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Fast aus Reflex zog Van die Klinge zurück. Der Körper des Dämon traf hart auf dem Boden auf, doch wenigstens gab hatte Liam noch einen Körper. Van hatte nicht sein Herz getroffen. Dennoch war die Verletzung schwer genug, um tödlich zu sein.
Schwarzes Blut sickerte aus Liams Wunde am Bauch. Unter dem zerfetzten Hemd war graues, fahles Fleisch zu sehen und die Fäulnis breitete sich langsam aus. Plötzlich fühlte sich der Jäger sehr alleine, wünschte, Ben wäre noch hier. Doch es war von Anfang an klar gewesen, dass sein Cousin spätestens mit Shadows Tod auch sterben würde, wie jeder Dämon mit seinem Herrn starb.
Eine Bewegung riss ihn aus seinen Gedanken. Liam hatte die Augen geöffnet, sein Mund versuchte ein Lächeln, scheiterte aber.
„Leg dich nicht mit Van Snyders an. Der Kerl kein keine Skrupel.“
Sein Husten klang wie das eines alten Mannes.
„Ich liebe dich, Jäger. So sehr, wie es ein Höllenwesen nur kann.“
Van warf das Schwert von sich, konnte nicht ertragen, dass Liams Blut daran klebte. Dann kauerte er sich neben den Geliebten, legte den Kopf auf seine Brust, so als bräuchte er Trost, nicht der schwer Verwundete.
Liam brachte die Kraft auf, den Arm zu heben und ihn um den Jäger zu legen. So lagen sie da auf dem kalten Beton, aneinander gekauert wie verängstigte Tiere. Es gab keine Hilfe mehr. Kein Arzt, kein Heiler vermochte diesen Tod zu verhindern, der langsam kam und Schmerzen brachte.
Van hörte Liam stöhnen und es war als würde der Schmerz des Geliebten auch seine Brust zuschnüren. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten, um den Dämon nicht leiden zu hören. Sein eigenes Herz drohte zu zerreißen und dieses Mal erlaubte er sich Tränen.
„Das ermutigt mich jetzt aber...“ Liam lächelte ihn an und Van wischte schnell das Salz von seinen Wangen.
Der nächste Hustenanfall ließ ihn Blut spucken und der Jäger fuhr auf. Er durfte Liam hier nicht einfach verrecken lassen, er musste etwas tun. Nur was?
„Bleib. Es gibt nichts, was du tun könntest. Bleib ganz nah bei...“ Ein weiteres Husten. „...mir.“
Van kauerte sich wieder rechts neben den Dämon, legte eine Hand an seine Wange und drückte seine Lippen an seine Stirn.
„Warum hast du mir verziehen, dass...“
Das Gesicht des Dämons verzog sich zu einem Lächeln, auch wenn der Schmerz nur zu deutlich in seinen Zügen zu lesen war. Dann hob er den Arm und winkte ihn mit dem Finger näher, so als reichte seine Stimme nicht mehr bis zu Van hinauf.
Doch anstatt mit Worten antwortete er mit einem Kuss, zart wie ein Schmetterling und so voller Liebe, dass er Van die Tränen in die Augen trieb. Ihre salzigen Lippen fanden sich immer wieder, hatten als einzige den Tod noch nicht bemerkt, der auf leisen Sohlen über die Dächer schlich.
Van griff nach Liams Hand, hielt die Finger fest in Seinen. Rotes Blut färbte seine Haut, seine eigenen Wunden waren dem Jäger gar nicht aufgefallen.
„Du verlässt mich erneut...“
Vans Stimme brach und er verbarg seinen Schmerz in einem weiteren Kuss.
„Ich liebe dich.“
Der Dämon legte die Hand auf den Hinterkopf des Jägers, vergrub seine Finger in seinem blonden Haar.
Im nächsten Moment lösten sich die Finger, der weiche Körper unter ihm gab nach und im nächsten Moment prallte er nicht nur auf den harten Boden sondern auch in die Realität zurück.
Asche. Überall Asche. Und Tränen auf dem Gesicht des Kriegers.


