Sie hatten das Erdbeben und den Tsunami überlebt. Tagelang standen sie am Fenster ihres Schlafzimmers, unfähig zu denken und zu sprechen.
Nichts löste in ihrem gemeinsamen langen Eheleben ein solches Entsetzen aus.
Vor wenigen Jahren übergaben sie ihr Haus, in der Nähe des Meeres, ihrem Sohn und seiner vierköpfigen Familie und sie bezogen eine kleine Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses in der Stadtmitte. Hier gab es einen Aufzug der ihnen das mühsame Treppensteigen ersparte.
Das Erdbeben und die riesige, verschlingende Meereswelle, alles wurde zerrissen und verschwand für immer.
Jegliches Zeitgefühl war ihnen abhanden gekommen. Manchmal nahm der alte Mann die Hand seiner zitternden Frau und streichelte sie.
Das Zimmer, wie wohl auch das übrige Haus, hatte sich zu einer Seite geneigt aber es stand noch.
Die Decken ihrer Betten hüllten sie um ihre zerbrechlichen, vom Alter gebeugten Körper.
Kälte,Hunger und Durst empfanden sie noch nicht.
Wenn es dunkel wurde, legten sie sich auf die beiden Betten, schlafen konnten sie nicht und gelegentlich nahm eine Art Bewusstseinstrübung von ihnen Besitz.
So glaubten sie, dass ihr Leben zu Ende war und sie durch eine entsetzliche Prüfung Gottes geführt wurden.
Irgendwann musste diese Zeit vorbei sein und eine Verwandlung in einen anderen Zustand kommen.
Eine gnädige Umnachtung begann sie langsam einzulullen.
Der ständige Anblick der unfasslichen Verwüstung, die beängstigende Stille, das Ausbleiben jeglicher menschlichen Kommunikation konnte ihren Verstand nicht erreichen.
So fand man sie gänzlich verwirrt, stumm und ohne Klage, nach Tagen der unvorstellbaren Katastrophen, die Japan erleiden musste.
In einem Krankenhaus wurde das Paar langsam in ein Leben zurückgebracht, das sie kaum erfassen konnten. Angehörige waren noch nicht aufzufinden.
Dass in der Nähe ihrer bisherigen Wohnung auch noch die Atomkraftwerke schwerste Schäden aufwiesen und eine Rückkehr in ihre gewohnte Umgebung, durch die todbringende Verstrahlung eines riesigen Gebietes nicht möglich war, nahmen sie beide ohne merkbare Erregung auf.
Erst als sie in den Palast des Kaisers evakuiert wurden und die Herrlichkeiten erblickten, begann der Mann zu sprechen: „ Wie schön, dass wir zur gleichen Zeit gestorben sind! Wir haben die Hölle durchschritten aber nun hat Gott unser altes Leben für gut befunden und wir dürfen für ewig an seiner Seite weilen!“
Seine Frau verstand ihn, sie konnte nicht sprechen aber ein Leuchten trat in ihre Augen und Hand in Hand betraten sie den Palast des Kaisers.
Tag der Veröffentlichung: 26.03.2011
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