Vor etwa fünfzig Jahren erlebte ich die Geburt meines ersten Kindes als ein traumatisches Erlebnis.
Ich werde damals nicht die einzige gewesen sein.
Am frühen Morgen setzten die ersten Wehen ein. Meine Schwiegermutter wohnte im gleichen Haus und ich bat sie, mir zu sagen, ob ich schon ins Krankenhaus fahren müsste. Aber sie beruhigte mich und meinte, dass es bei dem ersten Kind immer lange dauern würde und ich solle abwarten, bis mein Mann nach Hause käme und mich dann erst ins Krankenhaus bringen könnte. Ich müsste viel herumgehen. Der Blasensprung hätte auch noch nicht eine einsetzende Geburt zur Folge. So war es auch. Die Mutter kam öfter, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen.
Gegen 17 Uhr fuhr ich dann mit meinem Mann ins Krankenhaus, da die Wehen nun schon in 15 Minuten Abstand kamen.Es schneite, obwohl es schon Mitte März war und es dunkelte. Wir beide waren sehr aufgeregt und trotz aller Bemühungen, konnte ich ein Stöhnen nicht unterdrücken. Wir waren beide so jung und völlig unerfahren.
Keinem wäre es damals eingefallen, ein Krankenhaus schon früh in Augenschein zu nehmen und sich nach den dortigen Gegebenheiten zu erkundigen. Geburtsvorbereitungen gab es nicht. Die Pille auch nicht. So wurde ich also, mit noch nicht 22Jahren, neun Monaten und zwei Tagen nach der Hochzeit, Mutter.
Dabei hätten wir beide so gern noch einige Zeit unsere Zweisamkeit genossen und endlich einige kleine Reisen unternommen, da wir sehr streng erzogen worden waren und nichts vorher über einen Tag hinaus, unternehmen durften. An meinem 21. Geburtstag heirateten wir - damals war man da erst mündig- um der Kleinkariertheit und Strenge des Elternhauses zu entkommen.
Liebend gern wäre ich ausgezogen und hätte mir mit meinem Gehalt eine eigene Wohnung leisten können.
Doch das war zu der Zeit auch nicht üblich und man geriet ins Gerede, was meine Eltern fürchterlich er-
zürnt hätte. Man kam gegen seine Erziehung einfach nicht an, ohne Streit herauf zu beschwören.
Im Krankenhaus wurde wir, nach den üblichen Einweisungsformalitäten, in die Entbindungsabteilung gewiesen.
Dort nahm mich die Stationsschwester in Empfang. Sie sah sehr gestresst aus und wollte wissen, seit wann ich denn Wehen hätte.
"Na, dann bleiben sie wohl am besten hier, denn bei dem Wetter will ich sie nicht den weiten Weg nochmal zweimal fahren lassen. Die meisten kommen viel zu früh und benötigen dann schon ein Bett, obwohl wir völlig belegt sind. Sie, junger Mann, können gleich nach Hause fahren. Wir benachrichtigen Sie, wenn alles vorüber ist. Und bitte, rufen Sie vorher nicht hier an, denn wir haben anderes zu tun, als ständig von Geburtsfortschritten zu berichten!"
Nach diesen freundlichen Bescheiden nahm sie meinem Mann das Köfferchen ab und schob ihn fast aus der Tür.
"Ich darf mich doch wohl noch kurz von meiner Frau verabschieden?" mein Mann war auch nicht der Geduldigste und die Stationsschwester hob die Augen gegen Himmel. "Ich denke die ganze Nacht an dich und bin Morgen um 7 Uhr wieder hier." Er nahm mich noch einmal in die Arme und wir weinten beide.
" Man sollte denken, Sie wären die ersten, die Eltern würden!" Energisch war sie gewiss, diese Stationsschwester, und ich fühlte mich wie abgegeben.
Das Zimmer, wo sie mich hinbrachte, war mit drei Betten bestückt. In einem lag eine etwas ältere Frau, die am Tage vorher ihr drittes Kind geboren hatte. Das zweite Bett stand einer über Dreißigjährigen zur Verfügung, die noch kein Kind hatte und die hier abklären wollte, warum ihr Kinderwunsch nicht in Erfüllung ging.
Das dritte Bett am Fenster und ein leerstehendes Spind bekam ich, mit der Aufforderung, meine Sachen dort einzuräumen, sowie Nachthemd u. Morgenmantel anzuziehen.
Nach kurzer Zeit holte mich eine ältere Hebamme in ein Untersuchungszimmer. Sie beschied mich, nach kurzem Abtasten und einigen Fragen, wieder in mein Zimmer zu gehen oder wenn möglich, über den Flur zu wandern. In einer Stunde sollte ich mich wieder bei ihr melden. Es wäre noch lange nicht so weit.
Alles war wenig dazu angetan, meinen Mut zu heben.
Mittlerweile war abendliche Besuchszeit und die Männer, der beiden Frauen auf meinem Zimmer, saßen dort. Ach, das hätte die Stationsschwester doch auch sagen können, dann hätte mein Mann bei mir bleiben, um mit mir über den Flur zu wandern. Ich habe mich noch nie so verlassen und voller Angst gefühlt, wie in diesem Moment.
