Cover

Hast du auch gut das Werk von unten gewaschen?



Vorwort

 




Erinnerungen sind immer endlich. Für eine Anzahl von Jahren wird es Erinnerungsbilder von mir geben. Aber eines Tages werden auch sie verschwinden. Es ist nur wenigen vergönnt, über die Erinnerungen ihrer Enkel weiterzuleben. In hundert Jahren gehören die meisten von uns zu den namenlosen grauen Schatten in dem Schwarzen da draußen, das uns umgibt. Was ich selber von den Menschen in Erinnerung habe, die meine Wurzeln und auch eure Wurzeln sind, meine geliebten drei Enkelkinder, habe ich für euch aufgeschrieben. So lernt ihr eure Familie in den folgenden Geschichten kennen und ich hoffe, dass ihr somit eine Vorstellung von ihnen und ihrem Leben bekommt.
Die Urgroßmutter Anna, die Großmutter Maria, der Großonkel Willi, meine Mutter, mein Vater, meine Schwestern Else und Hiltrud und ich lebten über viele Jahre in einer Großfamilie zusammen in einem Haus. Weitere Familienangehörige, die alle in der näheren Umgebung wohnten, hatten zu uns stets engen Kontakt. Sie alle waren mir sehr lieb und jetzt, wo ich von ihrem Leben berichte, begreife ich erst, wie hart und entbehrungsreich die vergangenen Zeiten gewesen sind. Viele erlebten schwere Schicksalsschläge, die auch meine Kindheit überschatteten.
Ich wurde mitten im zweiten Weltkrieg geboren und obwohl ich mich an die letzten drei Kriegsjahre sicher nicht erinnern kann, prägte die Nachkriegszeit, in der die Gräuel des Erlebten den Erwachsenen noch sehr präsent waren und immer wieder erzählt wurden, mein Leben. Manchmal kann ich heute nicht sagen, ob ich vieles nur von dem immer wieder Erzähltem kenne oder - die ich als kleines Kind ja dabei war - vieles tatsächlich in meiner eigenen Erinnerung geblieben ist. Ich habe mit dem Schreiben Anfang 2005 angefangen als ich nach zweiundvierzig Jahren aus dem Berufsleben als Lehrerin ausschied. Nun hatte ich alle Zeit der Welt etwas zu tun, was mir immer Spaß machte und so kam mir der Gedanke, dass ich einmal aufschreiben könnte, was ich erlebt habe und für euch interessant wäre. Dank der Mühe, die Sohnemann Erik sich machte, als er mir die Benutzung des PC beibrachte, hoffe ich, noch viele Erinnerungen und Geschichten hiermit schreiben zu können. Mein erster Laptop hat schon den Geist aufgegeben und alles Geschriebene, besonders die Dinge aus meiner Dienstzeit in der Schule, sind verschwunden. Ich hoffe, dass mein eigener Computer im Kopf so lange standhält, bis ich alles geschrieben habe, was noch in ihm gespeichert ist. Euer bisheriges Dasein ist für mich die schönste Erinnerung!

Mutter und Oma Anne


Die Urgroßmutter

 



Meine Urgroßmutter kam aus Wassenberg, der Urgroßvater aus Keyenberg. Diese Orte, im heutigen Kreis Heinsberg, liegen etwa 30 km auseinander. Geht man querfeldein, dies tat der Urgroßvater Franz wohl auch, als er 1885 die Urgroßmutter freite, dann wird er, trotz Abkür- zungen sicherlich mehrere Stunden gelaufen sein. Ein Fortbewegungsmittel hatte er nicht.

Das machte der Urgroßvater jeden Sonntag, ein Jahr lang, dann hatte er die Mutter seiner Auserwählten von seinen ehrlichen Absichten überzeugt und die Ur-Urgrossmutter gab ihren Segen zu dieser Verbindung. Der Ur-Urgroßvater war bereits am 27.11.1876 in Wassenberg gestorben.

