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DIE CHRONIK:


Der Moloch, eine Ansammlung zerstörter Existenzen. Jeder für sich und doch mit allen verbunden.
Verbunden durch die Gefräßigkeit dieses Organismus.
Er saugt das Leben, die Freude und Farbe aus den Seelen, labt sich daran.
In der Traurigkeit vereint, der Mitmenschlichkeit beraubt, in der Hoffnungslosigkeit gefangen.

An den nassen, schwarz glänzenden Häuserwänden türmt sich der Unrat, in ständiger Bewegung durch das Spiel der Ratten.
Die einzigen Bewohner die sich hier wohl zu fühlen scheinen.
Die tanzenden Schatten verwandeln sich in einen geheimen Code.
In den dreckigen Pfützen spiegeln sich die langen Beine der Prostituierten im Rhythmus der Leuchtreklame.
Umrahmt von zerknitterten Kippenschachteln und gebrauchten Fixen. Fallen- und liegen gelassen von der Resignation.
Für Geld ist hier alles zu haben, sie erfüllen die perversesten Wünsche
Sie ist neu, strotzt vor Gesundheit, ganz im Gegensatz zu ihren Kolleginnen.
Sie zittert leicht, obwohl es nicht kalt ist.
Eine innere Kälte, hervorgerufen durch das
ununterbrochene Dröhnen und Summen der Stadt, kaum wahrnehmbar aber all gegenwärtig.
Es hört sich an, als würden die Gehirnströme eines depressiven Menschen mit einem Signal in Vibrationen übertragen.

Das Lebenszeichen des künstlichen Organismus.
Es senkt sich wie Nebel über die Bewohner und zwingt jeden in die Schwingung der Hoffnungslosigkeit, der Angst,

DES BÖSEN.

*



Georg:

"Ich bin Georg. Georg Fock.



Ja, wie das vermalledeite Schulsegelschiff.
Hört schon auf zu lachen, wenn der Wind meine zu großen Klamotten um meinen ausgemergelten Körper bläht.
Georg Fock voll im Wind. Ha, ha.
Ich lebe in dieser Fünf Millionenfachen Ansammlung von Grausamkeiten;
bin Jazztrompeter und der Besitzer eines kleinen Clubs.
Gelacht wird hier nicht, aber ein paar Freunden und mir ist es gelungen, die herrschende Depression in Melancholie zu wandeln.
Wir ringen dieser die kreative, nachdenkliche, zur Kunst, Literatur und Philosophie führende Seite ab.
Wir machen Musik, halten Lesungen ab, trinken selbst gemachtes Bier, gebraut aus brackigem Wasser, rauchen Joints von unserem angebautem Gras;
alles in Maßen.


Eine zusätzliche Verstimmung, durch einen Kater hervorgerufen, wäre unerträglich.
Die exogene Seite der Depression dieser Stadt ist ausreichend, einen Karnevalszug rheinischer Frohnaturen auf dem Höhepunkt ihres närrischen Treibens zum Heulen zu bringen.
Auf die Endogene verzichten wir getrost.

Und dann gibt es da noch Lisa."



*

Die Chronik:




Sie hat an Geborgenheit und Liebe nur noch verschwommene Erinnerungen.
Aus der Zeit vor dem großen Crash.
Als es noch Gesetze gab.
Vor Hansen.
In Traumfetzen tauchen Bilder ihres neunten Geburtstages auf.
Es riecht nach Kakao und Kuchen, nach der Wärme ihrer Familie, ihres Heims.
Sie war ein aufgewecktes, glückliches Kind, angefüllt mit grenzenlosem Vertrauen und bedingungsloser Liebe.
Nur ihrer Schönheit und Stärke hat sie es zu verdanken, dass sie noch lebt.
So Eine macht man nicht kaputt!
Nicht einmal hier.
Sie stellt eine zu große Verheißung für sadistische Spiele dar.
Sie zu brechen, ihr das Strahlen ihrer Augen zu nehmen;

- langsam -

sie hält was aus.

Eine unauffällige schwarze Limousine, die Fenster undurchschaubar, gleitet langsam vorbei, sondiert die Straße, um dann zu wenden und die Tür zu öffnen.
Ihr Kunde.
Hansen
Er will sie.
Widerstandsfähiges, schönes Frischfleisch.
Einer der handvoll Männer die über die Geschicke der Stadt befehligen, noch böser und gnadenloser als der Moloch selbst.
Der Chauffeur winkt sie herein.
Im Inneren ist der Gestank und das Dröhnen der Stadt gedämpfter.


Sie fahren auf einer der Adern, die bis in die entlegensten Extremitäten des Organismus reichen.
Die großen Plasmabildschirme an den Wänden der Gebäude zeigen die Show, deren Produzent er ist.
Der Mob hat sich davor versammelt und grölt den gequälten Kämpfern zu;
die einzige Freude dieser Kreaturen ist zu Sehen, wie es anderen noch dreckiger geht.
Der Gewinner darf in den inneren Kreis, wohin sie jetzt unterwegs sind.
Der Verlierer ist des Todes.
Unbehelligt passiert die Limousine den streng bewachten Sicherheitsgürtel um sein Anwesen
Aus den Lautsprechern auf dem Dach der Villa tönt Death Metal, um von vorne herein klar zustellen, um wessen Reich es sich handelt.
Die grölende Stimme des Sängers bereitet sogar dem Teufel Schmerzen.
Der das Haus umgebene Park ragt wie eine schwarze, erstarrte Brandung eines toten Meeres über das große Anwesen.
Die alten Bäume strecken ihre bizarren Äste in den braunschwarzen Himmel.
Der Chauffeur öffnet ihr die Tür und Hansen reicht der Neu entdeckten seinen Arm.
Er kann sehr charmant sein, verführerisch, galant, voller Esprit.
Das vermodernde Laub raschelt bei jedem Schritt und gibt eine Wolke der Fäulnis frei.
Er weiß nichts von ihr, denkt sie wäre ein weiteres Opfer seiner sadistischen Spiele.
Besonders schön zwar, von einer inneren Stärke, die ihn überrascht, aber dennoch einzig hier,
ihm zu gefallen.




*
GEORG:

"Lisa, blühende Blume im Unrat.


Eines Tages kam sie in meinen Club.
Wir improvisierten gerade über ein Thema von Miles Davis.
Ich war mächtig in Fahrt und als sie näher kam schwitzte ich bereits.
Ich konnte sie beruhigt anstarren, alle Welt sah darin ohnehin nur die Hingabe an die Musik. Die Wichtigkeit der gespielten Empfindung.
Sie lächelte und ich legte mich noch mehr ins Zeug. Bei ihrem Anblick bekamen die Töne eine nie geahnte Bedeutung. Ich reihte Melodie an Melodie, aus Angst diesen Augenblick zu zerstören.
Ich hatte ganz vergessen, dass es auch noch eine schöne, sonnige Seite im Leben gibt.
Schließlich beendete Bernd, der Drummer, die Nummer.
Ich hätte ihn würgen können!
Sie kam auf mich zu.
" Können wir reden?" fragte sie.
Da sie mich ansprach war ich einigermaßen gelassen. Normaler Weise hätte ich in einer solchen Situation ein dümmliches Lächeln aufgesetzt.
Ich konnte es mir nämlich mit jedem verderben wenn ich in Form war; in Abhängigkeit der Bedeutung die ich einer Begegnung bei maß. Vor allem, wenn ich bekifft war und es sich um eine schöne Frau handelte.
"Na klar..." meinte ich weltmännisch, souverän.
Ich winkte kurz und Bernd reichte uns zwei Bier und einen Joint.
Ich hätte ihn küssen können!
Ein echter Freund.
Der Gedanke sie bald ebenso stoned zu wissen wie mich, gefiel mir.
Auge in Auge.
Den Arm um ihre Taille gelegt führte ich sie in den Hinterraum. Ich dachte ich bekäme einen Schlag, aber von ihrem Körper ging eine milde Wärme aus die mich einhüllte.
" Ich habe einen Plan..." kam sie gleich zur Sache."




*


DIE CHRONIK:




Zwei Stunden später fährt die schwarze Limousine bei einem geheimen Club vor. Die Neue ist allein.
Auch hier gibt es einen inneren Kreis; einen Kreis dem Künstler, Musiker und Autoren angehören.
Der Widerstand!


Die Beschäftigung mit schön geistigem bewahrt sie vor der vollständigen Abstumpfung menschlicher Regung.
Die melancholische Jazzmusik verstummt bei ihrer Ankündigung durch den Späher.
Ihr gemeinsamer Plan ist aufgegangen.
Sie hat es geschafft.
Mit den Resten der Ihnen noch zur Verfügung stehenden Euphorie empfangen sie sie.

Abgelenkt durch ihre teuflischen Rituale, gelingt es Lisa den rituellen Trunk der herrschenden Bösen zu kontaminieren.
Die in mühseliger Arbeit selbst erworbenen Chemie Kenntnisse des Clubs tragen reife Früchte:
Das Hyperhalluzinogen wirkt wie beabsichtigt.
Es lässt die Menschen den Meister schauen, dem sie dienen, wirft sie komplett auf sich selbst, auf die versteckten Reste ihrer Menschlichkeit, zurück.

