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Herr Mannelig




Wenn die alten Frauen in Tillö ihren Enkeln Märchen erzählten, so erzählten sie oft das Märchen von der habgierigen Magd des Königs von Falun, die ihr eigenes Kind für drei Beutel Gold an einen Troll verkaufte, um Königin zu werden. Die Kinder von Tillö mochten dieses Märchen nicht besonders. Wurde der Gerechtigkeit auch genüge getan, denn die Königin starb am Ende, so fehlte es ihm doch an einem guten Ende, denn das Kind, ein Mädchen, war immer noch mit dem Fluch belastet. Ein Fluch, der sie aussehen ließ, wie ein Trollmädchen.

Schon seit Menschengedenken hat es, zwischen Tillö und Ternö, den finsteren, uralten Wald gegeben. Ich glaube, es hat ihn schon gegeben, als das ganze Land noch von Schnee und Eis bedeckt war. Ein eisiger Bach, der hoch oben in den Jötunenbergen entsprang, floß mitten durch ihn hindurch. An diesem Bach standen zwölf Mühlen. Die Mühlen hatten noch kein Korn zu Mehl vermahlen. Es waren Steinmühlen. Und sie gehörten Rungnir, dem größten und mächtigsten aller Bergtrolle. Zwerge schürften in den Jötunenbergen schon viele hundert Jahre nach Erz, und Rungnir verarbeitete Gesteinsbrocken zu Kugeln. Denn er liebte es, mit einer riesigen Blide, Steinkugeln über den Bergkamm hinweg ins Meer zu schleudern. Aus dem Mehl, das beim Mahlen des Abraums übrigblieb, es war von dem schönsten Rot weit und breit, buk seine Frau Thrud das Brot, das er am Liebsten aß. Und da er ein kräftiger Bergtroll war, aß er jede Nacht zwölf solcher Steinbrote. Und Hymir, der ihm überall hin wie ein Schatten folgte, aß zehn. Während die Hammerschläge der Zwerge, tagsüber, wenn der Wind richtig stand, sogar in Falun zu hören waren, so mahlten die Mühlen zwischen Tillö und Ternö nur nachts. Selten betrat ein Händler den Wald, um Waren auf dem Markt in Tillö feilzubieten, und manch stolzer Ritter ritt todesmutig in Ternö los und kam zerschunden und verwirrt zu Fuß in Tillö an und blieb dann dort, weil es ihn vor dem Rückweg grauste. Auf diese Weise war die Zahl versprengter Rosse mit den Jahren zu einer großen Herde angewachsen. Niemand hatte bisher versucht, die Tiere zu zähmen. Das einzige Wesen, dass sie in ihre Nähe ließen, war Hlynda, die rothaarige Tochter des Trolls. Ihr erlaubten sie, ihre Wunden zu versorgen und ihnen Heu in die Raufe zu legen. Denn sie hatte ein gutes Herz und war anders, als all die übrigen Trolle, die den Wald unsicher machten. Und wenn sich Rungnir und Hymir abends mit dem Karren voll Geröll rumpelnd dem Steinhaus näherten, in dem Hlynda mit ihrer Mutter Thrud lebte, dann ergriff sie die Flucht und suchte Schutz bei Fossegrimm, dem Leierspieler, der in der Grotte unter dem Wasserfall hauste.

Der Bergtroll wollte sie schon lange mit Hymir verheiraten. Er hatte sogar versprochen, ihr am Tage ihrer Hochzeit die zwölf Mühlen zu schenken. Doch Hlynda verabscheute Hymir zutiefst. Schon oft war er ihr nachgelaufen und hatte versucht, sie zu fangen. Er war riesig und behäbig, und sie war klein und flink. Und hatte sie den Wasserfall erst erreicht, dann war sie, wie vom Erdboden verschluckt. Wenn sie und Fossegrimm den tumben Bergtroll draußen vor Wut rasen hörten, schimpfte Fosserimm mit ihr:
„Irgendwann wird er uns erwischen, und dann verdrischt er uns.“
Doch Hlynda lachte ihn dann aus und flüsterte:
„Das wäre allerdings zu befürchten, wäre er nicht so furchtbar wasserscheu!“
In solch einem Augenblick, wenn sie still und lauschend in der feuchten Grotte stand, kamen Erinnerungen hoch und die machten sie traurig und wütend zugleich. Sie wusste, dass sie nicht hierher gehörte. Denn sie konnte sich an die Stimme einer Frau erinnern – einer Frau die ihr ein Lied vorgesungen hatte. Damals, in dem anderen Leben, bevor sie hierher in den Wald zu den Trollen gekommen war:
„Fosse, ich werde niemals einen Troll heiraten“, sagte sie dann trotzig.
Und dann stimmte sie mit ihrer traurigen dunklen Trollstimme das Lied an und Fossgrimm konnte nicht anders, als seine Leier zu nehmen und sie zu begleiten:

