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Wolfstränen

Da.
Ein Rascheln.
Meine Ohren zuckten.
Ein Quieken.
Ich spannte meine Muskeln und sprang.
Eine Maus zappelte unter meinen Pfoten. Eine kleine Maus. ,,Nicht gerade das beste Frühstück, aber besser als nichts.“ , dachte ich. Nachdem ich sie gefressen hatte, lief ich weiter Richtung Süden. Das war der einzigste Weg aus dieser verdammten Wüste. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie ich an so einen gottverlassenen Ort gekommen war. Das einzigste, an was ich mich erinnern konnte war das verschwommene Gesicht eines kleinen Jungen.
Doch ich hatte andere Probleme. Zuerst musste ich endlich ein Dorf oder eine Stadt finden. Danach hatte ich noch genug Zeit mir einen Plan zu überlegen, wie ich mein Rudel wiederfinden konnte.
Keine Ahnung wie lange ich schon unterwegs war, doch als ich erschöpft zusammenbrach, hörte ich eine Stimme etwas rufen. Es hörte sich nach einem kleinen Mädchen an. Sie rief:,, Hilfe! Mama, da ist ein großer Hund! Ich hab Angst!“ Es wurde Schwarz um mich. Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem Käfig. Die Gitterstäbe waren aus Metall. Nicht so einfache wie die Käfige, in denen man sonst Wölfe fängt. ,,Vielleicht haben die Menschen dazugelernt und gemerkt, dass Wölfe keine Gitterstäbe aus Metall durchbeißen können. Wenn das stimmt, dann haben sie aber verdammt lang gebraucht.“, dachte ich, nachdem ich versucht hatte die Stäbe durchzubeißen. Ich hörte ein Knurren. Ein feindseliges, tief aus der Brust kommendes Knurren. Ich wirbelte herum und sah einen Hund. Einen Hund? Nein. Vier Hunde. Diese feigen, räudigen Straßenköter. Ich fing auch an zu Knurren. Doch mein Knurren war furchteinflößender als das der Köter und drei von ihnen nahmen reiß aus. Nur der Größte, der Anführer, blieb stehen und funkelte mich mit kalten, schwarzen Augen an. Ich starrte zurück, in der Hoffnung, er würde auch verschwinden. Doch anstatt klein beizugeben, kam er langsam auf mich zu und biss nach mir. ,,Verdammt!“, fluchte ich im Inneren. Warum war dieser Köter so aufdringlich? Ich war doch der Größere und Stärkere von uns beiden. Bevor der Schwarze mich nochmal beißen konnte, kamen eine Horde Kinder und er haute ab. Ein Mädchen und zwei Jungen hatten Stöcke in der Hand und fuhren mit denen an den Gitterstäben entlang. Ich duckte mich um dem schrecklichem Geräusch zu entgehen. Das machte den Kindern Spaß. Ich fing an zu Jaulen und diese Frechen Kinder schlugen auch noch auf den Deckel des Käfigs. Alle anderen lachten. Außer ein Junge. Er hatte rabenschwarzes, schulterlanges Haar und schaute mich an. Ich war verwundert. Seine türkisblauen Augen zogen meine braunen Augen magisch an. Ich wollte wegschauen, doch irgendetwas in diesen großen, unschuldigen Augen hielt mich eisern fest. Mir waren mit einem Mal alle anderen Dinge und Geräusche egal. Ich konzentrierte mich ganz auf den Jungen. Nach einiger Zeit wurde es den anderen Kindern langweilig und sie zogen ab. Doch der Junge blieb. Er setzte sich vor meinen Käfig und fing an zu singen. Nein, er sang nicht. Er summte eine Melodie. ,,Diese Melodie.“, dachte ich fasziniert ,,die kenne ich.“ es war eine leise, langsame und traurige Melodie. Die Melodie eines einsamen und verzweifeltem Kindes. Sie weckte eine Erinnerung in mir. Ein verschwommenes Bild erschien vor meinem inneren Auge. Es wurde immer schärfer und detailreicher. Eine grüne, mit Blumen übersäte Wiese. Ein dichter, dunkler Wald. Ein Kind. Diese türkisblauen Augen. Der Junge saß neben mir und kraulte mich hinter den Ohren.