Der Ur-Urgroßvater, Hubertus Jacobus Wittgens geb. am 2.12.1824 in Neuß, war ein hoch angesehener, künstlerisch begabter Tischlermeister,der in der alten Wassenberger Propsteipfarrkirche St. Georg die Kirchenbänke geschreinert und mit kunstvollen Schnitzereien an den Seiten gestaltet hatte Bei einem Luftangriff während des Krieges im Jahre 1944 brannte die Kirche bis auf den Turm ab und von den Kirchenbänken blieb keine erhalten. In erster Ehe war er mit einer Elisabeth Thißen verheiratet, die am 30.7. 1859, nach nur dreijähriger Ehe, verstarb. Seine zweite Frau, meine Ur-Urgrossmutter Maria Antonetta Wittgens geb. Messmann, vermählte sich mit dem Witwer am 18.10. 1861 in Wassenberg.

Sie bekamen drei Kinder, zwei Töchter, Gertrud und Anna und einen Sohn Petrus. Die älteste Tochter, die Urgroßtante Gertrud heiratete nicht und ließ aus ihrem elterlichen Vermögen einen begabten Waisenknaben studieren. Sie begleitete ihn sein Leben lang und er war in unserer Familie als der „Studienrat Bock aus Beckum bei Münster“ ein Begriff.

Meine Urgroßmutter Anna Catharina wurde als zweites Kind der Familie am 17. Oktober 1865 in Wassenberg geboren. Nach ihrer Heirat hieß sie Anna Jansen und zog mit ihrem Mann nach Mönchengladbach. In den ersten Jahren bekamen sie keine Kinder. So pilgerten sie zu verschiedenen Marienwallfahrtsorte und baten die Gottesmutter um Kindersegen. Als 1891 das erste Kind, meine spätere Großmutter, geboren wurde, gab man ihr den Namen Maria zum Dank an die Gottesmutter. Es folgten in schöner Reihenfolge, bis zum Jahre 1907, die Kinder Jakob, Gertrud, Josef, Klara, Willi und Else. Ein kleiner Sohn Franz starb kurz nach seiner Geburt.

Nun beteten die Urgroßeltern: Herr, hör auf mit deinem Segen!

Anfang 1910 bauten meine Urgroßeltern in Mönchengladbach-Holt ein Haus, welches bis zum Jahre 1986 in der Familie verblieb und in dem ich meine Kindheit und Jugendzeit verbrachte.

Schwere Schicksalsschläge blieben der wachsenden Familie nicht erspart. So erkrankte während einer großen Typhusepidemie im Jahre 1912, bis auf den Sohn Willi, alle Familienangehörige. Der älteste Sohn Jakob starb und der Sohn Josef erblindete auf einem Auge. Über den Tod seines Sohnes Jakob kam der Urgroßvater nicht hinweg, denn gerade er war sein ganzer Stolz, da er außergewöhnlich begabt gewesen war. Er spielte wunderschön die Zither und befand sich mit seinen erst 18 Jahren bereits in der höheren Laufbahn ein Postinspektors. Der Urgroßvater haderte mit seinem Gott und rief in seiner Verzweiflung: „Herrgott, lieber diese Beiden als den einen.“

Mit "diesen Beiden" meinte er den halb erblindeten Sohn Josef und den geistig zurückge- bliebenen Sohn Willi. Diesen Satz hat seine Familie ihm lange Zeit nicht vergeben können und es wurde still im Haus. Nur allmählich konnte er diesen Schlag verwinden.

Ich selber habe den Urgroßvater nicht kennen gelernt, denn er starb vor meiner Geburt im Jahre 1937. Die Urgroßmutter war eine strenge Mutter aber als Urgroßmutter – ich wohnte mit ihr in unserer Großfamilie – eine sehr liebe Frau. Sie starb, als ich zwölf Jahre alt war, im Alter von fast 90 Jahren. Mit 75 Jahren fiel sie bei einem Einkauf in einem kleine Geschäft in der Nachbarschaft über eine zerbrochene Ölflasche und brach sich den Oberschenkelhals-
knochen. Zu damaliger Zeit konnte der Bruch nicht so geheilt werden, dass sie wieder gehen konnte.

So saß sie die letzten 15 Jahre ihres Lebens am Fenster in der Wohnküche und strickte unentwegt für die ganze Familie Strümpfe, Socken, Pullover, Röcke, Hosen, Leibchen für die Befestigung der langen Strümpfe, und alles mit hübschen Mustern und in wunderschönen Farbkombinationen.

