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Leseprobe

Kajsa Arnold

Royal of the South

Liebe am Blue Bayou

ROYAL OF THE SOUTH

Liebe am Blue Bayou

KAJSA ARNOLD

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

Danksagung

Bücher von Kajsa Arnold

Leseprobe

Deutsche Erstausgabe

Copyright © 2021, Kajsa Arnold

Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung

1. Auflage

Covergestaltung:

Unter Verwendung folgender Fotos:

© grandriver by Getty Images

© inarik by Getty Images

Kajsa Arnold c/o Andrea Wölk,

Lutherstr. 16, 46414 Rhede

www.mybooklove.de

1. Kapitel

Kayla

Die Erinnerung an das große weiße Herrenhaus erweckt Flashbacks an glückliche Jahre. Ich sehe es genau vor mir, wie ich mit meinem Bruder durch die Gegend gestreift bin. Hinter großen Bäumen verstecken gespielt, uns an den Ästen von riesigen Trauerweiden gehangen haben. Zusammen auf der Baumschaukel saßen und der Wind durch unsere Haare wehte. Wir haben uns von den Sümpfen fernhalten müssen, immer noch hallt mir die Warnung meiner Großmutter in den Ohren. Ich lächele, als mir ihre Stimme in den Sinn kommt. Es ist lange her, dass ich an diese stattliche Frau gedacht habe. Ihr weißes Haar hochgesteckt, eine Perlenkette um den Hals tragend, und tadellos gekleidet, so sehe ich sie in Gedanken vor mir. Sie war so etwas, was man eine Südstaatenschönheit nennt. Sehr oft hat uns Großvater die Geschichte erzählt, wie er um ihre Hand angehalten und Großmutter ihn ganze drei Mal abgewiesen hat. Daher war er auch immer der Meinung, dass alle guten Dinge nicht drei, sondern vier sind.

Mein Weg führt mich von New Orleans Richtung Delacroix, die Bayou Road entlang. Die Plantage meiner Großeltern liegt im Hinterland von New Orleans und ich war mehr als zwölf Jahre nicht mehr hier im Süden. Mein Leben hat mich im Alter von sechzehn Jahren nach Chicago verschlagen und seit dieser Zeit habe ich dem Süden den Rücken gekehrt und war nicht wieder zurückgekehrt. Bis heute.

Der Brief eines Anwalts aus New Orleans hat alles verändert und mich nun dazu veranlasst, meinen Jahresurlaub einzureichen, und für einige Tage in den Süden zu fliegen. Es geht um das Anwesen meiner Großeltern, dass nach dem Tod meiner Mutter nun an mich gefallen ist. Dazu gehört nicht nur die Plantage, sondern auch eine kleine Destillerie, mit Sitz in New Orleans. Seit meine Mutter vor zwei Monaten verstoben ist, kümmert sich wohl niemand mehr darum. Ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu meiner Mutter, sodass ich noch nicht einmal eine Nachricht erhalten habe, dass sie gestorben ist. Wir standen seit der Trennung meiner Eltern nicht mehr in Kontakt. Sie hatte sich vor langer Zeit von meinem Vater scheiden lassen und war ihren eigenen Weg gegangen, ohne ihre Kinder. Wir waren bei unserem Vater in Chicago aufgewachsen und hatten nie wieder ein Wort von ihr gehört. Erst die Nachricht über das Erbe hatte mich veranlasst, in den Flieger zu steigen und an den Ort meiner Kindheit zurückzufinden. Es würde hoffentlich nicht lange dauern, das Erbe wieder loszuwerden. Für mich ist es nur eine lästige Fessel, die mich belastet. Kein schönes Gefühl. Aber anscheinend gibt es einen Käufer, der an der Destillerie und der Plantage interessiert ist. Ich wünschte, Jonathan wäre noch am Leben, und könnte sich um all das kümmern. Doch mein Bruder ist im Irak geblieben. Er hinterlässt eine Lücke, die einen großen Schmerz in mir weckt, wann immer ich an ihn denke. Der Besuch in New Orleans treibt Erinnerungen an die Oberfläche, die schon lange vergraben sind. Es kommt mir so vor, als wären sie in den Sümpfen des Bayous versickert und tauchen nun aus der Tiefe wieder an der Oberfläche auf, wie eine aufgeblähte Leiche.