Der Wind strich sanft, beinahe tröstend über die kauernde Gestalt hinweg, als wollte er sie streicheln. Seine unsichtbaren Finger suchten das blonde Haar und verfingen sich darin. Nur vermochten sie nicht auch die Tränen zu trocknen, die über bleiche Wangen liefen und schwer wie Blei zu Boden tropften.
Van war zerrissen. Er weinte still, ohne jeden Laut. Die Einsamkeit schloss schon ihre Arme um ihn, während sein Kopf und sein Herz noch versuchten zu begreifen, wen sie verloren hatten. Warum hatte er kampflos aufgegeben? Die Liebe seines Lebens war ihm wie Sand durch die Hände geronnen und jetzt für immer verloren. Aus dem Nichts konnte niemand mehr zurück kommen. Als Van Liam das erste Mal verloren hatte, war da immer die Hoffnung da gewesen, ihn wieder zurück zu holen. Doch jetzt war sein Verlust endgültig.
Seine Beine fühlten sich an wie Gummi und er fragte sich, welchen Sinn es überhaupt hatte, sich jemals wieder von diesem Boden zu erheben. Er konnte einfach hier liegen bleiben und seinem blutenden Herzen dabei zusehen, wie es zusammen schrumpfte und schließlich zu Asche zerfiel, so wie Liam es getan hatte.
Dennoch stand er auf, die Hände zu Fäusten geballt.
Er bemerkte nicht, dass der Wind stärker geworden war und dutzende kleine Strudel bildete. Plötzlich war es schneidend kalt, als hätte jemand die Sonne aus der Galaxie verbannt und mit ihr alle Wärme. Aus der wirbelnden Luft wuchs ein Körper, bedrohlich in seiner schattenhaften Erscheinung. Schritte ohne Laut auf dem zerstörten Beton, ein Jäger, taub und blind vor Schmerz.
Die Arme legten sich wie Stahl um Vans Körper und machten ihn von einem Moment auf den Nächsten bewegungsunfähig.
„Töte mich doch“, wollte Van schreien, der Angst in ihm trotzen. „Setze meinem Leiden ein Ende.“
Doch seine Stimme versagte in dem Moment als er begriff, das sich die Arme nicht gewaltsam um ihn gelegt hatten, sondern mit der Absicht, ihn nie wieder los zu lassen.
„Du hast versprochen, dass ich ein Mensch werde, wenn Shadow tot ist.“
Eine Stimme, sie hätte genau so gut die eines Engels sein können, seines Engels, der ihn errettete.
Dieses Mal hielten seien Beine ihrer Aufgabe nicht stand und er sank gegen Liam. Ein neues Gefühl machte ihn schwach, ein Gefühl noch viel intensiver als all der Schmerz.
„Warum muss ich dich erst immer verlieren, bevor ich mit dir glücklich werden kann?“
Er presste die Worte hervor, während die tiefe Liebe ihm die Zunge lähmte und ihn erneut den Tränen nah brachte.
Liams Mund lag ganz nahe bei seinem Ohr, warmer Atem streifte das eiskalte Gesicht und jagte Van angenehme Schauer über den Rücken. All diese Gefühle in ihm drohten ihn zu zerreißen. Konnte man Trauern und im nächsten Moment unbändige Freude verspüren, ohne deswegen verrückt zu werden?
„Verzeihst du mir diesen Fehler, wenn ich dir verspreche, nie wieder verloren zu gehen?“
Van nickte, wagte es aber noch immer nicht, sich umzudrehen. Er wollte nicht, dass Liam ihn so sah, war noch zu sehr er selbst, um die Tränen vor einem Anderen zuzugeben. Außerdem befürchtete er, dass alles wäre nur ein Traum und er würde nicht in Liams Gesicht sehen. Schließlich hatte er seinen Geliebten zu Staub zerfallen sehen.
„Ich begreife es selbst nicht. Erst war da ein Weiß, ein nicht endendes Weiß und dann, plötzlich... Wind. Auf meiner Haut. Ich habe Kälte gespürt.“
Während er sprach, drückte Liam seine heißen Lippen immer wieder auf Vans kalten Körper, überall dort, wo er ihn erwischte. Im Nacken, hinter den Ohren, seitlich am Kinn.
„Vielleicht ist es lächerlich, aber allein meine Gänsehaut fühlt sich wieder so... menschlich an. Ich habe keine Worte dafür.“