Am Abend trug mein Vater sie in den ersten Stock hinauf in ihr Schlafzimmer und am frühen Morgen wieder hinunter.

Nie hörte ich sie jammern und klagen. Wenn sie nicht den Rosenkranz betete, erzählte sie uns drei Mädchen, ihren Urenkelinnen, Geschichten. Im Sommer saß sie draußen auf dem Hof und half beim Einkochen, indem sie Obst und Gemüse vorbereitete. Ich sehe sie heute noch so sitzen, stets ganz in schwarz gekleidet und bei der Arbeit mit einer grau-gestreiften Schürze.

Samstags nachmittags kam der Pfarrer mit einem Messdiener und brachte ihr die heilige Kommunion. Dazu wurde ihr weißes Haar von meiner Mutter besonders schön zu einem Nackenknoten geflochten und die Urgroßmutter steckte eine wertvolle Brosche an den Stehkragen ihres Kleides. Diese Brosche wurde stets an die älteste Tochter der Familie weitergegeben und somit ist sie nun in meinem Besitz und ich werde sie an meine älteste Enkelin Lisa weitergeben, da ich keine Tochter habe. Bevor der Pfarrer kam, wurde der kleine Tisch, der vor der Urgroßmutter stand, mit einem weißen Tischtuch bedeckt. Darauf kam ein Standkruzifix mit einem Weihwasserbehälter und zwei Kerzen wurden neben dem Kreuz entzündet. Sobald der Pfarrer das Haus betrat, versammelte sich die ganze Familie im Raum und es wurde gebetet. Wenn die Urgroßmutter zu beichten wünschte, verließen wir so lange den Raum. Nachdem die Urgroßmutter die Kommunion erhalten hatte, segnete uns der Pfarrer. Der Messdiener ging vor ihm, mit einem Glöckchen klingend, hinaus.

Nach einer kleinen Operation verstarb 1946, zur größten Trauer der ganzen Familie, Else, die jüngste Tochter der Urgroßmutter im Alter von 39 Jahren an einer Embolie. Sie hinterließ einen elfjährigen Sohn. Ihr Mann Paul, der zu dieser Zeit noch als vermisster Soldat des zweiten Weltkrieges galt, kam nie wieder. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie die Familie nach der Beerdigung der Großtante Else nach Hause kam und alle laut weinend die Urgroßmutter umarmten. Ich war mit ihr, die ja nicht mehr gehen konnte, daheim geblieben und wir haben gebetet. Die verzweifelt traurige Stimmung dieses Tages habe ich nie vergessen können, denn ich hatte diese Tante sehr lieb gehabt und war von ihr stets geherzt und geküsst worden.

Durch diese fürchterlichen Ereignisse wurde die Lebensplanung der Familie völlig anders gestaltet als vorgesehen war. Die Urgroßmutter starb am 20.10.1954. Sie wurde im Hausflur aufgebahrt und die Nachbarn kamen, beteten und nahmen Abschied von ihr. Ich sah sie so friedlich im Sarg liegen, dass ich sie häufig in den drei Tagen vor ihrer Beerdigung betrachtete und mit Weihwasser segnete, ganz so wie die Erwachsenen es taten.

Die letzte Ruhestätte der Urgroßeltern verblieb in der Familie und ist heute das Grab meiner Eltern in Mönchengladbach.


Die Großmutter

 



Ömken so nannten wir drei Schwestern unsere Großmutter.

Sie wurde am 27.9.1891 in Wassenberg geboren. Maria war die Älteste von sieben Kindern der Eheleute Anna und Franz Jansen. Früh schon half sie ihrer Mutter bei den vielen Arbeiten in der ständig wachsenden Familie und diese Rolle behielt sie bis zu ihrem Todestag am

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: by Annelie Heyer
Bildmaterialien: Cover - Familienmitglieder vor der "Katzenvilla"
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2009
ISBN: 978-3-95500-202-2

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Eltern, die ihr Versprechen, den Geistigbehinderten Onkel Willi 1903-1984 stets in der Familie zu behalten, nicht gebrochen haben!

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