Corporate Raider
Wild Millioniare
Kajsa Arnold
Corporate Raider
Wild Millionaire
Kajsa Arnold
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Danksagung
Bücher von Kajsa Arnold
Leseprobe: You call my heart
Deutsche Erstausgabe
Copyright © 2021, Kajsa Arnold
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise,
nur mit Genehmigung
1. Auflage
Covergestaltung: Andrea Wölk
Unter Verwendung folgender Fotos:
©Lorado by Getty Images
©Antonlokhr by Getty Image
©tomertu by Getty Images
Kajsa Arnold c/o Andrea Wölk,
Lutherstr. 16, 46414 Rhede
www.kajsa-arnold.de
Kapitel 1
New York
13. Juli
Ton?«
»Ton läuft!«
Die junge hübsche Journalistin räusperte sich.
»Maske! Miss Rubenstein muss noch einmal abgepudert werden.« Die Stimme des Aufnahmeleiters drang über die Lautsprecher ins Studio und ein junger Mann, bewaffnet mit Pinsel und Farbkasten trat an den Moderationstisch. Er steckte der Journalistin eine Serviette in den Ausschnitt und puderte ihr das Gesicht ab, legte anschließend neues Rouge auf, und zog den Lippenstift nach.
Marlo Rubenstein lächelte Magnus Vikander entschuldigend an. »Unter den Scheinwerfern ist es immer so heiß. Und das bei diesen Temperaturen, die draußen herrschen«, erklärte sie mit spitzen Lippen, als der Maskenbildner ihren Mund mit einem zarten Roséton bedachte.
Magnus lächelte freundlich, auch wenn er wusste, dass es nicht an der Wärme der Scheinwerfer lag, dass Marlo Rubenstein schwitzte. Es lag einzig allein an seiner Person. Frauen verhielten sich wie bei einer Säure-Base Reaktion, wenn sie ihm begegneten. Einige schäumten über, andere schienen quasi zu explodieren. Ob es an seinen blonden Haaren lag, die ganz im Kontrast zu seinem dunklen Teint standen? Er hatte keine Ahnung, ob es so war. Doch dieses Phänomen hatte er mehr als einmal beobachtet. Im Grunde genommen ständig. Er konnte nichts dagegen tun.
Der Maskenbilder zog sich zurück, nicht ohne ihm noch ein wissendes Lächeln zuzuwerfen. Vermutlich dachte er, Magnus sei homosexuell, wie es immer wieder in den Medien hochgekocht wurde, weil Magnus sich weigerte, eine Antwort nach seiner sexuellen Ausrichtung zu beantworten, und weil er sich nie mit Frauen in der Öffentlichkeit zeigte. Es gab eben Dinge, die gingen niemandem etwas an. Schon gar nicht den Medien, auch wenn diese äußerst interessiert an ihm waren. Er wollte so wenig Angriffsfläche wie möglich bieten.
»Ruhe! Wir gehen auf Sendung«, drang es durch die Lautsprecher, »in drei … zwei …« die Titelmelodie der Guten-Morgen-Show erklang und Marlo Rubenstein blickte in Kamera eins, zeigte das einstudierte Lächeln, um die Zuschauer an den Fernsehern zu begrüßen.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren. Ich freue mich, dass Sie zu so früher Stunde eingeschaltet haben und darf Ihnen verraten, dass ich heute einen ganz besonderen Gast für Sie begrüßen darf. Vielen von Ihnen ist Graf Magnus Vikander aus der Presse bekannt. Guten Morgen, Mister Vikander. Danke, dass Sie uns am frühen Morgen die Ehre geben.« Sie lächelte gewinnend.
»Gerne Miss Rubenstein. Danke für die Einladung«, erklärte Magnus und setzte dieses distanziert freundliche Lächeln auf, das er für Personen reserviert hatte, die er nicht mochte, aber aus beruflichen Gründen mit ihnen kommunizieren musste. Für Außenstehende wirkte es einnehmend, nur Menschen, die ihn gut kannten, sahen dahinter seine abweisende Haltung. Allerdings gab es nicht viele Menschen, die ihn wirklich gut kannten, dafür ließ er zu wenige an sich heran.
»Mister Vikander, Sie wurden in Schweden geboren und leben nun seit einigen Jahren in den USA. Welchem Land sind Sie eher zugetan?«
Eine einfache Frage, um das Eis zwischen ihnen zu brechen. Magnus kannte all ihre Tricks, ihm konnte man nichts vormachen.
