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Sie saß mit einem schussbereiten Revolver im Sessel ihres Wohnzimmers, den Blick starr auf die Zimmertür gerichtet. Ihr Gesicht war wachsbleich und sie hatte es noch nicht einmal geschafft, den Mantel nach ihrer Heimkehr am frühen Morgen, auszuziehen.

Seit ihrem überstürzten Lauf zum kleinen Vorstadtbahnhof, musste sie in einen Alptraum gefallen sein, aus welchem sie einfach nicht aufwachen konnte.


Ihre Gedanken glitten zurück und drehten sich im Kreise.


Ihr Tag begann immer gleich: 4.30 Uhr aufstehen, ihr Mann musste den Frühzug um 6.00 Uhr erreichen. Der kleine Vorstadtbahnhof lag nur fünf Minuten entfernt.
Hannah hatte kurz nach ihrer Eheschließung ihren Beruf aufgegeben, um sich ganz dem häuslichen Dasein zu widmen.
Nicht, dass ihr Mann sie dazu gedrängt hätte, aber da er genug verdiente, war ihm diese Regelung lieber. Sie war ständig für ihn da und dies war ihm sehr recht.
Durch den Bau des Hauses, welches sie Stück für Stück gemeinsam und mit großem Geschmack einrichteten, der Gestaltung der wunderschönen Gartenanlage und den vielen Reisen, hatten sie sich vollkommen verbunden gefühlt.
Kinder hätten da nur gestört, so meinte sie ihn verstanden zu haben, als sie dieses Thema zu Anfang ihrer Ehe einmal kurz anschnitt.

In letzter Zeit überkam Hannah fast eine Art Panik, wenn sie sich im Spiegel erblickte und nüchtern feststellte ,dass die Natur ihren Tribut forderte. Sie hatte in diesem Jahr ihren 50igsten Geburtstag erreicht.

Wenn sie mit ihrem Mann ausging sah sie sehr wohl die Blicke jüngerer Frauen, die ihm galten und die er ebenso wahrnahm und sie gleichzeitig auch genoss. Das spürte sie, ohne dass je ein Wort dazu zwischen ihnen gewechselt wurde.
Aber ihr Unmut wuchs und sie erkannte, dass die Eifersucht in ihr erwachte.

Vor allen Dingen ihr nächtliches Aussehen konnte auf die Dauer ihren Mann nicht in die gewohnte Leidenschaft versetzen.

So kam sie auf die Idee, sich ein eigenes Zimmer einzurichten und auch ein Bett aufzustellen.
Hinzu kam, dass sie beide im Laufe der Jahre völlig andere Schlafgewohnheiten angenommen hatten.
Er saß lange am Computer und ging spät zu Bett.
Sie war eine Frühaufsteherin und ging längst vor im zur Ruhe, las noch ein wenig und schlief bald ein.
Zu dieser Neuerung gab es keine Meinungsverschieden-
heiten, zumal er von dieser Regelung sehr profitierte. Auch hatten sie sich seit einiger Zeit durch beiderseitiges Schnarchen gestört.

Nun konnte Hannah in ihrem Zimmer, bevor sie zu Bett ging, ihrem Gesicht eine dicke Schicht Nachtcreme verpassen und ihre dünnen Haare auf Schaumstoffwickler drehen, was sie natürlich wenig reizvoll aussehen ließ.

Wenn der Wecker schellte, eilte sie leise ins Bad, wusch sich, putzte ihre Zähne, schminkte dezent ihr Gesicht und kämmte ihr Haar. Schnell warf sie ihr verführerisches Negligee über, tupfte ein wenig von seinem Lieblingsparfüm zwischen ihre langsam erschlaffenden Brüste und schlüpfte zu ihm ins Bett.

Vorsichtig öffnete sie die Knöpfe seines bevorzugten Männernachthemdes, beugte sich über ihn und küsste ihn sanft von der Stirn bis zu den Knöcheln. Den männlich herben Nachtschweiß nahm sie in Kauf und hätte ihn niemals darauf angesprochen. Aber seine Füße zu küssen, brachte sie nun doch nicht über sich.

Allmählich wachte er auf, seufzte wohlig, knipste mit einer Hand das gedämpfte Nachtlicht gleich neben ihm an und wühlte mit Wonne in ihrem weichen, lockigen Haar.
Er zog sie zu sich herauf, blickte sie an, zog ihr mit einem Ruck das Negligee aus, welches, durch ihre Aktivitäten nur noch einen Teil ihres Körpers bedeckte, küsste sie und sagte, wie jeden Morgen: „Wie schön, so von dir geweckt zu werden, du riechst so gut und du scheinst dein jugendliches Aussehen nicht zu verlieren.“

Dann begann ihr Liebesspiel voller Leidenschaft und Zärtlichkeit, wobei sie darauf achtete, dass er möglichst ihr Gesicht ansah, wenn sie auf dem Rücken lag, das hatte den Vorteil, dass ihre Haut glatter wirkte und ihr Falten nicht so stark hervortraten.
Dabei behielt sie die Uhr im Blick ,denn um sechs Uhr musste er den Zug erreichen.
Diese Aufmerksamkeiten, die sie ganz auf ihn richtete, ließ sie nur noch hin und wieder zum Höhepunkt gelangen.
Ihr Mann merkte es nicht und manchmal war sie froh, wenn es vorbei war. Hin und wieder kam es vor, dass er nur schwer wach wurde und dann kuschelte sie sich nur eng an ihn und weckte ihn erst, wenn es Zeit für ihn war, aufzustehen.