Beinah verpasse ich die Einfahrt zu der Plantage. Das einst imposante Tor ist nicht mehr vorhanden. Nur die rostigen Angeln, die alleine aus dem Boden aufragen, zeugen davon, dass dies hier einmal ein gepflegtes Grundstück gewesen ist. Nun hat die Natur sich das zurückerobert, was man ihr vor vielen Jahren geraubt hat. Es gibt keine gepflegten Rasenflächen mehr, keine gestutzten Bäume, keine blühenden Rosenbüsche. Alles wuchert wild durcheinander, dunkles Grün sticht deutlich hervor. Die großen Rasenflächen, die früher akkurat geschnitten waren, sehen nun wie große Wildwiesen aus. Erst als ich im Wendekreis vor dem Haupthaus halte, setzt so etwas wie Vertrautheit ein. Das Herrenhaus ist immer noch so groß wie ich es in Erinnerung habe. Die Farbe ist an der Fassade bereits abgeblättert, doch man bekommt einen Eindruck davon, wie es hier einmal ausgesehen hat. Ich sehe es in meinen Gedanken genau vor mir. Weiß, schön, wie ein Diamant, der in der Sonne funkelt.

Der zweistöckige Bau wird am Eingang von zwei tragenden Säulen flankiert, die so typisch sind für die Häuser der Südstaaten. Ein Traum aus Fackeln im Sturm, geht es mir durch den Kopf und ich sehe Patrick Swayze quasi die Treppe hinabsteigen und auf mich zukommen.

Ich blinzele, nein, das ist nicht Patrick, der auf mich zukommt, es ist ein anderer Mann. Er ist kleiner und um einiges älter, vor allem nicht so gutaussehend, wie das Original einst war. Obwohl Patrick nie mein Typ war, passt genau er in meine Vorstellung der Südstaaten. Ich stehe eher auf den dunkleren Typ Mann. Den Bad Boy, unter den Kerlen. Das ist auch wohl der Grund, dass ich immer auf die falschen Männer treffe, mich in sie verliebe und am Ende dann verletzt werde. Seit zwei Jahren ziehe ich es deshalb vor, lieber allein zu leben und nur noch meiner Arbeit den nötigen Vorrang zu geben. Doch ich stehe an einem Scheideweg und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll.

Ich steige aus dem Mietwagen und sehe dem Mann entgegen, der mit großen Schritten auf mich zueilt.

»Sie müssen Misses Ellis sein.« Er streckt die Hand aus. »Wie schön, dass es geklappt hat und Sie die Reise hierher auf sich genommen haben.«

»Miss Ellis«, verbessere ich ihn sofort. »Und Sie sind dann Mister Otis, der Notar?« Ich ergreife seine Hand, die er fest schüttelt.

»So ist es, Miss Ellis. Bitte lassen Sie uns ins Haus gehen, dort ist es angenehm kühl.«

Ende August ist wirklich nicht die beste Zeit, um in den Süden zu reisen. Die Temperatur liegt tagsüber oft bei über dreißig Grad und auch nachts kühlt es sich kaum ab. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei über siebzig Prozent, laut meiner Wetter-App, daher nehme ich das Angebot von Mister Otis gerne an, obwohl ich nicht glaube, dass es im Haus wesentlich kühler sein wird.

Jedoch werde ich eines Besseren belehrt. Sobald die schwere Haustür hinter uns in Schloss fällt, spüre ich eine angenehme Kühle, die meine Haut umfängt. Das Atmen fällt mir auf einmal wesentlich leichter und das liegt nicht daran, dass der Flur relativ dunkel ist. Ich spüre einen leichten Lufthauch, der von einer Klimaanlage herrührt. Dass diese funktioniert überrascht mich vollends.

»Bitte kommen Sie in den Salon, dort gibt es eine kleine Erfrischung. Sie müssen durstig sein.«

Mister Otis ist sehr freundlich, doch ich bin auf der Hut. Ich kenne ihn nicht und für meine Verhältnisse bemüht er sich ein wenig zu sehr.

Erstaunt stelle ich fest, dass die Halle in einem tadellosen Zustand ist. Es sieht so aus, als wäre dieses Haus bewohnt. Auch der Salon ist komplett eingerichtet. Die Möbel sind neu. Zwar passen sie ausgezeichnet hierher, aber es sind nicht die Möbel, die ich aus meiner Kindheit kenne. Sie sind sogar wesentlich edler als die Ausstattung, die ich in Erinnerung habe.

»Miss Ellis, darf ich Sie mit Mister Royal bekanntmachen? Er ist der Mann, der ebenfalls zur Testamentseröffnung geladen wurde.«

Ich sehe Mister Otis an, dann wende ich mich um und verharre für einige Sekunden. Ich erkenne ihn sofort. Wer würde Aidan Royal vergessen, der ihn einmal gesehen hat?

»Miss Ellis«, sagt er und nickt mir zu. Er reicht mir nicht die Hand und ich bin froh darüber, sie auch nicht ergreifen zu müssen. Ich möchte nichts mit diesem Kerl zu tun haben, ihn nicht einmal berühren. Daran ändert auch der tiefe, satte Ton seiner Stimme nichts. Er sieht immer noch so gut aus wie vor zwölf Jahren, nein, im Grunde sieht er sogar noch besser aus. Das schwarze Haar trägt er jetzt kürzer, die braunen Augen sind fast schwarz und funkeln mich an. Seine Figur ist die eines Mannes, nicht mehr die eines arroganten Teenagers. Er kommt mir noch größer als damals vor und dabei trage ich hohe Schuhe, doch ich reiche ihm kaum bis zur Schulter. Alles an diesem Mann finde ich abscheulich, obwohl ich alles an diesem Mann einmal geliebt habe.

Seine wachen Augen mustern mich aufmerksam, keine Spur von Erkennen glimmt in seinem Blick auf. Er sieht mich an, als wäre ich ihm total unbekannt und vermutlich bin ich das auch. Diese Verliebtheit hat immer nur einseitig bestanden und ich glaube nicht, dass er je erfahren hat, wie ich einmal für ihn empfunden habe. Darüber bin ich sehr froh. Es reicht, dass ich mich einmal zum Narren gemacht habe, das brauche ich kein zweites Mal.

»Wollen wir uns setzen?«, übernimmt Mister Otis wieder die Rolle des Gastgebers.

Royal nickt und rückt mir einen Stuhl zurecht. Als ich mich setze, meine ich, seine Finger an meinem Oberarm zu spüren, aber vielleicht ist das auch nur die Einbildung meiner überspannten Nerven. Aidan Royal hier so unverhofft zu treffen wirft mich aus der Bahn, darauf war ich überhaupt nicht vorbereite, doch ich muss mich zusammenreißen, damit ich nicht auffliege.

»Miss Ellis, ich möchte Ihnen erst einmal mein Beileid zum Tod Ihrer Mutter aussprechen. Sie war über viele Jahre meine Mandantin und ihr Verlust ist uns allen sehr nahe gegangen.« Otis sieht mich kurz an, ich nicke und er öffnet dann eine rote Mappe.

Mich interessiert, wer diese Menschen sind, von denen er spricht. Vermutlich kenne ich niemanden davon.

Plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. Was hatte Otis gerade gesagt? Er ist der Mann, der ebenfalls zur Testamentseröffnung geladen wurde? Warum? Ich wusste nicht, dass es noch weitere Erben gibt. Woher auch? Mein Bruder ist tot und mehr Geschwister waren wir nicht.

»Wir sind hier zusammengekommen, um den letzten Willen von Theresa Kathryn Ellis Royal zu verlesen.«

Bei der Erwähnung des vollen Namens meiner Mutter blicke ich überrascht auf.

Royal?