Ein Mensch hat ein ganz anderes Bewusstsein für seinen Körper als ein Dämon. Für ein Höllenwesen ist eine fleischliche Hülle zwar eine Notwendigkeit, dennoch agiert er mit seinem Inneren, seinen Gedanken und seiner Seele.
Jetzt hatte ich das Gefühl, jede Bewegung meines kleinen Zehen genau zu spüren. Ich war wieder Mensch. Ein Mensch mit Gefühlen, Sorgen und Ängsten, aber ein Mensch. Und nie wieder wollte ich etwas anderes sein als dieser Mann an Vans Seite.
Endlich drehte sich der Jäger zu mir um. Seine Augen waren blutunterlaufen, doch sie strahlten wie Sterne und in diesem Moment war Van so unbeschreiblich schön, das ich hätte weinen mögen.
„Für diese selbstmörderische Aktion, dich Shadow alleine zu stellen, werde ich mir noch eine Bestrafung einfallen lassen.“
„Ich glaube, darauf freue ich mich schon.“
Wir waren zwischen Lachen und Weinen, hielten das Gesicht des Anderen zwischen unseren Händen. Und dann endlich. Seine Lippen auf meinen, heiß und salzig. Ein Kuss der nie enden sollte, wenn es nach mir ging. Van klammerte sich Halt suchend an mich, presste seinen Körper gegen meinen, als wollte er in mich hinein kriechen, um mir noch näher zu sein. Ich konnte diese Gesten nur erwidern, verschlang ihn mit Lippen und Händen, weigerte mich zu akzeptieren, dass es außer uns noch eine Welt gab.
Doch genau diese Welt machte sich viel zu schnell bemerkbar. Noah trat in das fahle Mondlicht neben dem LKW. Seine Stimme beendete unseren Kuss, unser Haltsuchen, unser Liebesgeständnis.
„Ich will nicht stören, Jungs, aber die Polizei wird in wenigen Minuten hier sein.“
Er deutete auf das Fahrzeug hinter ihm.
„Ich habe sie wegen den Mädchen dort gerufen. Dennoch sollten wir unserer lieben Freunde dort drüben wegen nicht mehr hier sein, wenn die Kavallerie hier auftaucht.“
Vorne beim Tor lagen die Leichen von Shadows menschlichen Dienern.
Tatsächlich war in der Ferne schon das Heulen von Sirenen zu hören.
Van nickte, bewegte sich dennoch keinen Millimeter von mir fort. Noah ging ein paar Schritte, bückte sich und hob Shadows Schwert auf. Mit den Engelstränen in Händen kam er auf uns zu. Dann drückte er mir den Schwertknauf in die Hand.
„Jetzt gibt es wieder zwei Jäger in der Familie.“
Eine einzelne Träne der Freude bahnte sich ihren Weg über meine Wange und fiel in Vans Hand. Van fing die Träne auf, als sie von meinem Kinn tropfte, schloss die Faust darum, als wolle er sie mit aller Macht fest halten.


Die Polizei fuhr mit drei Streifenwagen durch das Tor. Doch keiner der sechs Männer bemerkte die Schatten, sie sich fort schlichen, fort in ein neues Leben mit alten Gewohnheiten und Aufgaben und einer Liebe, die schon beinahe verloren schien.

Impressum

Texte: June Sands
Bildmaterialien: Victoria Frances
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Bekka :D

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