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Späte Rache
Über dem Klingelknopf stand nur ein einziger Name: Annabelle. Ich stand einen Augenblick unschlüssig vor der Tür, doch dann gab ich mir einen Ruck und drückte auf die Klingel. Irgendwo in den Eingeweiden des riesigen Hauses ertönte eine Melodie. „Immer noch die Gleiche“, schoss es mir durch den Kopf. Es polterte und kurze Zeit später öffnete sie die Tür. Annabelle sah genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Langes schwarzes Haar, das ihr bis über die Schultern fiel und große blaue Augen. Doch musste ich mir eingestehen, dass ich am meisten ihr warmes und offenes Lächeln vermisst hatte. Als sie mich erblickte, verschwand augenblicklich das Lächeln von ihrem Gesicht und ein grimmiges Grinsen machte sich breit. Aus ihren Augen sprühte mir regelrecht der Hass entgegen. Sie kam einen Schritt auf mich zu und hob ihre Hand, wie zum Gruß. Doch anstelle die Hand wieder runter zunehmen, verpasste sie mir eine schallende Ohrfeige. Ich hielt mir die schmerzende Wange. Annabelle lachte ein glockenhelles Lachen. Ich sah ihr in die Augen und ihr Lachen verstummte. Ungläubiges Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Erst jetzt erkannte sie mich wieder. Mein brauner Hut, den ich mir aufgesetzt hatte, damit sie mich nicht gleich erkannte, war durch die Wucht der Ohrfeige zu Boden gefallen. Mein kinnlanges, glattes, schwarzes Haar hing mir ins Gesicht. Ich strich eine Strähne hinters Ohr, ohne Annabelle aus den Augen zu lassen. Diese starrte mich immer noch ungläubig an. Ihr Mund war rot. Blutrot.
„Jack Diamond!“, flüsterte sie kaum hörbar. „Überrascht?“, fragte ich unschuldig. „Für wen hast du mich gehalten?“, diese Frage musste ich einfach stellen. Annabelle antwortete nicht sofort, doch dann sagte sie hochnäsig: „Was geht dich das überhaupt an? Ist ja wohl meine Sache!“ „Du hast mich geschlagen!“, ich ließ nicht locker. „ Du hast es ja auch verdient!“, rief Annabelle trotzig. „So wie es aussieht habe nicht nur ich eine Ohrfeige verdient!“, erwiderte ich aufgebracht. „Jetzt mach mal halblang! Ich bin wegen was ganz Anderem da!“, ermahnte ich mich im Stillen. Das Letzte, was ich jetzt noch brauchen kann, ist ein Streit mit der Frau, die ich liebte und die mich verraten hatte. Sie schaute mich an, als könnte sie nicht glauben, dass ich wahrhaftig vor ihr stand. Wahrscheinlich hatte sie die ganzen zwei Jahre geglaubt, ich sei tot. „Ist ja nicht mein Problem. Ich weiß ja, dass ich nicht tot bin.“, dachte ich amüsiert. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, schob ich mich an ihr vorbei, in den Flur des alten Hauses. Es roch nach alten Möbeln und altem Stoff. Ich ging in das erste der fast zwanzig zimmer. Es war die Küche. Hier roch es nicht mehr nach altem Zeug, sondern nach Bratensoße. Dieser Raum war für mich uninteressant, denn ich suchte was Bestimmtes. Ich wusste zwar nicht, wo genau das Amulett meiner Mutter war, aber ich konnte es finden. Denn immer, wenn ich was suche, finde ich es auch. Das liegt daran, dass mir mein Gefühl immer sagt, wenn dieser Gegenstand oder die Person in meiner Nähe ist. Ihr nennt das Intuition. Die nächste Tür führte in das weiträumige Wohnzimmer. An der einen Wand stand ein altes Sofa, in diesem Haus war so ziemlich alles alt. Die großen Fenster waren mit schweren und dunklen Vorhängen verhängt. Dies war ein großer Vorteil, da niemand von außen in dieses Zimmer schauen konnte. Erst als ich ins dritte Zimmer gehen wollte, dort lag meines Wissens nach das Schlafgemach, wurde ich von einer empörten Annabelle aufgehalten. „Was willst du?“, fuhr sie mich an. „Du weißt genau, was ich will!