Er war ihr ganzes Leben, ihr großes Glück und sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich daran je etwas ändern könnte.

Während er ins Bad ging, stellte sie noch die restlichen Zutaten für das kleine gemeinsame Frühstück hin. Den Tisch hatte sie, wie immer, am Vorabend liebevoll gedeckt.


Es strengte sie an, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Was war denn geschehen, warum war heute alles anders gewesen? Den gedeckten, unberührten Frühstückstisch konnte sie nicht einordnen in das Geschehen dieses unseligen Tages.

Sie war doch wie stets aufgestanden, hatte sich für ihn schön gemacht und dann, als zu ihm ins Bett schlüpfen wollte, war er nicht da! Sie hatte nicht glauben können, was sie entdeckte, als sie mit zitternden Händen das Licht anknipste.
Das Bett war überhaupt nicht benutzt worden, es war noch so, wie sie es immer am morgen zurecht machte.
Hannah lief durchs Haus, rief seinen Namen und sah in alle Zimmer. Konnte er irgendwo hilflos im Haus liegen? Dann bemerkte sie seinen fehlenden Mantel und seine Schuhe.
Überstürzt kleidete sie sich an und noch im Fortlaufen zum Bahnhof knöpfte sie ihren Mantel zu. Der Frühzug, den ihr Mann jeden Morgen benutzte, stand schon auf dem Gleis und einige Leute hatten den Zug bestiegen oder holten sich noch eine Zeitung am Kiosk, denn es waren noch einige Minuten bis zur Abfahrt.
Im Laufen schaute sie aufmerksam in die erleuchteten Waggons, ihr Mann war nicht da! Der Bahnhof leerte sich und auch hier war er nicht zu entdecken.

Am Eingang des Bahnhofs hielt, kurz vor der Abfahrt des Zuges, mit quietschenden Reifen ein Auto und ein Mann sprang heraus,eilte zu dem noch wartenden Zug und sprang in letzter Sekunde auf.
Ihr Schrei ging unter im schrillen Pfiff des Zugbegleiters. Die Waggons setzten sich in Bewegung und sie wusste nur eins: das war ihr Mann gewesen.

Wo kam er her, wer hatte ihn gebracht?

Der Wagen stand noch immer vor dem nun menschenleeren Bahnhof. Eine Tür wurde geöffnet und Hannah ging, wie in Trance, auf das Auto zu.
Sie hörte das Quengeln eines kleinen Kindes und die Stimme der Mutter, die das Kind beruhigen wollte.
„ Gut, dann gehen wir noch einmal auf den Bahnhof und schauen Papa nach, du winkst ihm und bald ist er wieder bei uns und bringt dir etwas Schönes mit!“


Gleich würde sich die Erde auftun und sie verschlingen und diese Frau samt Auto und Kind auch, dann hätte ihre Qual ein Ende.


Doch nein, die Mutter stieg nun aus und löste den Sicherheitsgurt des Kindes, das nun eilig heraussprang. Wie alt der Junge war, konnte sie nicht schätzen, aber er war die kleinere Ausgabe ihres Mannes und die Frau hatte Hannah auch schon mehrfach gesehen!

In diesem Augenblick nahm die Frau sie auch wahr, erbleichte und Hannah sah eine schöne Frau, die halb so alt war wie sie und einen Sohn von ihrem Mann hatte.
„ Bitte,“ sagte die Frau „ ich weiß wie schwer es für sie sein muss, so zu erfahren, dass ihr Mann ein Verhältnis mit mir hat. Ich wohne nicht weit von Ihnen entfernt. Er brachte es nicht fertig, mit Ihnen darüber zu sprechen. Ich konnte es auch nicht. Es wäre wohl noch lange so weiter gegangen, wenn wir uns heute nicht zum ersten Mal verschlafen hätten. Sonst ging er immer zwei Stunden, bevor Sie aufstanden, wieder nach Hause. Er kam nicht jede Nacht zu mir. Kann ich etwas für Sie tun, Sie vielleicht nach Hause fahren oder Sie kommen mit zu mir und wir sprechen über alles?“

Hannah sah sie nur entsetzt an, wie eine schreckliche Erscheinung, ließ sie wortlos stehen und schleppte sich nach Hause.

So saß sie noch immer als ihr Mann, früher als sonst, nach Hause kam. Sicher war von der Mutter seines Sohnes informiert worden.
Er stand in der Wohnzimmertür und blickte sie bestürzt an. Wie eine Fremde saß sie, die mit seiner Frau, die er kannte nichts zu tun hatte.

Er sah den Revolver in ihrer leicht zitternden Hand.
„Bitte, lass uns in Ruhe darüber sprechen und nachdenken, wie es weitergehen soll, Hannah!“

„Das habe ich bereits den ganzen langen Tag,“ entgegnete sie ihm mit einer Stimme, die sie nicht als ihre eigene erkannte.
„Ich habe nur auf dich gewartet, damit du siehst, wie sehr ich dich liebe!“

Sie hob den Revolver und der Schuss ließ das Zimmer erzittern.


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Tag der Veröffentlichung: 12.03.2010

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