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Schicksalsroman

Gerhard Köhler

 

 

 

Wer an sich glaubt 

 

 

 

Erklärung

 

Zum ersten Mal, schrieb ich selbst einen Schicksalsroman, obwohl ich wegen einer psychosomatischen Krankheit noch nie ein ganzes Buch oder einen Roman gelesen habe. Da ich auch heute noch den meisten Zusammenhängen von einem Buchroman, oder auch von einem Film, nicht folgen kann, nehme ich hiervon immer mehr Abstand.

Vielleicht können sie mich verstehen, wenn ich schreibe, dass ich den Roman in meiner wohl schwersten Krankheitszeit niedergeschrieben habe. Sicherlich konnte ich mir hierbei auch schon einiges von der Seele schreiben, aber die laufenden Schmerzen und gedanklichen Ausfälle verhinderten, dass alles in einem zügigen Rahmen erfolgen konnte.

 

Es war schon im Jahre 1988, als die ersten 30 Seiten auf dem Papier waren, dann kam alles plötzlich zum stocken. Ich wusste einfach nicht mehr weiter. In dieser Verzweiflung lagen die Seiten dann fast 10 Jahre in der Schublade. Endlich Ende 1997 kam mir die Idee für jede Person und jedes Objekt einen Steckbrief zu erstellen und immer wieder zu ergänzen.

 

Als ich mich dann wegen immer größeren Schmerzen und quälenden Leiden Ende 1989 in Prien am Chiemsee eine zwölfwöchigen Psychotherapie unterziehen musste, waren unsere beiden kleinsten Kinder gerade einmal zwei und vier Jahre alt. Es kann sich wohl kaum einer vorstellen was dies für mich bedeutete, denn gerade in der Zeit um Weihnachten war es am schwersten. So erinnere ich mich heute noch genau daran, als ich in der Weihnachtswoche in den nahen Wald lief, um mir einen Fichtenast für mein Zimmer zu besorgen. In diesem Jahr habe ich Weihnachten so bewusst wie noch nie erlebt.

 

Meine Familie gab mir in den letzten 20 Jahren meiner schweren psychosomatischen Krankheit immer wieder Hoffnung darauf, das Leben meistern zu können.

 

Das Schreiben hat mir auch sehr geholfen, doch einiges besser verstehen zu können. Außerdem ist mir etwas gelungen, was ich auch zu Ende führen konnte. So ist der Roman so etwas wie mein Lebensinhalt geworden.

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Auf einem alternden Bauernhof im Bayerischen Wald lebt Hans Schröder in den 80er Jahren mit seinen Eltern ein recht einfaches Leben. In der Landwirtschaft findet er wenig Erfüllung, weshalb er sich zu einer Umschulung entschließt.

Von den Querelen mit seinem streitsüchtigen Vater, der durch Alkohol schon wie in Trance lebt, bekommt der Junge solche Kopfschmerzen, dass er sich in psychische Behandlung begeben muss.

Im ganzen Ort gilt Hans als hilfsbereiter, strebsamer junger Mann, doch bei den Mädchen kommt er mit seiner Zurückhaltung nicht sehr an. Das einzige Hobby ist seine Kleingartenanlage, wo der Junge Zuflucht und Freude am Gedeihen der lebenden Pflanzen findet.

Von der ersten Liebe verspricht er sich sehr viel, doch waren ihre beiden Charaktere nicht zu vereinen.

Erst nach dem Tod seines Vaters kehrte langsam Ruhe auf dem Schröderhof ein. Mit einem sehr verständnisvollen Mädchen, bekommt das Dasein von Hans erst wieder einen Lebenssinn.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hans Schröder saß nach einem anstrengenden Arbeitstag wieder einmal am Abend allein in seinem Zimmer. Neben dem großen massiven altdeutschem Bett, fiel vor allem der ovale Holztisch auf, der sofort ins Auge stach.

Er lebte hier mit seinen Eltern auf einem älteren Bauernhof. Seine Schwester Gretel war nach ihrer Hochzeit in die Kreisstadt Bodenwöhr gezogen, da sie hier in dem kleinen Dorf Fischbach im nördlichem Bayerischen Wald, wenig Möglichkeiten hatte, sich in ihrem Beruf als Bürokauffrau weiterzubilden.

Wie fast an jedem Abend saß Hans vor dem Fernseher um sich heute einen Krimi anzuschauen. Gerade hatte er es sich in einem Sessel bequem gemacht, als seine Mutter ihn rief. „Hans komme schnell einmal herunter in den Stall, eine Kuh kalbt.“

Er hastete mit großen Schritten die Treppe hinunter, streifte sich in der Vorkammer seine Arbeitsjacke über und zog die gelben Stallstiefel an.

„Wo ist denn der Alte schon wieder, sitzt er noch im Wirtshaus? Der Suffkopf könnte doch einmal zu Hause bleiben“, schimpfte Hans lauthals.

Sein Vater machte seinen täglichen Dämmerschoppen und war auch sonst nicht abgeneigt eine Flasche Bier zu trinken. Somit bereitete er seiner Frau großen Ärger und galt auch schon im ganzen Dorf als Gespött.

„Schnell Mutter, hole noch den Walter drüben, denn zu zweit schaffen wir die Geburtshilfe nie.“

Hans nahm aus der Stallapotheke die Geburtsstricke, ließ einen Eimer mit lauwarmem Wasser vollaufen, um für die Geburt gut gerüstet zu sein.

