Der kleine Nick
Der kleine Nick saß am Fensterbrett und sah in den sternenklaren Nachthimmel. Es war eisig, der Schnee glitzerte im Mondlicht und die Eiszapfen, die an den Straßenlaternen hingen funkelten bis zu seinem Fenster. Es war der erste Winter, das erste Weihnachtsfest ohne seinen Vater gewesen. Die Tür ging auf und seine Mutter kam ins Zimmer.
„Du schläfst ja noch gar nicht“, sagte sie zu ihm, ging zum Fensterbrett, auf dem Nick regungslos saß und nahm ihn in ihre Arme. „Ma, wo ist Paps jetzt, kommt er wieder? Kann er mich sehen wenn ich hier sitze und weiß er was ich denke?“ Seine Mutter strich ihm über den Kopf. Sein blondes welliges Haar, das nicht zu bändigen war glitt durch ihre zarten Finger. „Ja Nick, er kann dich sehen und er weiß wie es dir geht. Aber er würde nicht wollen, dass du die ganze Nacht hier am Fensterbrett sitzt und traurig bist. Leg Dich hin und versuche etwas zu schlafen“.
Nick hopste vom Fensterbrett hinunter sah noch einmal zu den Sternen und winkte hinauf, „schlaf gut Paps, ich habe dich lieb“. Seine Mutter ging mit ihm zum Bett, deckte ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ma, liest du mir noch etwas vor? So wie Vater? Liest Du mir aus dem Buch vor, das er für mich geschrieben hat?“ „Ja mein Schatz, aber mach die Augen zu und kuschele dich in die Decke“.
Das Buch das Nick von seinem Vater, vor dessen plötzlichen Verschwinden bekam, stand im Regal über seinem Bett. Nicks Mutter griff es, schlug die erste Seite auf und begann zu lesen.
Es war Ende September, die Sonne schien ihr ins Gesicht und es war viel zu warm für diese Jahreszeit. Immer wenn sie im Wald war, dachte Lisa nach und fast immer laut. Sie murmelte vor sich hin und achtete kaum auf die Sträucher und Bäume, die sich hin und her bogen.
Hätte sie an diesem Nachmittag einmal darauf geachtet wäre es ihr vielleicht aufgefallen, daß sich der Wald um sie herum sehr unruhig zeigte und das, obwohl kein Wind ging. Ja nicht einmal ein laues Lüftchen war zu spüren. Lisa stiefelte den Weg hinauf, entlang der alten Eichen, Buchen und verschiedener anderer Bäume ohne auf irgendwas zu achten. Verschlungen und urwüchsig war der Wald und voll von Leben, auch wenn Lisa zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dieser Art Leben wissen konnte.
Das wippen der Äste an denen grüne und bunt gefärbte Blätter hingen, das Plätschern des kleinen Baches und die Rufe des Eichelhähers, all das bemerkte sie an diesem Tag nicht. Sie war so mit dem Sortieren ihrer Gedanken beschäftigt, daß es keinen Platz zu geben schien für das, was ihr sonst im Wald so viel Freude machte.
Unten in Weißenburg wo sie lebte, war es sehr still. Ein richtiger schöner Septembertag, dachte sie. Lisa blieb stehen und atmete tief durch. Die frische Luft tat gut und sie schloss verträumt wie immer, ihre Augen.
„Au“, schrie sie und langte sich ans rechte Ohr. Irgendwas hat sie am Ohr getroffen. Sie sah sich um, konnte aber nichts erkennen und als sie weiter gehen wollte, geschah es wieder.
„Autsch!“, rief sie abermals und rieb sich das Ohr erneut. Sie sah hoch, doch auch im Himmel und auf den Ästen der Bäume konnte sie nichts sehen, am Boden lag eine Kastanie und das, wo es doch im Umkreis der nächsten 500 Meter gar keine Kastanienbäume gab.
„Das finde ich gar nicht komisch“, polterte sie los. „Wer immer das auch sein mag, das ist ein schlechter Scherz und dann noch aus dem Hinterhalt, pfui, feige ist das. Komm raus und zeige dich. Peter bist du das? Das ist wirklich nicht witzig. Hör auf damit.“ Lisa war sauer. Nichts geschah, auch nicht, als sie weiterging. Sie kletterte einen Felsen empor, in den kleine Tritte eingehauen waren. Diese dienten ihr als Leiter. Als sie dann um eine Wegbiegung herum gelaufen war, hatte sie einen wunderschönen Ausblick. Der Wald lag nun unter ihr und in der Ferne sah sie die Stadt. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, es würde bald dunkel und ihre Eltern wollten daß sie vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause war. Ihr Ohr schmerzte immer noch, aber wer auch die Kastanie geworfen hatte, er oder sie hatte sich nicht mehr gezeigt, worüber Lisa gar nicht traurig war, wer bekommt schon gerne Kastanien mit voller Wucht ans Ohr geknallt?
Für den Heimweg wählte sie die Abkürzung quer durch den Wald. Sie verließ den Weg und nahm einen Trampelpfad, den sonst nur der Förster, also ihr Vater, Peter, der Nachbarsjunge und ihr bester Freund und vielleicht einige Pilzsucher kannten. Lisa kannte ihn natürlich auch. Es war nun kalt geworden als sie zu den ersten Laternen auf der Straße kam. Das warme Licht der Laternen viel auf ihr mädchenhaftes Gesicht, auf ihre kastanienbraunen wilden Locken und auch auf das Grübchen, das sie auf ihrer linken Wange hatte.
Lisa war ein hübsches Mädchen, mit einer zarten Figur, mit Augen die so grün waren wie eine Waldwiese und einigen Sommersprossen auf der Nasenspitze, die in der Sonne gelegentlich funkelten, gerade so, als ob es kleine, orange Sterne wären.
Sie rannte die Römerbadstraße hinunter, bog in den Zaunwiesenweg ein und sah in die Fenster der Leute. In allen Häusern brannte nun Licht. Sie war spät dran und sie hatte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend weil sie wusste, daß ihre Eltern sicherlich alles andere als erfreut sein würden, wenn sie so spät nach Hause kam. Also wirklich spät war es ja nicht, es war gerade mal 17 Uhr, aber es war schon dunkel und Lisa war eben erst 12 Jahre alt.
Vor der Gartentüre zupfte sie ihre Haare aus der Stirn, öffnete das Türchen, das jedes mal laut quietschte, wenn man es aufmachte und drückte neben der Haustür auf die große, goldene Klingel, von der die Goldfarbe schon etwas abblätterte. Auf dem ebenso goldenen Schildchen daneben stand in schwarzen Buchstaben der Name Tanner.
Die Türe ging auf und heraus kam Frau Tanner, eine nette schlanke Dame mittleren Alters, mit blonden Haaren die sie sich nach hinten gesteckt hatte, mit himmelblauen Augen und mit einem Grübchen auf der Wange. So eins wie Lisa es hatte, und an genau der gleichen Stelle. Frau Tanner war Hausfrau und das war sie mit Leib und Seele. Sie war fast immer fröhlich, sie sang oft und schön bei der Arbeit, sie las ihrer Familie, vor allem in den Herbst- und Wintermonaten, abends gerne Geschichten vor und sie malte gerne Landschaftsbilder, die sie dann ausstellte und verkaufte. Darauf war Frau Tanner etwas stolz und Lisa und ihr Vater waren es auch. Überhaupt war sie die beste Mutter der Welt, jedenfalls meinte das Lisa.
„Lisa, du weißt daß du vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein sollst. Dein Vater und ich, wir machen uns solche Sorgen.“ Frau Tanner zog Lisa am Ärmel zur Tür herein und gab ihr einen leichten Klaps auf den Po. „Wer weiß, was alles passieren kann. Es gibt so viel Gesindel auf dieser Welt. Also sei in Zukunft bitte vor Einbruch der Dunkelheit hier. Hörst Du?“ Inzwischen stand auch Herr Tanner im Flur. Ein großer schlanker Mann mit einem gemütlichen Wesen, der gerne Pfeife rauchte. Er war der Förster hier im Revier, mit braunen Haaren, braunen, warmen, lustigen Augen und normaler Weise, mit einem verschmitzten Lachen.
Er machte ein nachdenkliches und betrübtes Gesicht, strich sich die Haare nach hinten und nickte.
„Lisa, deine Mutter hat recht. Du weißt daß wir dir viele Freiräume lassen. Wir fahren dich hin und her, wenn du wo hin mußt, aber bei Dunkelheit alleine umher zu streifen ist einfach zu leichtsinnig.“ Er warf einen Blick auf ihre schmutzigen Schuhe und runzelte die Stirn. „Sag mal“ er kratzte sich am Kopf und sah Lisa in die Augen.
„Warst du wieder im Wald? So wie deine Schuhe aussehen. Ich verstehe nicht warum du nicht lieber mit Claudia und Biggi auf die Eisbahn gegangen bist. Die waren hier und haben nach dir gefragt.“
„Ihr habt ja recht, es war dumm, ich weiß. Tut mir auch leid, aber ich war so im Gedanken. Es wird nicht mehr vorkommen. Und Claudia und Birgit. Hm. Die waren hier? Na ja, ich kann ein anderes mal ja auch mit denen zum Schlittschuhlaufen gehen.“ Lisa zog den Mantel und die verdreckten Schuhe aus, ging ins Bad und wusch sich die Hände. Unterdessen deckte ihre Mutter mit Hilfe ihres Vaters den Tisch. Es dauerte noch eine ganz Weile, bis ihre Mutter sie zum Essen rief. Lisa legte sich in der Zwischenzeit in ihrem Zimmer aufs Bett und starrte auf die Decke. Sie war noch immer mit dem Sortieren ihrer Gedanken beschäftigt. Diese verflixte Unruhe, die sie immer öfter in sich spürte, von der sie nicht wusste, wo sie herkam und gegen die sie nichts machen konnte.
Nur wenn sie im Wald war, dann schien sie nicht ganz so stark zu sein als sonst, da war es innerlich irgendwie friedlicher. Plötzlich fiel ihr wieder die Kastanie ein, die man ihr ans Ohr geworfen hatte
„So eine Frechheit“ flüsterte sie „hat ganz schön weh getan. Komisch daß ich niemanden gesehen habe“ und dann hörte sie auch schon die schöne Stimme ihrer Mutter, die nach ihr rief. Sie saßen alle drei bei Tisch.
Nach dem Essen sah Herr Tanner seine Frau und Lisa an und fragte ob sie Lust hätten auf einen Spielabend. Gelegentlich saßen die Tanners zusammen im Wohnzimmer und vergnügten sich mit verschiedenen Spielen. Angefangen von Mensch-ärgere-dich-nicht, über Kartenspiele bis hin zu Ratespielen. Lisa hatte heute keine Lust.
„Ich gehe in mein Zimmer und lese noch eine Weile“ sagte sie, bevor sie aufstand, ihren Eltern einen Kuß auf die Wange gab und in ihr Zimmer marschierte.
„Ich weiß nicht was das Kind in letzter Zeit hat“, sagte Frau Tanner während sie den Tisch abräumte und Herr Tanner meinte „das geht jetzt schon eine geraume Weile so mit ihr. Hat sie Kummer Schatz?“ „Nein, das glaube ich nicht, außerdem hätte sie mir das bestimmt gesagt. Vielleicht liegt es an ihrem Geburtstag?“
„Geburtstag?“ raunte Herr Tanner „bis zu ihrem Geburtstag dauert es doch noch eine Weile.“
„Das schon“ erwiderte Frau Tanner „aber neulich sagte sie zu mir, daß sie nicht 13 werden will. Sie hätte einfach ein schlechtes Gefühl dabei.“
„Also was in den Köpfen von Halbwüchsigen so umherspukt“ lachte Herr Tanner „will nicht dreizehn werden“ und ging mit seiner Frau ins Wohnzimmer um es sich noch gemütlich zu machen. Frau Tanner sah ihn ernst an. „Schatz, hast du es vergessen? Es ist der 13 Geburtstag“ Herr Tanner wurde blass.
„Ich hätte es tatsächlich beinahe vergessen. Dann muß sie ja“ - er schwieg. Frau Tanner setzte sich dichter zu ihm, legte ihren Kopf auf seine Schulter und er nahm sie in den Arm.
Nick war eingeschlafen. Er atmete ruhig, seine Hände hielten den Stoffteddy fest umklammert, welchen er zum fünften Geburtstag bekam und träumte tief und fest. Seine Mutter legte das Buch beiseite, zog die Bettdecke etwas höher und gab ihm einen Gutenachtkuss, bevor sie leise aus dem Zimmer ging. Sie ließ die Tür wie immer einen Spalt offen und ging ebenfalls zu Bett. Sie konnte nicht schlafen, immer wieder dachte sie an die vergangenen Tage, als Nicks Vater so plötzlich verschwand und weinte. Er war der beste Ehemann und der beste Vater, da waren sich Nick und seine Mutter einig. Er war auf einmal verschwunden und keiner wusste wohin. Nicks Mutter ahnte es, es lag an seiner Herkunft und es lag daran, dass er anders war als andere Männer.
Während sich der kleine Nick und inzwischen auch seine Mutter in der Traumwelt befinden, sollte man vielleicht erzählen, wie die Geschichte in Nicks Buch vor langer Zeit begann.
Daß der 13te Geburtstag von Lisa ein Problem darstellte, ein Problem übrigens, von dem Lisa noch gar nichts wusste, das war so:
Eigentlich begann alles vor vielen Jahren. Um genau zu sein, vor dreihundertfünfunddreißigeinhalb Jahren, einem dreiviertel Monat, einer halben Woche und einem knappen Morgen. Das war natürlich lange vor der Zeit, als es die Tanners gab und lange bevor es Nick gab, aber da fing eben alles an.
Es war wie gesagt kurz nach dem der Morgen anfing in den Mittag überzugehen, als es im Wald bei Raganfrid, damals gab es da noch Wald, viel Wald, zu einer Mapla kam. Eine Mapla ist eine Versammlung, bei der die Herrscher verschiedener Völker zusammen kamen und sich berieten. Also, zu dieser Mapla trafen sich alle Elfenfürsten, Zwergenkönige, einige Zauberer und Hexen, sowie einige von uns Menschen. Allerdings trafen sich dort nur die Menschen, die wußten daß es Elfen, Hexen, Zauberer und Zwerge gab und damals gab es schon lange nicht mehr so viele vom anderen Volk, wie früher, zu Urzeiten.
Diese Mapla war die erste seit langen Jahren, die vom großen Rat einberufen wurde, aber es war an der Zeit wieder eine einzuberufen, da sich viele Dinge änderten und eine Mapla eben unumgänglich machten. Damals waren es andere Elfen, Hexen, Zauberer, Zwerge und Menschen als die, die es heute gibt, um sich über ihren Fortbestand zu beraten. Sie saßen alle in einem großen Kreis, um einen Tisch aus Stein der im Wald auf einer Lichtung stand, die Sonne schien und es war warm. Wäre der Grund der Zusammenkunft nicht so ernst gewesen, hätte man es für ein richtig nettes Picknick halten können.
Damals beschloss der große Rat für den Fortbestand der Elfen Zauberer und Hexen zu sorgen, da es den Elfen, Zauberern und Hexen nicht mehr möglich war genug eigene Kinder zu bekommen, (schon wegen der Hexenverfolgungen. Ganze Familien wurden ausgerottet!).
Das lag unter andrem daran, daß die Wälder immer kleiner wurden und die Bewohner des anderen Volkes kaum noch Platz hatten um sich zu verstecken. Sie zogen in die Städte und suchten dort Unterschlupf. Zwangsläufig verteilten sie sich in alle Himmelsrichtungen und verloren sich fast aus den Augen. Durch den Umzug in die Städte, waren sie für normale Menschen sehr leicht zu erkennen, dort wurden sie wegen ihrer Hexenkünste gesucht, gefoltert und verbrannt.
Bei diesem Treffen des Rates nun, wurde beschlossen einmal im Jahr für einige Menschenkinder eine Patenschaft zu übernehmen. Dabei wurde genau festgelegt um welche Kinder es sich handelte. Aus welchen Familien, beziehungsweise von welchen Eltern, diese Kinder ausgewählt werden dürfen. Jedes Jahr waren es genau 20 Kinder die dreizehn Jahre sein mußten, zehn Jungen und zehn Mädchen aus ganz Deutschland. Manchmal kamen auch Kinder aus Österreich oder der Schweiz.
Ausgewählt wurden nur die Kinder, deren Eltern viel für die Natur und die Tiere taten und sich für diese einsetzten. Es mußten gute, aufrichtige Menschen sein die zu ihrem Wort standen und sie mußten einen Garten haben, in dem eine Eiche stand.
Wenn die Elfen und Zauberer sich für eines der Kinder entschieden hatten, kamen sie zu deren Eltern und trugen ihnen ihr Anliegen vor. Natürlich bekamen es viele Eltern mit der Angst und warfen die Zauberer und Elfen hinaus. Andere wollten damit auch einfach nichts zu tun haben „albernes Zeug“ hieß es dann, doch manchmal klappten die Versuche auch. Dann baten die Eltern die Zauberer und Elfen ins Haus und die Elfen und Zauberer erzählten den Eltern worum es ging. Niemals wurde jedoch ein Kind ohne Zustimmung der Eltern abgeholt.
Die Kinder bekamen besondere Fähigkeiten von ihren Paten. Ihre Wunden heilten viel schneller als bei anderen Kindern, sie verstanden, ohne zu wissen wie und warum, die Sprache der Tiere und wußten wann diese in Not waren. Alle Pflanzen wuchsen und gediehen ganz besonders prächtig um sie herum und sie konnten den Menschen tief in die Herzen schauen.
Wie gesagt, die Kinder durften bei ihren Eltern bleiben, jedenfalls so lange, bis sie ihren 13 Geburtstag hatten. An diesem Geburtstag kamen sie für die Dauer eines Jahres in das Reich der Elfen und Zauberer. (So wie wir, wenn wir mit sechs Jahren in die Schule kommen). Wenn sie nicht kamen, verloren sie all ihre Fähigkeiten und waren eben wieder ganz normale Menschenkinder.
Die Kinder die aber ins Elfenreich kamen, lernten dort die verschiedensten Dinge, die Elfen und Zauberer wissen müssen. Nach einem Jahr der Grundausbildung konnten sie wieder zu ihren Eltern zurück um sich zu überlegen, ob sie in Zukunft bei den Menschen oder im Reich der Elfen leben wollten.
Die Grundausbildung war wichtig. Wenn die Kinder sich für ein Leben auf der „anderen Seite“ entschieden, wurde bei späteren Aufenthalten darauf aufgebaut. Es war nicht viel anders, als in unseren Schulen. Es gab einen genauen Stundenplan, der eingehalten werden mußte, es gab Regeln, wie an jeder Schule und es gab Noten, sehr zum Bedauern der Schüler.
Von den Elfen lernten sie alles über die Natur, die Tiere, die Pflanzen, die Gewässer, über das Wetter und sogar das Reisen mit dem Wind und das war nicht ganz ungefährlich für Windfluganfänger!
Von den Zwergen lernten sie alles über Gesteine, Mineralien, die Schmiedekunst und den Bergbau, es ist gar nicht so einfach, wie man meint, Berghöhlen zu bauen oder sich in ihnen zurechtzufinden.
Von den Hexen und Zauberern wurden sie in der Zusammensetzung von Mixturen, Tinkturen, der Kräuterkunde, die Kunde des Verschwindens (wofür man übrigens immer eine Eichel braucht), sowie und das Unsichtbarmachen geschult. Und natürlich für die Zauberei im Allgemeinen.
Normaler Weise werden die Kinder von einem Elf oder Zauber an ihrem 13 Geburtstag abgeholt. Diesmal war dies aber nicht möglich, und so mußten die auserwählten Kinder später als sonst und ganz alleine durch den Wald zum Reich der Elfen finden. Der mächtige Zauberer Ratbod von Nogon wollte nicht länger zulassen, daß die Kinder bei den Elfen geschult wurden. Sein einziges Ziel sollte darin bestehen, die Kinder zu sich zu holen damit diese für ihn arbeiteten und nie wieder weg zu lassen. Er erhoffte sich, daß die Elfen aussterben würden und er der mächtigste Mann seiner Zeit sein würde.
Auch in diesen Tagen unserer Zeit gab es einen großen Rat. Wie es von jeher war, bestand er aus den mächtigsten und größten Anführern aller Völker.
Da waren der Elfenkönig Alanior, der sich immer für Harmonie einsetzte unter den Völkern und die Elfenkönigin Cyrilll, die Alaniors Frau war.
Es gab den großartigen Zauberer Mathalwin, der denkende Geist, seinen Bruder Godowin, der ständig auf Wanderschaft war und die bezaubernde Hexe Ludmilla, die aufgrund ihres freundlichen und herzlichen Wesens von allen Völkern geliebt wurde.
Auch die Zwerge waren vertreten durch den Stammesfürsten der Klömpges und den Stammesfürsten der Nüßgens.
Für das Volk der Menschen standen, Wigand von Fulka, der Kämpfer mit seinem flammenden Schwert Agihard und seine Schwester Raganhild von Fulka, die ihm im Kampf mit Rat zur Seite stand. Ebenso war Boemund von Torent erschienen. In unserer Welt hießen sie allerdings anders, aber das ist uninteressant. Am Schluß muß auch Windreiter, Arnoald von Amthor genannt werden. Er kam immer mit seinem Pferd Aar und dem Adlerkönig Arwed. Windreiter war ein ehemaliger Schüler, so wie es nun Lisa werden sollte.
In unserer Welt hieß er einfach nur Alexander Wiebel. Er hatte gelernt sich und sein Pferd in die Gestalt des Windes zu zaubern und somit war er auch so schnell wie der Wind. Zusammen mit seinem treuen Freund dem Adlerkönig Arwed, flog er durch die Lüfte.
Der große Rat setzte sich für den Erhalt der Elfenpatenschaften ein und mußte Lisa und die anderen Schüler nun eine Woche vor dem abgemachten Termin zu sich holen, damit die Kinder nicht Ratbod von Nogon in die Hände fielen.
Nicks Mutter kam ins Zimmer und zog die Vorhänge zurück. Die Sonnenstrahlen kitzelten Nick an der Nasenspitze und die frechen Spatzen hüpften am Fensterbrett hin und her.
Nick öffnete seine Augen „haben wir schon wieder morgen? Ich habe so schön geträumt Ma.“ „Was hast du denn geträumt? Willst du es mir erzählen?“ Seine Mutter lächelte ihn an, während sie ihm den Schalfanzug aus und die Jeans und den Pullover anzog.
„Ich habe geträumt, dass mir Paps einen kleinen Stern geschenkt hat. Er hat ihn mir aufs Fensterbrett gelegt und gesagt das sei wie ein Telefon nach oben Ma“. Nicks Mutter strich ihm über den Kopf. „Schnell, geh ins Bad Zähneputzen und kämm dich, mein kleiner Struwwelpeter“, sie gab ihm einen leichten Klaps auf den Po.
„Ja Ma. Ma, er hat auch gesagt, dass wir bei der Sonnenwende zu ihm kommen könnten. Das wäre doch schön Ma. Wann ist Sonnenwende?“ Nick nahm die Zahnbürste und begann seine Zähne zu putzen. „Nick, das hast du alles nur geträumt, deinen Vater können wir nicht sehen, wer weiß wo er jetzt ist.“ Sie schüttelte sein Bett auf und öffnete das Fenster um frische Luft hereinzulassen.
Auf dem Fensterbrett lag ein kleiner schwarzer Stein. Er war voller Löcher und Risse, war scharfkantig und glitzerte leicht im Sonnenschein.
Nick kam ins Zimmer. „Was hast du da?“ Seine Mutter gab ihm den Stein. „Er lag hier auf dem Fensterbrett, ich weiß nicht wo er herkommt“. „Siehst du, ich habe nicht geträumt, Paps war da, er hat mir den Wunderstein gebracht. Ich werde ihn auf meinen Nachttisch legen“ und schon verschwanden das kleine Modellflugzeug, die Taschenlampe und sein Comic in der Schublade, damit er Platz für seinen Stein hatte.
„So mein Schatz, komm jetzt frühstücken, ich habe dir eine heiße Schokolade gemacht, sonst wird sie wieder kalt.“ Er ging mit seiner Mutter in die Küche, aß ein Marmeladenbrot, trank brav den Kakao und baumelte mit seinen Beinen unruhig hin und her. „Was hältst du davon wenn wir heute rodeln gehen und einen Schneemann bauen?“ sie lächelte ihn an und in ihren Augen lag ein warmes, liebevolles Leuchten. „Ja Ma, das ist die beste Idee des Tages. Gehen wir zur Wülzburg oder gehen wir auf die Schafscheuer?“ „Was ist dir den lieber? Die Abfahrt bei der Wülzburg ist länger, aber wir haben auch weiter zu laufen“. „Lass uns zur Wülzburg gehen, Paps war da auch immer am liebsten“, Nick sprang auf zog seine Schuhe an und drängelte seine Mutter. „Beeil dich, den Tisch kannst du doch auch noch später abräumen. Bitte, schnell“, er drückte seiner Mutter den Mantel in die Hand und sie lachte. „Na gut, mein Lausejunge, dann lass uns mal losgehen“.
Nick und seine Mutter wohnten in einer Eigentumswohnung in der Nähe der Schulen. Über kleine, kaum sichtbare Fußwege gingen sie Richtung Rodelbahn, dick angezogen, mit Pudelmützen auf dem Kopf und einem langen Schal. Nicks Mutter zog den Schlitten und er lief wie es sich für einen braven Jungen gehörte, neben ihr her.
„Ma, weißt du eigentlich dass ich doppelt so weit laufen muss als du?“, er machte ein nachdenkliches Gesicht und hob die Augenbraue als er zu seiner Mutter aufblickte. „Warum musst du doppelt so weit laufen?“, sie blickte auf ihn hinunter und sah ihn fragend an. „Na weil ich viel kleiner bin als du und immer wenn du einen Schritt machst, muss ich mehr Schritte machen. Das ist ungerecht“ sagte er und setzte sich auf den Schlitten. Seine Mutter lachte, „stimmt, du armer Junge, daran habe ich gar nicht gedacht“ und zog ihn mit dem Schlitten den Weg entlang.
Die Wahrheit war, dass Nick nicht weit gehen konnte. Er war seit seiner Geburt sehr krank und hatte immer wieder Schwächeanfälle. Auch die Ärzte konnten den Grund dafür nicht finden und wussten keinen Rat. Nur in einem waren sie sich einig, dass Nick nicht mehr lange zu leben hatte.
Es waren bereits einige Kinder dabei den Hang hinab zurodeln. Sie glucksten und schrien, sie lachten und ließen sich in den Schnee plumpsen. Nick sprang vom Schlitten und rannte mit ihm den Hügel hinauf. „Vorsicht Ma, ich komme“. Mit fliegendem Schal und roten Wangen rauschte er den Berg hinab, bis vor die Füße seiner Mutter. „Du bist ja ein kleiner Tausendsassa, fast schon ein Rennfahrer“. Während Nicks Mutter anfing eine riesige Schneekugel über die Wiese zu rollen, rannte Nick immer wieder den Hang hinauf und rodelte wieder hinunter.
Der Bauch des Schneemanns war so groß wie der Hund des Nachbarn. Der hatte einen Schäferhund, der so groß war, dass er Nick fast bis zur Nasen spitze reichte. Nicks Mutter machte eine kurze Pause und setzte sich dazu auf den Schlitten. „Fang doch schon mal mit dem Kopf an oder der Kugel zwischen Bauch und Kopf“, und zog eine Mohrrübe, und ein Säckchen mit großen schwarzen Knöpfen hervor. Nick rollte die Kugel, die immer größer wurde hin und her, bis sie so schwer war, dass er sie keinen Millimeter mehr bewegen konnte. Mit Hilfe eines Vaters und seiner Mutter, schaffte es diese Kugel aber doch noch auf den Bauch des Schneemannes. „Der wird ja gigantisch“, lächelte der Mann beeindruckt und verabschiedete sich auch gleich wieder. Nick machte nun kleine Kugeln für die Arme und seine Mutter die Kugel die den Kopf darstellen sollte. Als der Schneemann fast fertig war, es fehlte nur noch die Nase, die Augen und der Mund, standen bereits einige Kinder herum und bestaunten den großen weißen Mann mit seinem dicken Bauch. Nicks Mutter steckte zwei Köpfe als Augen hinein, hob Nick hoch, damit er die Mohrrübe als Nase hineinstecken konnte und zusammen steckten sie die Knöpfe für den Mund in den Kopf. Drei Knöpfe blieben übrig, die steckte Nick dem Schneemann in den Bauch. „Nun brauchen wir noch einen Namen für den Schneemann“, sagte Nicks Mutter. „Was hältst du von Kasimir? Oder “, Nick unterbrach sie. „Nein, Kasimir klingt doof, dann lieber Herr Knopf-Rübe“. Sie mussten lachen und der Schneemann hatte seinen Namen, Herr Knopf-Rübe.
Auf dem Nachhauseweg blies den beiden ein eisiger Wind ins Geicht, der ihre Nasen, Ohren und Backen rot färbte. Der Schnee auf den Dächern, den Bäumen und Sträuchern, dem Zaun am Wegrand glitzerte und funkelte wie hunderttausend kleine Diamanten. „Nick mein Schatz, zieh dich aus, ich lasse dir Badewasser ein. Ein heißes Bad wird dir gut tun und danach essen wir Abendbrot“, Nicks Mutter ging, während das Wasser in die Wanne lief in die Küche und deckte den Tisch.
Nick saß bereits im Wasser und spielte mit seinem U-Boot, das er immer wieder im Schaum versteckte, als ihn seine Mutter bei einem U-Bootmanöver aus der Wanne zog und mit einem riesigen hellblauen Badetuch abtrocknete. „Ma, ich habe fast die Schlacht gewonnen“, sagte Nick und sah mit seinen roten Wangen und den blonden nassen Locken zu seiner Mutter hoch. „Du wirst noch viele Schlachten gewinnen können, mein kleiner Nacktfrosch, schnell rein in den Pyjama, sonst erkältest du dich“ sagte sie und hielt ihm die Schlafanzughose hin.
Es gab frisches Bauernbrot mit Butter und Wurst und Käse, seine Mutter trank einen heißen Tee und Nick bekam seine heiße Schokolade. Mit vollgestopften Backen und dem Becher in den Händen, schenkte er seiner Mutter ein Lächeln. „Herr Knopf-Rübe ist toll geworden, wir müssen ihn morgen unbedingt besuchen, damit er nicht so alleine ist“, sagte Nick. „Hm“, seine Mutter seufzte. „Wir könnten für Herrn Knopf-Rübe eine Frau machen, dann wäre er nicht mehr alleine“. Nicks Mutter strich ihm über den Kopf.
Nick sah auf seine Hausschuhe, auf denen bei den Zehenspitzen ein kleiner Stoffhase angenäht war. Einer am linken Schuh und einer am rechten Schuh und beide Hasen wackelten mit den Ohren, wenn Nick hin und her ging. Nun wackelten die Ohren, weil Nick mit den Füßen baumelte. „Hilfst du mir beim Abräumen? Zu zweit sind wir schneller“, fragte seine Mutter. „Na klar helfe ich dir, ich bin ja jetzt der Mann im Haus“, antwortete der kleine zarte Nick, sprang auf und begann die Teller in die Spüle zu stellen. „Was du nur für Gedanken hast“, Nicks Mutter schüttelte den Kopf und räumte Butter, Wurst und Käse in den Kühlschrank.
Als Nick im Bett lag musste ihm seine Mutter wieder vorlesen. Sie nahm das Buch, schlug es auf und las die Geschichte weiter, mit der sie am Vortag begonnen hatte.
Während die Tanners so da saßen, schaute Lisa sehnsuchtsvoll aus dem Fenster. Es ist stürmisch geworden, der Wind peitschte die Wolken vor sich her und gelegentlich blitzte und donnerte es. Ein Gewitter zog auf.
Als Lisa so aus dem Fenster sah, war ihr, als ob jemand hoch oben in der Luft zu ihr herunter winkte. Das kann nicht sein, dachte sie und ihr Blick streifte über die Baumspitzen hinauf zu den seicht ansteigenden Hügeln. Wenn es die dicke Wolkendecke wollte, ließ sie es zu, daß der Mond hinter ihr hervorspitzen konnte.
Der Regen prasselte an die Fensterscheiben, die Konturen der Landschaft draußen verschwammen und Lisa setzte sich aufs Bett. Sie war müde und fror. Im Gedanken streifte sie wieder und wieder durch den Wald, als plötzlich etwas Hartes an die Scheibe klatschte. Sie stand auf und rannte hinüber zum Fenster. Klatscht, machte es wieder. Lisa sah nach unten. Bei der Dunkelheit konnte sie jedoch nichts erkennen.
Im Haus gegenüber brannte noch Licht. Peter, der Nachbarjunge, Lisas bester Freund, saß noch am Schreibtisch, der wie Lisas Schreibtisch vor dem Fenster stand. Peter sah zur selben Zeit zu Lisas Fenster und beide winkten sich zu. Peter gab Lisa zu verstehen, daß er noch Schularbeiten machen mußte und beugte sich wieder über seine Hefte.
Als sich Lisa gerade wieder umdrehen wollte, klatschte schon wieder etwas an die Scheibe. Lisa zuckte zusammen, drehte sich um und ging zurück ans Fenster um es zu öffnen. Vorsichtig lehnte sie sich aus dem Fenster und - hui, sie konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, flog in hohem Bogen eine Kastanie herein.
Als sich Lisa wieder aufgerichtet hatte, sah sie auf ihrem Bett ein winzigkleines Männlein sitzen. Lisa zuckte zusammen und erschrak fürchterlich. Das Männlein hatte einen alten, schäbigen, schwarzen Zylinder auf dem Kopf, eine Nickelbrille auf der viel zu langen Nase und trug einen grünen Gehrock, der mit Laub, Gras und Moos bedeckt war. Die Ärmel des Gehrocks waren länger als die Arme und baumelten bis zu den Knien. Die Beine waren dagegen länger als die brombeerfarbene Hose, die es trug und so bedeckte die Hose nur die hälfte der Waden. Seine Schuhe waren aus schönen, weichen, braunem Leder und hatten schöne, kunstvoll verzierte Silberschnallen auf jeder Seite.
Lisa war sprachlos, sie stand mit offenem Mund da und sah regungslos zu dem Männlein, das ebenso regungslos auf ihrem Bett saß. Das Männlein sprang mit einem Satz vom Bett, stellte sich vor Lisa, zog seinen Hut und machte eine tiefe Verbeugung. Seine Nasenspitze berührte dabei fast den Boden und Lisa wußte nicht, ob sie bei diesem Anblick lachen sollte. Sie glaubte nicht was sie da sah und zwickte sich in den Arm. Das tat weh, aber das Männlein war immer noch da. Mittlerweile hatte es sich aufgerichtet und seinen Zylinder wieder auf den Kopf gesetzt.
„Guten Tag“, sagte das Männlein und „guten Tag“ antwortete Lisa.
„Wer bist du?“ fragte sie und setzte sich auf den Boden. Das Männlein war gerade halb so groß wie Lisa, seine dünnen Haare und sein Bart dagegen länger als die ihren und somit reichten die Haare des Männleins bis zu seinen Knien. Das Männlein blieb stehen.
„Setz dich doch“, bat sie ihn, aber er schüttelte den Kopf „nein, danke, ich stehe lieber“.
„Wer bist du?“ wiederholte sie ihre Frage und sah gespannt auf das Männlein.
Bin geschickt vom Bund der Treuen,
damit sie’s später nicht bereuen.
Soll helfen dir mit meinem Rat,
umsetzen mußt du’s in die Tat.
Wenn du etwas wissen willst,
mit meinem Rat den Hunger stillst.“
„Ich verstehe kein Wort“, sagte Lisa leise. „Wer ist der Bund der Treuen? Und bei was sollst du mir helfen?“ Lisa zog ihre Augenbraue hoch und sah zu dem Dichtermännchen. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß ich Hilfe brauche. Mir fehlt doch nichts. Oder?“ Lisa sah sehr verunsichert zum Männlein hinüber und das flaue Gefühl in der Magengegend wurde zunehmendst stärker.
„Den Bund der Treuen kennst du nicht,
er schickt durch mich nur ein Gedicht,
doch wirst du ihn einst kennenlernen,
in der großen, weiten fernen,
Welt, die da noch vor dir liegt
und sich in großer Hoffnung wiegt.“
„Aha“ sagte Lisa „alles klar“ und verstand immer noch nichts. Da fiel ihr Blick auf die Kastanie und da fiel ihr auch die Kastanie im Wald wieder ein, die sie so schmerzhaft am Ohr getroffen hatte.
„Sag mal, Dichtermännchen, das ist doch deine Kastanie hier und die im Wald hast doch auch du nach mir geworfen? Warum tust du das? Das hat saumäßig weh getan. Ich hab eine dicke Beule bekommen von diesem Schmarrn. Haben dir das die Treuen auch gesagt? Solltest du mit Kastanien auf mich werfen? Ich bin immer noch sauer. Damit du es weißt!“ sagte Lisa in einem schroffen Ton, damit das Männlein wusste, daß sie es ernst meinte. Lisa versuchte ein böses Gesicht zu machen, was ihr nicht so ganz gelang und bemühte sich eine tiefe Zornesfalte auf ihre Stirn zu bekommen.
„Kastanien haben die richtige Größe,
passen in meine Hand für solche Stöße.
Mußte auf mich aufmerksam machen,
ich weiß das tut weh und ist nicht zum Lachen.
Bald komme ich wieder, doch nun muß ich los,
mein Weg ist noch weit und die Gefahren sind groß.“
Es machte leise „peng“ und tausend kleine Sternchen blitzten für den Bruchteil einer Sekunde im ganzen Raum, das Männchen war verschwunden.
Lisa hob die Kastanie auf und hielt sie noch lange fest, sogar als sie im Bett lag und schon lange eingeschlafen war. Spät in der Nacht wachte sie auf, als der Sturm das angelehnte Fenster aufriß. Sie stand auf um es zu schließen und als sie am Fenster stand und in den Nachthimmel blickte, sah sie etwas sehr, sehr schönes.
Hoch oben am Himmel konnte sie ein Gebilde aus Wind und Wolken in der Form eines wunderschönen, sich aufbäumenden Pferdes mit wehender Mähne und wehendem Schweif sehen. Auf dem Pferd saß ein Mann, der die Hand zum Gruß hob und gleich darauf galoppierte er davon, gefolgt von einem Adler. Lisa rieb sich die Augen, aber sie hatte es ganz deutlich gesehen. Müde und mit wirren Gedanken beladen, ging sie wieder ins Bett.
Samstagmorgen. Als Lisa aufwachte fiel ihr Blick als erstes auf die Kastanie, die neben ihr auf dem Kopfkissen lag. Es war also kein Traum gewesen, dachte, es gibt das Dichtermännchen und den Mann auf dem Pferd, der nur aus Wolken und Wind zu bestehen schien, - ich habe das alles nicht geträumt. Wobei sie sich, zumindest was den Reiter anbelangte, gar nicht so sicher war. Immerhin war sie sehr müde, die Sicht war schlecht und ihre Nerven waren schließlich stark überfordert gewesen. Sie blinzelte Richtung Fenster, die Sonne schien und vom Sturm war nichts mehr zu spüren. Sie schlüpfte in ihre ausgewaschene Jeans und den weichen, roten Pulli, den ihr Tante Lotte gestrickt hatte, begnügte sich mit einer Katzenwäsche und ging nach unten.
Mutter und Vater saßen schon am Frühstückstisch. Max, der Jagdhund sprang an Lisa Schwanz wedelnd hoch. Es roch nach frischen Semmeln, Kaffee, Früchtetee und nach dem neuen Parfüm von Mutter.
„Setz dich mein Schatz“, sagte sie und lächelte Lisa an.
„Was möchtest du auf der Semmel haben? Honig, Marmelade oder Wurst?“
„Seit wann schmierst du denn wieder meine Semmeln?“ Lisa war erstaunt.
„Na mir ist eben danach. Oder willst du lieber selber?“ Sie hielt Lisa die Semmel und das Messer hin.
„Ne ne“, grinste Lisa „mach du nur weiter, diesen Eifer will ich nicht bremsen“ und setze sich. Vater schenkte Mutter und sich selber noch Kaffee nach und Lisa goß er Früchtetee in die Tasse.
Gerade als Mutter Lisas Brötchen beschmierte und Vater die Tasse hob, legte Lisa die Kastanie auf den Tisch und sagte, „das Ding ist gesternabend zum Fenster hereingeflogen. Ich hab schon im Wald eine Kastanie an den Kopf bekommen. Hat ganz schön weh getan“.
Frau Tanner ließ Messer und Semmel fallen, Vater kippte aus versehen den Kaffe über die Tischdecke, sprang vor Schreck auf, kam mit dem Stuhlbein gegen die Bodenvase, die laut klirrend zu Bruch ging und Max flüchtete hinaus zur Tür und guckte misstrauisch von außen hinein. Lisa lachte, als sie die verdutzten Gesichter ihrer Eltern sah.
„Das ist eine Kastanie, keine Bombe“. Glucksend nickte ihr Vater. „Schon, schon, aber - wie soll ich es sagen?“ er hustete, „war sonst noch was?“. „Was soll denn sonst noch gewesen sein?“ fragte Lisa.
In dem Moment klingelte es, Lisa rannte zur Tür und Peter kam herein, der Junge von gegenüber, mit seinen verwurstelten, roten Haaren und den Sommersprossen auf der Nasenspitze. „Morgen“, strahlte er die Tanners an „wollte nur Lisa abholen“, die in ihren Mantel schlüpfte, während sie die Semmel mit den Zähnen im Mund festhielt, nach einem „tschüß, bis später“ schmatzte und schon waren die beiden verschwunden. Was zurückblieb, waren die Dreckklumpen von Peters Gummistiefeln, die Scherben der Vase und zwei Gesichter mit ganz großen Augen. Das bei Tanners jäh beendete Frühstück ging in Ratlosigkeit über. Die Tanners saßen blass und regungslos da und sahen Lisa durchs Fenster nach.
Frau Tanner fummelte an der Kastanie herum.
„So hat alles angefangen, bevor sie kamen, sie haben nach uns auch mit Kastanien geworfen, weißt du noch Schatz?“
„Ich weiß, ich frage mich nur, ob Lisa auch schon was weiß“, Herrn Tanner war der Appetit auf seine Semmel vergangen, er holte seine Pfeife, stopfte Tabak hinein und zündete sie an. Frau Tanner goß sich noch Kaffee ein „sie werden doch nicht ohne unser Wissen Lisa holen?“, sie war sichtlich besorgt. Herr Tanner paffte in Gedanken versunken vor sich hin und erinnerte sich an den Tag, als Alanior und Cyrilll zu ihnen gekommen waren.
„Sie haben es uns versprochen, Cyrilll gab mir ihr Wort und ich glaube ihr“, murmelte Frau Tanner vor sich hin, allerdings ohne großen Erfolg die Angst zu überwinden, während sie die Scherben und die Dreckklumpen beseitigte.
Es war vor fast genau 13 Jahren gewesen, als Alanior und Cyrilll, das Elfenpaar, zu den Tanners kam und sie bat, die Patenschaft für Lisa zu bekommen. Die Tanners arbeiteten gerade im Garten, als sich die Elfen zu erkennen gaben. Frau Tanner wußte es noch ganz genau.
Alanior und Cyrilll trugen langärmlige Gewänder aus Hanf. Sie waren so dünn und zart gewebt, daß sie bei jedem Windhauch vibrierten und sich an die wunderschönen, schlanken, wohlgeformten Körper schmiegten. Es war ein zartes, mattes Grün, das kaum auffiel, im restlichen Grün des Gartens. Die Gürtel um die Hüften waren silberfarbene Ahornblätter, die aneinander gereiht waren und hell in der Sonne erleuchteten. Cyrilll war ein so zartes Wesen, mit schneeweißer Haut, langen goldenen Haaren, die ihr über die Hüfte reichten und strahlend blauen Augen. Es war, als leuchtete das ganze Firmament in ihnen. Alanior sah fast so aus wie Cyrilll, er war jedoch größer, kräftiger und die Farbe seiner Augen glich dem Boden auf dem sie standen. Noch nie zuvor hatten die Tanners so grüne Augen gesehen.
Zart und weich waren die Bewegungen der Elfen, und es schien, als würden sie über den Boden schweben, anstatt zu gehen. Sanft waren die Schritte und sanft waren auch die Worte, die sie wählten, als sie sich vorstellten und um eine Patenschaft baten.
Der Duft, den sie ausströmten, war betörend. Es roch nach Waldwiese, Harz, nach Kastanienblüten und Sommerwind. Ihre freundlichen Worte überzeugten die Tanners sehr schnell und sie waren angetan von der Vorstellung, welche Möglichkeiten Lisa dadurch haben würde. Nie hätten sie so etwas zu träumen gewagt, es war der Zauber eines Märchens und sie waren mitten drin. Ihre kleine Lisa sollte eine Chance bekommen, wie sie nur selten vergeben wurde.
Frau Tanner nahm das Baby aus der Wiege und legte es Cyrilll in die Arme. Die Elfe schaute das Kind liebevoll an und strich der kleinen Lisa zart über die Wangen. Leise murmelte sie etwas, in einer Sprache, die die Tanners nicht verstanden. Das Baby öffnete die Augen und lachte der Elfin freudig entgegen.
„Das ist Elfensprache gewesen. Verzeiht mir. Es ist unhöflich in einer Sprache zu sprechen, die ihr nicht versteht. Aber wir haben Lisa mit einem kleinen Zauber belegt. Ihre Wunden werden nun schneller heilen, und sie wird einige Gaben entwickeln, die andere nicht haben. Dazu war unsere Sprache nötig“, Cyrilll gab Lisa Frau Tanner wieder zurück, die sie in die Wiege legte und zudeckte. Die Elfen erklärten den Tanners genau was alles auf sie zukommen würde. Wann Lisa abgeholt werden würde, wann sie wieder nach Hause käme und wie der Aufenthalt der kleinen, zukünftigen Schülerin im elfenreich aussehen würde.
„Wir werden sie nicht ohne euer Wissen holen. Das müßt ihr mir glauben. Wir werden nichts tun, was Lisa gefährden könnte und wir werden sie immer im Auge behalten. Die Tiere und Pflanzen werden uns immer sagen, wie es ihr geht,“ sagte Cyrilll mit zarter, heller Stimme. Die Elfen blieben noch eine Weile. Sie gingen mit den Tanners durch den Garten, freuten sich über die Vielzahl von Pflanzen, Blumen und Kräutern und dann verabschiedeten sie sich wieder genau so plötzlich, wie sie gekommen waren.
Lisa und Peter marschierten über die Wiesen hinweg, Richtung Scheune. Sie hatten sich im vergangenen Sommer die kleine Scheune unter den Nagel gerissen und mit Hilfe ihrer Eltern hergerichtet. Herr Tanner und Peters Vater halfen ihnen zwei Matratzen, ein altes ausrangiertes Sofa, einen kleinen Tisch und ein Kofferradio hineinzustellen, nach dem sie die Wände gestrichen und den Boden mit neuen Brettern versehen hatten. Manchmal brachten Lisa und Peter Limonade, Kuchen oder Tee in Thermoskannen mit. Lisa stellte gelegentlich eine Vase mit Blumen auf den kleinen Tisch, der mit einer weißrot karierten Tischdecke abgedeckt war. Der Raum sah richtig nett aus, es gab sogar Vorhänge, deren Stoff Lisas Mutter spendete und die Mutter von Peter nähte sie passend. Lisa hätte Peter gern alles erzählt was passiert war, aber sie traute sich nicht. Es war ja auch zu unglaubwürdig. Lisa selbst, würde es wohl nicht glauben. Andererseits war Peter Lisas bester Freund, sonst hatte sie niemanden, mit dem sie darüber hätte sprechen können. Es war eine blöde Situation. Peter fragte immer wieder nach, was sie denn hätte, weil er merkte, daß etwas nicht stimmte.
„Ne, ist wirklich nichts. Ich habe die ganze Nacht schlecht geschlafen. Lag vielleicht an dem Sturm.“ Verlegen scharrte Lisa mit ihrem Fuß auf dem Boden herum und vermied es, Peter in die Augen zu sehen.
„Na dann sag es halt nicht. Allerdings versteh ich es nicht. Wir sprechen doch sonst auch immer über alles“, Peter machte ein beleidigtes Gesicht und spielte mit seiner Lieblingsmurmel, die er immer in seiner Tasche trug.
„Ich weiß es ist blöd von mir, aber du würdest mir vielleicht nicht glauben“, sagte Lisa und versuchte ihn zu trösten.
„Ist schon gut. Wenn du nicht willst, - dann eben nicht. Was machen wir jetzt? Spielen wir eine Runde Karten?“, Peter war die Situation sehr unangenehm und die einzige Möglichkeit sich daraus zu befreien, war ein schlichter Themenwechsel.
„Mhm. Ich hole die Karten aus der Truhe“, sagte Lisa und ging mit schlechtem Gewissen die Karten holen.
Auf das Spiel konnte sie sich nicht konzentrieren und außerdem, fand sie, gab es keine Grund Peter nicht zu erzählen was letzte Nacht geschehen ist. Schließlich waren sie ja fast wie Geschwister. Sie warf die Karten, die sie in der Hand hatte auf den kleinen Tisch und sah Peter an.
„Was ist denn nun los? Keine Lust mehr? Wir haben doch gerade erst angefangen“, sagte er und sah erstaunt zu Lisa hinüber.
„Ich mag nicht Kartenspielen, ich will dir erzählen was los ist. Auch auf die Gefahr hin, daß du mir nicht glaubst und mich für total bescheuert hältst. Aber eines mußt du mir versprechen. Du darfst mich nicht auslachen. OK? Versprochen?“
„OK, ich lach dich nicht aus. Bin ganz schön gespannt, was da jetzt kommt. Nachdem du da so ein Brumbori darum gemacht hast“, Peter kringelte sich aufgeregt mit dem Zeigefinger in den Haaren umher und wartete auf Lisas Geschichte.
Während Lisa Peter alles erzählte, angefangen von der Kastanie im Wald, die sie am Kopf traf bis zum Dichtermännchen und der komischen Reaktion ihrer Eltern, klingelte es erneut an der Tür der Tanners. Tante Lotte Wiebel, ihr Kanarievogel Hansi und ihr Mann Anton, der keinen Vogel hatte, kamen überraschend zu Besuch. Tante Lotte war die Schwester von Frau Tanner, sie hatte blonde, kurze Locken, rote, dicke Bäckchen, war etwas älter als Frau Tanner und auch etwas rundlicher. Etwas sehr rundlicher! Sie war eine warmherzige, lustige Frau, immer hilfsbereit, kochte und backte gerne und wie ihre Schwester Hilde trällerte auch sie gerne ein Liedchen vor sich her.
Herr Wiebel, Onkel Anton hatte eine Gärtnerei in der er die meiste Zeit des Tages zubrachte. Onkel Anton hatte einen grauen Haarkranz, einen sehr kurzen Vollbart, blaue Augen, ein rundes Gesicht, einen rundlichen Körper, wie seine Frau, war nicht besonders groß, dafür immer sehr großzügig und für jeden Spaß zu haben.
Ihren Sohn Alexander Wiebel, den Windreiter Arnoald von Amthor, der bei dem letzten großen Rat teilgenommen hatte, haben die beiden nicht mitgebracht. Dieser war 23 Jahre alt, ungefähr einen Meter und achtzig Zentimeter groß, hatte breite Schultern, viele Muskeln und ein sehr hübsches, schlankes Gesicht. Seine Haare waren lang und deswegen hatte er sie immer zu einem Zopf zusammengebunden. Als Alexander mit der Schulung der Elfen fertig war, zogen sie nach Heilbronn, weil Onkel Anton dort eine eigene kleine Gärtnerei kaufte.
Es gab ein großes Hallo, als sie hereinkamen und Lotte sagte „der Alexander ist nicht dabei, der erforscht schon wieder die Wildnis, sagt er immer wenn er nicht sagen will, was er gerade tut, als ob es noch Wildnis gäbe“ und lachte dabei. Wiebels brachten immer gute Laune mit und sorgten für heitere Stimmung, meistens blieben sie nur für drei oder vier Tage, aber dieses mal sollten es rund vier Wochen werden.
Hilde, Herr Tanner, der hieß übrigens Walter und die Wiebels gingen ins Wohnzimmer und setzen sich, nachdem das Gepäck und der Vogel von Tante Lotte im Gästezimmer verstaut waren. Frau Tanner kochte eine große Kanne frischen Kaffee und stellte alles auf den Tisch. Es gab einiges zu erzählen, denn auf beiden Seiten war viel geschehen und es war viel Zeit vergangen, seit dem letzten Wiedersehen.
Walter hatte nun genug vom Kaffe und meinte „wie wäre es mit einem kleinen Cognac? Zum Aufwärmen?“
„Eine gute Idee“, schoß es aus Lottes und Antons Mund gleichzeitig und so brachte Walter Tanner die Flasche mit vier Schwenkern auf einem Tablett an, stellte das Tablett ab, schenkte den Schnaps ein und zündete sich seine Pfeife erneut an. Max der Jagdhund und zog manchmal Grimassen, indem er die Lefzen halb hochzog und vor sich hin grummelte. Er rollte sich auf den Rücken, streckte alle Viere in die Luft und verdrehte die Augen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, was ihm auch gelang, denn Tante Lotte setzte sich zu ihm auf den Boden und kraulte sein kurzes, geschecktes Fell am Bauch.
„Stellt dir vor,“ sagte Hilde zu Lotte und Anton, „gestern in der Nacht hat man eine Kastanie zu Lisa ins Zimmer geworfen, wir haben es erst vorhin erfahren“ und machte dabei ein bekümmertes Gesicht. Lotte stand wieder auf ließ sich aufs Sofa plumpsen und nahm Hilde in den Arm.
„Hilde, du weißt ja daß Alexander auch von der „anderen Seite“ gerufen wurde und es geht ihm gut. Mach dir keine Sorgen, sie werden schon auf sie acht geben, es wird ihr nichts geschehen.“
„Die Zeiten haben sich geändert, es gibt Probleme auf der „anderen Seite“, sagt Alexander, sie haben vor kurzem eine Mapla einberufen, irgendeiner von denen intrigiert gegen den Fortbestand der Elfenschulungen. So ein verrückter Zauberer namens Ratbod von Nogon macht Ärger, er soll sehr mächtig sein“, sagte Onkel Anton und bekam von Tante Lotte einen heftigen Knuff in die Seite.
„Anton“, sagte sie schroff, „wie kannst du Hilde und Walter nur so erschrecken? Alexander sagte nämlich auch, daß sie das schon hinkriegen würden. Alexander hat immer ein wachsames Auge auf Lisa, er war gestern in der Nacht über ihr am Himmel. Hilde, Walter, sorgt euch nicht zu sehr. Es wird alles gut gehen!“ Tante Lotte versuchte ein böses Gesicht zu machen, als sie wieder zu Anton sah, aber als er ihren Worten zustimmte, verflog der düstere Ausdruck um ihre Augen.
„Mein Gott, ich habe Angst um mein Kind, was geschieht wenn dieser Ratbod von Nogon Lisa doch bekommt? Wird er ihr etwas antun?“ Frau Tanner sah zu Lotte und Anton.
„Nein, soweit uns Alexander aufgeklärt hat, will er die Kinder in Zukunft selber unterrichten, mit einem Unterschied: er will sie zur schwarzen Magie bekehren. Antun, so wie du das meinst, wird er ihnen nichts.“ Lotte schenkte sich noch einen kleinen Cognac ein und klatschte in die Hände.
„Meine Lieben, jetzt wird nicht Trübsal geblasen, wir sind vier Wochen bei euch, Walter hat zudem Urlaub, wir werden die Zeit nutzen, um es uns gut gehen zu lassen und einen Plan auszuhecken, wie wir Lisa beistehen können. Es ist nichts verloren, es beginnt doch erst und Lisa kann einer wunderschönen Zukunft entgegensehen.“
„Sie soll aber noch nichts davon wissen, solange wie es nur möglich ist, möchte ich sie mit all dem verschonen. Sie ist doch noch ein Kind“, Hilde schnaufte schwer und Walter nahm sie in den Arm.
„Lotte hat recht, laß uns die Zeit genießen und einen Plan aushecken, das ist das einzige was uns bleibt und das ist nicht wenig“.
„Wo steckt Lisa eigentlich? Sie hat uns noch gar nicht begrüßt!“ Anton sah Walter an.
„Peter, von gegenüber hat sie abgeholt, sie werden wieder in der Scheune sein, gegen Mittag kommt sie heim zum Essen.“
„Wenn ihr nun etwas geschieht? In der Scheune? Wenn Ratbod von Nogon sie dort holt?“ Frau Tanner war schon wieder oder besser gesagt immer noch besorgt und den Tränen nahe.
„Auch Ratbod von Nogon muß die Zeiten einhalten, das weiß er, er hat im Moment keine Chance“ Antons Worte beruhigten Hilde.
„Na gut, dann kümmere ich mich jetzt um das Mittagessen“. Lotte ging mit Hilde in die Küche und nach kurzer Zeit hörte man zwischen dem Geklapper von Töpfen und Schüsseln die beiden Schwestern wieder lachen und herumalbern.
„Gut daß ihr da seid, alleine könnte ich Hilde wohl nur schwer, wenn überhaupt beruhigen“, Walter sah Anton an, der zustimmend nickte.
Nicks Mutter hielt mit dem Lesen inne und sah zu Nick hinab. „Schläfst du immer noch nicht? Wir haben bald halb neun“. „Ma, wie soll ich schlafen wenn es gerade spannend wird? Bitte lies noch weiter, ich möchte wissen wie es weiter geht und was mit Lisa wird“, Nick setzte seinen Dackelblick auf und seine Mutter las weiter. Sie las bis sie selbst so müde war, dass sie ins Bett musste und bemerkte nicht wie der Stein auf Nicks Nachttisch zu leuchten begann.
Der Vormittag verging wie im Flug. Max war lag nun auf seiner Hundehütte im Garten, damit er den beiden Frauen vom Küchenfenster beim Kochen zusehen konnte. Vom oberen Stockwerk hörte man den Kanarienvogel singen und der Tisch wurde gerade gedeckt, als es zum dritten mal an diesem Tag an der Tür klingelte. Es war Lisa die mit strahlenden Augen Tante Lotte ansah, als ihr diese öffnete. Mit dem Besuch ihrer Tante hatte Lisa nicht gerechnet.
„Tante Lotte, du bist da? Wie schön, wo ist Onkel Anton und wo ist Alexander? Hast du Hansi auch mitgebracht? Bäckst du uns wieder einen Kuchen? Einen mit Kirschen und viel Schokolade drin? Wie lange bleibt ihr da? Wie schön dich zu sehen, ich freue mich“, sprudelte es aus Lisa nur so heraus. Tante Lotte nahm Lisa in den Arm.
„Komm doch erst einmal herein mein Kind, Onkel Anton sitzt mit deinem Vater im Wohnzimmer und deine Mutter und ich decken gerade den Tisch“. Lisa zog hastig den Anorak und die Gummistiefel aus und rannte ins Wohnzimmer um auf den Schoß von Onkel Anton zu springen.
„Na, Lisa, wie geht es dir? Alles im grünen Bereich?“, er drückte Lisa und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Herr Tanner sah Lisa und Onkel Anton an und freute sich, über den Besuch.
„Das Essen ist fertig. Wer zuletzt kommt muß abspülen“, rief Tante Lotte aus dem Flur ins Zimmer. Das ließ sich keiner zweimal sagen, und Herr Tanner, Onkel Anton und Lisa rannten ins Esszimmer. Beim Essen war es mucksmäuschen still, alle saßen am Tisch und aßen. Es gab Lisas Lieblingsgericht, Rinderrouladen mit böhmischen Knödeln, Salat und als Nachtisch Schokoladenpudding.
„Mmm. Ich könnte baden in Schokoladenpudding. Das ist eine der besten Erfindungen in diesem Jahrhundert. Da bin ich mir sicher. Ein Wunder, daß der Erfinder keine Auszeichnung bekam oder eine Medaille oder so was“, Lisa bekam auch noch von Onkel Anton die Portion Schokoladenpudding und war, während sie ihn aß, nicht ansprechbar. Nach dem Essen halfen Onkel Anton und Herr Tanner beim Abräumen des Tisches und Lisa lief die Treppe hinauf zu Hansi, dem Kanarienvogel um auch ihn zu begrüßen.
„Hallo Hansi, mein süßer Kleiner, schön daß du auch wieder mitgekommen bist“ und Hansi sang so schön, wie er nur konnte, um Lisa zu begrüßen.
„Was haltet ihr von einem Spaziergang? Max wird sich freuen und nach dem reichlichen Essen wird er uns gut tun“, Walter sah in die Runde und die anderen stimmten ihm zu.
„Lisa, wir gehen spazieren, kommst du mit?“. Lisa trabte die Treppe hinunter „yep, ist gebongt“ und zog sich an.
Mit Max an der Leine liefen sie den Weg entlang über die Wiesen in Richtung Wald. Entlang der Baumalleen, neben einem Weiher, auf dessen Wasser sich eine nebelige Dunstglocke gebildet hatte und die Seerosen in der Mitte
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Angelika Demel
Bildmaterialien: Angelika Demel
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2013
ISBN: 978-3-7309-6402-6
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