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Jede weite Reise ist nicht nur Vergnügen. Wallfahrtstätten in der Nähe, so Kevelaer, ein Ort etwa 80 km von mir entfernt, in welchem besonders die Gottesmutter verehrt wird, könnten ab einem gewissen Alter auch durchaus genügen!

Vor sechs Wochen flog ich mit meinem Mann nach Verona, um von dort aus weiter nach Abano zu reisen. Das liegt etwa 50 km vor Venedig und ist für seine einzigartigen Naturfangobäder weltberühmt.

Nun reisen wir immer wieder einmal in dieses Bad, schon seit 1994. Es ist einfach das für mich einzig wirksame Mittel gegen meine Rückenprobleme.

Die ersten Jahre sausten wir um drei Uhr am Morgen los und waren gegen 19 Uhr mit kürzeren Pausen an Ort und Stelle.

Jahre später teilten wir uns diese 1200 km in zwei Teile ein.
Wir fuhren um 8.00 Uhr am Samstagmorgen bis Bayern, übernachteten dort und setzten am anderen Morgen zum Endspurt an.

Bei der letzten Rückfahrt von Abano vor drei Jahren erlebte ich unmittelbar vor uns ein fürchterliches Unglück. Eine Massenkarambolage mit Toten und Verletzten und einem mehrstündigem Stau.
Seither bin ich traumatisiert, was lange Autobahnfahrten betrifft.
Die Bilder lassen mich nicht los.
Ausgelöst wurde dieser Unfall durch einen LKW, dessen Fahrer kurz eingeschlafen war.
So stand es in der Zeitung.

Mittlerweile sind die Autobahnen derart gesteckt voll, dass es auch kein Vergnügen mehr macht, länger dort zu verweilen.
LKW an LKW, immer denke ich, hoffentlich schläft der Junge nicht ein, wenn ich ihn gerade überholen muss. Dann noch die wenig Vertrauen erweckenden, da marode aussehend, LKW aus Bratislawa und aus fernen Landen.

So wollte ich diesmal also mit dem Flugzeug reisen.

Im Januar buchte mein Sohn, der weltbeste aller Söhne, einen Flug per Internet nach Verona, weil von dort recht problemlos Abano mit dem Zug zu erreichen ist.

Er fuhr uns auch zum Flughafen und geleitete uns, eben weil er der weltbeste aller Söhne ist, zum Flugschalter und zeigte die Buchungsformulare vor.
Ein junger Mann sah sich die Unterlagen an und sagte sehr zuvorkommend, ob er auch nach Verona fliegen wolle.
„Nein“, sagte mein Sohn, „ich bringe meine Eltern her.“
Wir standen hinter ihm und der sehr freundliche junge Mann sah uns an und ich hatte das untrügliche Gefühl, dass sein Blick sagte: „ Ach, hätte Kevelaer es nicht auch getan?“

Er erklärte meinem Sohn, wo und wann wir an dem bestimmten Abfertigungsschalter sein sollten.
Mein fürsorglicher Sohn ging auch noch bis dort hin mit und wir verabschiedeten uns herzlich und nach nochmaligen Erklärungen meinerseits, wo das Testament und alle wichtigen Unterlagen sichtbar auf dem Wohnzimmertisch lägen, für den Fall, dass wir abstürzen würden, hatten wir noch eine Stunde Zeit bis zum Abflug.

Auch hier hatte ich das Gefühl, dass ich meinen lieben Sohn ein wenig genervt hatte und auch in seinen Augen so etwas wie: „Kevelaer hätte es auch getan“ aufgeblitzt war.

Kaum war er weg, kam eine Durchsage, der Flug nach Verona ginge nicht von C 70 sondern von B 80 los.
Nun sind wir keine Vielflieger, ich war bisher nur dreimal geflogen: nach Israel, Türkei Venedig, Rom und nun nach Verona.

Rechtzeitig stellten wir uns zur Kontrolle an und gaben unsere Rucksäcke ab, legten Uhren, Geldbörsen, Jacken und Gürtel in entsprechende Boxen und beantworteten wahrheitsgemäß, dass wir keinerlei Flüssigkeiten dabei hätten.
Doch schon piepste das Kontrollgerät und zwei ernst dreinblickende Herren riefen uns zur Seite und forderten uns auf, die Rucksäcke zu leeren.
Stein des Anstoßes waren eine Tube Zahnpasta und eine Tube Rasierschaum.
Doch, dies seien auch Dinge, die nicht ins Handgepäck dürften und sie wurden entsorgt.

