderen Frauen, die vor ihr hier gewesen sein mussten, retten. Zumindest die Seelen dieser Frauen. Sie bezweifelte nicht, dass noch mehr von ihnen übrig war als diese Seelen. Als der Schein ihrer Taschenlampe auf ein weiteres Bild fiel, sog sie scharf die Luft ein. Das war Jacqueline. Sie kannte ihr Gesicht aus den Zeitungen.
Es zierte die Titelblätter der letzten Wochen-Romeo holt sich sein nächstes Opfer- sie nannten ihn Romeo, da er die Frauen mit einem einzigen Stich ins Herz tötete. Er hinterließ eine rote Rose und einen Liebesbrief, den er jeweils an "seine Julia" richtete. Nun stand sie hier im Dunkeln, war vor ihm geflohen, in seinem Revier. Sie war eindeutig im Nachteil, hier kannte er sich aus und sie hatte nichts außer einer kleinen Taschenlampe, die ihr den Weg erhellte, sie aber genau so gut verraten könnte. Als sie etwas am Rock zurückzog, stieß sie einen Schrei aus. Bis sie sich soweit beruhigt hatte um einen Nagel, der aus der Wand ragte als Ursache zu erkennen, hatte sie zu lange geschrien. Er musste sie gehört haben, sie war so töricht gewesen. Als sie die Taschenlampe nach vorne richtete, stieß sie erneut einen Schrei aus. Noch nicht einmal einen Meter von ihr entfernt stand er. Er trug einen schwarzen Anzug und lächelte sie an. Hätte sie nicht eine so starke Angst empfunden, dass sie die Taschenlampe nicht stillhalten konnte, hätte sie ihn als ansehnlich bezeichnet. Er lächelte und kam langsam auf sie zu.
Sie schwang den Arm mit der Taschenlampe hin und her, sie wimmerte, sie bettelte, doch das alles half nichts. Als er sie fast erreicht hatte, umfasste er ihren ausgestreckten Arm. Er nahm ihr die Taschenlampe aus der Hand und legte sie auf den Boden. Sie folgte dem rettenden Licht mit den Augen. Zu erstarrt, um etwas zu unternehmen. Der Lichtkegel erhellte nun die Schuhe, in die er sie gesteckt hatte. Sie waren altmodisch und hatten eine komische, schlammige Farbe. Sie schüttelte den Kopf. Komisch, an welche Sachen man dachte, kurz bevor man getötet werden würde. Er fuhr mit seinen Fingern über ihren Arm, sie bekam eine Gänsehaut. Ohne Vorwarnung überwand er das letzte Stück in einem Atemzug und stieß ihr etwas in die Brust. Sie wollte schreien, doch kam kein Laut aus ihrem Mund. Sie wollte weglaufen, doch sie konnte sich nicht rühren. Das ihre Beine unter ihr nachgegeben hatten merkte sie erst, als er sie behutsam auf den Boden legte. Der Schmerz war unerträglich. Er füllte ihren Körper aus und sie spürte nichts anderes, als dieses Brennen und Ziehen, welches von ihrer Brust ausging. Als sie es schaffte den Kopf zu drehen, blickte sie direkt in das Licht der Taschenlampe, die sie vor ein paar Minuten, in denen sie sich noch sicher gewesen war,dass sie ihm entkommen könnte, in der Hand gehalten hatte. Sie bemerkte das brennen nicht, welches das Licht der Lampe in ihren Augen verursachte.
Sie sah nur das Licht. Das Licht, welches ihr so hell, so warm und einladend erschien. Sie verlor sich in der gelben Farbe des Lichtscheines und stellte sich vor, dass dieser der Eingang zum Himmel wäre. Falls es so etwas wie einen Himmel geben sollte. Nach dem heutigen Tag glaubte sie nicht mehr recht an ihn. Sie atmete abgehackt und ihr eigener Atem hörte sich unnatürlich laut an.

Die Lerche war´s, die Tagverkünderin,
Nicht Philomele; sieh den neid´schen Streif,
Der dort im Ost der Frühe Wolken säumt.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der muntre Tag erklimmt die dunst´gen Höhn;
Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.

Trau mir, das Licht ist nicht des Tages Licht;
Die Sonne haucht ihr Luftbild aus,
Dein Fackelträger diese Nacht zu sein,
Dir auf dem Weg nach Mantua zu leuchten;
Drum bleibe noch; zu gehen ist ja noch nicht not

Er zitierte Shakespeare. Während sie auf dem Boden lag und ins Licht blickte, lauschte sie seiner leisen Stimme, die eines ihrer Lieblingsstücke flüsterte. Sie hörte die tröstenden Worte und plötzlich war ihre Angst verschwunden. 'Jetzt weiß ich, wie sich der Tod anfühlt,' war das Letzte, was sie dachte, bevor sie ihre Augen schloss, den erlösenden Lichtschein ausblendete und in die Dunkelheit absackte.

Impressum

Texte: Foto von: gekreuzsiegt.blogspot.com/ 2010_11_01_archive.html
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Mama und meine Schwester, die alles lesen was ich schreibe und dem nie müde werden, egal wie vie es auch sein mag!

Nächste Seite
Seite 1 /