Walter eilte mit großen stampfenden Schritten in den Stall, wo Hans gerade dabei war die Stricke anzulegen.

„Erfolg im Stall“, wünschte Walter, „da habt ihr noch einmal Glück gehabt, denn gerade wollte ich mich anziehen und zur Raiffeisenversammlung gehen.“

„Danke Walter, das Glück können wir gut gebrauchen“, meinte Hans, „denn unsere Lina hatte schon immer eine schwere Geburt. Du weißt doch noch, letztes Jahr mussten wir sogar den Tierarzt holen.“

Elisabeth die nicht so schnell laufen konnte, betrat auch wieder den Stall, um zu helfen. Mit vereinten Kräften brachten sie das Kälbchen doch zur Welt. Es war ein braun-weiß geflecktes Stierkalb, das sich jetzt im Stroh rekelte. Der Stall war schon vorbereitet. Auf dem Boden lag eine dicke Strohschicht, wo sie das Kälbchen einbetteten.

„Komm Walter“, rief Mutter Schröder, „wir trinken noch einen Schnaps, das gehört so zur Tradition, wenn ein Kalb geboren ist.“

Walter und Hans tranken ihren Schnaps, Elisabeth hatte sich einen halben eingeschenkt. Walter winkte ab als er einen Zweiten trinken sollte. „Nein, nein, wir hatten heute Richtfest, ihr könnt euch denken, da gab es schon genügend Alkoholisches. Sei mir nicht böse Hans, na dann guten Abend miteinander.“

Nachdem die ganze Sache so gut verlief, konnte auch Hans endlich wieder auf sein Zimmer, wo der Fernseher noch lief. Der Krimi war allerdings schon zu Ende und es gab gerade die Spätnachrichten. Er holte sich ein paar Erdnüsse und setzte sich an den Tisch.

Er war eigentlich gerne zu Hause. Ihm zog es nicht so sehr in Discotheken oder in eine Gastwirtschaft. Er suchte lieber die Einsamkeit. Hans, der sehr sensibel veranlagt war, musste nach den Wünschen seiner Eltern, auf deren Bauernhof Landwirt lernen, was ihm aber nicht besonders gefiel. Die anderen seiner Schulklasse lernten alle in der Stadt Berufe und bekamen dadurch regelmäßig ihren Lohn. Hans war auf ein Taschengeld von seiner Mutter angewiesen, obwohl er jetzt schon 26 Jahre alt war.

Seit kurzem ist dies nun endlich vorbei, denn er schult um und macht schon ein halbes Jahr eine Lehre als Elektriker, was er schon immer werden wollte.

Jetzt endlich hatte er seine Ruhe und konnte Fernsehen schauen. Wie meistens hatte er auch heute seine geliebte Jeanshose an. An seinem karierten Hemd fehlten zwei Knöpfe, was ihn aber weiter nicht störte. Er war als Bauernbub nicht anspruchsvoll erzogen worden und kleidete sich oft recht einfach, weshalb er von seinen Arbeitskollegen gerne gehänselt wird.

Plötzlich schreckte er auf, der starke Regen polterte zu sehr an sein Fenster. Hans war vor Müdigkeit eingenickt. Das Fernsehbild zeigte nur noch weiße Flocken. 00.45 Uhr zeigte gerade die alte Uhr an, ein Erbstück von seinem Großvater.

Jetzt musste er wieder an seinem Vater denken, der bestimmt gleich volltrunken nach Hause kam. Seine Mutter tat ihm richtig leid, denn der ewige Streit mit dem Vater bereitete ihr sehr große Sorgen. Seine Jeans legte er wie immer quer über die Stuhllehne, bevor er den Fernseher ausschaltete. Als er seinen Schlafanzug überstreifte musste er noch immer an seine Mutter denken, die sich den ganzen Tag auf dem Bauernhof abrackerte. Hundemüde schlief er schnell ein.

 

*

 

Mutter und Vater saßen schon am Frühstückstisch, als Hans die Treppe herunterkam. „Guten Morgen Mama, guten Morgen Vater, fast hätte ich heute verschlafen denn ich bin noch einmal kurz eingenickt.“

Seine Mutter strich ihm sanft mit ihrer rauen Arbeitshand über seinen Schopf und meinte, „du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen Hunger unser Kälbchen vorhin hatte.“

Gustav lächelte „das habt ihr gestern gut gemacht mit der Geburt. Schön, dass sich unser Hans so gut auskennt.“

Wie immer aß Hans zuerst sein Ei. „Bitte Mutti, mache mir noch schnell meine Frühstücksbrote für die Arbeit, denn ich habe es heute eilig.“

„Früh werde ich noch schnell die große Wiese hinten am Lindenstück mähen, da der Wetterbericht ein paar warme trockene Tage angesagt hat“, schaltete sich Gustav ein.

„Hoffentlich machst du nicht wieder so lange Frühschoppen in der Wirtschaft, denn von alleine wird auch gemähtes Gras nicht zu Grummet“, antwortet Hans etwas ärgerlich.

„Soll das wohl wieder eine Anspielung auf gestern Abends sein?“, fragte sein Vater jetzt doch mürrisch.

