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Die Reise nach Genua.

Emil Sieben besaß einen kleinen Laden in einer mittelgroßen Stadt. Oberhalb des wenig einladenden Schaufensters war in Leuchtschrift zu lesen:

Farben – Lacke - Pinsel - Tapeten

Inhaber : Emil Sieben

Als einziger Sohn hatte er nach dem Tod seines Vaters das Geschäft seines Erzeugers, sowie dessen Aussehen und Charaktereigenschaften geerbt. Seine Mutter verstarb einige Jahre vor ihrem Mann.

Emils Frau, eine stille, fügsame Person, die ihm den Haushalt tadellos führte, im Laden half wenn es erforderlich war und einer grauen Maus nicht unähnlich sah, hatte weder genug Verstand noch würde ihr je der Gedanke gekommen sein, dass ihr Mann sie in einem fort belog und betrog.

Elf Monate nach der Hochzeit kam, nach einer sehr schweren Geburt,das einzige Kind - ein Sohn - zur Welt. Er wurde nach seinem Vater ebenfalls Emil genannt. „So kann er, ohne unseren Firmennamen zu ändern, später das Geschäft übernehmen“!“ erklärte Emil mit Stolz diese Namensgebung.

Danach rührte er seine Frau nie mehr an. Sie glaubte, er nehme Rücksicht auf sie und war ihm dankbar. Die Sexualität hatte ihr, in ihrer Unerfahrenheit und Naivität, keinerlei Freuden bereitet. Ihr Mann hatte ohne jede Zärtlichkeit, recht roh und sehr schnell seinen Orgasmus herbeigeführt. Seine Frau kam nie zu einem Höhepunkt, das merkte er sehr wohl aber es war ihm herzlich gleichgültig.
Emil hatte seinen Sohn als „eine Art Alibi“ benötigt, denn seine sexuellen Vorlieben lagen auf einem ganz anderen Gebiet. Als Ehemann und Familienvater waren seine Pflichten erfüllt und niemand wäre auf die Idee gekommen, in diesem bescheiden lebenden, kleinen Geschäftsmann einen völlig anders gearteten Lebemann zu vermuten.

Sei es nun, dass Emil junior seinem Vater in keiner Weise ähnlich sah, noch dessen Eigenarten besaß oder dass seine Freunde ihn im Laufe seiner Jugend beeinflussten, er "schlug völlig aus der Art“ – wie sein Vater häufig bemerkte – jedenfalls hatte er  nicht vor so lieblos und kärglich zu leben wie seine Eltern.

Er hasste den Geiz seines Vater, der die große Leinölflasche, wenn er für Kunden daraus die gewünschte Menge abgefüllt hatte, mit seinen kleinen, dicken Wurstfinger den letzten Tropfen, der am Flaschenhals hinunterrollte, zurück in die Flasche strich und dabei stets murmelte: „ Der ganze Verdienst geht flöten, der ganze Verdienst geht flöten, wenn man nicht aufpasst!!“
Die Kosten für den Haushalt wurden so niedrig wie möglich gehalten. Nicht, dass man gehungert hätte aber alle Ausgaben wurden täglich im Haushaltsbuch festgehalten, dem Vater entging nichts und er rügte seine Frau wenn sie nach seiner Meinung zu teuer eingekauft hatte. Die Kleidung der Familie war von billigster Ware. Urlaub oder sonstige Vergnügungen gönnte der Vater weder sich noch seiner kleinen Familie.
Da der Laden keineswegs viele Kunden anlockte, hatte Emil jun. sich mit der bescheidenen Lebensführung abgefunden. Bevor er noch eine ernsthafte Entscheidung über sein zukünftiges Leben und dessen Verwirklichung treffen konnte, geschah das völlig Unfassliche:
Sein Vater Emil starb auf eine so unglaubliche Weise, dass niemand, der davon hörte, es glauben wollte:
Angeblich war er zu einer mehrtägigen Geschäftsreise aufgebrochen. Das kam hin und wieder vor. Keiner zweifelte an seinen Angaben.