Mahlen zwölf Mühlen bei Tage,
so tragen zwölf Schimmel die Braut.
Beantwortet er richtig die Frage,
hat er in ihr Antlitz geschaut.
Bedeckt ein weißes Gewand
einst gütige Menschenhaut
So wird die Schönheit erblühen,
wenn das Gesicht zur Sonne schaut.

Das kann nur bedeuten, dass ich irgendwann wieder ein Mensch werde“, pflegte sie dann mit Überzeugung in der Stimme zu verkünden. Dass dies jedoch niemals eintreffen würde, dessen war Fossegrimm sich so sicher, dass er glatt seine Leier darauf verwettet hätte, und wenn er ganz ehrlich war, dann war es ihm nur recht, wenn sie ein Trollmädchen blieb, denn er hatte Hlynda liebgewonnen.

Doch, eines Tages geschah es, dass Ritter Mannelig, müde von all den siegreich geschlagenen Schlachten, beschloß, in der Falunveste sesshaft zu werden. Und da der Anstrich des Gebäudes an vielen Stellen abgeblättert war, machte er sich auf den Weg, um neue Farbe zu besorgen. Den Wirt in der Schenke zu Ternö, in die er einkehrte, fragte er, wo er die beste rote Farbe bekäme. Dieser zog die Augenbrauen hoch und tat sehr geheimnisvoll:
„Tja, wisst ihr, man sagt, den besten roten Steinstaub bekommt ihr von dem größten aller Trolle, den ihr im Wald, zwischen Tillö und Ternö findet. Und wenn ihr die Farbe anrührt, so müsst ihr eine Jungfrau mit Güte im Herzen hineinspucken lassen. Dann hält der Anstrich, solange euer Leben währt. Trotzdem rate ich euch davon ab, euch nachts im Wald herumzutreiben, wenn euch euer Leben lieb ist.“
Doch der Ritter kannte keine Angst. Er lachte über die Warnung und erwiderte:
„Tod und Teufel habe ich gesehen. Da wird mir ein Troll nicht schaden.“
„So nehmt ein geweihtes Kreuz mit auf den Weg“, riet ihm der Wirt.
Diesen Rat befolgte der Ritter, und nach einem erholsamen Schlaf und einem kräftigenden Frühstück, machte er sich, am nächsten Morgen auf, den Troll zu suchen, von dem der Wirt gesprochen hatte.

Es dauerte nicht lange, da stieß er auf die tiefen Furchen, die der Troll Nacht für Nacht mit seinem schweren Karren in den Waldboden gegraben hatte. Irgendwann, so sagte er sich, würde der Troll unweigerlich hier vorbeikommen. Und da er wusste, dass Trolle Tageslicht meiden, rastete er in der Nähe des Wasserfalls, wo er nicht nur Wasser, sondern sogar eine Raufe, gefüllt mit Heu, für sein Pferd fand. Gegen einen Baum gelehnt, schloss er die Augen, und da das Wasserrauschen in seinen Ohren wie das Spiel einer Leier klang, schlief er recht bald ein.

Als er am Abend erwachte und die Augen aufschlug, erblickte er zwölf prächtige Schimmel, die bei seinem Pferd standen und Heu aus der Raufe fraßen. Als er sich regte, erschraken sie und flohen in den Wald. Ein Mädchen mit langen roten Haaren, spitzen Ohren und einer dicken Knollennase, das mit einer Lampe und einem Bündel Heu daherkam, fragte er:
„Trollmädchen, sagt mir, wem diese prachtvollen Pferde gehören!“
Das Trollmädchen jedoch war Hlynda. Und die antwortete schnippisch:
„Sie werden einst dem gehören, der die Tochter des größten aller Trolle heiratet.“
„Den größten aller Trolle? Genau den suche ich. Kannst du mich zu ihm bringen?“, fragte er, „ich will ihm einen Handel vorschlagen.“
Doch Hlynda, die sich davor fürchtete, ihrem Vater in Gesellschaft von Hymir zu begegnen, schüttelte den Kopf und sagte:
„Wartet ein Weilchen, edler Herr. Er wird recht bald hier vorbeikommen. Doch ich rate euch, seid vorsichtig.“
Sagte es und verschwand hinter dem nächsten Busch.

