Cover


Sie tropfte wie eine Träne auf das Papier, rund und glänzend und doch war sie schwarz wie Kohle. Ihr Fall wurde von einem Fluch begleitet und als sie auf den Papier auftraf, ruinierte sie das, was ein Kunstwerk hätte werden können.
Julez hasste seine Unvorsichtigkeit. Er zeichnete schon seit Jahren mit Tusche, liebe es, wie seine Hand und die Feder harmonierten. Und jetzt war da ein kleiner Fleck mitten auf der Brust seiner besten Freundin. Das Porträt hätte ein Geburtstagsgeschenk werden sollen. Jetzt durfte er noch einmal von vorne anfangen. Er knüllte das Papier zusammen, warf es in den Mülleimer und wischte die Tinte fort, die sich bis zur Tischplatte durch gefressen hatte.
Dann saß er einfach nur da, starrte auf sein bleiches Handgelenk und seinen Unterarm. Wie von selbst fuhr die Feder in kleinen Kreisen und Schnörkeln über den Ellenbogen hinunter zum Gelenk. Nur noch ein Jahr, dann konnte er die Tinte endlich für immer unter seine Haut bannen. Ein letztes Blatt, eine winzige Knospe und dann... Der Schmerz zuckte durch seinen Körper wie ein Blitz, so heftig und genau so kurz. Noch immer drückte er die Feder die Stelle, wo das Blut hervor quoll. Der Schnitt war klein, kaum größer als eine einzelne Wimper, doch die Tusche färbte sich schnell rot.
Erschrocken tauchte Julez sie zurück in das Fässchen, eilte ins Badezimmer und drückte ein Tuch auf die Wunde. Tusche im Blut war wohl nicht das Beste, die Wunde konnte sich verunreinigen.
Schon Minuten später war er zurück am Schreibtisch. Die Dämmerung legte sich langsam über die Häuserdächer und der Junge schaltete die kleine Lampe neben seinem Bett an. Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb am offenen Fenster hängen. Auf den Fenstersims gegenüber, kaum drei Meter von ihm entfernt, lag die Katze der Nachbarin, ein edles, schönes Tier, die ihn schon öfters ihre Krallen hatte spüren lassen.
Julez setze sich langsam, um Mrs. Kitten nicht aufzuschrecken. Ein neues Blatt Papier, der Anfang für ein neues Werk. Er nahm die Feder auf, tippte ein paar mal an den Rand des Fässchens um überschüssige Tusche abzustreifen und setze an.
Er stellte sich vor, das Tierchen wäre etwas zahmer und würde sich auch mal streicheln lassen,denn eigentlich mochte er Katzen. Nur dieses Biest eben nicht. Auf jeden Fall hatte das Tier auf seiner Zeichnung mildere Augen und schien auf ihre Art irgendwie zu lächeln.
Es war bereits dunkel, als er wieder aufsah. Die Katze saß noch immer unbewegt da, ihre grünen Augen blickten misstrauisch zu ihm hinüber.
Julez setzte eine Signatur unter die Zeichnung und schob den Stuhl zurück. Beinahe elf. Morgen stand eine Klausur an, er sollte ins Bett. Mit einem letzten Blick nach draußen kehrte er ins Bad zurück. Zähneputzen, die Haare aus ihren Zopf lösen und fertig.
„Nacht, Mama.“
„Gute Nacht, Schatz.“
Julez schloss die Tür hinter sich und bemerkte sofort, dass er nicht alleine war. Runde Pfoten hatten schwarze Abdrücke auf seinem Schreibtisch und dem Parkett hinterlassen und führten direkt zu seinem Bett.
Wieder entrann sich seiner Kehle ein leiser Fluch. Dieses Mistvieh.
Er fuhr zum Bett herum und dort lag sie auf seinem Kissen. Schwarz-weiß-rot und weich, mit spitzen Ohren, den Schwanz um sich gelegt. Auf ihrem Gesicht lag ein entspannter Ausdruck, so als gehöre sie genau dort hin, wo sie sich breit gemacht hatte.
Julez schüttelte den Kopf. Heute würde er die Sauerei nicht mehr weg machen, das konnte bis morgen warten. Er trat an das Fenster, wollte es schließen und erstarrte. Dort drüben, so als hätte sie sich nie bewegt, lag Mrs. Kitten uns starrte noch immer herüber. Zu ihm und der Katze auf seinem Bett, die genau gleich aussah, so als hätte man sie kopiert.
„Oder abgezeichnet.“
Was für ein wirrer Gedanke.
Das leere Blatt auf den Tisch ließ seine Knie weich werden und er plumpste zu Boden. Wo eben noch Linie an Linie gewesen war, starrte ihn jetzt Leere an.
Die Katze auf seinem Bett erhob sich ohne Laut, nur ein leises Knistern, als hätte jemand Papier zerknüllt, war zu hören.
Sekunden später war sie bei ihm, ihr kleiner Kopf schmiegte sich in seine zitternde Hand. Sie kletterte auf seinen Schoß und er hörte leises Schnurren. Doch es kam nicht von ihr.
Die echte Mrs. Kitten lag auf den Fenstersims auf dem Rücken, als wäre es ihr Fell, das Julez Finger streichelten. Diese Katze reagierte auf die Berührungen des Wesens auf seinem Schoß.
In einer Sekunde wurden im mehrere Dinge klar.
Erstens: Er hatte mit Hilfe einer Zeichnung so etwas wie einen Klon erschaffen, einen Klon, der Berührungen auf das Original übertrug. Wie das sein konnte, war beim besten Willen nicht zu erklären und er versuchte es nicht einmal. Vielleicht hatte sein Blut in der Tusche etwas damit zu tun.
Zweitens: Das Wesen aus Tusche fühlte so, wie er es sich beim Zeichnen erdacht hatte und somit auch die Katze aus Fleisch und Blut.
Drittens: Wenn das alles hier kein Traum, keine Halluzination oder Fatamorgana war (alle drei Möglichkeiten waren wohl wahrscheinlicher als die Realität) konnte er auch andere Lebewesen kopieren und Formen.
Ein Gedanke durchzuckte seinen Kopf und er sprang auf. Fauchend fiel das Kätzchen zu Boden, doch er scherte sich nicht darum.
David könnte endlich ihm gehören.

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Bildmaterialien: google, tintenfass
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2013

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