So saßen Mutter und Sohn vereint in dem Gedanken, es müsse sich um eine Verwechslung handeln, nachdem ihnen ein Telegramm einer Reederei aus Hamburg zugestellt wurde, welches besagte, dass Emil Sieben leider am zweiten Tag seiner einwöchigen Mittelmeerkreuzfahrt Genua - Genua, tot im Bett seiner Kabine aufgefunden wurde und der Schiffsarzt einen Herzinfarkt diagnostiziert hatte. Man bat um alsbaldige Rückmeldung, welche Maßnahmen die Angehörigen zwecks Überführung des Toten treffen wollten. Gerne bot man an bei allen amtlichen Vorgängen behilflich zu sein.
Das war auch dringend nötig, denn Frau Sieben war der Situation in keiner Weise gewachsen. Sie saß hilflos da, schüttelte unentwegt den Kopf und murmelte vor sich hin:“ Das kann nicht sein, wie ist er dahin kommen und wie hätte er das bezahlen sollen?!“
Sohn Emils Erstaunen und seine Ungläubigkeit über diese Tatsachen verschwanden schnell und seine Trauer über den Tod des Vaters hielt sich sehr in Grenzen!
Es zeigte sich, dass Emil jun. sehr wohl in der Lage war, die richtigen Entscheidungen schnell zu treffen.
Er wusste, dass sein Vater seit vielen Jahren die Dienste eines Rechtsanwaltes, mit dem er ein nahezu freundschaftliches Verhältnis unterhielt, hin und wieder in Anspruch nahm.

Den suchte Emil jun. als erstes auf um ihn vom plötzlichen Tod seines Vaters in Kenntnis zu setzten. Er bat ihn um Rat und Hilfe, die ihm auch sofort zugesagt wurden. Der junge Emil nahm mit Erstaunen wahr, dass der Anwalt vom Tod seines Vaters erschüttert,ja geradezu erschrocken schien.
Der Anwalt besorgte alle nötigen Papiere die bewiesen, dass Emil jun. Sieben der einzige Sohn und mit der Vollmacht seiner Mutter ausgestattet, gültige Schritte unternehmen konnte.

Die Reederei ließ sich auf den Vorschlag ein, den Toten nach Eingang der schriftlichen Genehmigung der Familie, einzuäschern und die Urne mit der Asche des Toten im Krematorium bei Genua aufzuwahren. Der Sohn Emil würde sie so schnell als möglich abholen. Dort konnten dann die entsprechenden Urkunden von ihm unterzeichnet werden. Das Gepäck des Toten wurde vorab der Familie zugestellt.
Der Anwalt hatte Emil gebeten, nach diesen ersten Schritten, einen Termin mit ihm zu vereinbaren, da noch etliche wichtige Dinge seines Vaters zu regeln seien.
„Bitte“, forderte er den jungen Mann auf, der nach wenigen Tagen zu ihm kam „nehmen Sie Platz, es wird ein längeres Gespräch werden, denn ich muss Sie über etliches, was Ihren Vater betrifft, in Kenntnis setzen.
Der Anwalt ließ Kaffee und Gebäck bringen und die Sekretärin bekam die Anweisung sämtliche Akten in Sachen "Emil Sieben“ hereinzubringen.
Inzwischen erklärte er dem Sohn folgendes: „ Ich habe das notariell beglaubigte Testament Ihres Vaters hier und bevor ich Ihnen dieses übergebe, muss ich Sie erst mit einigen Tatsachen konfrontieren. Ihr Vater ist, nun ja „war“, ein schwer reicher Mann. Ich weiß, dass Sie das nicht glauben können, denn ärmlich wie er lebte hatte jeder den Eindruck, dass er wohl gerade so über die Runden kam.“
Der Anwalt machte eine kleine Pause und ließ seine Worte auf den jungen Mann wirken.

„Darf ich wissen, was Sie unter „schwer reich“ verstehen, ich kann das nicht begreifen,“ antwortete Emil und er fühlte, wie er innerlich zu zittern begann.