Meine Mutter war eine Royal? Na, das ist ja eine Neuigkeit, die mich glatt aus den Schuhen haut. Gut, dass ich sitze.

»Meine Mutter hat wieder geheiratet?«, frage ich überrascht und nehme Otis ins Visier, meide Aidans Blick.

»Ja, Ihre Mutter hat vor vier Jahren Frederic Royal geehelicht, den Vater von Aidan Royal.«

»Ich glaube, jeder Mensch, der in New Orleans aufgewachsen ist, weiß, wer Frederic Royal ist, immerhin ist eine ganze Straße nach ihm benannt. Und wer nicht hier geboren wurde, hat zumindest schon mal etwas getrunken, dass in seiner Destillerie hergestellt wurde.« Nein, ich versuche nicht, mich hier anzubiedern, sondern es entspricht der Wahrheit. Die Royals sind eine ganz große Nummer im Süden, ganz besonders in New Orleans.

Aidan gibt einen Ton von sich, den ich nicht genau definieren kann. Ich blicke ihn kurz an, doch er beachtet mich nicht.

Blödmann.

»Ich denke, wir fahren fort«, murmelt Otis. »Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte vermache ich, Theresa Kathryn Ellis Royal, mein gesamtes Vermögen, unter anderem die Hope Dale Plantage, die Old Barrel Destillery, sowie das Bankguthaben von zurzeit 2.355.770,80 Dollar zu je gleichen Teilen, meiner Tochter Kayla Louise Ellis und meinem Stiefsohn Aidan Royal. Zusätzlich geht meine zehn prozentige Beteiligung an der Royal Company in voller Höhe an meine Tochter Kayla. Dies geschieht in Anwesenheit folgender Zeugen … Die Namen und die Unterschrift der Zeugen sind hier namentlich aufgeführt und von mir beglaubigt.« Otis schließt die Mappe und sieht mich an. »Herzlichen Glückwunsch, Miss Ellis. Sie sind nun eine vermögende Frau.«

»Das war ich vorher schon «, murmele ich leise und blicke auf meine Hände.

»Verdient man als Ärztin so viel?«, richtet Aidan die Frage an mich.

»Nein, aber ich messe Reichtum nicht in Dollar. Für mich gelten andere Maßstäbe«, erkläre ich und sehe ihm direkt in die Augen. Oh Mann. Er hat immer noch diesen Blick drauf, bei dem mir mein Herz in die Hose rutscht. Wie damals, als ich sechzehn Jahre alt war und er mich auf dem Schulball geküsst hat. Den Satz, den er danach laut vor allen Schülern verkündete, werde ich wohl nie vergessen: »Baby, wenn du richtig küssen gelernt hast, kannst du dich wieder bei mir melden.« Das Gelächter hallt noch immer in meinen Ohren wider und ich muss mich schütteln. Dass diese Situation noch immer Einfluss auf meinen Gemütszustand hat, macht mich fuchsteufelswild.

»Dann ist es ja gut, dass ich einen Käufer für Ihren Anteil gefunden habe, Miss Ellis. Er hat ein gutes Angebot gemacht, das Ihnen gefallen wird.« Mister Otis hat plötzlich das Aussehen eines Wiesels und ich werde den Eindruck nicht los, dass mich hier jemand über den Tisch ziehen will.

»Ich denke, für Sie wird dabei eine schöne Provision herausspringen, Mister Otis. Aber ich muss gestehen, dass ich mit keiner Silbe erklärt habe, dass ich meinen Anteil verkaufen will.« Meine Stimme hat einen geschäftsmäßigen Ton angenommen.

»Du bist eine Ärztin, was willst du mit einer Destillerie? Sie etwa leiten? Und die Plantage? Willst du vielleicht wieder hier wohnen?« Aidan Royals Stimme ist schneidend und zum ersten Mal lässt er seine Maske fallen und zeigt sein wahres Gesicht.

»Wer ist der Käufer?«, frage ich Otis.

Als sein Blick unsicher zu Aidan gleitet, ist alles klar.

»Du willst also alles haben.« Ich drehe mich Royal zu. »Wie immer. Die Royal Familie ist so gierig, dass sie alles haben will. Aber weißt du was, Aidan? Diesmal wird es nicht klappen. Meine Anteile sind nicht zu verkaufen. Was mir gehört, werde ich behalten. Es geht hier um das Erbe meiner Familie, in das deine nur eingeheiratet hat. Mein Anteil steht nicht zum Verkauf und daran ist nicht zu rütteln.« Aus mir spricht reine Wut, aber ich kann nicht anders. Mein Mund ist schneller als mein Denken, doch nun ist es zu spät. Und um das einmal Gesagte zurückzunehmen, dafür bin ich dann doch zu stolz.

2. Kapitel

Kayla

Was machst du?« ruft Aiden mir nach.

Ich drehe mich um, hole mein Gepäck aus dem Kofferraum, nachdem Aidan und ich Mister Otis verabschiedet haben.

»Wonach sieht das denn aus? Ich hole meinen Koffer und die Reisetasche, weil ich hier, in meinem Haus übernachten werde«, erkläre ich gelassen und sehe Aidan an, als hätte ich es mit einem Kind zu tun.

»Du kannst hier nicht übernachten«, erklärt er mir.

»So, und warum nicht?«, will ich wissen und lasse die Tasche in den Staub fallen, sie wird langsam schwer. »Wie du gerade selbst gehört hast, gehört mir ab sofort die Hälfte des Hauses.«

»Weil ich hier wohne«, erklärt er wütend.

»Seit wann? Ich dachte, du lebst in dem Haus deines Vaters.«

»Dort hat deine Mutter zusammen mit ihm gelebt. Außerdem war er nicht mein Vater, zumindest nicht mein biologischer Vater«, brummt Aidan.

Verwundert sehe ich ihn an. Dass er so etwas offen zugibt, hätte ich niemals vermutet. Sollte es mich mit Genugtuung erfüllen, so zeige ich es nicht, so hoffe ich doch. Aber noch weiß ich gar nicht, was ich davon halten soll.

Aidan stützt eine Hand auf dem Dach des Mietwagens ab. »Ich sage dir das, weil wir jetzt so was wie Geschwister sind.«

Jetzt lache ich laut auf. »Wenn überhaupt dann Stiefgeschwister, aber du hast ja gerade selbst erklärt, dass er nicht dein leiblicher Vater war. Wir sind also nicht verwandt und werden es auch nie sein. Das Einzige, was uns verbindet, ist dieses Erbe und ich habe nicht vor, meinen Anteil an dich zu verschachern. Für kein Geld der Welt. Ich frage mich ohnehin, warum meine Mutter dir etwas vererbt hat!«

Ich nehme meine Tasche auf und ziehe den Koffer auf dem unebenen Weg hinter mir her.

»Weil ich mich um sie gekümmert habe. Sie hatte sonst niemanden! Du kannst hier nicht wohnen. Ich habe schon eine Menge Zeit und Geld in die Renovierung der Plantage gesteckt!«, ruft er mir hinterher.

»Dafür bin ich dir sehr dankbar«, gebe ich ihm zur Antwort und setze meinen Weg unbeirrt fort.

»Die Destillerie schreibt rote Zahlen.«

Er setzt sich in Bewegung, läuft hinter mir her.

»Das werde ich mir genau ansehen.«

Aidan lacht laut auf. »Ich dachte, du bist Ärztin und keine Buchhalterin.«

»Tja, falsch gedacht. Ich bin zwar Ärztin, aber ich habe ein kleines Krankenhaus geleitet, also war ich in der Verwaltung tätig. Ich denke, mit der Buchhaltung kenne ich mich sehr gut aus. Und falls ein Alligator dir in den Arsch beißt, kann ich sogar die Wunde nähen. Und jetzt zeig mir, welches Zimmer ich beziehen kann oder soll ich mir eines aussuchen?«

Wütend stampft er hinter mir die ausladende Treppe in den ersten Stock hinauf. Am Ende des Gangs öffnet er eine Tür.

Ich brauche nur einen Blick hineinzuwerfen, um zu erkennen, dass das Zimmer noch nicht renoviert ist. Er will, dass ich abhaue, aber diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun. Ich gehe zurück zur Treppe und nehme das erste Zimmer auf der anderen Seite des Flurs. »Das werde ich nehmen«, verkünde ich laut.

»Das ist mein Zimmer.« Er steht dicht hinter mir, ohne dass ich gehört habe, dass er mir gefolgt ist.

Genervt atme ich aus. Ich öffne die Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Dieses Zimmer ist renoviert und sehr hübsch eingerichtet. »Dann dieses und sag mir nicht, dass du es ebenfalls bewohnst. Gelb steht dir nicht.« Dann werfe ich die Tür hinter mir ins Schloss und lasse mich auf das Bett fallen.

Ich höre, wie sich seine Schritte entfernen und die Tür auf der anderen Seite laut ins Schloss fällt.

Na, das kann ja heiter werden. Das hier ist das Haus meiner Vorfahren und ich habe keine Ahnung, was Aidan hier zu suchen hat. Die Neuigkeit, dass Frederic Royal nicht sein leiblicher Vater war, ist wirklich ein Knaller. Wo er doch immer so stolz auf seine Familie war und damit angab, wie liebevoll der Umgang miteinander war. Jetzt stellt sich alles als ein Irrtum heraus? Alles nur eine Farce, ein falsches Spiel, um den Schein zu wahren? Ich blicke da nicht mehr durch und brauche dringend Informationen, weiß aber nicht, ob er bereit ist, sie mir zu geben.

Langsam mache ich mich daran, meinen Koffer und die Reisetasche auszupacken, mich hier häuslich einzurichten. Das Bad, das zum Zimmer gehört, ist nagelneu. Es ist modern ausgestattet, mit viel nacktem Naturstein. Eine Regenwalddusche, die sehr geräumig ist und Platz für zwei bietet. Keine Badewanne, was aber nicht schlimm ist, da ich ohnehin lieber dusche. Das Waschbecken ist oval förmig und aus dunkelgrauem Terrazzo Naturstein mit einem stylischen Wasserhahn gehauen. Der Architekt hat Geschmack, das muss ich ihm lassen.

Nachdem ich kurz geduscht und mich umgezogen habe, mache ich mich auf den Weg in die Küche. Es riecht wundervoll und der Duft kommt mir so bekannt vor, er weckt Erinnerungen an mein Leben, als alles noch so unbeschwert und leicht war.

Ein Blick in die Küche bestätigt meinen Verdacht. Eine Frau steht am Herd und rührt in einem Topf, singt dabei leise ein kreolisches Lied.

»Den Duft deines Essens habe ich bis nach Chicago gerochen.«

Sie dreht sich um und blickt mich einen Moment skeptisch an, dann lächelt sie und die kleinen Fältchen an den Augen sind mir so vertraut. »Dass du dich noch hierher traust! Warum bist du nicht eher gekommen, mon petit?«, schimpft sie und ihre bunten Ohrringe schaukeln aufgeregt hin und her.

»Ich hatte Heimweh nach deinem Gumbo«, gebe ich lachend zu, und ziehe die kleine Frau in meine Arme. Seimona hat sich in all den Jahren nicht verändert. Ihre gebräunte Haut ist immer noch so faltenfrei wie vor Jahren, dabei muss sie schon fast an die sechzig sein. Sie war die Haushälterin meiner Großeltern, und hat uns Kinder immer mit dem besten Essen versorgt. Sie hat sich um den Haushalt gekümmert, obwohl sie selbst noch ein junges Mädchen war. Das muss schon dreißig Jahre her sein.

Ich werfe einen Blick in den Topf, der auf dem alten Gasherd steht. Dort blubbert in aller Seelenruhe ein Eintopf aus Okra Schoten, Paprika, Stangen Sellerie und Geflügelfleisch, verfeinert mit Knoblauch und Meeresfrüchten. Seimonas Spezialrezept sind Krabben und Flusskrebse. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.

