Natalie stand an Deck ihres Schiffes und dachte, wie so oft in letzter Zeit darüber nach, wie sie auf diese unglaubliche Idee gekommen war Piratin zu werden. Es war nicht leicht gewesen, sich unter den ganzen zänkischen, machtbesessenen und herrschsüchtigen Männern einen Platz zu verschaffen. Doch durch ihre raue Art und der Tatsache das sie nie, wirklich niemals Gnade zeigte, hatte sie sich in den letzten drei Jahren bis nach ganz oben durchgekämpft. Sie hatte sich einen Namen gemacht und das nicht nur an Land, sondern auch auf dem Wasser. Ihr Schiff, die Whitecat, war unter allen Piraten bekannt und gefürchtet. Wenn Natalie beschloss anzugreifen, kamen die meisten nicht mit dem Leben davon.
„Kapitän! Ein Schiff, Steuerbord!“ Der Schrei ihres ersten Maates riss sie aus ihren Gedanken. In letzter Zeit dachte sie viel zu viel über die unwichtigsten Dinge nach und brachte somit sich und ihre Mannschaft in Gefahr. Sie würde es nie zugeben aber langsam ermüdete sie das Piratenleben. Es war spannend gewesen, sich als Frau unter all den rauen Kerlen behaupten zu müssen und sie konnte mit Stolz behaupten, dass ihre Mannschaft ihr überall hin folgen würde, aber nachdem der ganze Kampf um die Macht vorbei war, hatte sie die Lust am Beuten verloren.
Sie hatte eine ganze Insel voller Schätze, fünfzehn Männer die sie nach Herzenslust herumkommandieren konnte, den Respekt aller Leute wohin sie auch ging, aber all das zu welchem Preis? Sie hatte niemanden dem sie blind vertraute. Sie hatte keinen mit dem sie über ihre Ängste und Sorgen reden konnte, keinen der ihr zuhören würde, wenn es ihr schlecht ging. Sie fühlte sich trotz ihrer Freunde auf diesem Schiff einsam.
Ihr Fernrohr, welches sie immer in ihrer Gürtelschlaufe trug, erwies sich auch diesmal als nützlich. Sie stürzte an die Reling, setzte es ans Auge und spähte hinaus aufs tosende Meer. Gischt spritzte umher und die Wellen hatten sich nach dem vorherigen Sturm noch immer nicht ganz gelegt, trotzdem trieb ein Schiff durch die See. Das Schiff sah alt aus und keine Menschenseele war auf Deck zu sehen. Das Schiff musste in den Sturm gekommen und die Mannschaft von Bord gegangen sein. Sie würde ihren Männern den Spaß lassen.
Als sie nur noch wenige Meter entfernt waren, suchte sie das gesamte Schiff nach einem Lebenszeichen ab. Als sich auch nach ein paar Minuten keine Bewegungen ausmachen ließen, beschloss sie, dass dieses Schiff sicher sei.
,,Bereit machen zum Entern.“ Sie schrie über den tosenden Wind hinweg und bekam lautes Gejohle als Antwort. Ihre Männer packten ihre Waffen und schwangen die Enterhaken. Als sie nahe genug ans Schiff heran gekommen waren, schrie sie ihren nächsten Befehl:
,,Achtung Männer! Entert das Schiff und bringt mir alles was ich gebrauchen kann und vergesst den Rum nicht!“
Ihre Mannschaft stürzte sich mit lautem Geschrei auf das Schiff und rannte wie von der Tarantel gestochen übers Deck. Natalie lehnte sich an die Reling und beobachtete das ganze Schauspiel mit einem breiten grinsen im Gesicht.
Plötzlich brach Tumult los und der Wind trug die Schreie ihrer Männer zu ihr hinüber. Eine Falle!
Wie konnte sie so dumm sein und ihre Männer ohne Kontrolle auf ein Schiff schicken?
Sie schlug die Augen nieder. Erst jetzt unterzog sie das gegenüberliegende Schiff einer genaueren Musterung. Sie sah ihre Männer die mit lauten Schreien in Zweikämpfe verwickelt waren. Immer mehr ihrer Leute fielen und die übriggebliebenen wurden zusammen gescheucht. Die Mannschaft des anderen Schiffes war in der Überzahl und ihre eigene würde keine Chance haben noch viel länger zu bestehen. Sie ließ ihren Blick über das Schiff wandern.
