Sie hielten dem Jungen ein Messer an die Kehle, in der Hoffnung sie erführen etwas von der gefesselten Person, von dem gefallenen Engel. Doch dem war nicht so. Ich sah die Angst in den Augen des Bedrohten und die Verzweiflung des Engels und doch entwich kein Laut seinen Lippen. Ich spürte den Hass und die unterdrückte Mordlust, doch am stärksten war die Angst. Der Engel hatte Angst um das Leben des Mannes, der ihn verraten hatte. So etwas hätte ich niemals bei einem schwarzen Engel erwartet.
Der Hals des Jungen wurde rot und seiner Kehle entwich ein ersticktes Röcheln. Seine blauen Augen waren auf den Engel gerichtet. In ihnen lag Angst, Verzweiflung und Schmerz. Der Engel lächelte den Jungen an, dann sagte er drei Worte. "Ich liebe dich!", sagte er und eine kristallklare Träne lief seine Wange hinab. Diese Worte hatte er mit so viel Liebe und Ehrlichkeit gesagt, dass ich mir sicher war, er müsse ein lebendiges Herz besitzen.
In dem Moment, in dem die Augen des Jungen leblos wurden, hörte ich, wie das Herz des Engels in tausend Splitter zerbrach und ich sah die unendliche Verzweiflung in seinen Augen. Ich spürte die Hitze, mit der seine Seele brannte und sein Geist versank in die dunklen Tiefen der Traurigkeit.
Aber etwas in ihm wehrte sich. Es wehrte sich gegen den Schmerz und die Verzweiflung. Es wollte Blut sehen. Es wollte Rache. Es wollte den Tod der Mörder seines Gefährten.
Dieses Etwas war die Liebe zu einem Menschen.
Texte: Nadine Plocher
Bildmaterialien: Nadine Plocher und Leonie Rauscher
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2013
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