“, entgegnete ich ihr und schob sie beiseite. Doch dieses mal ließ sie mich nicht so einfach davonkommen. Ich sah ihr an, was sie jetzt am liebsten mit mir gemacht hätte. Damals vermochte ich mein Einschätzungsvermögen sehr zu schätzen. Ich wusste schon, was Annabelle sagen wollte, bevor sie es laut aussprach. „Ich schlag dir gleich eine rein!“, drohte sie mir und hob, wie als Zeichen, dass sie es ernst meinte, ihre rechte Hand. Ich schaute ihr in die Augen und wusste, dass ich gleich die letzte Grenze überschritt, die mich vor einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit Annabelle schützte, aber das machte mir wenig aus. „Aber wenn ich jetzt die Grenze überschreite, ist das nicht so gut für meine Gesundheit.“, dachte ich bei mir. Annabelle stand immer noch vor Zorn sprühenden Augen vor mir. „ Ich liebe es, wenn du so wütend bist.“, sagte ich, wobei ich sie immer noch genau betrachtete. Das war auch gut so, denn hätte ich nicht so auf ihre Körpersprache geachtet, hätte ich mir jetzt eine gebrochene Nase. Ich sah die Faust auf mein Gesicht zu schnellen und wich blitzschnell aus. Doch ich hatte ihre linke Hand ganz vergessen. Das war ein großer Fehler, denn eines durfte man bei Annabelle mich unterschätzen. „ Sie ist wirklich verdammt schnell!“, dachte ich, als ihre Faust in meinem Magen landete. „Du bist so ein Arschloch!“, zischte Annabelle mir in mein Ohr. Ich entwand mich aus ihrem Griff und erwiderte: „ Danke, gleichfalls!“ Das hätte ich damals lieber nicht sagen sollen. „Schon wieder ein Fehler!“, dachte ich verärgert, nachdem ich nochmals eine Faust im Magen spürte. Ich krümmte mich und rang nach Luft. „Verdammt! Warum lass ich mich eigentlich von einer Frau schlagen?“, fragte ich mich, nur um gleich darauf eine Antwort zu geben „ weil ich normalerweise keine Frauen verprügle! Aber anders gesehen verprügelt sie mich ja und wenn ich nicht im Krankenhaus landen möchte, sollte ich mich mal so langsam wehren. Und wehren kann man ja nicht zu schlagen zählen, oder?“, beruhigte ich mein Gewissen. Also fing ich die ihren nächsten Schlag auf und bog den Arm nach hinten, bis sie aufschrie. Ich ließ sofort den arm los. Keine Ahnung warum ich das getan hatte, aber dies stellte sich als meinen dritten Fehler in diesem Haus heraus. Ich bekam einen Schlag auf den Hinterkopf. Als ich mich benommen wieder aufrappeln wollte, stand Annabelle mit einem Küchenmesser vor mir. Irgendjemand lachte. Es war kein glockenhelles Lachen, wie das von Annabelle. Nein, es war ein tiefes und bedrohliches Lachen. Ich wollte aufstehen, doch alles verschwamm vor meinen Augen. Mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder erwachte fand ich mich in einem kalte, muffigen und dunklen Zimmer wieder. „Vielleicht ein Keller?“, überlegte ich. Erst jetzt bemerkte ich den eklig süßen Geruch, der im ganzen Raum verteilt war. Mir wurde augenblicklich übel. Ich versuchte vergeblich aufzustehen. Doch ich schaffte es aus irgendeinem Grund nicht. Meine Arme schmerzten und ich vermutete, dass ich gefesselt war. Über mir polterte es. Ich konnte dieses Geräusch nicht definieren. Nach einer halben Ewigkeit, so kam es mir jedenfalls vor, hörte ich einen Schlüssel im Schloss. Die alte Türe knarrte und streifte die Wand, als sie aufgestoßen wurde. Grelles Scheinwerferlicht blendete mich. Ich kniff meine Augen zu, doch dies half nicht viel. Die Scheinwerfer wurden ausgemacht und ich befand mich in einem schwach beleuchteten Kellerraum. Ich sah an mir hinab und stellte fest, dass ich mit einem dicken Tau an einen Stuhl gefesselt war. Der Stuhl, an den ich gefesselt war, stand in der Mitte des Raums. Ich versuchte den Strick zu lockern, doch ich hatte nicht genügend Kraft mehr. „Das kannst du vergessen Jack!