Der Mond war aufgegangen, da kamen die beiden Trolle mit dem Karren angerumpelt. Der Ritter hatte, um bedeutender zu wirken, sein Pferd bestiegen und stellte sich ihnen in den Weg.
„Wer wagt es, mir den Weg zu versperren!“, polterte Rungnir sofort los, „weißt du denn nicht, dass ich mein Brot am Liebsten mit Menschenfleisch würze?“
„Esst nur euer Brot“, antwortete der Ritter gelassen, „aber nicht mir mir. Ich habe euch etwas Besseres zu bieten.“
Seine Antwort verblüffte den Bergtroll, denn es gab nicht viele Menschen, die so mutig waren. Er legte den Kopf schief und ging, mit wuchtigem Schritt drohend auf den Ritter zu. Hymir folgte ihm, wie sein Schatten.
„Sprecht rasch! Denn ich hab` nicht viel Zeit!“, donnerte Rungnir, „zwölf Mühlen wollen mit Geröll beschickt werden.“
Der Ritter hielt eine Goldmünze hoch, so dass sie im Licht des Mondes aufblitzte.
„Einen Sack rote Farbe und die zwölf Schimmel, hier aus diesem Gehölz, die will ich euch abkaufen“, sprach der Ritter, „und ich gebe euch einen Beutel Gold dafür.“
Doch der Troll war gierig. Wo ein Beutel Gold ist, so dachte er bei sich, da ist noch mehr. Und er begann zu handeln.
„Die Farbe ist mehr wert als einen Beutel Gold!“, brummte er, „sie verleiht euch Ansehen und Macht. Wer seine Halle mit ihr schmückt, ist ein wahrhaft mächtiger Mann. Gebt mir drei Beutel Gold, und ihr bekommt von mir die zwölf weißen Pferde dazu.“
„Nun, für drei Beutel Gold kann ich doppelt so viele Pferde kaufen und Reiter noch dazu“, überlegte der Ritter. Doch dann musste er an die Anmut der Tiere denken, die er gesehen hatte, und wie gut sie sich auf seiner grünen Weide am Fuße der roten Veste machen würden. Wahrer Schönheit hatte er noch nie widerstehen können.

Hlynda, die heimlich hinter einem Busch hockte, hörte den Ritter spotten und was er sagte, schmerzte sie:
„Wenn ich dafür nicht eure Tochter heiraten muss, dann bin ich einverstanden“, sprach er und lachte.
„Wie kommt ihr darauf, dass ihr meine Tochter verdient hättet“, fragte der Troll verärgert.
„Meine Tochter verdient einen echten Troll. Einen der die größten Steine bezwingen kann. Sie ist Hymir versprochen.“
„Gut! Dann gilt der Handel!“, sprach der Ritter erleichtert. Und sie gaben sich die Hand darauf.

Der Wirt von der Taverne staunte nicht schlecht, als der Ritter am nächsten Morgen unbehelligt aus dem Wald geritten kam.