»Ich habe vor einigen Monaten die amerikanische Staatsangehörigkeit erlangt, aber im Herzen werde ich wohl immer Schwede bleiben«, erklärte er und ließ seinen schwedischen Akzent durchscheinen. Er hatte in Harvard studiert und lebte fast sein ganzes Leben auf zwei Kontinenten, aber hin und wieder ging es mit ihm durch.
»Nun, Sie haben auch das attraktive Aussehen, das man den schwedischen Männern nachsagt.« Rubenstein lachte verlegen.
Sie flirtete mit ihm, um ihn in Sicherheit zu wiegen, darauf würde er gewiss nicht hereinfallen. »Vielen Dank.« Dabei beließ er es, gab kein Kompliment zurück, dazu war er heute Morgen nicht aufgelegt.
Sie sah ihn mit großen Augen an und als er nichts weiter erwiderte, räusperte sie sich kurz, sah auf ihre Notizen. Marlo Rubenstein war eine attraktive Frau und sie war es gewohnt, dass man sie mit Komplimenten überschüttete, doch sie war nicht Magnus‘ Typ. Zu amerikanisch, zu glatt, zu blondiert und zu sehr auf ihren Vorteil bedacht.
»Mister Vikander, Ihnen wird oft vorgeworfen, dass Corporate Raider wie Heuschrecken über die Firmen hereinbrechen und diese bis zum Niedergang auffressen. Was halten Sie von diesen Äußerungen?«
Sie ging also direkt zum Angriff über. Vermutlich die Retourkutsche dafür, dass er nicht auf ihren Flirtversuch eingegangen war.
»Nun, Heuschrecken ist nicht der richtige Begriff. Ich sehe uns eher als Hyänen, die tote Firmen vertilgen und neue rentable ausspucken. Wir sind Jäger, die unrentables Kapital neu investieren, um es damit ökonomisch zu machen.«
»Für Sie rentabel zu machen?«
»Für die jeweiligen Firmen und ihre Mitarbeiter«, berichtigte er sie.
»Sie sind also ein Gutmensch?«, provokant blickte Marlo ihn an.
»Ich bin dann ein Gutmensch, wenn ich an gemeinnützige Organisationen spende, ohne es an die große Glocke zu hängen. Wenn ich aus einem untergehenden Schiff ein profitables Unternehmen mache, tue ich nur meinen Job. Und darin bin ich eben verdammt gut.«
Marlo hob eine Augenbraue an. »Sie sind also mehr, als nur ein gutaussehender Wikinger?«
Wenn sie dachte, er würde sich von ihr provozieren lassen, so hatte sie sich getäuscht. Er lachte. »Vor allem bin ich ein New Yoker und ein ausgesprochener Scheißkerl«, erklärte er mit klaren Worten.
Verlegen lächelte Marlo Rubenstein. Vermutlich war sie es nicht gewohnt, dass man in ihrer Sendung kein Blatt vor den Mund nahm. Seine Schimpfwörter würde man wohl mit einem Piepen übertönen.
Sie griff nach seinem Arm und drückte ihn kurz. Als Magnus auf ihre Hand blickte, mit den langen manikürten Nägeln, ließ sie ihn abrupt los, als hätte sie sich verbrannt. »Das kann ich aber nicht behaupten. Was ist Ihre nächste Übernahme, die sie geplant haben?«
Der kleine Teufel, der Magnus auf der Schulter saß, lachte ihm ins Ohr, als er Atem holte. »Nun, diese Transaktion ist heute Morgen über die Bühne gegangen, als Sie vermutlich noch in ihrem Bett lagen, Miss Rubenstein. Ich habe einen TV-Sender gekauft«, ließ er die Bombe platzen.
Irritiert sah sie ihn an, was Magnus bestätigte, dass davon noch nichts an die Medien durchgesickert war.
»Oh, einen ganzen TV-Sender. Dann werden wir also in Zukunft Konkurrenten sein?«, fragte sie leicht irritiert und ihr Blick glitt über seine Schultern, wo ihr Assistent stand, der sie ständig mit den neusten Nachrichten versorgte. Vermutlich würde sie dem armen Kerl nach der Sendung den Kopf abreißen, doch dazu würde es zum Glück nicht mehr kommen.
»Nein, Sie irren sich. Wir werden keine Konkurrenten sein. Mit der Unterschrift, die ich heute früh unter den Vertrag gesetzt habe, bin ich sozusagen ihr Chef geworden. Und als Ihr Chef kann ich Ihnen sagen, dass Sie hiermit gefeuert sind.«
Vor Überraschung ließ Louna Jobert ihren Löffel in die Müslischale fallen, dass Milchspritzer auf ihrer Bluse landeten.