»Ich kann nicht fassen, dass du hier bist, Kayla! Du bist eine richtige Frau geworden, eine wunderschöne Frau.« Sie sieht mich mit Stolz an, als wäre sie dafür verantwortlich.

»Das liegt an deinem guten Essen, das wir als Kinder von dir serviert bekommen haben.«

Sie grinst breit und ein goldener Eckzahn wird sichtbar, den sie schon früher hatte. Ihr schwarzes krauses Haar hat sie zu einem festen Knoten gebunden, fixiert mit einem bunten Tuch. Alles ist wie immer, als wäre die Zeit hier auf der Plantage stehen geblieben und ich nie weggewesen.

Als ich zur Tür blicke und dort Aidan entdecke, wird mir klar, dass nicht alles wie früher ist.

»Setzt euch. Ich habe den Tisch im Esszimmer für euch gedeckt.« Seimona treibt uns aus der Küche und uns bleibt nichts anderes übrig, als gemeinsam an einem Tisch zu sitzen.

»Du hast Seimona als Köchin eingestellt?«, frage ich, um ein belangloses Thema zu beginnen.

»Ja, sie ist meine Haushälterin. Sie kann das Geld gut gebrauchen. Bei dreizehn Enkelkindern zählt jeder Penny.«

»Oh wow! Dreizehn.«

»Wenn du hier wohnen willst, musst du dich an den Kosten beteiligen«, erklärt Aidan geschäftsmäßig.

»Du nimmst Geld von deiner eigenen Schwester?«, frage ich ironisch.

»Nein, ich nicht, aber Seimona nimmt es. Außerdem hast du vorhin selbst festgestellt, dass wir keine Geschwister sind.«

Touché!

Ich blicke mich neugierig im Zimmer um. »Ich muss zugeben, dein Innenarchitekt leistet ausgezeichnete Arbeit. Wenn das Haus einmal fertig ist, dann wird es hier sehr gemütlich sein.«

»Das wirst du aber hier nicht erleben. Du wirst ausziehen, bevor es fertig ist. Sei vernünftig und lass mich deinen Teil des Hauses kaufen, dann wären wir alle Probleme los. Du hast jetzt genug Geld auf deinem Konto, um zumindest irgendein anderes Haus kaufen zu können.«

Bevor ich eine Antwort geben kann, kommt Seimona mit einer großen Suppenschüssel in den Raum, stellt sie mitten auf dem Tisch ab.

»Lasst es euch schmecken, mes enfants«, erklärt sie, nachdem sie uns die Teller randvoll geschaufelt hat. Zu dem Gumbo gibt es Reis und selbst gebackenes Brot. Es duftet unglaublich. Man bekommt den Eindruck, als hätte ich mich in Chicago jahrelang nur von Fast Food ernährt.

»Isst du nicht mit uns?«, frage ich überrascht.

Sie schüttelt den Kopf und ihre Ohrringe tanzen wild. »Nein, meine Kinder warten auf mich. Ich bin immer nur bis sechs Uhr hier. Wir sehen uns morgen um neun Uhr wieder.«

Sobald wir beide alleine sind, kommt bei mir ein ungutes Gefühl auf. Ich will nicht mit Aidan allein sein.

»Was muss ich dir bieten, damit du mir deinen Anteil an der Plantage verkaufst?«, fragt er gerade heraus und beginnt zu essen.

Ich tue es ihm gleich und muss sagen, es schmeckt einfach köstlich. Wie habe ich den Geruch und den Geschmack des Südens vermisst, ohne es zu wissen.

»Mhm, das ist unübertroffen, findest du nicht?«, will ich wissen, ohne auf seine eigentliche Frage einzugehen.

»Lenk nicht ab, beantworte meine Frage.«

»Nichts, was es auf dieser Welt gibt, könntest du mir bieten, damit ich dieses Haus hier aufgebe. Ich bin hier aufgewachsen. Und du so?«

Er schnaubt, sagt aber weiter nichts dazu.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Kajsa Arnold
Bildmaterialien: © grandriver by Getty Images
, © inarik by Getty Images
Cover: Andrea Wölk
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2023
ISBN: 978-3-7554-3834-2

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