Eines schönen Morgens jedoch, bevor die Sonne aufstieg, bevor die Vögel begannen zu singen, begab sich Hlynda zur Falunveste, um dem Ritter einen Antrag zu machen. Sie brachte die Farbe mit und trug ihr schönstes Kleid. Es war weiß. Der Bergtroll hatte es einst von einem Händler erbeutet, der Wagen und Pferd bei seinem Anblick einfach stehengelassen hatte. Sie ritt auf einem der zwölf weißen Pferde. Die anderen elf folgten ihr ohne Scheu. Wie staunte der Ritter, als er das Trollmädchen sah. Und noch mehr staunte er, als er hörte, was sie ihm zu sagen hatte.
„Herr Mannelig“, sprach sie, und ihre gespaltene Zunge blitzte zwischen ihren Lippen auf.
„Wollt ihr mich heiraten? Ich bringe euch diese zwölf weißen Pferde. Sie haben noch nie einen Sattel getragen, und ich habe noch mehr für euch.“
Der Ritter schwieg, also sprach sie weiter:
„Heiratet mich! Und ihr werdet die zwölf Mühlen bekommen, die zwischen Tillö und Ternö stehen. Die Mahlsteine sind aus dem rotesten Kupfer gefertigt, und die Räder sind mit Silber beschlagen. Und ich gebe euch ein goldenes Schwert, das von fünfzehn Ringen klimpert. Wenn ihr es in der Schlacht führt, so werdet ihr immer siegreich sein.“
Da der Ritter immer noch sprachlos war, redete sie hastig weiter:
„Ich schenke euch auch ein Hemd. Ein schöneres habt ihr nie besessen. Nicht mit Nadel und Faden ist es genäht, sondern gewirkt, aus weißester Seide. All das will ich euch geben, wenn ihr mich heiratet.“
Da schüttelte der Ritter bedauernd den Kopf.
„Deine Geschenke würde ich gerne annehmen“, sagte er bedächtig, „wenn du kein Trollmädchen sondern eine christliche Frau wärst. Doch ich weiß, dass du ein Trollmädchen bist, aus der Brut von Necken und dem Teufel.“
Da kreischte Hlynda laut auf:
„Wenn ihr mich nicht nehmen wollt, so bin ich verflucht!“
Sie rutschte vom Rücken des Pferdes und rannte davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Sie rannte so lange und so weit, bis ihr die Luft wegblieb. Fast hatte sie den Waldrand erreicht, da erhob sich die Sonne über den östlichen Eisenwald. Doch Hlynda wich nicht ins Dunkel zurück. Verzweifelt, ließ sie sich auf einem breiten Stein nieder, verbarg das Gesicht in den Händen und schluchzte:
„Dann soll es geschehen! Wenn ich den Ritter nicht haben kann, will ich lieber in der Sonne zu Stein erstarren, als weiterhin ein Trollmädchen zu sein!“
Doch als die ersten Strahlen der Morgensonne über ihr Gesicht krochen, war sie noch immer nicht zu Stein erstarrt. Und als sie sich die Augen rieb, bemerkte sie, dass auch ihre Nase nicht mehr unförmig und groß war, sonder klein und spitz, und die Ohren, die zuvor spitz gewesen waren, waren plötzlich oben rund.
„Ein Spiegel!“, rief sie und sprang auf, „unbedingt brauche ich jetzt einen Spiegel!“
Und da sie weit und breit kein anderes Haus in der Nähe wusste, lief sie zurück zur Falunveste.
Und sorgte mit ihrem Erscheinen ein weiteres Mal für Staunen. Sprachlos reichte der Ritter ihr den Spiegel, um den sie ihn gebeten hatte. Und da er von ihrer Schönheit überwältigt war, und er noch niemals wahrer Schönheit widerstehen konnte, sank er vor ihr auf die Knie und bat sie um ihre Hand.

Noch bevor der Herbst die Blätter des alten Waldes zwischen Tillö und Ternö gelb färbte, bewegte sich ein Troß von der Kirche in Ternö in Richtung Falunveste, die ganz in Rot, in neuem Glanz erstrahlte. Zehn Reiter folgten dem frisch vermählten Brautpaar auf weißen Pferden, gefolgt von einem Karren, voll beladen mit frisch gebackenem Brot.

Wenn du ganz leise bist, dann kannst du die Mühlen zwischen Tillö und Ternö mahlen hören. Sie mahlen Getreide zu Mehl, das Thrud Nacht für Nacht zu frischem Brot verarbeitet. Die Brote jedoch verteilt Hymir, noch bevor die Sonne aufgeht, an die Menschen in Tillö und Ternö. Rungnir ist seit Hlyndas Hochzeit nicht mehr gesehen worden, doch erzählt man sich, dass er nachts immer noch Steinkugeln ins Meer wirft. Und Fossegrimm? Der hat ein wehmütiges Lied geschrieben. Es handelt von der verschmähten Liebe eines Trollmädchens zu einem Ritter ...

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Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2011

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