»Mist!«, schimpfte sie und griff gleichzeitig zu ihrem Handy, wählte die Nummer ihres Assistenten. »Sam! Schalte sofort ABQ Network ein!«, rief sie in den Hörer, sobald die Verbindung hergestellt worden war.
»Ich habe es auch gesehen«, antwortete Samuel Sikes und es hörte sich an, als kaute er auf einer heißen Kartoffel.
»Was isst du da?«, fragte Louna überrascht.
»Lasagne, kalt, von gestern.«
»Du bist widerlich. Was sagst du dazu?«
»Das ich widerlich bin? Oder zu der Lasagne?«
Louna stöhnte auf. »Zu der Übernahme von ABQ Network?«
»Interessanter Deal und noch viel interessanter finde ich, dass Vikander eine Mitarbeiterin vor laufender Kamera feuert. Er hat wirklich Eier in der Hose.«
Louna blickte zu dem Mann, dessen Profil auf dem Fernseher gut erkennbar war. Er wandte den Kopf und es schien, als würde er Louna direkt ansehen. Er lächelte, doch dieses Lächeln erreichte seine Augen nicht und Louna wollte in diesem Moment nicht mit der Moderatorin tauschen. Für kein Geld der Welt.
Eine Stunde später betrat sie die Führungsetage von Royal Flacon, mit frischer weißer Bluse und einem beigefarbenen Hosenanzug.
Sam erwartete sie bereits am Aufzug.
»Hast du die Unterlagen, um die ich dich gebeten habe?«, fragte sie hektisch und lief, ohne anzuhalten, ihrem Büro entgegen.
Sam hielt eine Kladde in die Höhe. Sie sah sehr dünn aus, aber viel hatte Louna auch nicht erwartet. Mit den Augen wies sie Sam an, die Tür hinter sich zu schließen.
»Ich hoffe, es hat niemand mitbekommen, dass du diese Informationen zusammengetragen hast.«
»Keine Angst, ich habe es zu Hause gemacht. Nichts ist über den Firmenserver gelaufen. Ich habe meinen lokalen Drucker benutzt.« Er reichte ihr das Dossier, das er über Magnus Vikander zusammengestellt hatte.
Louna ließ sich hinter ihrem Schreibtisch nieder und schlug die Mappe auf, überflog schnell die Informationen. »Was glaubst du, warum will er sich mit mir treffen?«, fragte sie beschäftigt.
Sam ließ sich auf der Ecke ihres Schreibtisches nieder. »Es ist ein Lunch, kein Abendessen. Vielleicht will er einfach nur networken.«
Louna schaute zu ihm auf. »Nach der Aktion heute Morgen?« Sie klang nicht überzeugt.
»Du leitest ein Kosmetikunternehmen keinen TV-Sender.«
»Aber auch keine Bank, oder sonst ein Unternehmen, in dem die Mitarbeiter sich treffen und Informationen austauschen.«
»Vielleicht hat er ein Werbeplakat mit deinem Gesicht gesehen und will dich kennenlernen?«
Louna verdrehte die Augen. »Die Zeit, dass ich als Model herhalten konnte, sind schon länger vorbei.«
»Du hörst dich an, als wärst du sechzig Jahre alt.« Sam schüttelte irritiert den Kopf.
»Ich werde in fünf Monaten dreißig. Siehst du das Schwert, das über meinem Kopf schwebt?«
Sam lachte leise auf. »Ich arbeite für eine alte Frau. Wer hätte das gedacht? Aber im Ernst, du wirst heute erfahren, was Magnus Vikander von dir will. Was auch immer es sein wird, wir können dann darauf reagieren. Ich muss jetzt zu deinem Großvater, er will mich sprechen. Wie sehen uns später.«
Nachdem Sam ihr Büro verlassen hatte, widmete sich Louna erneut dem Dossier. Graf Magnus Vikander, Vater Graf Anders Vikander, bereits verstorben, Mutter Elsa Vikander, in Stockholm lebend. Er war vierunddreißig Jahre alt, geboren in Stockholm. Vikander hatte einen Master in Kommunikationswissenschaften und Finanzmanagement, studierte bis zu seinem Abschluss in Harvard. Lebte bis vor sieben Jahren in Schweden, ist dann nach New York gezogen. Pendelte aber immer noch hin und her. Besaß immer noch eine Wohnung in Stockholm. Louna stellte überrascht fest, dass Vikanders Firma Working Capital LP kein börsennotiertes Unternehmen war, sondern eine Limited Partnership, bei dem Magnus ein General Partner war, der mit seinem persönlichen Vermögen haftete. Das war unüblich, zumindest war Louna das bisher so noch nicht untergekommen. Es gab auch nur drei limited Partner – Fynn und Etienne Vikander, seine jüngeren Brüder und Christian Blomberg. Sein bester Freund. Louna fragte sich, ob die beiden vielleicht ein Paar waren, verwarf den Gedanken jedoch wieder, weil Blomberg für seine Affären mit Frauen der Modelbranche bekannt war. Was aber auch nicht unbedingt etwas heißen musste. Eigentlich sollte es ihr egal sein, wen und was Magnus Vikander liebte, es ging sie überhaupt nichts an. Wichtiger war die Frage, warum er sie um ein Treffen gebeten hatte. Diese Frage würde sie nach einem Blick auf die Uhr, in genau vier Stunden beantwortet bekommen.
