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Das Schicksal ist ein komplexes Gespinst, rührst du an einem Faden, gerät das ganze Netz ins Wanken.
Ich zog es vor den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Ich trieb dahin, ohne Segel, ohne Ruder, von der Besitz ergreifenden Gewissheit gepeinigt, mich am Rande der Würde im Kreis zu drehen.
So hangelte ich mich von einem one night stand zum Nächsten, von Drogenparty zu Drogenparty, ohne dem Ganzen besondere Bedeutung beimessen zu können.

Ich brauchte Geld und eine neue Bleibe.
Und eine Vision, wie es weitergehen sollte:
Mein Leben...!?

Ich erfasste durchaus die Idiotie meines selbstgemachten Elends;
ich hasste es wie meine Gedanken immer wieder ab glitten, und mich, wie Kind an der Hand, stets zu neuen Exzessen führten. Je mehr ich mich aufzuschwingen sehnte, umso schwerfälliger wurde ich. Je öfter ich das Licht im Rausche erspähte, umso tiefer versank ich in der Finsternis.
Nie zuvor hatte ich ermessen, wie sehr ich mich mit meinen Kräften verzettelt hatte.
Ich war von meinem eigenen Wesen bedroht, ich fühlte, alles konnte jeder Zeit einstürzen.

Ich trank das erste Bier.

Erst einmal sammeln und den gequälten Ausdruck auf meinem Gesicht loswerden.
Außerdem lässt sich die Zeitung, die ich für mein Vorhaben benötige, nicht nur leichter umblättern, sondern auch würdevoller besorgen.
Ohne das zittrige Herumnesteln in meinem Geldbeutel, auf der Suche nach dem letzten Kleingeld.
Nur die Ruhe, kein blinder Aktionismus, teilten mir meine Finger mit, im Takt einer inneren Symphonie aus Dissonanzen bebend.
Karajan wäre stolz auf mich.
Stockhausen auch.
Ich habe mich nie als dumpfen Sportschau sehenden Trinker wahrgenommen, und so sollte es auch bleiben.
Geübt wickelte ich mir die erste ernsthafte Inspiration des Tages.
Schon besser.
Das Bier und der Joint taten ihre Wirkung auf dem Weg zum Kiosk.
Eine Sonnenbrille schütze meine lichtempfindlichen Augen vor der zelebrierten Zielstrebigkeit der Passanten.
Ich griff nach dem Bier, dass mir unaufgefordert hingestellt wurde, und verlangte nach der Zeitung.
Wohnung und Job. Mein Tagesziel.
Bevor ich meine Selbstgedrehte geraucht hatte, fand ich beides.
Ein Zimmer in einer Studenten WG und einen Job als Call-Center-Agent.
Gleich morgen war Zimmerbesichtigung angesagt und zur Spätschicht gegen 16 Uhr die Vorstellung beim Vertriebsmarketing
Ich zog die Notbremse, liess das letzte Bier halb getrunken stehen und ging nach Hause.
Meine E-Gitarre, eine 64er Stratocaster, über eine Röhrenvorstufe gejagt, brachte mich abstinent durch den Abend.
Ausgepowert, mit wunden Fingern, sank ich zufrieden auf meine Couch und belohnte ich mich mit "Sin City". Nach dem ersten drittel des Films schlief ich ein.

Als ich den nächsten Morgen vor den Spiegel trat, kam das Bild sofort.
Mir gefiel das Gesicht, das mich anschaute.
Ich fühlte mich privilegiert, ob meiner Gene: Kaum ein paar Stunden abstinent und schon sah ich aus wie das blühende Leben.
Die Musik von Jimmy Hendrix, einige Tassen Kaffee und eine ausgedehnte Dusche brachten mich vollends auf Touren.
Bis 12 Uhr hatte ich noch Zeit, ich beschloss den Weg mit dem Fahrrad zurückzulegen.
Als viel beschäftigter Musiker war es nur natürlich, auf den Vorschlag, gleich um 9 Uhr zu kommen, nicht einzugehen. Bloß nicht jederzeit abkömmlich sein; das macht einen schlechten Eindruck. Als ob ich nichts zu tun hätte.
Jens, mein zukünftiger Vermieter, erwartete mich bereits vor dem windschiefen, alten Fachwerkhaus.
Wir verstanden uns auf Anhieb prächtig, auch er spielte Gitarre und so konnte ich einen Teil der Miete in Form von Blueslicks die ich ihm zu zeigen hätte, bestreiten.
Ich beschloss gleich damit anzufangen, um ihn von mir als Mieter zu überzeugen.
Jetzt musste es nur noch mit dem Job klappen.
Streilinger Vertriebsmarketing, Warmakquise Zeitungsabos.
Unter den strengen, aufmerksamen Augen des Chefes telefonierte ich mit bereits seit einigen Tagen Probe lesenden Kunden.
Die Abos gingen weg wie warme Semmeln.
Ich bekam den Job und wurde noch am gleichen Abend zum "Tele-Klinkenputzer-Stammtisch" eingeladen.