„Ich meine ja nur Vater, du könntest ja auch einmal auf deinen Dämmerschoppen verzichten“, rief Hans erregt und zerrte hierbei nervös am gelben Karo Tischtuch, das schon ein paar Flecken hatte.

„Das lasse mal meine Sorge sein Hans“, erwiderte streng der Vater etwas zornig blickend. „Du fragst ja auch nicht, wenn es um deine Blumenzwiebeln geht. Rechne nur einmal zusammen was du schon für Geld in deinen Garten gesteckt hast.“

Hans packte eilig die Frühstücksbrote in seine braune Arbeitstasche, nahm die Autoschlüssel und verließ das Haus, indem er seinen Eltern noch zurief. „Na dann bis heute Abend.“

Als er das schwere Garagentor geöffnet hatte, schaute ihn sein alter grüner VW Käfer mit den großen runden Augen an. Eigentlich war Hans froh, dass er jetzt ein Auto hatte, denn zur Arbeit nach Schwandorf waren es immerhin fünfzehn Kilometer, was mit dem Fahrrad auf die Dauer zu weit gewesen wäre. Dieses Auto hatte er sich selbst zusammen gespart, indem er die Tageszeitung austrug und überall in der Nachbarschaft Obstbäume schnitt.

 

*

 

Die Sonne stand schon ziemlich hoch – es versprach ein sehr warmer Tag zu werden. Wie fast immer musste Hans auch heute am Bahnübergang Schwandorf warten, denn die Bahnlinie Roding-Amberg war eine vielbefahrene Strecke.

Auch heute stellte sich Hans auf seinen Stammparkplatz im hinteren Eck. Das Elektrogeschäft war doch ganz schön groß. Neben zwei Meistern arbeiteten hier acht Gesellen und mit ihm waren es vier Lehrlinge.

Es war Punkt sieben Uhr als Hans seine Stempelkarte stach. Wo wird ihn der Chef wohl heute wieder eingeteilt haben, ging es ihm durch den Kopf. Hoffentlich wurde er nicht wieder mit Alfred und Hubert in den Außendienst geschickt, denn diese hänselten ihn damit, dass er so mädchenscheu war.

Hans wurde an diesem Tag im Geschäft eingesetzt. Er war mit dem Einräumen des Lagers beschäftigt, was auch mit zu seiner Ausbildung gehörte.

 

Der Tag verging eigentlich sehr schnell und er freute sich schon auf seinen Kleingarten. Die meiste Freizeit verbrachte er in dieser Anlage, welche sein ganzer Stolz war. So stellte er sein Auto in die Garage, brachte die Arbeitstasche auf sein Zimmer, wo er sich für die Gartenarbeit umzog.

Glücklich und zufrieden schaute er beim Betreten seines Gartens, als ihm die roten, reifen Tomaten ins Auge stachen.

„Hans, Hans“, klang es schon von weitem und er erkannte sein Patenkind Melanie, die ihn öfters mit dem Fahrrad besuchte, und auch gerne im Garten mithalf. Melanie war das Kind seiner Schwester Gretel, die mit Peter Meier, einem Kraftfahrzeugmechaniker, verheiratet war. Melanie war zwölf Jahre alt und Hans mochte sein Patenkind gerne.

„Guten Tag Pate“, rief Melanie, „hast du heute wieder etwas zu tun für mich?“

„Heute wollen wir den Weg zwischen den beiden Beetreihen pflastern, da kannst du mir die Steine herfahren“, antwortete er kurz. „Dort drüben steht eine Schubkarre. Du bist ja jetzt schon fast dreizehn und ein großes Mädchen geworden.“

Melanie überlegte nicht lange und machte sich auf den Weg um die Schubkarre zu holen. „Ja, ja das schaffe ich schon.“

Hans nahm seinen Kleingarten sowie das Anlegen des Weges sehr genau, jeder Stein musste auf den Zentimeter genau passen, ehe er ihn einstampfte.

Gewissenhaftigkeit war schon immer seine Stärke gewesen, weshalb er bei seiner Arbeitsstelle sehr geschätzt wurde. Melanie hatte ein leuchtend rotes Kleidchen an, dazu eine gelbe Bluse. Ihre Haare waren zu zwei langen Zöpfen geflochten. Sie war ein sehr hilfsbereites Kind.

Es dämmerte schon langsam und Melanie musste vor Einbruch der Dunkelheit unbedingt zu Hause sein.

„Lasse es gut sein für heute“, meinte Hans, der sehr besorgt um sein Patenkind war, „es ist Zeit für dich Melanie, denn heute wird es rasch dunkel.“

„Aber Pate, gerade jetzt, wo wir fast fertig sind, schickst du mich nach Hause, aber dafür komme ich gleich morgen wieder zu dir.“

Hans antwortete zufrieden, „sicher kannst du morgen wieder kommen Melanie, eine Beschäftigung habe ich immer für dich“, jetzt etwas ernst werdend.

„Passe nur vorne an der Kreuzung schön auf, du weißt ja, erst schauen, dann fahren.“

„Mache dir nur keine Sorgen Pate, ich bin ja nicht mehr so klein wie du es oft noch denkst“, erwiderte sie etwas trotzig.