„Ja, das ist auch nicht leicht für mich, Sie nun mit den Einzelheiten zu konfrontieren! Es wird Sie sicherlich erschüttern aber nur in vollkommener Offenheit kann ich Ihnen alles der Reihe nach erklären.
Die Sekretärin betrat mit einer Reihe von Akten das Büro.
Als sie wieder den Raum verlassen hatte, fuhr der Anwalt fort: „Es ist gut, dass Sie ohne Ihre Mutter zu mir gekommen sind und ich gebe Ihnen den guten Rat, ihr nicht alles wiederzugeben, was ich Ihnen nun berichte. Sie würde es ohnehin nicht verstehen und sie könnte den Schock wohl auch nicht verkraften!“
Emils Gedanken überschlugen sich und sein Herz raste. Was würde denn nun auf ihn zukommen?!

„ Als erstes versichere Ihnen, dass niemand von diesen Vorgängen etwas weiß! Nur ich und gleich Sie! Ihr Vater hatte ein Liebesverhältnis mit meinem Vorgänger, über viele Jahre hinweg und dieser muss ihn wohl sehr geliebt haben. Jedenfalls hat dieser Rechtsanwalt sein gesamtes Vermögen ihm alleine vermacht. Er starb vor vierzehn Jahren an einem Gehirnschlag und hatte keine Angehörigen und auch keine eigene Familie. Sein Vermögen belief sich auf mehrere Millionen DM, da ihm ganze Straßenzüge mit den besten Häusern in der Stadtmitte, teilweise mit sehr erfolgreichen Geschäften vermietet, gehörten. Dies alles hatte der Anwalt zu Anfang des Krieges von reichen Juden erworben, die wohl noch versucht hatten aus Deutschland zu fliehen. Dass er nur einen Bruchteil des Wertes dafür gezahlt haben wird, konnte ihm nach dem Krieg keiner nachweisen. Jedenfalls hat nie einer der Verkäufer je eine Anzeige erstattet und über deren weiteres Schicksal wurde auch nichts bekannt. Mein Vorgänger lebte genau so unauffällig wie Ihr Vater.
Als ihm die Arbeit in der Kanzlei zuviel wurde, ich arbeitete schon einige Zeit mit ihm zusammen, bot er mir die Partnerschaft an und da er sehr viel älter war als ich, erklärte er mir eines Tages, dass er in seinem Testament verfügt habe, dass nach seinem Tode die Kanzlei mir gehörte.
Gelegentlich brach mein Partner mit Ihrem Vater für einige Tage zu einem exklusiven Urlaub auf. Mehr kann ich Ihnen nicht erklären, denn so hat Ihr Vater mir dies alles vor Jahren erzählt. Sie müssen bedenken, dass zu damaligen Zeiten Homosexualität strafbar war und jeder sich hütete seine Veranlagung öffentlich zu machen. Erst recht niemand, der verheiratet war und ein Familienleben führte. Der Ruf beider Männer wäre ruiniert gewesen. Selbst ich habe, da die Beiden sehr verschwiegen waren, nichts von einem Liebesverhältnis bemerkt.
Ihr Vater blieb - auch nach dem Tod seines Freundes - mein Klient. Sein Testament, welches er in meiner Anwesenheit bei einem Notar niederlegte, überreiche ich Ihnen hiermit. Sie sind der Haupterbe mit der Maßgabe, Ihre Mutter zeitlebens sehr gut zu betreuen und ihre Wünsche zu erfüllen. Da sie nichts von allen seinen Machenschaften erfahren sollte, wurde ich beauftragt darüber zu wachen, dass Sie diese Abmachungen auch stets einhalten.“

Es herrschte eine Weile völlige Stille. Emil hatte dies alles regungslos angehört. Wie der Alte das nur so lange vor uns verschwiegen und den armen Mann gespielt hat, dachte Emil voller Zorn, und uns darben ließ? Dieser Widerling!!

Noch völlig verwirrt erklärte er dem Anwalt: „Ich habe durch dieses plötzliche Ableben meines Vaters größere Ausgaben, die ich nicht zur Verfügung habe und möchte Sie bitten, mir zu sagen, wie ich nun nach Ihren Erklärungen mit der Situation umgehen kann? Alles andere, was ich hier gehört habe, muss ich erst einmal in Ruhe bedenken. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen!“
„Ihr Vater hat sein Vermögen, auf meine Ratschläge hin, sehr gut angelegt. Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, Ihnen dies alles aufzuschlüsseln. Sie können sofort über eine Summe im Rahmen von etwa zweihunderttausend Euro frei verfügen. Wenn Sie es wünschen, stehe ich Ihnen auch weiterhin zu Verfügung ,“ entgegnete der Anwalt.
Emil bedankte sich und sollte nicht zu bereuen haben, dem Anwalt weiter sein Vertrauen zu schenken!