Kapitel 2
New York
13. Juli
Magnus hatte mit Absicht ein Restaurant gewählt, das außerhalb Manhattans lag. Der Weg war ein wenig länger, aber hier war die Gefahr, dass man sie beobachtete geringer. Das Per Se lag am Columbia Circle und verfügte über private Dining Rooms. Magnus bevorzugte es, sich dort mit Gesprächspartnern zu treffen, weil er das noble Ambiente liebte, sowie das hervorragende Essen.
Louna Jobert betrat auf die Sekunde pünktlich das Restaurant und wurde in das kleine Zimmer geleitet. Er erhob sich und nickte dem Kellner zu, dass er der Dame behilflich sein würde. Dieser verließ direkt den Raum.
»Miss Jobert, ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.« Er reichte ihr die Hand und Louna ergriff sie, ohne zu zögern.
»Mister Vikander, ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass diese Einladung mich nicht sehr überrascht hat.«
Er lachte leise und schob ihr den Stuhl zurecht.
»Ich hoffe nicht, dass Sie mich auch gleich entlassen werden«, fügte sie noch hinzu und ihre grünen Augen funkelten dabei.
»Sie haben mich im TV gesehen.« Er grinste.
»Ich bin froh, dass ich es nicht verpasst habe. Aber ich denke, selbst wenn es so wäre, kann ich es mir auf YouTube ansehen.« Sie nahm die Serviette von ihrem Teller und legte sie sich über ihren Schoß.
Louna Jobert war anders, als er erwartet hatte. Er kannte sie von Bildern, war ihr bisher aber noch nie persönlich begegnet, und musste feststellen, dass sie wesentlich kleiner war, als gedacht. Sie reichte ihm gerade mal bis zur Brust, war locker dreißig Zentimeter kleiner als er. Allerdings überragte er mit seinen einen Meter neunzig auch fast alle Männer, denen er begegnete. Trotzdem überraschte sie ihn, denn sie trug ihr schwarzes Haar zu einem Bubikopf geschnitten, nicht lang und glatt, so wie es zurzeit bei vielen Frauen Mode war. Er wusste, dass sie in Frankreich geboren worden war und dort ihre Kindheit verbracht hatte. Ihre schlanke Gestalt steckte in einem beigefarbenen Hosenanzug mit weißer Bluse, was man unter normalen Umständen vielleicht für altbacken halten mochte, doch an dieser Frau wirkte es elegant und modisch. Ihre Züge wirkten nicht besonders aufregend, sie hatte keine hohen Wangenknochen, auffällige Augenbrauen oder große üppige Lippen, die den Blick auf sich zogen. Nein, sie wirkte ein wenig knabenhaft und doch sehr feminin. Sie sah immer noch so reizend aus, wie auf den Werbeplakaten, auf denen sie vor einigen Jahren für ein Parfüm ihres Unternehmens geworben hatte. Magnus konnte sich noch gut an das Plakat erinnern, es hing gerahmt in seinem schwedischen Schlafzimmer. Darauf trug Louna nichts, außer einen seidenen beigefarbenen Vorhang, der so kunstvoll um ihre Hüften geschlungen war, dass man ihre Nacktheit nur erahnen konnte. Er wusste, dass das Foto bereits zehn Jahre alt war, doch sie hatte nichts von ihrer Fotogenität eingebüßt. Wenn er sie genau betrachtete, war sie nur noch interessanter geworden.
»Ich habe leider nicht viel Zeit, Mister Vikander, daher würde ich es begrüßen, wenn wir schnell auf den Punkt unseres Treffens kommen würden.« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Patek Philippe. Sie besaß wirklich Geschmack. Diese Uhr glänzte nicht durch eine Vielzahl an Brillanten, sondern durch vornehmes Understatement. Wie diese ganze Frau. Außer der Uhr trug sie keinen weiteren Schmuck. Nicht mal eine Halskette und schon gar keine Ringe an ihren Fingern. Sie war nicht liiert, zumindest gab es keine Hinweise darauf. Das Dossier, das er in Auftrag gegeben hatte, kam zu dem Entschluss, dass sie solo war und nur für ihre Arbeit lebte.