„Gute Nacht, mach’s gut bis morgen.“ Hans strich ihr übers Haar. „Sei nur vorsichtig und sage deiner Mutter, dass sie die Erdbeerableger am Samstag abholen kann. Gute Nacht mein Schatz.“

Hans hatte für heute auch genug. Er legte sein Werkzeug wieder ordentlich auf seinen Platz im Geräteschuppen. Beim Schließen des Gartentürchens warf er noch einen prüfenden Blick auf seinen neuen Weg. Mit Stolz konnte er feststellen, dass sich auch sein Gemüse in diesem Jahr besonders gut entwickelte.

 

*

 

Den Tisch für das Abendessen hatte Mutter schon gedeckt. Sie wartete noch auf Vater, der heute einen besonders langen Dämmerschoppen machte.

„Setze dich nur Hans“, brummte sie forsch, „dann essen wir eben alleine, wenn der Alte wieder nicht kommt.“

Hans nahm sich eine Scheibe Schwarzbrot und bestrich sie mit Butter. „Das wird immer schlimmer mit Papa, er hatte doch erst gestern einen Rausch“, schimpfte Hans, „wenn das so weitergeht, wird er noch zum Gespött im ganzen Dorf.“

Elisabeth schlang einen Bissen hinunter und jammerte, „ich weiß auch nicht, was manchmal in deinem Vater fährt, die letzten vier Wochen ging es doch mit ihm, was Bub?“

Hans schimpfte. „Nur wegen ihm werde ich oft verspottet, ich traue mich bald nicht mehr aus dem Haus.“

„Lasse ihn mein Junge, du wirst deinen Weg schon machen. Du musst nur deine Arbeit machen und immer nett zu euren Kunden sein, dann kann dir keiner etwas anhaben“, versuchte ihn die Mutter zu beruhigen.

„Ist schon gut“, lächelte Hans jetzt zufrieden, „da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Es war ein anstrengender Tag, ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht, bis morgen.“

„Gute Nacht mein Junge, schlaf schön.“

 

***

 

Schon früh am nächsten morgen, machte sich Hans Schröder auf den Weg nach Amberg, zu einem Facharzt, wo er zu einer Untersuchung angemeldet war. Mit seinen erst 26 Jahren, hatte er in letzter Zeit immer häufiger unter unerträglichen Kopfschmerzen zu leiden. Nun ging das schon mehr als zehn Jahre, dass er von Arzt zu Arzt lief. Kaum einer konnte ihm bisher Linderung verschaffen.

Er stellte seinen Käfer auf den Parkplatz und schaute mit großen Augen zu dem riesigen Ärztehaus auf.

Wo wird er wohl hin müssen, ging es ihn durch den Kopf. Im gleichen Moment sah Hans das Hinweisschild: „Anmeldung“. Hier werden sie mir schon helfen, durchfuhr es ihn hoffnungsvoll.

Schnell hatte er das Wartezimmer gefunden. Sehr viele ältere Menschen, dachte er. Warum musste er, obwohl er noch so jung war, unter diesen elenden Kopfschmerzen leiden.

„Hans Schröder bitte“, dröhnte es durch den Lautsprecher. Er schreckte hoch und hastete in das Behandlungszimmer.

„Guten Tag Herr Schröder, wie fühlen sie sich gerade?“, fragte der Doktor. Hans musterte ihn von oben bis unten, ehe er antwortete. Eigentlich sah er ja recht vernünftig aus und hatte bestimmt so seine Erfahrungen. Dies verrieten die grauen Schläfen, sowie die vielen aufgereihten Fachbücher im Regal.

Hans fühlte sich sehr sicher, als er dem Doktor die Hand gab und seine ganze Leidensgeschichte erzählte.

„Moment einmal Herr Schröder“, unterbrach ihn jetzt der Mediziner. „Wie sehen denn ihre Familienverhältnisse zu Hause aus?“ Er machte eine kurze Pause und fragte gleich weiter. „Verstehen sie sich gut mit ihren Eltern?“

Jetzt hat er dich, durchfuhr es Hans.

„Mit meiner Mutter komme ich recht gut aus, nur mein Vater macht mir und auch meiner Mutter recht viel Ärger und Sorgen.“

„Ich verstehe“, unterbrach ihn der Doktor, „trinkt ihr Vater?“

Jetzt blieb Hans nichts weiter übrig als dies zu bestätigen. „Wie kommen sie darauf Herr Doktor? Aber er trinkt wirklich und bereitet uns somit viel Kummer.“

„Ja, Herr Schröder, wenn man mehr als dreißig Jahre in diesem Beruf ist, hat man eben seine Erfahrungen.“ Er schrieb ihm ein Rezept und meinte, „nach all ihren Schilderungen Herr Schröder, sind sie sehr sensibel veranlagt. Das heißt im Klartext, dass sie sich die täglichen Unebenheiten, die das Leben so mit sich bringt, sehr zu Herzen nehmen, was sich dann in Schmerzen des Nervensystems auswirkt. Diese Tabletten nehmen sie bitte täglich, jeweils eine morgens, nach dem Frühstück, was sie dann etwas ausgeglichener macht.“

Zufrieden meinte Hans beim Verlassen des Behandlungszimmers „Herr Doktor, ich glaube nun die Ursache meiner Kopfschmerzen verstanden zu haben. Recht herzlichen Dank für ihre Hilfe.“

Sehr erleichtert verließ er das Ärztehaus und fuhr zufrieden nach Hause.

