Ich kann mich nicht erinnern, ob es ein sonniger oder ein bewölkter Tag war. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich einen Mantel oder eine Jacke anhatte. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich in Eile war oder nicht.
Ich stieg aus dem Zug aus. Wahrscheinlich waren viele Menschen da. Wahrscheinlich waren einige von ihnen auf dem Weg zu einer anderen Stadt und sie wollten hier nur umsteigen, weshalb sie so schnell rannten. Wahrscheinlich waren einige von ihnen traurig, weil sie sich von ihren Lieben verabschieden mussten oder bereits verabschiedeten. Ich ging die Treppe herunter und lief geradeaus. Die Züge waren über uns. Die Menschen kamen von links und rechts. Es waren Sekunden, wenige Sekunden, die ich von der Treppe bis zur großen Halle des Bahnhofes brauchte – normalerweise. Doch an diesem Tag blieb ich mitten in der Menschenmenge stehen. Ich drehte mich kurz um und sah die Uhr, die nicht mehr lief. Sie hatte damit aufgehört, sich zu bewegen. Ich lächelte. Ich erinnerte mich an den Abend, als ich mit ihr vor dieser Uhr stand. Damals hatte ich sie zum Bahnhof begleitet, da sie von dort aus den Zug zu ihrem Wohnort nehmen musste. Damals hatte ich auf diese Uhr geschaut und gehofft, dass wir beide etwas mehr Zeit miteinander verbringen können, als die Uhr einfach stehen blieb – nur für uns zwei. An diesem Tag, an dem ich die Uhr zum erneuten Mal in einem unbewegten Zustand sah, jedoch zu einer anderen Uhrzeit, als unsere damalige, fragte ich mich, für wen sie die Zeit stoppte. Ich stellte mir vor, eine Frau und ein Mann hätten sich hier verabschieden müssen. Ich stellte mir vor, wie er ihre Tränen abtrocknete. Ich stellte mir vor, wie sie ihm versprach, bald wieder in seinen Armen zu sein. Ich stellte mir vor, wie ihre Hände sich trennten, aber ihre Herzen weiterhin schlugen.
Ich stand weiterhin vor der Uhr und fragte mich, wie die Geschichte dieser zwei Menschen weitergehen wird. Auf meine Uhr schaute ich und stellte fest, dass die vor mir stehende Uhr sich seit vielen Stunden nicht bewegt hatte. Das gab mir Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass ihre Herzen nicht nur für wenige Minuten nach dem Abschied schlugen. Diese Uhr kennt kein zeitliches und räumliches Zusammensein. Sie kennt nur das Zusammensein. Und sie bleibt solange stehen, bis eines der Herzen zwischen Zeit und Raum unterscheidet.
Ich drehte mich um und sah die große Halle vor mir. Menschen bewegten sich, andere standen. Mein Weg ging weiter.
Tag der Veröffentlichung: 02.04.2009
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