“, ertönte es von der Kellertür. Ich sah auf. Annabelle kam langsam die Treppe herunter und blieb vor mir stehen. Sie ging noch einen schritt auf mich zu, bis ich ihren Atem hören konnte. Dann flüsterte sie mir ins Ohr: „Mach dir nicht zu große Hoffnungen, Kleiner! Ich werde dafür sorgen, dass du so endest wie die neben dir.“, sie zeigte in eine Ecke des Kellers. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, und wusste sofort, warum es in diesem Keller so widerlich süß stank. In der Ecke standen zwei weitere Stühle. Auf ihnen saßen zwei weitere Menschen, doch sie bewegten sich nicht. In meinem Kopf pochte es. Mir wurde schwindelig. Doch ich wusste, dass es noch schlimmer werden würde, denn hinter Annabelle erschien ein Mann Ende zwanzig. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, sie drehte sich um und er küsste sie. Dann kam er auf mich zu. Obwohl er eher schlank und nicht muskulös war, kam er mir bedrohlich vor. Das lag daran, dass er von hinten angestrahlt wurde und ein Messer in der Hand hielt. „ Scheiße!“, dachte ich „ was will der von mir?“ Als ob der Fremde meine Gedanken gelesen hätte, sagte er mit einer tiefen, weichen Stimme: „Ich weiß was du getan hast!“ „Das Einzige, was ich in meinem Leben angestellt hatte war, dass ich einen Fünftklässler erpresst hatte. Und Annabelle hat mich damals der Polizei verraten. Ich bekam vierzig Sozialstunden und musste mich in aller Öffentlichkeit bei dem Jungen entschuldigen.“, wollte ihm erwidern, doch ich schmeckte nur etwas Metallisches in meinem Mund. Ich war geknebelt! „ Na toll! Und was mach ich jetzt?“, fragte ich mich. Der neue Freund von Annabelle, ich nahm an, dass er ihr neuer Freund war, ging langsam zu den beiden anderen Stühlen. Vorsichtig, fast andächtig, berührte er die eine Person an der Schulter. Diese kippte zur Seite und ich sah die weit aufgerissenen, starren Augen. Annabelle beobachtete mich und lachte laut auf, als sie meine Reaktion sah. Um ihren Spott noch zu verdeutlichen, knipste sie eine Taschenlampe ein und leuchtete auf den Toten. Jetzt erst sah ich, woran er gestorben war. Überall in seinem Körper waren tiefe Messerschnitte. Ich wollte nur noch schreien. Ich verspürte zum ersten Mal in meinem Leben Todesangst.
Annabelle nahm dem jungen Mann das Messer aus der Hand und kam zu mir zurück. Sie lächelte verführerisch und in ihren Augen, in dem fahlen Licht des Kellers waren sie gletscherblau, stand pure Mordlust. Ihr Freund trat wieder hinter sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ich konnte es nicht verstehen. Sie schaute ihn an und nickte lächelnd. Dann brachen beide in schallendes Gelächter aus, als hätten sie gerade eben den besten Witz ihres Lebens gehört. Annabelle legte das Messer auf den Boden und löste meine Fesseln. Danach nahm sie mir noch den Knebel ab. Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Als ich versuchte aufzustehen, es aber nicht schaffte, da sich schon wieder alles drehte, bot mir der fremde Mann seine Hand an. Als ich ihn ungläubig anstarrte, fing er wieder an zu lachen und sagte dann: „ keine Angst. Ich tu dir schon nichts.“ Er merkte, dass ich seine Hand nicht nehmen würde, zog er sie wieder zurück. Nach einer Weile, stellte er sich als Hermann Hartmann vor und Annabelle ergänzte: „Wir sind seit zwei Jahren verheiratet“ Das hatte ich nun am wenigsten erwartet. Meine ehemalige Freundin war mit dem Jungen, den ich erpresst hatte, verheiratet. Ich muss wohl ein ziemlich komisches Gesicht gemacht haben, denn die Beiden fingen schon wieder an zu lachen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
gewidmed an die besten Freunde der Welt! Moony, Tatze und Heidi

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