*


Georg:



"Unsere Droge, ein starkes Meskalin Derivat, lässt reisen in das Reich der liebevollen Anteilnahme, des Mitgefühls, der Wahrnehmung des Menschlichen und somit in das Reich des intelligenten Ausdrucks unseres ureigenen Selbstinteresses: der Liebe.
Persönliche und kollektive Bilder von uns selbst und den Anderen entscheiden darüber, wie die Welt beschaffen ist.
Wir alle sind innig mit allen und allem verbunden:
Was Anderen geschieht, geschieht auf ganz konkrete Weise uns selbst. Was wir ablehnen, bekämpfen und vernichten, tun wir auch uns selbst an.
Es ist eine Reise in das universelle Bewusstsein.
Der Geist steht über der Materie.
Das kosmische, schöpferische Prinzip der Liebe über allem.

Was sich in der Villa Hansens abgespielt hat, ist zu grausam, Lisa ist nicht zimperlich, aber sie hängt den Mantel des Schweigens über das Gesehene.
Ich habe da so meine eigenen Vorstellungen.
Fellinis Film "120 Tage von Sodom und Gomorra" war im Vergleich zu diesen menschenverachtenden Perversionen wohl wie das zarte Herantasten an den ersten Kuss einer Horde hoch pubertierender, kichernder Teenies beim Flaschendrehen.

Hansen verlor seine Gefolgsleute; er konnte flüchten und treibt sich wer weiss wo in der Welt herum.
Menschen wie er finden ihren Platz.
Der Generator, der die Schwingungen der Angst und Trostlosigkeit erzeugte, wurde zerstört.
Nun , es wird wohl noch etliche Jahre dauern, bis sich die Stadt nach unseren Vorstellungen wandelt, aber wir sind auf dem besten Wege.
Sie heißt übrigens: EUDAIMONIA
Nach dem griechischen, philosophischen Prinzip:
Das gute Leben Aller! "







*
DIE CHRONIK:
Langsam, wie aus einem schlimmen Traum erwachend kommt die Stadt wieder zu sich.
Verkatert, gerädert, mit einem üblem Geschmack im Munde des Gewissens, aber wenigstens wahrnehmend.
Die Menschen nehmen wieder Anteil am Leben anderer, schauen sich wieder, verschämt zwar, in die Augen.
Es fällt auf, dass in den Jahren der Herrschaft des Bösen keine Kinder geboren waren.Als ob die Natur dem Bösen diesen kostbarsten Schatz vorenthalten hätte.Die Evolution in den Streik getreten war.
An diesen Moloch nichts verschwenden wollend. Stillstand.
Luminare Zeit.
Es kommt zu Zärtlichkeiten, zu Berührungen voller Liebe, nicht mehr auf die blose Triebabfuhr beschränkt, oder der Kosten-Nutzen Rechnung unterworfen.
Das Gefühl für das Schöne, mit Liebe Gestaltete fällt die Menschen anheim. Blumen werden gepflanzt, lachen ist zu hören, kleinlaut, aber sich den Weg ins Bewusstsein bahnend.
Hier und da beginnen welche den Müll zu entsorgen.
Ganz zart und behutsam verwandeln sich die Masken wieder in menschliche Gesichter, beginnen zu leben.
Zukunftspläne werden geschmiedet, Liebespärchen bilden sich, Freundschaft und Nachbarschaftshilfe halten Einzug.
Wie Verdurstende trinken die Bewohner das Miteinander.
Selbst die Erde freut sich wieder über hinterlassene Fußabdrücke, der Wind hat wieder Spaß daran die Haare zu zerzausen, Wolken zu vertreiben.
Die Sonne wieder Lust zu scheinen.
Sie nennen die Stadt Eudaimonia.



*


Georg:
" Sie haben mich zum kommissarischen Leiter der Stadt gemacht.
Ha, wenn die wüssten, was ich noch alles in petto habe, hätten sie mich gleich zum Bürgermeister erwählt.
So wie mich Lisa erwählt hat;
kluges Mädchen!

Meine erste Amtshandlung : Das Credo der Stadt bekanntzugeben:
Die Hauptdirektive der Stadt lautet:



MÖGEN ALLE WESEN GLÜCK ERFAHREN
UND DIE URSACHEN DES GLÜCKS
MÖGEN ALLE WESEN FREI SEIN VON LEID
UND DEN URSACHEN DES LEIDS
MÖGEN ALLE WESEN IN LIEBE MITEINANDER UMGEHEN
OHNE ANHAFTUNG AN DEN NÄCHSTEN ODER ABLEHNUNG GEGEN DIE ANDEREN:



nach einem 800 v. Chr. stammenden Gebet eines buddhistischen Meisters.

Nun ja, ziemlich idealistisch. Ich gebs zu.
Was Lisa betrifft, so darf sie mich gerne mit Anhaftung lieben.
Und meintwegen auch mit Ablehnung der Anderen.
- Männer -, vor allem.
Ich bin da nicht kleinlich..."




Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.03.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
" Das Verstehen heilt zwar nicht das Böse, aber es hilft doch ungemein, sofern man mit der verstehbaren Finsternis fertig wird." Franz Kafka

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