Da wir darauf vertrauten, in Abano gleiches besorgen zu können, war es weiter nicht schlimm, hätte ich nur nicht in die Augen der beiden Herrn gesehen:
Dort blitzte es wieder auf: Kevelaer hätte es auch getan!

Nun wiesen uns Schilder den Weg, wo wir uns die letzte dreiviertel Stunde vor Abflug hinsetzten konnten.
Alle Zahlen von 1-70 nach links, von 71 bis 80 nach rechts.
Wir marschierten also nach rechts, kamen in eine Seitenkabine, wo noch wenige Leute saßen und ich konnte von dort auf das Flugfeld sehen.
Hier stand etwa 100 m vor mir eine Maschine gleicher Fluglinie, die wir gebucht hatten.
Sie wurde betankt, beladen, das Personal stieg ein und dann schlug mein Puls plötzlich höher:
Leute mit Handgepäck, im Gänsemarsch hintereinander, bestiegen das Flugzeug.

Mittlerweile saßen sehr viele Fluggäste um uns herum. Stutzig hätte mich schon machen müssen, dass drei Herren einen römischen Kragen trugen, wie katholische Priester ihn besaßen.
„Entschuldigen Sie“, rief ich in die Menge „ fliegen sie nach Verona?“
„Nein“, kam die Antwort, „ in einer halben Stunde nach Rom!“

„ Jesus“ stöhnte ich und bevor ich losrannte um mich zu erkundigen, was nun zu tun sei, sah ich bei den römischen Kragenträgern und bei meinem Mann den mir nun schon bekannten Blick: Kevelaer hätte es auch getan!

Wir rannten also los und in diesem Moment kam die Durchsage: „ Frau und Herr Heuer bitte zum Abflug an Gate B80 kommen!“
Zum Glück trafen wir auf eine Auskunft, die uns beschied, wo wir hin mussten.

Ich hatte nur auf die Zahl 80 geachtet und nicht auf den Großbuchstaben davor. Daher saßen wir an der falschen Stelle.

Atemlos erreichten wir die Abflugstelle und zeigten unsere Bordkarten vor. Die beiden Damen, sehr freundlich, hörten sich meine wortreichen Ausreden nur teilweise an und wiesen uns an, so schnell als möglich das wartende Flugzeug zu besteigen.

Ich sah es schon wieder in ihren Augen und in den Blicken der Stewards beim Einstieg:
Kevelaer hätte es auch getan!

Wir nahmen Platz und bevor uns strafende Blicke der Mitreisenden erreichten, kam ein Flughafenangestellter angerannt und verkündete, dass ein Passagier zu viel an Bord sei.
Alle Bordkarten sollten bereitgehalten werden.
Meine hatte ich bei der Rennerei verloren.
Ein Mitreisender fand sie im Gang und so konnte ich sie, nach Namensnennung, wieder in Empfang nehmen.

Der zuviel anwesende Passagier konnte nicht ermittelt werden und so flogen wir mit einer viertel Stunde Verspätung doch noch los.

Leider war das Wetter sehr schlecht, Regen und Sturm und Nebelschwaden.
Nichts war zu erkennen und ich hatte mich schon so auf die Aussicht der schneebedeckten Alpen im Sonnenschein gefreut!

Kurz vor der Alpenüberquerung ging ich zur Toilette.
Kaum hatte ich dort Platz genommen, brach die Hölle los:

Eine unbeschreibliche Turbulenz erfasste das Flugzeug.
Der Pilot gab durch, er wäre nicht vom Ausmaß und der Windgeschwindigkeit von über 200 km unterrichtet gewesen. Wir sollten nicht in Panik geraten, er hoffe, es würde nicht lange dauern.

Die Stewardess, die mich gesehen hatte, als ich zur Toilette ging, rief mir von außen zu:
„Bleiben Sie um Gotteswillen sitzen und halten Sie sich an den beiden Griffen neben Ihnen gut fest. Ich hole Sie ab, sobald es vorbei ist!“

Da saß ich, flog wie ein Wandkalender auf und ab, mit heruntergelassener Hose, und dachte:

Wirklich, Kevelaer hätte es auch getan!


Kleiner Nachsatz:

Es ging alles gut und Abano und alle zauberhaften Orte, die wir immer wieder entdecken, da sie in unmittelbarer Nähe liegen, sowie der Rückflug im Sonnenschein über die schneebedeckten Alpen, waren nun doch nicht mit Kevelaer zu vergleichen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinem Sohn Erik

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