Hellbraunes Holz, goldenes Steuerrad und ... oh nein!
Ihre Augen glitten immer und immer wieder über ein und dieselbe Stelle des Schiffes.
Blackghost.
Als sie den Namen entdeckte, rannte sie quer über ihr Schiff, um genau vor dem Schriftzug stehen zu bleiben.
Der Name des Schiffes war mit dicken, roten Buchstaben aufgemalt. Keiner ihrer Männer hatte bemerkt auf welches Schiff sie zugesteuert waren.
Dieses Schiff gehörte Kelvin – ihrem größten Feind. Er war weniger grausam als sie doch auch er verschonte so gut wie nie jemanden. Dennoch hatte er Natalie schon mehr als einmal entkommen lassen. Er machte keinen Hehl aus seiner Zuneigung und diese Zuneigung war das Einzige, das sie gegen ihn in der Hand hatte. In der Vergangenheit war sie ihm öfter als ihr lieb war begegnet und er hatte Gefühle in ihr geweckt die sie sich niemals eingestehen würde. Sie konnte es sich selbst nicht erklären aber sie wusste, dass sie etwas für ihn empfand, denn sie glühte jedes mal regelrecht vor Verlangen, wenn sie ihm begegnete. Unter anderen Umständen hätte sie sich sogar eine Beziehung mit ihm Vorstellen können, doch in ihrer jetzigen Situation erschien es ihr mehr als aussichtslos.
Sie schrie auf, als sich plötzlich ein muskulöser Arm um ihre Taille schloss und sie nach hinten zog.
„So sieht man sich also wieder, meine Schöne.“ Die raue Stimme an ihrem Ohr ließ sie erschaudern. Sie wirbelte herum und holte zu einer Ohrfeige aus, welche er kurz vor seinem Gesicht stoppte. „Na da ist ja mal wieder jemand stürmisch.“ Sie blickte in seine meeresblauen Augen. Er funkelte sie belustigt an. Kelvin war sich seines Charmes bewusst und war geschickt darin ihn einzusetzen.
„Wie bist du auf mein Schiff gekommen?“, verlangte sie zu wissen.
„Es ist doch nicht meine Schuld, dass du nur Blicke für mein Schiff übrig hast und nicht bemerkst, wenn jemand auf dein Schiff kommt.“ Seine Stimme triefte vor Belustigung. Natalie musterte ihn. Sein blondes Haar mit den vereinzelten braunen Strähnen hing ihm verwegen ins Gesicht. Seine wunderschönen Augen, die die Farbe des dunkelsten Meeres hatten musterten sie ebenfalls.
Seine gerade Nase, die schönen Wangenknochen und sinnlichen Lippen luden förmlich zum Küssen ein. Auch der drei-Tage-Bart, welcher ihn noch verwegener aussehen ließ minderte das Bild nicht ab.
,,Bist du fertig mit deiner Musterung?“, fragte er. „Ich hoffe dir gefällt, was du siehst.“ Natalie schnaubte. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Und das, obwohl sie mit ihren 178cm nicht grade klein war. Trotzdem überragte er sie um mindestens einen Kopf.
Nun ließ auch sie seine Musterung über sich ergehen. Sie wusste, dass sie gut aussah. Ihre gestuften braunen Haare wurden vom Wind in ihr Gesicht geweht und ihre braunen Augen funkelten hell in der Sonne. Ihre kleine Nase und die schönen, weichen Lippen passten perfekt zu ihren hohen Wangenknochen. Sie war schlank und trug, wie ihre Männer, eine lederne Hose zu welcher sie aber feminine Stiefel anhatte in welche die Hose hineingesteckt war. Dazu trug sie eine enge schwarze Korsage, die ihren Busen betonte.