Nach einer Stunde wurde ich dann in den Kreissaal verlegt und ich erstarrte vor Schreck: ca. zehn kreisende Frauen, in unterschiedlichen Geburtsfort-
schritten, schrien schrecklich laut in ihrem Schmerz und Hebammen u. ein Arzt, alle mit blutbespritzten Kitteln, hatten offensichtlich alle Hände voll zu tun.
Von einem aufklärenden, etwas beruhigendem Gespräch über den Fortschritt meines Zustandes, war keine Möglichkeit. Hin und wider wurde mein Bettuch hochgehoben, die Beine gespreizt und irgendetwas gemurmelt. Ich war mittlerweile so überrollt von Schmerz und Angst, dass ich an nichts mehr denken konnte und nur noch betete, dass dies alles bald vorbei sein möchte. Geschrien habe ich sicher auch.
So gegen Mitternacht gaben sie mir Lachgas, welches aber nicht wirkte, weil ich gar nicht mehr in der Lage war, entsprechend tief einzuatmen.
Alles verschwamm vor meinen Augen und ich hörte auch nicht die Worte des Arztes, dass er doch ein wenig schneiden müsse. Bei einer nächsten Presswehe hat er wohl geschnitten aber den Schmerz fühlte ich schon gar nicht mehr.
Endlich, um 1.40 Uhr kam mein Kind auf die Welt. Der Arzt rief: "So nun ist es vorbei, Sie haben einen Sohn!"
Mit nichts ist, das nun einsetzende Gefühl, welches mich völlig überschwemmte, je vergleichbar: Kein Schmerz mehr, das eigene Kind schrie und wurde schnell untersucht, gewaschen und gewickelt mir in den Arm gelegt."Es ist alles dran und vollkommen gesund, 3200 Gramm schwer und 54 cm groß. Herzlichen Glückwunsch", rief die Hebamme. Nun endlich ein
erstes, freundliches Wort!
Ich schluchzte vor Glück, küsste das kleine Gesichtchen, flüsterte ihm Kosenamen zu, denn es hatte ja auch eine riesengroße Anstrengung hinter sich. Auch war er der erste Junge, der in dieser Generation meiner Familie und der meines Mannes, geboren worden war und alle würden sich freuen.
Bei diesem alles überschwemmenden Glückgefühl merkte ich nichts von Nachgeburt und vernähen des Schnittes.
Dann nahm man mir mein Kind aus den Arm, brachte es ins Säuglingszimmer und ich schlief ein, bevor man mich in mein Zimmer geschoben hatte.
Meinen Sohn bekam ich nur zu Stillzeiten, mein Mann,
die ankommenden Verwandten sahen das Kind nur durch eine Glasscheibe zu bestimmten Zeiten, wenn die Säuglingsschwestern geruhten, den Vorhang von der Scheibe zu ziehen und das Kind auf dem Arm zu präsentieren.
Wie ging es der folgenden Generation:
Mein Sohn wurde mit 29 Jahren Vater, hatte mit seiner Freundin,die dann Ehefrau wurde, die halbe Welt bereist, bevor sie im Abstand von drei Jahren drei Kinder bekamen.
Die Geburt wurde von Anfang bis Ende selbstverständlich mit dem Vater zusammen erlebt.
Das soeben geborene Kind wurde der Mutter sofort auf die Brust gelegt, ein wenig abgewischt und Vater und Mutter konnten ausatmen und ihr Kind in Ruhe betrachten.
Die werdenden Väter hechelten in Geburtsvorbereitungskursen eifrig
mit, besuchten, längst vorher, zusammen mehrere Geburtskliniken, wurden allerfreudlichst empfangen, durch die Räume geführt, dem Personal vorgestellt, bekamen die verschiedenen Möglichkeiten einer Geburt ausführlich erklärt und alles lief so, wie ich es mir gewünscht und im Traum nicht daran gedacht hätte, wie wunderbar es sein kann, ein Kind auf die Welt zu bringen!Ich hatte noch nicht einmal gesehen, welches Geschlecht mein Kind hatte, denn ich bekam es fertig gewickelt in den Arm gelegt.
Das Neugeborene durfte ständig in einem Bettchen, welches am Bett der Mutter befestigt war, bei ihr sein und auch die Besucher konnten es in den Arm nehmen! Einfach wunderschön. Ich habe es als Oma sehr genossen und meine Enkelkinder gleich liebkosen dürfen!
Eine natürliche Geburt ist immer noch sehr schmerzhaft aber unter den heutigen Möglichkeiten ist sie kein Vergleich gegen frühere Jahre.
Davor hatten die Frauen noch unendlich mehr zu leiden: häufige, meist jährliche Geburten, Hausgeburten waren an der Tagesordnung und ärztliche Hilfe bei Komplikationen nur selten zu erreichen und viele Mütter verstarben bei einer Geburt.
Trotzdem habe ich nie wieder ein solches Glücksgefühl
erlebt, als mir mein eigenes Kind in den Arm gelegt wurde und alle Mühsal war sofort wie weggeblasen!
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2010
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