Er musste erst einmal seine Gedanken über das Gehörte ordnen. Er ging in den nahegelegenen Park und traf zum Glück keinen Menschen, den er kannte. Seine Gedanken liefen im Kreis. Was sollte er seiner Mutter sagen? Wie mit dem vielen Geld verfahren? Solche Summen, zum großen Teil nicht ehrlich erworben, gehörten ihm nicht!
Ein Gewissen hatte sein Vater wohl nie besessen. Emils innere Stimme sagte ihm, dass er nicht sein Vater sei. Er stand nun vor der schweren Entscheidung, wie sein Leben weitergehen sollte! Dabei konnte ihm niemand helfen.
Erst am späten Abend kam er nach Hause.

Seine Mutter hatte sich schon Sorgen gemacht, wo er nur so lange geblieben sei.
„ Komm, Mutter, setze dich hin, ich habe dir viel zu erzählen. Vater wollte dich überraschen und die Reise hat er gemacht um sich zu überzeugen, dass es dir gefallen würde!! Wahrscheinlich hat er sich darüber so aufgeregt, dass er einen Herzinfarkt erlitt und daran verstarb. Er füllt doch schon seit Jahren immer zwei gleiche Lottoscheine aus und hatte vor wenigen Wochen zweimal sechs Richtige damit gewonnen, insgesamt drei Millionen Euro! Gesagt hat er uns nichts und ich habe es nur von seinem Anwalt erfahren, dem er das Geld anvertraut und von ihm anlegen ließ. Er wollte uns überraschen und so nach und nach ein völlig anderes Leben mit seiner Familie führen. Nun werde ich diese Aufgabe übernehmen, Mutter!“
Frau Sieben saß fassungslos am Tisch hörte nur zu, stellte keine weiteren Fragen und Tränen liefen ihr über die schmalen Wangen.
„Welch’ ein Glück, dass es dich gibt, mein Sohn, du bist nicht wie dein Vater und wirst alles richtig machen!“ Mehr sagte sie nicht und streichelte ihm minutenlang die Hände!

Emil fuhr in den nächsten Tagen die Asche seines Vaters abholen.
Während der langen Fahrt hatte er genügend Zeit, seinen Entschluss zu überdenken.
Danach vereinbarte er einen weiteren Termin mit seinem Anwalt und teilte ihm mit, dass er sich entschieden habe, von dem Erbe des Vaters für sich und seine Mutter drei Millionen Euro zu nehmen.
„Ich kann nicht handeln wie mein Vater, ich könnte damit nicht leben! Auf er Fahrt nach Genua und zurück habe ich mich entschieden, das restliche Geld an die Ärmsten der Welt zu verteilen. Das fiel mir nicht schwer. Nur die Entscheidung, wer es erhalten sollte, war eine schwere Wahl! Ich werde es keiner Organisation senden. Da bin ich mir nicht sicher, dass das Geld auch wirklich den Menschen zukommt, die es benötigen. Erst einmal möchte ich zu hause einiges regeln und ich bitte Sie, mir eine Liste der bedürftigsten Volksgruppen auf dieser Welt zusammenstellen und dann werde ich dorthin reisen und das Geld persönlich abgeben um zu sehen,wie den Leuten damit geholfen wird. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich auf diesen Reisen begleiten!
Der Anwalt sah ihn lange an und erwiderte: „Ich wusste schon von den Erzählungen Ihres Vaters, dass Sie ein ganz anderer Mensch sind als er. Und als Sie dann herkamen und mit mir sprachen, da war ich mir sicher, dass dieses - teilweise sehr unselig - erworbene Erbe doch noch einen guten Weg gehen würde!
Ich reise sehr gerne mit und werde mit Ihnen an der Freude der Menschen, denen geholfen wird, teilnehmen!“
Mit einem festen Händedruck verabschiedete sich Emil.

 

Impressum

Texte: Alle Rechte by Genoveva
Bildmaterialien: BookRix
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2012

Alle Rechte vorbehalten

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