Der erste Tick war erblich bedingt.
Der „kalte Öhrchen“ - Tick
Der zweite Tick brachte ihr den Verlust vieler Freunde.
Der „Toilette“ – Tick
Der dritte Tic fand immer mehr Zuschauer in ihrer Wohngegend.
Der „Betten“ -Tick
Frau Selten-Anders hatte diesen "kalte Öhrchen“ –
Tick
von ihrer Mutter geerbt und ihre Tochter, nun also bereits die dritte Generation, übernahm ihn ganz genau so. Bisher hatte dieser Tic, Frau Selten-Anders und ihrer Mutter, zahlreiche Bewerber und je zwei Ehemänner gekostet.
Die Tochter war von solchen Verlusten noch nicht betroffen, da sie in wenigen Monaten erst zehn Jahre zählte. Ihren leiblichen Vater sah das Kind alle zwei Wochen und der fand sich damit ab, dass sie ihn immer strahlend in die Arme fiel und dann gleich seine Ohrläppchen, genau wie ihre Mutter und Großmutter, voller Entzücken malträtierte.
Frau Selten-Anders lebte mit ihrer Tochter und Mutter in einer gemeinsamen Wohnung, nach dem etliche engere, männliche Bekanntschaften und auch die jeweiligen Ehemänner genervt von dannen zogen.
So etwas kann nur in der ersten Zeit einer heftigen Liebe ertragen werden.
Frau Selten-Anders, attraktiv und kundig in Liebesdingen, suchte aus der großen Schar ihrer Verehrer, nur Herrn mit nicht angewachsenen und gut greifbaren Ohrläppchen aus. Alle anderen Vorzüge oder Nachteile ihrer Verehrer kamen für sie an zweiter Stelle.
Höchstes Glück durchrieselte sie, wenn sie recht fleischige Läppchen, möglichst in eiskaltem Zustand, zwischen ihre Zeige- und Mittelfinger, danach in ihre Mittel- und Ringfinger und zuletzt zwischen Ringfinger und kleinen Finger, langsam kneten konnte, bis sie wieder warm wurden.
Nun könnte dies beim Liebesspiel erst einmal gar nicht so seltsam erscheinen - wo waren dabei nicht alle Finger tätig - ohne dass dem Partner auffiel,was er für die andauernde Liebe von Frau Selten-Anders, zu ertragen hätte!
Kam er im Sommer zu ihr und seine Ohren waren naturgemäß heiß, bat sie ihn, seinen Kopf in ein, dafür immer freigehaltenes Fach des Gefrierschrankes zu halten, bis die Ohrläppchen eisgekühlt und für ihren Tic gerade die richtige Temperatur hatten. Trotz heißer Küsse, während sie die Läppchen wieder durch ihre Finger gleiten ließ und erwärmte, hielt dies kein Mann länger als einen Sommer aus!
Wäre es nur bei diesem Tic geblieben, vielleicht hätte der eine oder andere dies auf die Dauer noch ertragen.
Doch nun kam noch ihr „Toiletten“-Tick
,
den so mancher - für sich und seinen Freundeskreis - nicht akzeptierte.
Frau Selten-Anders äußerte - erst in herzlichem-lieb-freundlichem Tonfall – dass die Herrn sich auf ihre Toilette zu setzen hätten, auch für das „kleine Geschäft“.
Nach jedem Toilettengang eines Herrn sauste sie hinterher und sah nach, ob auch nicht ein Tropfen daneben gegangen war. Zu Anfang amüsierten sich die Herrn aber als Frau Selten-Anders die sture „Standhaftigkeit“ der Männer laut und energisch ändern wollte und auch noch vorgab, den inneren Rand des Toilettenbeckens mit einem Handspiegelchen auszukundschaften und jeden Morgen und Abend mit ätzenden Mitteln reinigend im Toilettenbereich tätig zu sein, ließen sich kaum noch Bekannte blicken. Auch blieben Einladungen aus, weil jeder dachte, wenn die blitzsaubere Frau Selten-Anders kommt, muss vorher gründlich geputzt werden!
Frau Selten-Anders dritter Tick,
der „Betten“ -Tick
ging auch ihrer Mutter, die etwas über siebzig Jahre zählte, allmählich zu weit. Sie kam jedoch nicht gegen die Vorstellungen ihrer Tochter an und half ihr, soweit sie noch konnte.
Alle zwei Wochen, jeweils am Donnerstag, zog Frau Selten-Anders alle Betten ab. Sie stopfte die Bettwäsche, jeweils von einem Bett, in die Waschmaschine. Sämtliche Matratzen wurden auf die große Loggia geschleppt, die vor den Schlafräume lag.
Dort wurden sie gründlich von allen Seiten abgesaugt und zum Lüften an die Wand gelehnt. Mehrere Trockengestelle, belegt mit vorher länger ausgeklopften Federbetten und Kopfkissen, fanden auch noch Platz. Je nach Wetterlage blieben alle „Innereien“ stundenlang draußen.
In der Zwischenzeit putzte Frau Selten-Anders mit Hingabe alle Gegenstände der Schlafzimmer. Die Bettgestelle sprühte sie zum Schluss noch mit einem Anti-Milben-Spray ein.
Überhaupt hatte keine Milbe in den Schlafzimmern eine Überlebenschance.
Diese Maßnahmen lockten immer mehr Nachbarn an die Fenster und in den Hof!
„Was“, riefen sie sich lachend zu:„ Sind schon wieder zwei Wochen um?!“
Einige konnten auch bissige Bemerkungen nicht unterdrücken. Diese reichten von dem Verdacht, alle drei weibliche Bewohner hätten wohl schwache Blasen, bis hin zu den morbiden Worten, solches täte man nur, wenn jemand in einem Bett gestorben sei!
Frau Selten-Anders überhörte im Laufe der Zeit solch lästerliche Reden. Großmutter und Mutter vermissten, da sie sich immer gut verstanden und nun beide in ein
fortschreitendes Alter kamen, keine Männer in ihrem Haushalt.
Die Zukunft der kleinen Tochter stand noch in den Sternen.
Vielleicht würde es ihr gelingen, die Tics ihrer Mutter abzulegen oder zumindest deutlich abzuschwächen, um noch das Glück in einer Zweisamkeit mit einem Mann zu erleben - ohne ihn in die Flucht zu treiben!
Texte: Alle Rechte by Genoveva
Tag der Veröffentlichung: 20.11.2010
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