 

*

 

Hans Schröder hatte sich ein paar Tage Urlaub geben lassen, um den Eltern bei der Getreideernte zu helfen. Bevor er aufs Feld fuhr, nahm er erst einmal eine Tablette ein, die ihm der Doktor verschrieben hatte.

Auf dem Gerstenfeld hatte der Vater schon einen Wagen voll gedroschen. „Na Hans, jetzt wird es aber höchste Zeit, dass du kommst“, jammerte er. „Bitte bringe den Wagen nach Hause und den großen Kipper vom Walter mit heraus. Da müsste dann der Rest noch draufgehen.“

Hans schaute etwas erschrocken. „Ist ja gut Vater, es hat eben in Amberg so lange gedauert. Jetzt bin ich doch hier.“

Er schwang sich auf den Traktor und fuhr vorsichtig los. Diese Arbeit machte Hans eigentlich recht viel Spaß. Gerne half er seinen Eltern auf dem Bauernhof. Da er aber jetzt als Elektriker umschulte, blieb ihm oft sehr wenig Zeit für die Arbeit auf dem Hof.

Nachdem das Getreide eingelagert war, stand auch schon wieder die Stallarbeit an. Im Durchschnitt waren täglich fünfzehn Kühe zu melken. Nachdem alle Tiere ihr erstes Gras im Futterbarren hatten, schaltete er die Melkmaschine an.

„Vater mache doch bitte die Milchkannen bereit“, rief Hans, „heute soll es etwas schnell gehen, denn ich möchte noch einmal in den Garten.“ Gustav hatte es auch eilig, denn auf ihn wartete der Dämmerschoppen.

Eigentlich war es ein anstrengender Tag, aber Hans hatte noch nicht genug, so dass er sich noch einmal in seinem Garten beschäftigte.

 

Der nächste Tag war der Geburtstag von Elisabeth Schröder, die 58 Jahre alt wurde. Für den späten Nachmittag war eine kleine Feier angesagt. Hans hatte seiner Mutter ein neues Handrührgerät gekauft. Seine Schwester Gretel war auch mit ihrem Mann Peter gekommen. Er freute sich besonders auf sein Patenkind Melanie.

Schon von weitem rief sie: „Hans, Hans wo ist Oma, ich habe ein Geschenk für sie. Rate einmal was ich für Oma gekauft habe?“

Hans schloss sein Patenkind in die Arme und drückte sie fest an sich. „Schön, dass du mitgekommen bist, sicherlich hast du für Oma etwas ganz besonderes gekauft.“

Er nahm Melanie an der Hand und führte sie ins Haus. Als Melanie ihre Oma sah, riss sie sich von Hans los und setzte sich auf deren Schoß, schlang ihre Arme um ihren Hals und drückte sie ganz lieb und fest. „Hier Oma, das habe ich für dich gekauft, zu deinen Geburtstag.“

Oma zeigte sich sehr erfreut. „Danke dir mein Kind, du bist doch mein ein und alles, den Wecker kann ich wirklich gut gebrauchen.“

Gretel und ihr Peter sahen sich dabei an. „Schön Mama, dass du heute an deinem Geburtstag so frohgelaunt bist“, lächelte die Tochter, „sicherlich hast du das verdient.“

Auch Peter hatte für seine Schwiegermutter ein Geschenk dabei. Das Abendessen schmeckte heute besonders gut. „Eure Mutter fühlt sich an ihrem Geburtstag sehr wohl“, bemerkte Gustav, „stoßen wir doch alle auf ihr Wohl an.“

Die Feierlichkeiten dauerten bis spät in die Nacht und Elisabeth meinte beim Aufbruch zu ihrer Tochter: „Heute war ein richtig schöner Tag. Hoffentlich kommt ihr drei recht bald einmal wieder.“

Melanie drückte ihre Oma noch einmal fest und versprach ganz bestimmt in der nächsten Woche vorbeizukommen.

Ihr Auto verschwand in der Dunkelheit.

Gustav holte sich noch einen Träger Bier aus dem Keller und grinste: „Ich kann jetzt noch nicht schlafen, brauche erst die richtige Bettschwere“, und setzte sich vor den Fernseher.

„Musst du dich denn sogar heute an meinem Geburtstag wieder besaufen?“, schimpfte seine Frau. „Du hast doch heute wirklich schon genügend getrunken.“

„Ach was, halt’s Maul, was der Körper verlangt muss er eben bekommen.“

Hans, der seinen Eltern nur zugehört hatte, schüttelte den Kopf. „Mutter du tust mir leid, aber dem Grobian scheint das alles egal zu sein.“ Er hastete eiligen Schrittes die Treppe hoch und verschwand in seinem Zimmer, indem er die Türe heftig zuschlug.

 

*

 

Es war Sonntag. Die Sonne schien schon durch das Fenster in das Zimmer von Hans, denn das alte Bauernhaus hatte keine Rollos. Er wurde durch einen warmen Sonnenstrahl aus dem Schlaf gerissen. Aufgeschreckt schaute er auf den Wecker der auf dem Nachtschränkchen stand. Die Zeiger standen auf 10.00 Uhr. Heute hatte er aber lange geschlafen. Mensch, da fiel ihm ein, heute war doch die Kürbisprämierung des Gartenbauvereins, da wollte er doch mitmachen. Eilig zog er sich an und rannte die Treppe hinunter. Seine Mutter stand schon längst in der Küche.

