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Wer inspirierte Goethe zu der Figur seines Gretchens im Faust?

Die Kindmörderin Susanna Margaretha Brand, genannt Susann, die eigentlich nicht Gretchen hieß aber Goethe legt seinem Gretchen die Worte der Susann, die er hat sterben sehen, in den Mund.

Anfang 1772 wurde die Kindsmörderin in Frankfurt enthauptet, nachdem sie im August 1771 von ihrer eigenen Schwester angezeigt wurde: Sie soll ihr Neugeborenes getötet haben.

Im Römer wird ihr der Prozess gemacht.

Ruth Berger, Historikerin aus Frankfurt, erzählt nach ausführlichen und präzisen Recherchen aus alten Akten diesen tatsächlichen Kriminalfall in ihrem Buch „Gretchen“.

Das Leben und Sterben dieser Frankfurter Dienstmagd, die kaum 26 Jahre alt wurde, wird in eine Erzählung gebettet, die uns die dumpfen Moralvorstellungen der damaligen Zeit so recht anschaulich vor Augen führen.

Ruth Berger bedient sich teilweise der damaligen üblichen Ausdrucksweisen, die dem französischen Sprachgebrauch der besseren Gesellschaft nachempfunden werden.
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So wartet die ledige Susann über Monate hinweg auf ihre „verstockte Ordinaire“, die monatliche Regel, und mit ihr die immer argwöhnischer werdenden Schwestern und ihre Wirtin, die Bauerin, bei der sie als Dienstmagd angestellt war.

Die Ehefrauen in damaligen Zeiten hießen nicht Frau Bauer sondern die Bauerin.
Die Frau des Herrn König war die Königin, die Frau des Herrn Hechtel, die Hechtelin

Auch durch die nicht gewöhnliche Erzählweise erlebt man die Not einer einfachen Frau, eingespannt in dumpfen Moralvorstellungen und einer mitleidlosen Gesellschaft, im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

Die Familie Goethe und die Gebrüder Senckenberg – bekannt durch das weltbekannte Senckenbergmuseum – die damals schon viel besuchte Frankfurter Messe am Römerberg, die alte Judengasse und die diskriminierenden Anwürfe der Bewohner, dem damaligen üblichen Umgang mit Juden geschultert; in allem liefert Ruth Berger den Nachweis, dass Spannung und Anspruch sich nicht ausschließen müssen.

Vielleicht hat mich das Buch auch deshalb so gefesselt, weil es mich sehr daran erinnerte, dass vor noch nicht einmal fünfzig Jahren die Moralvorstellungen zu unehelichen Kindern nicht allzu weit entfernt waren von den Ansichten zu dieser Romanvorlage.

Meine Mutter ertrug es 1964 nicht, dass ich ins Gerede der „Leute“ gekommen war, weil ich nach nur neun Monaten und drei Tagen Eheschließung einen Sohn bekam.
Es war nicht so genau nachgerechnet worden, da ich nicht mehr in der näheren Umgebung wohnte.
Ich musste ihr mein Stammbuch geben und damit ging sie von „Verleumderin zu Verleumderin“ und stellte klar, dass ich als ein „unbescholtenes Mädchen“ zur Hochzeit geschritten war.

Alle, die gegenteiliges behauptet hatten, mussten sich bei mir entschuldigen.

Es konnte einer Familie kaum etwas Schlimmeres passieren: ein uneheliches Kind war ein fürchterlicher Makel für alle Angehörigen.

Vergleichbar mit archaischen Vorstellungen in patriarchalischen Familienstrukturen, die ähnliche „Vergehen“ ihrer weiblichen Angehörigen mit „Ehrenmord“ sühnen.

Ansonsten freut sich heute ein jeder in diesem Land, wenn ein Kind geboren wird, da es immer weniger werden und wir auszusterben drohen und ganz besonders erfreulich ist es, wenn dieses Menschlein auch noch das Glück hat, willkommen zu sein.

Kindstötungen, weil man sich schämt ein Kind zu bekommen, sind die Ausnahme.
Materielle Nachteile, die durch die Geburt eines Kindes entstehen könnten, werden häufig angeführt.
Babyklappen, Adoptionsmöglichkeiten und manch andere Hilfe könnten den Tod eines Kindes vermeiden, wenn sie denn in Anspruch genommen würden.

Die Achtung vor dem menschlichen Leben scheint mir immer weiter an Bedeutung zu verlieren. Alltägliche brutale Gewaltausbrüche sind beinahe erschreckende Realität und finden auch noch Verständnis bei gerichtlichen Aufarbeitungen der Taten.
Recht und Gesetz in solchen Fällen können dem Bürger häufig nicht vermittelt werden, da die Strafen hierfür selten dem Gerechtigkeitsempfinden entsprechen.

Nicht nur der Umgang mit dem ungeborenen Leben oder dem Leben der Kleinsten prägt das Gesicht unserer Welt, auch der wenig menschliche Bezug zu den Alten in unserer Gesellschaft lässt wenig Gutes für die Zukunft in diesem Land erahnen.


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Tag der Veröffentlichung: 16.01.2010

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