In meiner Erholungsmaßnahme im Schwarzwald hatte mir ja schon eine Bettnachbarin abends heimlich zugeraunt, ob ich schon wüsste, wie die Babys entständen? Nein, ich war damals zehn Jahre und hatte von nichts eine Ahnung. Aber so richtig interessiert hat mich ihre Erklärung von einem „langen Schlauch, den die Männer zwischen den Beinen hätten und ihrer Frau in den Bauch stecken würden und daraus käme dann etwas, woraus die Babys im Bauch der Mutter wachsen würde und wenn sie groß genug seien, dann im Krankenhaus herausgeholt würden“ auch nicht.
Ich hatte zwei jüngere Schwestern, eine vier und die Jüngste sieben Jahre nach mir geboren. In unserer Großfamilie war immer soviel los, dass ich einfach nicht mitbekam, das Mutter einige Tage im Krankenhaus war. Ich wurde dann zu einer der Großtanten geschickt. Ich sah die neuen Geschwister erst, wenn sie mit Mutter zuhause ankamen.
Es herrschte dann jeweils keine Riesenfreude, denn Mutter war eigentlich schon mit mir überbelastet. Meine zweite Schwester war das Ergebnis einer riesigen Wiedersehensfreude als mein Vater uns aus der sowjetischen Zone, wo meine Mutter mit mir evakuiert worden war und Vater uns auf gefahrvollen Wegen nach Hause holte.
Meine zweite Schwester, die sieben Jahre Jüngere, war das Ergebnis einer “Fehldiagnose“, die ein Arzt im Krankenhaus gestellt hatte. Mutter bekam als Einzige aus der Familie Typhus und lag sechs Wochen auf einer Isolierstation, wo wir sie nur von außen am Fenster sehen durften. Anschließend eröffnete ihr der Arzt, dass sie nun leider keine Kinder mehr bekommen könne!!!! Prompt wurde Mutter nach etwa zehn Monaten wieder mit einer dritten Tochter beglückt!
Danach war „Stille im Walde“ – aber wie zu dieser Zeit üblich - als Kind erfuhr man nichts.
Ich bekam meine 1. Periode mit noch nicht zwölf Jahren und wurde mit entsprechendem Bindegürtel und Camelia ausgerüstet. Als ich das erste Blut in meinem Schlüpfer sah, schrie ich vor Schreck laut auf, weil ich dachte, eine schlimme Krankheit zu haben.
Nun erst erbarmte sich Mutter, mir die ersten Lektionen “ zur Frau reifen“ zu erteilen.
Erst erklärte mir sie, dass ich nun jeden Monat meine Periode bekommen würde. Das hätten alle Frauen und ab diesem Zeitpunkt wäre ich kein Kind mehr sondern eine wachsende junge Frau und somit die Möglichkeit, ein Baby zu bekommen. Da fielen mir die Worte meiner Bettnachbarin im Erholungsheim ein.
Ich fragte Mutter nun, ob sie mir das erklären könne, was ich da gehört hatte!
„Himmel, nein so etwas“, rief Mutter „das hätte ich ja nie gedacht, dass in einem Kindererholungsheim so etwas geredet wird!!!“ Ich hatte sie regelrecht in größte Verlegenheit gebracht. Ich sehe die nun folgende Szene noch deutlich vor mir: Wir lagen zusammen auf der Couch mit einer Decke zugedeckt, Mutter war nach einigem Nachdenken, was sie mir nun erklären solle, erst einmal stumm. Dann machte sie mit beiden aneinander gelegten Zeigefinger eine Bewegung über ihrem Bauch, öffnete die beiden Finger und sagte, wobei von der Zeugung nun gar nichts erwähnte wurde: “ Wenn das Baby groß genug ist, öffnet sich der Leib der Mutter und das Kind kommt auf die Welt!!!“ Mehr war nicht zu erfahren und ich hatte nun den festen Eindruck, nach ihrer „Fingervorführung“ ,dass das Kind aus dem Bauchnabel heraus komme.
Mehr erfuhr ich nicht und sprach auch nicht mit Freundinnen, die alle auch nichts Genaues wussten, nicht darüber.
Etwa zwei Jahre später kam im Biologieunterricht auch so etwas wie eine „Aufklärungs-stunde“! Dazu brachte die Lehrerin ein Skelett mit in den Klassenraum. Auch sie, ein lediges Fräulein, begann mit dem Ende einer „Menschwerdung“ – der Geburt. Dazu erklärte sie einiges zu den Wehen und wie lange und schwierig es oft für Mutter und Kind sein konnte, wenn das Kleine, meist mit dem Kopf voran, durch den engen Geburtskanal sich in die Welt kämpfen müsse. Das sei für sehr eng gebaute Frauen mit schmalen Becken sehr schlimm. Dabei ging sie mit ihrer Hand in den Bauchraum des Skeletts und zeigte uns den Weg des Babys.
Ich war schon immer eine Schülerin, die im Zeugnis stehen hatte: Annelie beteiligte sich stets aufmerksam und sehr rege dem mündlichen Unterricht!
Diesmal war dies nun allerdings wenig gut für mich! Ich reckte die Hand – alle Schülerinnen waren ruhig – und als die Lehrerin mich aufrief, sagte ich völlig überzeugt, dass sie sich da irren würde, ich wüsste ganz genau von meiner Mutter, dass das Kind aus dem Bauchnabel käme und da könne das Becken schmal oder breit sein, das wäre dann kein Hindernis.
Die Schülerinnen, die schon offensichtlich aufgeklärter waren, lachten zwar leise aber darum nicht weniger hämisch. Die Lehrerin wurde hochrot, wollte meine Mutter nicht bloßstellen und sagte, ja in einer Notsituation würden die Ärzte einen „Kaiserschnitt“ machen, damit das Kind bei Problemen der Mutter, gesund zur Welt käme.
So war das in den 50iger Jahren – von Aufklärung wenig bis nichts und die ersten Kontakte mit jungen Männern wurde von den Eltern mit Argusaugen bewacht. Sie mussten sich erst meinen Eltern vorstellen, wer sie waren und dass sie mich spätesten um neun Uhr nachhause zu bringen hätten. Das hielt selbst der verliebtest Knabe nicht aus und so konnte ich nur mit Freundinnen ausgehen. Durch diese Kontakte war ich praktisch gezwungen, heimlich mit jungen Freunden auszugehen. Das ging so weit, dass ich Fortbildungsmaßnahmen über das Wochenende vorschob, wohl wissend, dass Vater dies nachprüfen würde. So fuhr ich also mit meinen Freundinnen und Freunden erst einmal zu dieser Fortbildung, meldete mich dort ordnungsgemäß an, ging in das Zimmer, durchwühlte das Bett, ließ einige alte Utensilien liegen und dann fuhren wir an die See.
Zum Glück kamen die Eltern nicht dahinter. Nur einmal hatte ich ein wenig Unruhe. Da kam ein Päckchen mit meinen liegen gelassenen Utensilien an. Zum Glück nahm es meine Großmutter entgegen und übergab es mir ohne weitere Nachfrage.
Trotz allem möchte ich sagen, dass ich diese heimliche Erkenntnis besser finde als die heutige „Aufklärung“, die ich so manches Mal als viel zu früh und auch keineswegs respektvoll erlebe. Vielfach höre ich rüde, ordinäre Beschreibungen und was Kinder im Internet so präsentiert wird, hat nichts mit enger Vertrautheit und erst recht nichts mit Liebe zu tun.
Texte: Annelie Heyer
Tag der Veröffentlichung: 12.04.2013
Alle Rechte vorbehalten