„Guten Morgen mein Junge, heute hast du aber lange geschlafen. Komm setz dich, ich mache dir das Frühstück zurecht.“

„Nein Mutter“, stotterte Hans, „ich habe keine Zeit, ich muss zur Kürbisprämierung.“

Die Mutter schimpfte los, „Hans, du kannst doch nicht ohne Frühstück aus dem Haus.“

Er beruhigte sie, „ich habe wirklich keinen Hunger.“ Hans eilte in den Vorratskeller und packte zwei seiner größten Kürbisse und fuhr davon.

Es war kurz vor 12.00 Uhr, als der Hobbygärtner wieder nach Hause kam. Seine Mutter empfing ihn schon an der Haustüre. „Na, hast du wieder gewonnen, wie im letzten Jahr?“, fragte sie erwartungsvoll.

Er winkte ab und erzählte enttäuscht: „Leider reichte es diesmal nur zum zweiten Platz, aber warte nur, nächstes Jahr werde ich wieder ganz vorne sein.“

Mutter tröstete ihn: „Du musst doch nicht immer gewinnen Hans“, und strich ihm leicht übers Haar. „Hatte ein anderer einen größeren Kürbis?“

„Wegen 70 Gramm musste ich mich geschlagen geben, aber ich gönne es der Frau Zenzinger vom Gemischtwarenladen.“

Er hielt seinen Pokal in der Hand und meinte. „Übrigens, morgen soll ich am Abend einmal rüber und ihr ein paar schwere Sachen hochtragen.“

„Komm jetzt Hans, das Essen steht schon auf dem Tisch. Dein Vater ist natürlich immer noch im Wirtshaus bei seinem elendigen Frühschoppen“, schimpfte seine Mutter jetzt. „Wenigstens am Sonntag könnte er pünktlich zu Hause sein.“

Wie konnte es anders sein, Gustav kam erst spät am Abend nach Hause und war wieder voll bis oben hin.

 

*

Der Arbeitstag verging für Hans heute ziemlich schnell, er war mit Benno Maier eingeteilt. Die beiden verstanden sich recht gut und Hans arbeitet gerne mit ihm zusammen. Heute wurden sie in einem Altbau eingesetzt um eine neue Hauptleitung vom Dachständer zum Zählerkasten zu legen. Er hatte es eilig an diesem Tag nach Hause zu kommen, denn Hans war sehr neugierig was er Frau Zenzinger tragen helfen sollte.

War er gestern doch etwas neidisch auf sie gewesen, wegen der Kürbisprämierung, so zeigte er sich heute doch hilfsbereit. Nicht einmal die Zeit für ein Abendbrot nahm er sich und eilte die Straße zu ihr hinunter.

Von weitem erblickte er schon den Laden und sah Frau Zenzinger in ihrem weißen Verkaufsmantel. Sie hatte ihn auch schon erwartet.

„Schön das Du kommst Hans“ rief sie in einem freundlichen Ton. „Du müsstest mir gleich ein paar Kästen Bier und Limo aus dem Keller holen.“

„Das mache ich doch gerne Oma Zenzinger“, wie er sie liebevoll nannte, „dafür bin ich ja gekommen.“

Und schon war Hans auf dem Weg. Den alten Felsenkeller kannte er noch von früher, da er hier oft mit ihren Enkelkindern gespielt hatte, bevor sie nach München zogen.

Hier blieben ihre Sachen durch eine gleichbleibende Temperatur optimal gelagert. Die schwere Kellertüre knarrte als Hans sie öffnete. Mensch ist das ein riesiger Keller, dachte er, bestimmt dreimal so groß wie unserer auf dem Hof.

Als er auch noch ein paar Trommeln Waschpulver in das Regal gestellt hatte, wandte er sich an Frau Zenzinger.

„Mensch Oma, hast du ein sauber geordnetes Lager, das hätte ich nicht gedacht.“

Frau Zenzinger trat ein paar Schritte näher und lächelte. „Ja Hans, Ordnung ist das halbe Leben, aber das wirst du ja auch selber wissen mein Junge.“

Hans schaute sich neugierig die gefüllten Ladenregale an. „Das muss ich dir lassen, hier hat alles seinen Platz, da macht der Verkauf bestimmt auch Spaß.“

Frau Zenzinger schaute auf ihre Uhr. „Was, es ist schon 18 Uhr 10?“, rief sie erschrocken, „da muss ich ja die Ladentüre abschließen.“

„So schlimm wird es bei uns auf dem Dorf mit dem Ladenschlussgesetz nicht sein“, erwiderte Hans, „aber es ist schon richtig, Ordnung sollte sein.“

„Was ist Hans?“, fragte Frau Zenzinger und sah ihn dabei lächelnd an. „Machst du noch mit mir Abendbrot? Du weißt ja, sonst bin ich auch immer so alleine.“

Hans war etwas überrascht.

„Warum eigentlich nicht“, meinte er nach kurzem Überlegen. „Heute habe ich sowieso noch nichts gehabt.“

„Das ist aber schön von dir“, strahlte sie zufrieden. „Da nehme ich noch etwas Wurst mit nach oben.“

Er blieb fast zwei Stunden bei Oma Zenzinger. Es hatte ihn sichtlich ergriffen, als sie ihm aus ihrem Leben erzählte. Da hat sie auch einiges durchmachen müssen, ging es ihm auf dem Heimweg durch den Kopf.

