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 Wie ich unsichtbar wurde

 


Langsam, ganz langsam wurde ich unsichtbar. Erst fiel es mir nicht auf. Jahrelang nicht. Ich kann auch nicht genau sagen, seit wann ich unsichtbar wurde. Es ist mindestens 22 Jahre her.

Als ich neununddreißig Jahre alt wurde, gab ich im Freundes- und Bekanntenkreis kund, dass ich nun meine Generalbeichte ablegen wolle.
„ Ach“ sagten sie, „warum denn das.“
„ Weil ich meine, dass mit neununddreißig die Jugend vorbei ist. Nun muss es seriöser zugehen.“

Mit der Seriosität wurde es langsam auch langweilig und ich schob die Beichte noch drei Jahre hinaus. Doch dann musste ich mich einer Unterleibsoperation unterziehen.

Von nun an ging’s bergab.

 


Eine Hormontherapie und das erfolgreiche Bemühen, nicht mehr zu rauchen, ließen die Pfunde klettern. Ich hätte mir ein Pflaster auf den Mund kleben müssen, dass einzige, garantiert erfolgreiche Mittel zum Abnehmen.

Andererseits sah ich ganz schlanke, modisch gekleidete und wohl frisierte Damen meines Alters, in der Stadt promenieren. Drehten sie sich herum und ich sah in faltige Gesichter, die so gar nicht zum übrigen Outfit passen wollten, fand ich das erst recht nicht schön.

Man muss zu seinem Alter stehen, ansonsten macht man sich leicht lächerlich.

Den Männern kann das so nicht passieren. Sehr oft hat man den Eindruck, dass Männer, wenn sie älter werden, besser aussehen. Ein älterer Mann mit einer jungen Frau- völlig selbstverständlich.
Eine alte Frau mit einem wesentlich jüngeren Mann – einfach nur peinlich.
Als kleines Beispiel: siehe unseren ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Er strahlt mit einer 40 Jahre jüngeren Partnerin um die Wette.

Sollte Angela Merkel plötzlich Witwe werden und einen 40 Jahre jüngeren Knaben von 21 Jahren als ihren Partner präsentieren – völlig unmöglich. Die öffentliche Meinung würde sie zerfleischen und als nicht mehr tragbar für das Amt der Bundeskanzlerin darstellen.


Ich schloss Frieden mit dem Älterwerden und seinen weniger erfreulichen Seiten. Noch bin ich halbwegs gesund, besuche einen, meinem Alter entsprechenden Fitnessclub, eine  Damensauna und pflege mich, das muss sein.

Doch dann  wurde ich langsam unsichtbar.
Kein anerkennender Pfiff oder der gewisse Blick, den Männer so unnachahmlich senden - alles weg.
Nicht plötzlich, aber es fiel mir immer öfter auf.

Nun ja, jetzt kann man andere Dinge genießen:
Ein entspanntes Gespräch mit Männern, ohne die entsprechenden Antennen auszufahren. Ein gutes Essen, mit einem hervorragenden Wein dazu, ist auch nicht zu verachten.
Früher wurden Kalorien strenger beachtet.

Gemütlichere Schuhe, mit denen ich lange und ohne Fußbeschwerden laufen kann.
Weniger lange Abende in Kneipen an der Theke.
Ersetzt werden sie durch Literaturkurse und Schreibwerkstatt.
Lesen bis tief in die Nacht, schreiben bei BookRix und sich hier über Kommentare und den Austausch mit den zahlreichen Freundinnen sehr freuen!

Mein Musikgeschmack änderte sich ebenfalls. Die Meister des Barock kann ich stundenlang anhören. Konzertkompositionen, ausgehend von der italienischen Art eines A. Corelli, Vivaldi, Locatelli, Albinoni bis zu Bach, Mozart, Händel und Telemann sind höchster Genuss.

Bildungsreisen haben Vorrang vor einem Strandurlaub.
Enkelkinder verwöhnen, knutschen und den Ausruf: „ Oma, bitte erzähle noch einmal von früher“, genießen.

Die Erkenntnis wächst, jedes Alter hat seine guten und weniger guten Seiten. Für Gesundheit - abgesehen von einigen Verschleißerscheinungen -  und ein sorgenfreies Alter danke ich meinem Herrgott, der mir außerdem noch vor 25 Jahren einen Ehemann geschickt hat, der nur ganz kleine Fehler hat, dafür aber so richtig jemand ist, der mir  alle schwere Arbeit abnimmt, mir meine Hobbys geduldig gönnt und mir den Kaffee ans Bett bringt.
Leider nur zum Mahlen - das ist so einer seiner kleinen Fehler, da er aber ganz überwiegend sehr lieb ist und die Enkelkinder, wie ich auch über alles liebt, sei ihm verziehen. Das Verhältnis zu den Enkeln beruht auf Gegenseitigkeit und so hoffe ich, noch einige geruhsame und gesunde Jahre im Kreise meiner Lieben zu erleben.

Da jeder als Mensch nur zwei Möglichkeiten hat: entweder früh zu versterben oder alt zu werden und damit auch die Maläsen dieser Zeit zu ertragen, so bin ich es zufrieden. Wer jetzt jung ist, wird es genau so antreffen, da niemand den "Jungbrunnen" gepachtet hat!


Da gibt es niemanden zu beneiden oder zu bedauern, das Schicksal des Menschen ist nun einmal endlich. Keiner weiß den Tag oder die Stunde seines Abschieds von dieser Erde und das ist gut so.


Impressum

Texte: Annelie Heyer
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2010

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