Kelvin stieß einen Pfiff aus. ,,So schön wie immer!“
„Übertreib mal nicht. Was soll das Ganze hier? Was machst du mit meinen Männern, Kelvin?“
Er grinste. „Deinen Männern geht´s ausgezeichnet. Sobald wir drüben sind, werden sie auf dein Schiff zurückgebracht und können tun und lassen was sie wollen.“ Natalie nickte. Erst dann realisierte sie, was Kelvin gerade gesagt hatte.
„Was heißt, wenn wir drüben sind? Es gibt kein wir, Kelvin!“ Sie wollte einen Schritt zurückweichen, doch sein Arm schloss sich abermals um ihre Mitte und hinderte sie daran.
„Wenn ich sage wir, dann meine ich auch wir.“ Er zog sie näher an sich und griff nach seinem Enterhaken, der Lose an seinem Gürtel hing. Natalie schrie, versuchte sich aus seinem Griff zu winden, aber vergeblich. Sein Arm lag eisern um ihre Mitte. Mit einem kräftigem Stoß gelangte er mit ihr im Arm auf sein Schiff hinüber. Dort blieb er stehen und Natalie musste mitansehen, wie ihre hilflose Mannschaft zurück auf die Whitecat gebracht wurde. Natalie wusste das sie sich keine Sorgen um ihre Mannschaft machen musste, schließlich kamen ihre Männer auch ohne sie zurecht und würden einen neuen Kapitän wählen.
Nachdem auch der letzte Mann seinen Weg zurückgefunden hatte, schrie Kelvin seine Befehle übers Schiff und die Blackghost setzte ihren Weg fort.
„So meine Hübsche, jetzt reden wir in meiner Kabine weiter.“ Er zog sie mit sich unter Deck. In seiner Kabine angekommen, schmiss er sie mit einem sanften Schubs aufs Bett und ließ sich neben sie fallen. „Natalie, Natalie. Jetzt bist du ja doch noch hier bei mir gelandet.“ Er strich in Kreisen über ihren Hals und sah sie dabei unverwandt an.
Sie stützte sich auf. ,,Einen Scheißdreck bin ich! Du weißt genau, dass ich niemals freiwillig den Weg auf dein verfluchtes Schiff genommen hätte“
„Aber, aber...“ Er sah sie gespielt entsetzt an. „Eine Dame wird doch wohl nicht fluchen.“
„Ich bin keine Dame! Du weißt ...“ Gerade als Natalie zu Hochtouren auffuhr und richtig loslegen wollte, brachte er seine Lippen auf ihre. Völlig überrascht hielt sie mit ihrer Rede inne und wartete auf eine weitere Reaktion seinerseits. Kelvin drückte seine Lippen weiterhin auf ihren Mund und bat um Einlass. Als sie ihm diesen gewährte, fuhr er mit der Zunge in ihren Mund und brachte sie schier um den Verstand. Auf diesen Kuss hatte sie schon so lange gewartet und ... warum eigentlich nicht? Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte schon so oft davon geträumt mit ihm Sex zu haben und ihre Gefühle für ihn auszuleben. Sie schaltete die warnenden Stimmen ab und konzentrierte sich ganz auf Kelvin. Sie fuhr mit den Fingernägeln über seinen Rücken und bog ihren eigenen durch, als er mit der Außenseite seiner Hand über ihren Rippenbogen strich. Als er begann sie zu entkleiden, ließ sie es zu und half ihm sogar dabei. Als sie schließlich beide nackt waren und Kelvin kleine Küsse auf ihrem Körper verteilte, stöhnte sie auf. Verlangen tobte in ihr und sie wand sich vor Lust. Kelvin war zärtlich und gleichzeitig wild. Er flüsterte ihr die schönsten Liebesschwüre ins Ohr und als sie beide verschwitzt und erschöpft nebeneinanderlagen, schloss Natalie die Augen.
Der Sex mit ihm war einfach unglaublich, aber unglaublich war auch, dass sie sich darauf eingelassen hatte. Sie war für ein paar Stunden ihrem langweiligen Leben entflohen und in eine Welt eingetaucht, von der sie nie erwartet hatte, sie sehen zu dürfen. Als Kelvin nach einer Weile eingeschlafen war, fasste sie einen Entschluss. Sie wusste, was sie tun musste. Natalie hatte nicht vor als Kelvins 'Sexsklavin' auf der Blackghost zu bleiben. Aber sie wusste auch, dass sie nicht mehr zurück auf ihr Schiff kommen würde. Jetzt wo Kelvin sie hatte, würde er sie nicht mehr gehen lassen. Erst hatte sie vorgehabt ihn zu töten, aber als sie sein schlafendes, schönes Gesicht betrachtete, brachte sie es einfach nicht mehr über sich.