 

***

 

Die folgende Woche verging auf dem Schröderhof ohne besondere Ereignisse.

Es war Samstag und Hans wollte mit seinem Vater noch das letzte Getreide, den Weizen, auf dem Feld dreschen.

Als er früh aufwachte und mit einem verschlafenen Blick aus seinem Zimmer schaute, ging ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunter. „Das kann es doch gar nicht geben“, stammelte er bedrückt.

Auf dem Hof draußen prasselte der Regen und es war natürlich nicht möglich, heute den Weizen zu ernten.

Eine Katze strich pudelnass über den Hof und verschwand in der alten Scheune. Vom großen Nussbaum hatte der Wind einen Ast abgebrochen. Hans ließ seinen Blick zur Hauptstraße hin schweifen. Eine Frau, die er nicht erkannte, lief durch einen Regenschirm geschützt die Straße hinunter in Richtung Gemischtwarenladen.

Mit betroffenen Gesicht, ließ sich Hans noch einmal auf sein Bett nieder. Er verharrte einige Augenblicke in dieser Stellung. Nachdem er sich angezogen hatte, ging er hinunter in die Küche. Seine Eltern saßen schon am Frühstückstisch.

„Guten Morgen, so ein mieses Wetter, was Vater? Heute hätten wir den Weizen Dreschen können. Daraus wird jetzt nichts mehr“, meinte Hans ärgerlich.

„Da kann man nichts machen“, tröstete ihn seine Mutter. „Aber es kommen ja auch wieder sonnige Tage. So ist eben das Leben auf einem Bauernhof, immer zu einer Überraschung bereit.“

„Hans mache dir nichts daraus, die zwei Hektar bekommen wir schon auch noch rein“, ergänzte Gustav. „Wenn es gar nicht anders geht, musst du in der nächsten Woche noch einen Tag Urlaub machen. Du weißt ja selbst, alleine mit deiner Mutter schaffe ich das nicht.“

„Ist schon gut Vater“, entgegnete Hans, „ich helfe euch doch immer, wenn es geht.“

„Jetzt hätte ich es doch fast vergessen Hans“, jammerte erschrocken seine Mutter. „Frau Fenzlein von der Mühle unten hat gestern angerufen, ob du nicht ihr Wohnzimmer tapezieren könntest?“

„Heute würde es ja gehen Junge“, meinte Gustav und strich sich noch ein Brot, „da kannst du noch ein paar Mark nebenbei verdienen.“

„Sicher geht es heute. Hoffentlich hat sie nicht wieder diese Strukturtapeten gekauft, denn diese kleben sich immer so schlecht“, stimmte Hans zu.

Seine Mutter goss ihm noch eine Tasse Kaffee ein. „Esse nur erst mit Ruhe mein Junge, denn ohne Kaffee gehst du mir nicht aus dem Haus“, meinte sie etwas besorgt.

„Ja, ja, ist schon gut. Du brauchst aber nicht zu denken, dass ich zum Mittagessen nach Hause komme. Frau Fenzlein kocht immer für mich mit, wenn ich etwas für sie arbeite.“

Hans, der handwerklich sehr geschickt war, tapezierte öfters in der Nachbarschaft. Ihm machte es auch Spaß so nebenbei noch etwas zu verdienen, denn als Umschüler bekam er ja auch nicht den vollen Lohn ausgezahlt.

Schnell hatte er seinen weißen Maleranzug angezogen und das Werkzeug zusammengeholt.

„Na, dann bis heute Abend. So gegen 19.00 Uhr werde ich bestimmt wieder zu Hause sein“, meinte Hans als er aus dem Haus ging. Im Flur nahm er sich noch einen Schirm, denn der Regen wollte einfach nicht nachlassen.

Frau Fenzlein war Witwe und wohnte alleine in der alten Mühle. Ihr Mann war schon vor fünf Jahren gestorben, obwohl er erst 43 Jahre alt war. Er hatte Blutkrebs. Frau Fenzlein ging auch heute mit ihren 45 Jahren noch manchmal zum Tanz der älteren Generation nach Amberg. Sie war eine attraktive Frau, doch einen festen Freund hatte sie noch nicht wieder gefunden. Sicher war sie in dieser Beziehung etwas wählerisch.

Als Hans an der Haustüre klingelte, rief sie schon: „Augenblick noch, ich komme sofort.“

Wahrscheinlich war sie erst Aufgestanden, ging es Hans durch den Kopf. Da hörte er auch schon ihre Schritte, als sie zur Tür ging um aufzuschließen.

„Guten Morgen Hans. Nett, dass du heute schon kommen kannst. Ich habe mir schon gedacht dass ihr zu Hause bei diesem Wetter nicht viel arbeiten könnt“, meinte sie und bat ihn herein.

„Guten Morgen Frau Fenzlein, sicher müssen wir erst noch ausräumen?“, fragte Hans. „Sie konnten ja nicht ahnen, dass es heute mit dem Tapezieren schon klappt.“

„Das geht schnell“, lächelte sie. „Die Sachen stellen wir nur hinaus in den Flur.“ Es ging wirklich schnell und er konnte den Tapeziertisch aufstellen.