***

Der Kater hing mir wieder einmal im Genick.
Na ja, noch waren Semesterferien und es war Sommer.
Ich beschloss Ursel, eine gute Freundin, zu besuchen. Ich hatte Sehnsucht nach ihr, wollte mit ihr reden und ein Joint und ein paar Streicheleinheiten waren bei ihr immer drin.

Mit einem vom Flüchten zerzausten Blumenstrauß und frischen Brötchen ging ich durch die immer offene Haustür, die Treppe hinauf.
Sie war nicht zu sehen, ich ging ins Schlafzimmer und traute meinen Augen nicht:

Ursel, in voller Ekstase mit einer unbekannten Schönen . Beide so weggetreten im Schoße der Anderen zugange, dass sie mich zuerst nicht bemerkten.
Komisch, bei mir war sie nie so richtig bei der Sache.
Dabei ging ich beim Lecken mit der Präzision eines Uhrmachers vor. Beherrscht und nicht zu gierig.
Ich hatte eine gute Lehrerin.
Das war zu viel für mein erbärmliches männliches Ego, ich wollte gerade gehen, als sie meiner gewahr wurden.
Mit glühenden Gesichtern sahen sie mich an, ein Lächeln um die glänzenden Mundwinkel, und winkten mich zu sich.
" Ne, Mädels, das bring ich nicht ", sagte ich mich gekränkt umdrehend.
Da stieg mir eine wohl bekannte Macht in die Nase, das ganze Zimmer roch nach erregter Möse,
jagte direkt in mein Limbisches System, vorbei an dem verletzten männlichen Ego und dem Wächter des Bewusstseins.
Die evolutionäre Vernunft siegte. Gott sei Dank. Ich dachte schon, ich müsste mich betrinken.
In voller Montur, schon einen Mittelstand vorweisen könnend, warf ich mich aufs Bett, lies mich entkleiden und folgte dem Ruf der Natur.
Es war schon immer mein Traum, es mit zwei Frauen zu treiben, aber nach geraumer Zeit stieß ich an meine Grenzen . Die Beiden waren nicht zu bremsen.
Ebenso erschöpft wie befriedigt sah ich ihnen zu.
Da hatte ich die rettende Idee, wie dieses Szenario zu verlängern war.
Ich erinnerte mich an die mit Koks angerührte Vaseline, die sich noch in meinem Kulturbeutel in Ursels Bad befand.
Nun konnte sie mir zu Diensten sein.
Ich sprang ins Bad, rieb mir die Kokspaste auf meinen Schwanz und stieß wieder zu ihnen.
Nachdem mich das Zaubermittel über die vierte Runde gebracht hatte, lagen eine links, eine rechts, in meinen Armen.
" Schau mal, was für große Pupillen er hat, er ist verliebt. In uns Beide. "
" Ihr sagt es ... " flüsterte ich und schloss die verräterischen Augen.
An Schlaf war nicht zu denken. Hätte nicht gedacht, dass das Zeug so stark turnt. Die reinste Flugsalbe. Die Beiden dürften über ihre Schleimhäute auch ein wenig abbekommen haben.
Überraschung.
Das Kokain rumorte immer stärker in meiner Blutbahn.
Nach einiger Zeit löste ich mich aus der Umarmung der selig Schlummernden und ging ein Bier trinken.
In einer dekadenten, meinem Zustand entsprechenden Bar traf ich Bernd!
Mein musikalisches Vorbild. Ich begann dem Leben tatsächlich die schönsten Seiten abzuringen.
Er hatte noch ein paar Gramm Koks dabei, so gingen wir in den Proberaum, um diesem elitären Laster zu frönen und die Instrumente zu malträtieren. Er war ein Tier an Bass, Schlagzeug, Gitarre und seine Stimme glich einem erkälteten Joe Cocker.
Wir spielten die Nacht durch, rüsselten das gesamte Koks weg, brachten uns mit Wodka und Joints wieder in den für den Blues nötigen "laid back mood".
Mit meinem Taskam 8- Spur Tonband bewahrten wir die Session für die Nachwelt.