Die Töne hüllten mich in den Schmerz und das unendliche Gefühl des Verlustes nahm Besitz von mir. Die Augen des Jungen veränderten sich. Wurden hart und abwesend, ganz so, als würde er in die Wirklichkeit zurückgeholt. Der Blickkontakt brach ab und ich spürte keinen Schmerz und kein Gefühl des Verlustes mehr. „Jack! Jack, wo bist du? Es gibt Essen!“, rief eine hohe Frauenstimme. Der Junge hieß also Jack. Ein schöner Name. Doch Jack schien sich nicht zu freuen. Er schaute mich mit traurigen Augen an und stand auf. Irgendetwas stimmte hier nicht. Das spürte ich. Mir stieg der Geruch nach gebratenem Fleisch in die Nase. Mein Magen knurrte. Die Maus vom Vortag hatte mich nicht ausreichend gesättigt. Es wurde dunkel. Eine Vollmondnacht. „Endlich.“, dachte ich und fing an zu heulen. Ich heulte den Mond und die Sterne an. Die Dorfbewohner kamen alle aus ihren Hütten und waren wütend. Wütend auf mich, weil ich sie beim Schlafen gestört hatte. Doch das war mir egal. Ich wollte nur zeigen, dass wir Wölfe auch Gefühle haben. Überall verschlafene Gestalten. Meine Augen suchten ein türkisblaues Augenpaar.
Da.
Die Augen von Jack. Ich sah ihn an. Er war gar nicht müde, zumindest sah er nicht danach aus, geschlafen zu haben. Wir schauten uns an. Diese unglaublich traurigen Augen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich ihn erkannt hatte und heulte seine Melodie. Seine Augen weiteten sich ungläubig. Dann fing er an mit zu summen. Die Frau, die neben ihm stand, schaute ihn verwundert an und als Jack auf mich zu ging, wichen alle Menschen vor ihm zurück. Ich hörte auf zu heulen, doch er summte immer lauter. Ich konnte die Angst der Menschen förmlich riechen. Sie hing über diesem Dorf, wie eine Gewitterwolke. „Jack“ dachte ich „komm nicht näher.“ einer der Männer aus dem Dorf wollte ihn festhalten, doch Jack wand sich aus dessen Griff und blieb vor mir stehen. Wieder diese tieftraurigen Augen. Ich fühlte mich hilflos. Jack zog ein Messer aus seinem Gürtel und stocherte im Vorhängeschloss meines Käfigs. Ich rührte mich nicht. Ich starrte ihn nur an. Auch die Dorfbewohner starrten ihn ungläubig, ja sogar feindselig an. Doch das interessierte Jack nicht im Geringsten. Knack. Das Schloss fiel auf die Erde und die Käfigtüre schwang auf.
Ein Schrei.
Knurren. Eines der kleinen Kinder war umringt von den vier Straßenkötern. Ich knurrte und der Leithund drehte sich zu mir um. Ich sah die Mordlust in seinen Augen. Meine Muskeln spannten sich und ich sprang, als auch er sprang. Wir prallten in der Luft zusammen und er wurde aus der Bahn geschleudert. Das Kind war vergessen. Jetzt ging es nur um mich und den Leithund. Wir ließen uns nicht aus den Augen, einen Augenblick der Unachtsamkeit und man war erledigt. Jack rief einen Namen. Er rief: „ Niya!“ Es war so unwirklich. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je einen Namen besessen zu haben und doch gab mir dieser Name neue Kraft.
Niya. Das also war mein Name.
Schmerz. Ich fühlte nichts als Schmerz. Ich war unachtsam gewesen und das hatte der Leithund voll ausgenutzt. Seine Schnauze war blutverschmiert. Aber auch er war unachtsam gewesen, in dem Moment als er mich biss. Ich erwischte ihn am Ohr. Er jaulte und zog den Schwanz ein. Als ich knurrte, rannte er in den Wald.
Jack kam auf mich zu und ich wusste, ich hatte einen verlorenen Freund wiedergefunden. Er kraulte mich vorsichtig hinter den Ohren. Ich sah in seine Augen. Keine Spur mehr von Traurigkeit und Verzweiflung. Nur noch pure Lebensfreude und Glück. Ich hatte endlich mein Rudel gefunden.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.04.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Kurzgeschichte widme ich meinen besten Freundinnen Tatze und Moony

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