„Könnten sie mir etwas helfen, die alten Tapeten zu entfernen?“, fragte er etwas schüchtern.

„Sage doch ruhig du zu mir Hans, wir kennen uns doch wohl gut genug. Ich bin die Helga, okay?“

„Alles klar Helga. Wir sind ja schon immer gut miteinander ausgekommen“, stammelte Hans, jetzt doch etwas verlegen.

Das Tapezieren ging gut voran, denn Helga packte richtig mit an. Sie hatte das Einstreichen der Tapeten übernommen.

Zum Mittagessen gab es Apfelstrudel, den Hans besonders gerne mochte, was Frau Fenzlein auch wusste.

Hans trank sonst kaum Alkohol, aber heute hatte er schon zwei Bier getrunken. Helga strich die letzte Bahn mit Kleber ein. Es war inzwischen schon 17.00 Uhr.

„Wunderbar sieht das Zimmer jetzt wieder aus, was Hans?“, fragte Helga etwas stolz.

„Es freut mich für dich, dass es großartig geworden ist, aber schließlich hast du die Tapeten selbst ausgesucht.“

„Komm wir stellen schnell die Möbel wieder hinein, damit ich im Flur wieder Platz bekomme“, meinte Helga und hatte auch schon den Tisch angehoben.

„Sicherlich helfe ich dir, denn alleine schaffst du ja die schweren Stücke nie“, antwortete er und packte hilfreich mit an.

Als alles wieder auf seinem Platz stand, war der Junge auch stolz, dass alles so schön geklappt hatte. Ohne die Hilfe von Helga wäre er heute nicht fertig geworden.

„Setz dich Hans, wir machen noch Abendbrot; das haben wir uns redlich verdient“, stellte sie richtig fest.

„Eigentlich wollte ich mir heute die Sportschau im Fernsehen anschauen, aber das ist nicht so wichtig“, seufzte Hans.

„Du brauchst doch nur anzuschalten Hans, da unten im Schrank steht der Kasten“, forderte Helga ihn auf.

Das ließ sich Hans nicht zweimal sagen und schaltete den Fernseher ein. „Ich muss doch wissen, wie meine Mannschaft, die Münchner Bayern heute in Bremen gespielt haben. Du Helga, wenn sie gewonnen haben sind sie wieder Tabellenführer“, erzählte er in einem belehrenden Ton.

Frau Fenzlein richtete unterdessen das Abendbrot im Esszimmer an. Sie hatte sonst sehr selten Besuch, aber wenn sich die Gelegenheit bot, musste dieser ihr schon etwas Gesellschaft leisten. Mit ihren Arbeitskolleginnen ging sie gelegentlich zum Essen oder lud eine zu sich zum Essen ein. Im Grunde fiel es ihr schwer in der Mühle ganz alleine zu leben, aber so hart konnte das Leben sein.

„Komm Hans, das Essen ist angerichtet. Du kannst ja auch vom Esszimmer aus weiter Fußball schauen“, rief sie ihm zu.

„Ja, ich komme“, entgegnete er und setzte sich an den Tisch. „Da hast du dir aber große Mühe gemacht“, lobte er sie, „bei uns zu Hause gibt es fast nie gekochten Schinken.“

„Lasse es dir nur gut schmecken, du hast ja auch den ganzen Tag über gearbeitet. Richtig stolz bin ich jetzt auf mein Wohnzimmer.“ Sie stellte ihm noch ein Bier hin und strich ihm sanft übers Haar. „So große Kinder hätte ich jetzt auch schon haben können, wenn mein Mann ...“

„Alles im Leben, kann Niemand erreichen“, unterbrach sie Hans, „man muss eben immer das Beste aus seinem Dasein machen“, fügte er noch gut gemeint hinzu.

Es schmeckte heute besonders, deshalb nahm er sich noch eine Scheibe Brot. Eigentlich hatte er auch noch nicht sehr viel von seinem Leben gehabt, ging es ihm durch den Kopf. Nur Arbeit, Mühe und nun kam auch noch sein Vater hinzu, der ihm und seiner Mutter nur Kummer und Ärger mit seiner Trinkerei bereitete.

Helga hatte schon längst den Tisch abgeräumt und setzte sich jetzt zu Hans in das Wohnzimmer. Im Fernsehen liefen gerade die Nachrichten.

„Was ist Hans, trinken wir zum Abschluss des Tages noch eine Flasche Sekt miteinander?“, wandte sie sich jetzt an ihn.

„Nein, lieber nicht“, antwortete er. „Ich vertrage kaum Alkohol. Heute habe ich schon drei Bier getrunken, soviel sind es sonst die ganze Woche nicht.“

„Das war aber auch ein langer Tag“, beruhigte ihn Helga, „ein Glas Sekt kannst du schon noch trinken“, und ging dabei in die Küche um eine Flasche aus dem Kühlschrank zu holen.

„Ja meinetwegen, dann mache ich dir eben die Freude“, stotterte er, der schon etwas angeheitert wirkte.

„Wusste ich es doch, du bist ja so ein lieber Junge, deine Eltern können stolz auf dich sein.“

Sie schenkte zwei Gläser ein und machte auch noch eine Schale mit Salzstangen zurecht.

Helga nahm in einem Sessel Platz und ergriff ihr Glas. „Komm Hans, trinken

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 24.03.2014
ISBN: 978-3-7309-9472-6

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