Am späten Vormittag erwachte ich auf dem alten Proberaumsofa. Ein kleiner Wicht schob mit seinem Dreizack die Reste meiner geschändeten, von einem handfesten Kater gebeutelten Persönlichkeit, in die dunkelsten Winkel meiner Seele.
Typisch! Der Kokain Überflug, mit Wodka und Joints, mühevoll innerhalb der Stratosphäre gehalten, zollte seinen Tribut.
Bernd war nicht zu sehen.
Plötzlich malträtierte gleißend helles Tageslicht meine Augen. Bernd öffnete die Tür des dunklen Kellergewölbes, ließ ein zuviel an Sonne ein und wartete mit einem Frühstück auf.
Ein Sixpack und zwei Pillen, die ich für Aspirin hielt.
Ich hatte eh keinen Hunger.
Er lies sich, eine Staubwolke aufwirbelnd, in den alten Sessel plumpsen und meinte, wir sollten uns erst einmal wieder herstellen.
Er spielte die Aufnahme der Nacht ab, wir tranken die ersten Biere des Tages und schluckten die Tabletten dazu.
Eine grandiose Session klang durch den Raum, wir hatten gute Arbeit geleistet.
Zumindest die erste Zeit, dann begann das Timing in Abhängigkeit unseres Zustandes immer ungenauer zu werden. Rufe, wie "geil", "sagenhaft", "kaum zu glauben" störten die Melodie und das Feeling.
Der typische, Rausch bedingte Absturz vom Talent zum Genie.
Plötzlich durchflutete mich eine Welle orgiastischer Euphorie, gepaart mit absolutem körperlichem Wohlbefinden, als ob mich eine warme innere Dusche einhüllte.
Bernd grinste mich an, als er mein erstauntes Gesicht sah.
" Ast reines MDMA , direkt von Immhausen ", meinte er.
Und ich dachte schon, ich müsse heute arbeiten gehen.
Daran war in diesem Zustand nicht zu denken.
Bevor das MDMA voll zu schlug, sagte ich die Nachmittagsschicht  ab.
Nach dem wir uns mehrmals umarmt und uns unserer niemals enden werdenden Freundschaft versichert hatten, griffen wir wieder zu den Instrumenten.
Sphärenhafte Klänge durchfluteten den Raum, unser Bewusstsein, das Universum.
Sie manifestierten sich, der Weltenseele zu gefallen,
wechselten Farbe und Form zu Gebilden absoluter Übereinkunft mit dem schöpferischen Prinzip der Kunst.
Nur noch sein, fließend mit der Zeit, im Hier und Jetzt, aus diesem Grunde, zu diesem Zwecke, ad hoc, in Harmonie mit Allem. Komplett. All-Eins. Das Nirwana.
Wieder spielten wir den ganzen Tag bis spät in die Nacht.

Ich erwachte von dem flap, flap, flap des Tonbandes, auf dem sich die volle Spule drehte.
Von der gestrigen Euphorie war nichts mehr zu spüren.
Unglaublich, was Drogenexzesse mit dem Gehirn anstellen.
Das Gefühl, die Glückshormone eines gesamten Jahres aufgebraucht zu haben, befiel mich. Alles grau in grau.
Freudlos, belanglos, bedrohlich brach der Tag über mich herein.
Flap, flap, flap ...
Ich brauchte eine halbe Stunde um die Bandmaschine von ihrer Sisyphos-Arbeit zu erlösen.
Den Schalter umzulegen glich einem Umzug ohne Hilfsmittel in einen Wolkenkratzer.
Bernd lies ich im Koma verweilen und machte mich auf den Weg.
Unfähig meinen Zustand zu ertragen kroch ich zur Tankstelle.
Erst mal einen mit Wodka angereicherten Kakao, der Kater wollte gefüttert werden.
Der dezente Trunk und meine Sonnenbrille retteten meine verschrammte, schutzlos zu Tage liegende Seele vor der guten Laune der Normalos.
Um heute zur Nachmittagsschicht erscheinen zu können, musste ich mir etwas einfallen lassen. In diesem desolaten Zustand war es mir unmöglich, mich auch nur den kleinsten Anforderungen zu stellen.
Am Ende!
Zu nichts zu gebrauchen, so absolut, wie gestern noch zu allem fähig
"Halid!" schoss es mir durch den Kopf.
Wenn man mit ihm irgendwo auftauchte, hatte man immer Zeit, sich erstmal zu setzen und eine Zigarette zu rauchen, bevor die anderen von einem Notiz nahmen; eine Erscheinung.
Er hatte sicher noch etwas Opium für einen alten Freund. Halid hatte sich keinen Mantel aus Dornen angelegt, seinen Konsum im Griff und wohnte nur zwei Haltestellen entfernt.
Im Bus wurde ich von zwei Kontrolleuren empfangen.
Mit den Worten, " Die Rechnung, bitte " brachte ich meinen Perso zum Vorschein.
Es gibt Schlimmeres.
Halid war zu Hause.
Wortlos nahm ich die Brille ab und folge ihm in seine Wohnung.
Er führte mich in die nach chinesischem Vorbild ausgestattete Opiumhöhle.
Eine Lampe warf ein gedämpftes Licht, das von einer handvoll Glühwürmchen, eingesperrt in eine alte Schiffslampe, hervorgerufen schien.
Cool Jazz kroch als zäher Nebel aus den mit Tüchern bedeckten Boxen. und verschmolz mit den Teppich behängten Wänden. Miles Davis begann sich zu manifestieren;
das MDMA kam in Schüben wieder hoch.
Ein Blick in mein gequältes Gesicht genügte ihm, um zu wissen, was von Nöten war.
Die ersten Züge aus der Opium-Pfeife hüllten meine, wie eine offene Wunde klaffende Seele in eine Wolke aus Trompetenklängen und zunehmender Gelassenheit.
Opium und Halid seien gepriesen, ich werde ihrer ewig gedenken.
Und zwar in dieser Reihenfolge.

Er erwies sich wieder ein Mal als Meister der Dosierung. Bei ihm rauchte man sich nicht einfach nur zu, sondern lediglich die ganze Pein von der Seele. Als Gegenleistung für seine Großzügigkeit erwartete er kein Geld. Es ging ihm vielmehr darum, seinem Gesprächspartner das Optimum an geistiger Beweglichkeit, befreit von Sorgen und Angst, zu verschaffen.
Wir tranken Chai-Tee mit würzigem Pollenmarock, rauchten Opium und unterhielten uns über die spirituelle Qualität der Halluzinogene.
Substanzen wie Psylozibin Pilze etwa, die durch bildgebende Verfahren nachweisbar, Zustände im Gehirn hervorrufen können, die sonst nur Zen Buddhisten mit jahrelangem Training der Meditation zugänglich waren.
Er hatte welche da.
Lieber meditieren, als rumsitzen und nichts tun.
Mit einer gehörigen Dosis Psilos im Leib machten wir uns auf dem schnellsten Weg in den Wald bevor die Pilze anliefen.
Wir legten uns Blätter unter die Zunge, umarmten die ältesten der Waldwesen und lauschten erstaunt ihren Weisheiten.

Dort, wo ich hinschritt waren keine Fußspuren, nur eine makellos vom Wind geglättete, sanft geschwungene Oberfläche. Alle Gewächse hatten mit einem unfehlbaren und entwaffnenden Sinn für Harmonie ihren Platz gefunden.
Ich musste in die Krone klettern - unbedingt -, um die feinsten Schwingungen - das Geheimnis des Lebens -zu empfangen.

Ich erwachte von dem Piepsen der Überwachungsgeräte auf der Intensivstation.
.
Beim Sturz aus der Baumkrone hatte ich mir ein Bein mehrfach gebrochen und eine schwere Gehirnerschütterung erlitten.
Es dauerte 2 Monate bis ich wieder gehen konnte.

 

 

Impressum

Bildmaterialien: photobuket
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2009

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