Cover

Der einäugige Schäferhund





Er biss genüsslich in d

en Apfel und kaute laut und vernehmlich mit offenem Mund. Den angewiderten Blick seiner Frau quittierte er mit boshaftem Grinsen.
Sie saß ihm gegenüber auf dem Sofa, eine rot-weiß gestreifte Katze auf dem Schoß, die unter ihren streichelnden Händen wohlig schnurrte.
Ein pechschwarzer, dickbäuchiger Kater lag schlafend zu ihrer rechten Seite. Soeben sprang die älteste, graugetigerte Susi auf das Sofa, fauchte die Rotweiße an, wetzte kurz die Krallen an der Armlehne und rollte sich zu ihrer Linken zusammen.
Zu Füßen seiner Frau schlief der Pekinese. Sie hatte kleinere Tiere, die sie knuddeln und auf den Arm und mit ins Bett nehmen konnte, am liebsten!
Wie er diese ganze haarige Gesellschaft zum Teufel wünschte!

Einzig der Schäferhund, ein kräftiges und kluges Tier seiner Rasse, eben ein „richtiger Hund“ wie er ihn nannte, besaß seine Anerkennung. Vor sieben Jahren hatte seine Frau ihm diesen als Welpen geschenkt. Damit hatte sie gehofft, dass er sich nun ihren Lieblingstieren, den drei Katzen, gegenüber freundlicher und duldsamer erweisen würde.

Leider hatte das prächtige Tier nur noch ein Auge.

Natürlich machte sie ihm seit Jahren den Vorwurf, dass der schöne Schäferhund diese Entstellung der Unaufmerksamkeit seines Herrchens zu verdanken hatte. Daran hatte er also auch Schuld!! Alles, was in diesem Haus an Üblem geschah, war seine Schuld.
Aber da hatte sie sich getäuscht. Das mit dem Auge des Hundes ging genauso auf ihr Konto!

Er war auf der anderen Straßenseite des Hauses und hatte das Tier gerade angeleint, als sie aus der Haustür trat und ihm etwas, sicher wie immer, völlig Unwichtiges zurief.
Der Hund spitzte die Ohren, wedelte mit dem Schwanz und bevor er ihn festhalten konnte, rannte er über die Straße, wohl um ihrem Befehl nachzukommen.
Wenige Fahrzeuge fuhren auf dieser Straße, aber gerade in diesem Moment kam ein Sportwagen angerast, konnte nicht mehr schnell genug bremsen und schleuderte das große Tier zur Seite.
Einige Prellungen waren nicht das Schlimmste, die überstand er aber ein Auge konnte der Tierarzt nicht mehr retten.
„ Das arme Tier, “ redete sie ständig voller Vorwurf, „hättest du ihn nicht besser festhalten können?!“
Dabei wusste sie genau, dass er den Hund über alles liebte. Er war das einzige Wesen, das seine Zuneigung erwiderte.
Die Katzen gingen ihm aus dem Weg. Allnächtlich warf er sie nachdrücklich, wenn seine Frau fest eingeschlafen war, aus dem Bett.
Dort lagen sie auf den Kopfkissen, auf den Deckbetten, sprangen gelegentlich wieder auf und aus dem spaltbreit geöffneten Fenster, um irgendwann in der Nacht wieder hineinzuspringen.

Er ekelte sich vor ihren Gerüchen, vor der Menge ihrer Haare, die sie überall hinterließen und die selbst durch Waschen nicht zu entfernen waren. Gelegentlich brachten sie auch ihre Jagdbeute – tote oder halbtote Vögel und Mäuse mit. Entsetzlich fand er das.
Sie aber lobte in den höchsten Tönen ihre Lieblinge: „ Ja,was habt ihr denn da als Geschenk mitgebracht!! Feinili, feinili, sollen wir das Mäuslein nun gemeinsam suchen? Es ist euch entwischt, wo mag es wohl sein?“ „Hast du noch alle Tassen im Schrank?“ schrie er, „Was glaubst du, wo wir die halbkaputte Maus finden werden? Widerlich!“
Es war stets das Gleiche: So gut wie keine Maus ließ sich finden und er hatte immer einen leichten Geruch von Verwesung in der Nase, wenn er das Haus betrat.
Sie liebte gerade die Katzen über alles und stand Todesängste aus, wenn sie zur Jagdzeit die Schüsse der Jäger in der näheren Umgebung hörte.
Dann ließ sie ihre Lieblinge nicht nach draußen und verbot ihm, die Terassentür aufstehen zu lassen.
Entwischte doch einmal eine, so rannte sie - meist in Lockenwicklern, Morgenrock und Gummistiefel auf die entfernten Felder zu den Jägern. "Da kommt die Verrückte schon wieder", riefen die Jäger und tippten sich an die Stirn. "Bitte," schrie sie von weitem "schießen Sie nicht auf meine Katzen, eine schwarze, eine rot-weiße und grau-getigerte!!! Ich werde Sie anzeigen, wenn ihnen etwas passiert, denn meine Katzen haben alle ein rotes Flohband am Hals und befinden sich in der Nähe meines Hauses!!!
"Aber gute Frau, niemals würden wir auf Ihre Katzen schießen!" entgegneten sie und hatten ihren Spaß an der Aufregung und der Aufmachung dieser Katzenfreundin!

