Am Fluss sitze ich. Ich sehe ihn zwar nicht, aber ich weiß, dass er hier sein müsste. Und jetzt sehe ich, dass es ihn wirklich gibt - das Sonnenlicht spiegelt sich auf die Wasserfläche und wird auf der unteren Seite der Brücke reflektiert. Auf dieser Brücke sehe ich Menschen. Menschen, die stehen. Menschen, die gehen.
Und ich beobachte zwei ganz besondere Menschen. Zwei Menschen, die mit dem Rücken zu mir stehen und mich ansprechen. Sie sprechen mich durch ihre Ruhe, durch ihren Frieden und durch ihre unbekannte Geschichte an. Sie gehen und lassen das Bild, das ich vor Augen sehe, stehen. Ein Bild, worüber ich nun denken muss. Ja, ich muss es tun, denn es ist ein Bild, das nicht mehr in den Köpfen, sondern in Altenheimen liegt. Das Bild zweier Menschen, die inzwischen alleine durch das Leben gehen. Zwei Menschen, die keinen Platz in den Räumen ihrer Töchter und Söhne finden. Sie sind zu alt, zu belastend, zu nutzlos, zu unbrauchbar - das mögen sich diese Töchter und Söhne gedacht haben, als sie diese zwei Menschen in Altenheimen wegwarfen und vergaßen, dass diese Menschen eines Tages ihre Eltern waren.
Eltern. Sie waren neben uns, als wir aufwachten. Sie deckten uns zu, als wir schliefen. Sie reichten uns die Hand, als wir auf dem Boden lagen. Sie gaben uns von ihren Tellern, bis wir satt wurden. Sie brachten uns zur Schule, als wir den Weg nicht kannten. Sie stellten sich vor uns, als der Sturm gegen uns flog. Sie warteten auf uns, als wir nachts nach Hause kamen. Sie beteten für uns, als wir geprüft wurden. Sie entfernten die Steine von der Straße, als wir liefen. Sie waren die, an die wir uns wandten, als wir in Not waren. Und hätte die Luft nur für einen Menschen gereicht, dann hätten sie aufgehört, zu atmen.
Als der Mensch älter wurde, schickte er diese Eltern weg. Er brachte sie in einen Ort, an dem sie nun alleine ihre Stunden verbringen sollen. Lieber gemütlich frühstücken, anstatt die kranken Eltern ins Krankenhaus zu begleiten. Lieber Gespräche mit neu kennengelernten Personen führen, anstatt den weisen Eltern für einen Augenblick zuzuhören. Lieber vergessen, statt erinnern.
Ich höre weder den Fluss noch die Menschen. Ich sehe nur die faltige Schicht, die sich auf meiner Milch bildete. Ich werfe sie nicht weg. Ich lasse sie bis zum Schluss in meinem Glas. Sie schützt die Milch. Sie hält die Milch warm.
Ich liebe diese faltige Schicht.
Tag der Veröffentlichung: 02.04.2009
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