Sie wusste, dass sie mehr für ihn empfand als sie durfte und sie befürchtete, dass es mehr war, als er je für sie empfinden würde. Falls er überhaupt etwas für sie empfand und nicht alles nur ein Spiel gewesen war.
Leise stand sie auf, wickelte sich in das Bettlacken und schlich zur Tür. Sie betete inständig, dass kein Knarren ertönen und sie verraten würde. Darauf bedacht weder Kelvin noch seine Mannschaft zu wecken, schlich sie an die Reling des Schiffes und sah aufs Meer hinaus. Ihr Leben war uninteressant und ihr Vater hatte ihr einen wichtigen Rat mit auf den Weg gegeben als er starb:
„Ein Kapitän geht immer mit seinem Schiff unter, mein Kind. Vergiss das niemals.“, hatte er gesagt. Und erst heute, drei Jahre später verstand Natalie, was er damit meinte. Nun würde sie endlich frei sein. Sie würde sich um niemanden mehr kümmern müssen und würde keine Verantwortung mehr tragen. Sie stieg auf die Reling und lachte laut auf, als sie mit den Füßen in Richtung Meer trat.
Sie flog. So mussten sich die Vögel fühlen, wenn sie hoch über dem Schiff kreisten. Der Wind zerrte an ihren Haaren aber es war ein angenehmes Gefühl. Ruhe beschlich sie und sie konnte den Aufprall kaum noch erwarten.
„NATALIE! NEIN!“ Als sie seinen Schrei vernahm, lächelte sie. Nun würde auch er frei sein, frei von ihr. Als sie aufs Wasser aufschlug kam Stille über sie. Wohltuende, ruhige Stille. Ihr Körper sank langsam Richtung Grund. Sie fühlte sich befreit, so frei. Als sie ihren letzten Atemzug tat, sah sie Kelvins Gesicht vor sich. Und so ging sie, mit einem Lächeln auf ihren wunderschönen Lippen unter.
Den Körper, der hinter ihr her schwamm und sie tot im Wasser fand, bemerkte sie nicht mehr. Sie bemerkte auch nicht, dass eben dieser Körper, den Mund aufriss, um ihr Schicksal zu teilen. Kelvin wollte nicht allein bleiben. Er wollte lieber mit ihr sterben, als ohne sie weiter zu leben. Er liebte sie, seit er sie das erste mal gesehen hatte und das war nun schon etliche Jahre her. Er hatte sich um sie bemüht, hatte sie gelockt, gereizt, ihr den Hof gemacht. Als aber keiner von seinen Annäherungsversuchen klappte, hatte er beschlossen sie mit Gewalt zu sich zu holen und sie zu überzeugen, das er sie liebte. Er wusste das sie auch etwas für ihn empfand. Wenn sie ihn ansah lag Verlangen und Sehnsucht in ihrem Blick. Und nun, als sie sich ihm hingegeben hatte, war er davon überzeugt gewesen, dass sie bei ihm bleiben wollte. Er liebte sie mit jeder Faser seines Körpers und konnte es nicht ertragen, ohne sie weiter zu leben. Ohne die Aussicht, das sie irgendwann doch noch seine Frau werden würde. Er hatte all die Jahre gekämpft und durchgehalten, in der Hoffnung, sie zu überzeugen. Das hatte nun keinen Sinn mehr. Also ließ er sich treiben. Er hielt Natalie in den Armen und betete, dass er sie, wo auch immer sie landen würden, wiederbekommen würde. So schwebten sie, ein Liebespaar, durchs Wasser.
Natalie bekam dies alles erst mit, als sie im Himmel in Kelvins Armen erwachte.
Texte: Alle Personen sind frei erfunden und gehören mir!
Tag der Veröffentlichung: 20.09.2010
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