Ben's Herrchen unternahm dann stundenlange Spaziergänge mit dem Schäferhund, damit er dem ständigen Gemaunzte und Geschrei der Eingesperrten entging.
Zu gern hätte er alle Katzen hinaus gelassen, aber das traute er sich nicht.

Wie Katz und Hund lebten sie seit Jahren miteinander. Dabei stimmte dieser Spruch, insbesondere was die Tiere betraf, in diesem Haus keineswegs, denn Katzen und Hunde lebten einträchtig zusammen. Hin und wieder starb eine der Katzen an unheilbarer Krankheit, an Alterschwäche und sehr selten an Unfällen auf der Straße. Etliche kleine Kreuze mit dem Bild der jeweilgen Katze, die dort in ihrem Garten ihre letzte Ruhe fand, zeugten von der Traurigkeit des Frauchens, die sehr lange brauchte, bis sie durch die Anschaffung einer neuen Katze ein wenig gelindert werden konnte. Katzenbabys gab es im Dorf immer und die Besitzer waren froh, die Tiere abgeben zu können.
"Ich wundere mich, dass nicht noch eine Totenfeier mit anschließendem Beerdigungskaffee zelebriert wird," sinnierte der Hausherr gelegentlich laut bei Partys. Giftige Blicke seiner Gattin quittierte er mit wieherndem Gelächter. Dann durften die Gäste noch dem Austausch gegenseitiger Nettigkeiten und kalter Verächtlichkeiten lauschen!

Der Tierarzt, der für die vielen Katzen und die beiden Hunde ihr ganzes Vertrauen besaß, "verdiente sich dumm und dämlich" - wie ihr der Gatte ein wenig hämisch häufig vorrechnete.

Eines Tages kam er wieder einmal von einer langen Wanderung mit Ben nach Hause.
Er war sehr müde und es überkam ihn ein Gefühl, als drücke ihm etwas in seiner Brust die Luft ab. Ihm wurde erst schwindlig, dann langsam schwarz vor Augen. Gleich war er zu Hause.

Er sah seine Frau im Vorgarten harken und ihn beobachten, wie er schwankend auf sie zukam.


„Schnell, Ben“, rief er dem Hund zu. Der zog ihn gehorsam an der Leine weiter. Diese Leine, die er nicht loslassen konnte, weil sie ihn hielt und beschützte und weil er das dumpfe Gefühl hatte, ansonsten wieder etwas schuld zu sein, riss ihn über die Straße.
Er sah nicht den heranschießenden Wagen und spürte nicht, dass er durch die Luft geschleudert wurde.
Krampfhaft hielt er noch immer ein Stück der Leine in der Hand als er am Straßenrand lag.

Das seine Frau herbeikam, sich zu ihm hinunterbeugte und sagte: „ Gut, das du diesmal die Leine nicht losgelassen hast!“ hörte er nicht mehr.
Nur nebelhaft sah er den Hund, den seine Frau streichelte und der freudig an ihr hochsprang.

Das eine Auge des Hundes blickte ihn unverwandt an, der Hund leckte ihm sanft über sein Gesicht. Das sah und spürte er nicht mehr. Aus weiter Ferne hörte er das leises Winseln seines Hundes, wie zum Abschied.

Impressum

Texte: Alle Rechte by Genoveva
Bildmaterialien: Bild - google
Tag der Veröffentlichung: 28.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /