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Mein liebster Zahnarzt und seine Brahmanen - Hühner

Manchmal habe ich ihn besucht. Er lebte seit vier Jahren in einer recht komfortablen Seniorenresidenz. Seine Frau hatte es nicht mehr mit ihm ausgehalten, denn er wurde etwas wunderlich.

Als er auch noch, bedingt durch eine pflegebedürftige Krankheit, nicht mehr gehen konnte, entschied er sich, seinen Lebensabend nicht länger mit seiner wenig freundlichen Gattin zu verbringen.

 Er war ein wenig verwirrt und sah mich einige Augenblicke an, bevor er mich erkannte.

 

„ Gut, dass du kommst, eben haben die mir hier beim Mittagessen grünen Blumenkohl zu essen gegeben.

Schrecklich. Kriegt man hier schon schimmeliges Zeug! Kannst du ihnen hier sagen, dass ich den nicht mehr essen werde?“

 

Eine Schwester kam herein, hörte seine Klagen und sah vorwurfsvoll drein.

„Das war Brokkoli und kein schimmeliger Blumenkohl!“ Seufzend ging sie hinaus.

 

„Ist sicher nicht so einfach für dich, dass du hier bist“, setzte ich zu einem Gespräch an.

 

„Hätt’ ich das bloß nicht gemacht, “ entgegnete er. „Langweilig hier, keinerlei Freude hat man mehr.

Dabei wollte ich mir so gerne Brahmanen angeschafft haben, wenn ich die Praxis dran gegeben hätte.

Aber da war die Frau, er sprach immer von seiner Frau als „die Frau“, dagegen.

Da hätte ich was zu tun gehabt und die dicken braunen Brahmanen - Hühner zu beobachten, die ich immer so schön fand, das wäre eine Freude gewesen.“

 

Was konnte ich ihm sagen, so mutlos und traurig wie ich ihn hier erlebte? Er war ein wirklich humorvoller Mensch gewesen, der durchaus recht kauzig erschien. Wer ihn nur flüchtig als Zahnarzt erlebte, fand ihn wortkarg und auch ein wenig mürrisch.

Kinder kamen gerne in seine Praxis.

 

„Wenn ich dir weh’ tu’, rechten Arm hochheben! Aber nicht beißen, dann beiße ich zurück!“

sagte er und dann kam der Höhepunkt: er zeigte den Kindern eine rostige Zange und machte ihnen an einem Modell eines Schädels vor, wie früher den Menschen ohne jede Betäubung, auf dem Jahrmarkt die Zähne gezogen wurden.

„So“, sagte er „und jetzt zeige ich dir, wie du ohne jeden Schmerz eine Betäubung erlebst.

Du spürst nichts, versprochen!“

Solche klaren Ansagen begriffen die Kinder und hatten auch das Gefühl, hier nicht belogen zu werden. Und tatsächlich, er konnte eine Spritze setzen, deren Einstich man nicht spürte.

 

Er war noch ein Dentist alter Schule gewesen und verstand sein Handwerk meisterlich. Von teuren, manchmal nicht nötigen Behandlungen hielt er nichts. Was er machte, saß und unlösbare Probleme gab es nicht.

 

In seiner Freizeit war er ein großer Gartenliebhaber und pflanzte alle möglichen Gemüse und Blumen an.

Am Abend sprach er mit Vorliebe einer guten Flasche Wein zu. Sein Weinkeller war exzellent ausgestattet und alte Geschichten aus seiner Jugend konnte er nach dem Genuss einiger Gläser Wein wunderbar wiedergeben.

Dabei bediente er sich der örtlichen Mundart. Nichts was ihm mehr Freude machte, als in geselliger Runde Erzählungen zu hören, die von urigen Mitmenschen berichteten.

 

Reiseziele waren Weingüter, wo er sich interessiert und ausführlich berichten ließ, wie der Wein angebaut und gekeltert wurde.

Ausgedehnte Wanderungen, Einkehr in ortstypische Gaststätten und ein Plausch mit Einheimischen waren ihm tausendmal lieber, als vornehme Herbergen, die er sich durchaus hätte leisten können.

 

Seine Gattin fuhr dafür mit einigen Damen in Fünf-Sterne- Hotels!

 

Nach seinen Reisen setzte er sich am Abend vor seinem ersten Arbeitstag in seine Praxis und übte an einem rohen Ei vorsichtig mit dem Bohrer seine Fertigkeit im Bohren, damit die Patienten am nächsten Tag keinen Unterschied zu seinen Fertigkeiten erlebten.

 

„Erzähl mir noch mal die Geschichte von deinem Onkel Willi, die fand ich immer besonders köstlich“, bat er.

 

Also erzählte ich und er lachte und stellte Nachfragen und amüsierte sich köstlich.

 

„War das noch mal ein schöner Nachmittag, endlich mal wieder was zu lachen. Aber ich denke, so wird es uns

allen gehen, entweder man stirbt jung oder man wird alt und dann geht es eben nicht nach Wunsch, wie und wann man sterben will.“

 

„ Ich komm’ bald wieder und bei gutem Wetter fahre ich dich mit dem Rollstuhl spazieren.

In der Nähe ist ein Bauernhof und da stolzieren auf der Wiese vor dem Haus dicke braune Hühner und zwei Hähne herum. Die gucken wir uns dann an.“

 

„ Hoffentlich sind et ma’ Brahmanen ,“ grinste er, „die gefallen mir ja am besten!“

 

Genau so haben wir das auch einige Male gemacht und da ich mich auch am recht lebhaften Leben auf einem Hühnerhof interessierte, hatten wir beide unsere Freude an diesen Ausflügen.

 

Einige Wochen später ereilte ihn ein Hirnschlag und er war wohl gleich tot. Da mich die Schwestern des Heimes kannten und ich ihnen meine Telefonnummer einmal gegeben hatte, riefen sie mich an und so konnte ich an der Trauerfeier und der Beerdigung teilnehmen.

 

Das war in der Osterwoche und so ließ ich einen flachen Korb anfertigen, mit bunten Frühlingsblumen und einem wunderschönen Bramahnenhahn in der Mitte.

Sein erwachsener Sohn und seine Tochter kamen nach der Beerdigung zu mir und da beide genau so humorig waren, wie ihr Vater, dankten sie mir lachend und meinten:“ Da wird Vater sich riesig drüber freuen. Auf eine solche Idee wäre niemand gekommen und genau so hätte Vater sich seine letzte Ruhestätte gewünscht!!!

 

Als alle Kränze später weggeräumt waren und ich das Grab eines Tages besuchen ging, stand neben seinem Grabstein noch der Bramahnenhahn!!!

Impressum

Texte: Annelie Heyer
Lektorat: Annelie Heyer
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinem Zahnarzt, der Brahmanen - Hühner besonders liebte und stets ein liebenswerter Gast und Wanderfreund war!

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