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Der Schuster Kroers.

Würde man mich nach einem Geruch aus meiner Kindheit fragen, den ich gerne gerochen habe, so käme mir sofort die Schusterwerkstatt, zu der ich oft geschickt wurde, in Erinnerung.

Nicht weit von meinem Elternhaus entfernt, lag die Werkstatt und das Haus des Herrn Kroers. Ein dunkelrotes Backstein-Reihenhaus aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Sieben Stufen führten zur Eingangstür, die erste Etage nannte man daher Hochparterre.

Der Eingang zum Keller und zur Schusterwerkstatt war durch ein ebenerdig gelegenes kleines Eisentörchen, gleich neben dem Eingang, zu erreichen. Geöffnet wurde es mit einem drehbaren, dicken Eisenknopf. Nun stieg man noch zwei Stufen hinunter, große Menschen mussten sich bücken, um nicht mit dem Kopf an das obere Ende des Eisentörchens zu stoßen, durchquerte einen fast dunklen schmalen Kellerflur, der zum Innenhof des Hauses führte.

Hier rannte ich immer schnell durch, weil ich mich vor dem Rest der dunklen Kellerräume, die ich nicht kannte, fürchtete. Die Hoftür hatte ein kleines Fensterchen, dessen fahles Licht mir das Ende des Kellers deutete. Nun sprang ich die Stufen, die gleich hinter dieser Tür nach oben führten, behände hinauf und betrat mit wenigen Schritten die Schusterwerkstatt. Dieser kleine Bau nahm die Hälfte es Innenhofes ein. Dahinter begann der schmale Garten.

Ein einzigartiger Duft, den ich tief einatmete, umfing mich, sobald ich die Werkstatt betrat. Eine Mischung aus Leim, Leder, Gummi, der immerwährende Rauch aus der Pfeife des Schusters und eines kleinen Bollerofens - im Winter heizte er mit dicken Holzstämmen, die unter dem Vordach der kleinen Werkstatt lagen – kurzum, es war bei allem Staub und großer Unordnung gemütlich bei ihm.

Die wenigen Maschinen, die er benötigte, nahmen den größten Platz ein. Er selber saß am Fenster an einer schmalen Werkbank, immer in seine Arbeit vertieft. Klopfte, schnitt zu, nahm Maß, rieb mit diesem wohlriechenden Leim Sohlen ein, klebte sie an die richtige Stelle der zu besohlenden Schuhe und summte dabei ein Melodie.
Er war ein schlanker eher kleiner Mann, der im Krieg eine böse Gesichtsverletzung erlitten hatte, sodass sein Gesicht an einer Seite von einem dicken Knoten verunstaltet war und seine Aussprache stark beeinträchtigte. Es sah so aus als hätte er stets einen Tischtennisball in einer Backentasche. Aber ich gewöhnte mich an seine Sprachmöglichkeit und verstand ihn.

Die Werkstatt bestand aus einem einzigen Raum mit einem Fenster zum Hof hin. Sie war etwa 35qm groß und rundherum liefen Regale bis an die Decke.
Noch nie waren hier ein Besen, Staubwedel oder ähnliches zum Einsatz gekommen. Die Wände, durch die Regale voller Schuhe, sah man nicht. Spinnen webten hier mit Wonne ihre meisterhaften Gebilde, die auch von Fliegen und Mücken in beachtlicher Anzahl angenommen wurden.
Wenn ich es recht bedenke, habe ich dem Schuster Kroers meine Freude an Spinnen, die ja nicht für alle selbstverständlich ist, zu verdanken. Er erklärte mir nämlich, wie nützlich diese Tierchen wären und wie wenig Fliegen und Mücken ihn plagen würden. „So nützt einer dem anderen,“ sagte er und hing nie Fliegenfänger auf.

Bei uns zuhause herrschte stets eine fast übertriebene Ordnung und Sauberkeit. Meine Mutter hatte stets ein Staubtuch in der Kitteltasche und am Eingang im Flur lag ein mehrfach täglich ausgewaschener Aufnehmer, auf dem sich jeder erst die Schuhe abstreifen musste, bevor er weitergehen konnte. Bewohner zogen anschließend die Schuhe aus und schlüpften in ihre Hausschuhe.
Nur so kann ich mir mein Wohlgefühl in Schuster Kroers Werkstatt erklären.
Er ließ alle Abfälle beim Schustern auf den Boden fallen, die Schuhe, die man ihm brachte, wurden mit einem Stück Kreide gekennzeichnet und auf einen Haufen, der noch zu reparierenden Schuhe, geworfen.

Fertige Schuhe standen dann auf einem der vielen Regalbretter und mit traumsicherem Griff nahm er sie herunter und nie waren es die falschen Schuhe.
Ich war immer erstaunt, wie er sie überhaupt wiederfand.
Der Preis für seine Arbeit schrieb er stets auf ein Zettelchen. Zum Bezahlen ging jeder zu seiner Frau, die einen schon kommen sah und an der Küchentür ihrer Wohnung, die nach einigen gemauerten Stufen auf den Hof führten, in Empfang nahm. Im Gegensatz zu ihrem Mann, sprach sie so gut wie nichts. Wortlos nahm sie den Zettel und das Geld. Wechselte es bei Bedarf und außer einem gemurmelten :“ Wiederseh’n,“ habe ich ihre Stimme nicht gehört. Sie erschien mir mürrisch und wenig leutselig.

Im Laufe der Zeit wurde sein Arbeitsplatz langsam beachtlich enger. Das Material, der Abfall und die Schuhe nahmen immer mehr Platz ein, sodass man ihn auf den ersten Blick kaum noch an seinem Arbeitsplatz erkennen konnte.
Neben der Eingangstür stand ein Stuhl und hier setze sich jeder erst einmal hin. Gleich wer kam, ein Schwätzchen hielt er mit jedem. Sein Lieblingsthema war seine Zeit als Soldat, er war bis ans Schwarze Meer gekommen aber durch seine schwere Verletzung fand sein Einsatz vor dem Mai 1945, ein Ende. Er machte den Eindruck als ob ihn dieses vorzeitige Ausscheiden nicht begeistert hätte.
Zu verstehen war das erst als ihn ein Gast bei der Goldhochzeit fragte, welche Zeit seiner Ehe er denn als die Beste empfunden hätte?

„Die Jahre, die ich als Soldat verbracht habe!“ entgegnete er aber so, dass seine Frau es nicht hörte.

Wie lange er seine Handwerk ausführte, habe ich nicht mehr mitbekommen, denn als ich in ein Internat ging, habe ich ihn nicht mehr besucht und Schuhe abgegeben. Aber den Geruch seiner Werkstatt habe ich heute noch deutlich in Erinnerung.


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Tag der Veröffentlichung: 31.10.2010

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