Als er bemerkte, dass sie ihn fragend ansah, räusperte er sich. Es kam selten vor, dass er sich in Gedanken verlor. Normalerweise war er immer bei der Sache, aufmerksam auf das Wesentliche fokussiert. Doch dieses Treffen war eben nicht normal.
Er begann mit der Ecke der Stoffserviette zu spielen, die neben seinem Teller lag. »Das Leben ist viel zu kurz, um das Essenzielle nicht zu genießen. Finden Sie nicht auch?«, fragte er.
Sie hob die Schultern. »Essen ist mir nicht so wichtig«, erklärte sie.
»Aber es ist essenziell. Sie sollten es genießen, denn es ist eines der wenigen Dinge, die, je länger man sie genießt, umso mehr Spaß machen.«
»Das sagt man über Sex auch, doch ich bin bisher nur enttäuscht worden.« Sie grinste.
»Dann hatten Sie mit den falschen Männern Sex.«
»Vielleicht waren es ja keine Männer«, gab sie zu bedenken. Sie wollte ihn verwirren, doch er ließ sich nicht aufs Glatteis führen.
»Ich glaube nicht, dass Sie zu den Frauen gehören, die nur Frauen lieben.«
»Was lässt Sie zu dieser Vermutung kommen?«
Er legte den Kopf ein wenig schief, sah sie genau an. »Ich besitze eine gute Menschenkenntnis und etwas sagt mir, dass Sie Männer mögen, diesen aber auch kritisch gegenüberstehen, wenn Sie sie noch nicht lange genug kennen.«
Der Kellner betrat den Raum, brachte Wasser und eine Flasche Wein. Dann reichte er beiden eine Speisekarte.
»Sie haben nicht für mich ausgesucht?« Wieder ein provozierender Satz, den er mit einem Lächeln entgegentrat.
»Ich dachte mir, dass es Ihnen nicht gefallen würde, wenn ich über Ihren Kopf hinweg entscheide. Und wie ich sehe, habe ich recht behalten. Also bitte, suchen Sie aus, für uns beide.« Er war gespannt, was sie wählen würde.
Louna bestellte als Vorspeise gebratene Avocados mit Garnelenschaum und als Hauptspeise entschied sie sich für Schwertfisch mit Kressebutter und Couscous.
»Ich hoffe, Sie sind mit meiner Wahl einverstanden«, sagte sie, als der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte.
»Vorzügliche Wahl. Ich hätte es kaum anders gemacht.«
»Kein Fleisch?«
Magnus schüttelte den Kopf. »Ich würde nicht gerade behaupten, dass ich vegan lebe, aber ich entstamme einer langen Reihe von Männern, die das Meer befuhren, und hege eine große Liebe für dessen Bewohner. Mit Fisch kriegen Sie mich immer rum«, gab er preis.
»Gut zu wissen«, murmelte Louna und trank einen Schluck Wasser, das der Kellner eingeschüttet hatte.
»Essen Sie Fleisch?«, wollte er wissen.
»Manchmal. Ich versuche, mich ausgewogen zu ernähren, dazu gehört auch mal ein Stück Fleisch. Ich halte nicht viel davon, sich selbst zu viele Verbote aufzuerlegen. Ich befürworte das gewogene Mittel.«
Er wusste, dass Louna ein Mathegenie war. Sie hatte einen Abschluss in Mathematik, BWL und französischer Geschichte. Eine abwechslungsreiche Zusammenstellung, wie er fand. Sie hatte einige Jahre bei einer europäischen Investmentbank gearbeitet, bis sie zurück in die USA gezogen war. Ihr Lebenslauf war spannend. So faszinierend wie Louna selbst. Jetzt, wo er ihr gegenübersaß, wurde er mit jeder Sekunde neugieriger.
»Nachdem wir unsere Essgewohnheiten ausgetauscht haben, würde ich gerne wissen, warum Sie mich treffen wollten, Mister Vikander.«
Sie ließ nicht locker.
»Darf ich Louna sagen? In Schweden haben wir es nicht so mit den förmlichen Umgangsformen. Sie können mich gerne Magnus nennen.«
Louna nickte, wartete darauf, dass er weitersprach. Als er sie nur weiter anblickte, holte sie tief Luft. »Haben Sie vor Royal Flacon zu kapern?«, fragte sie ganz frei heraus, blickte ihn eindringlich an, sodass er sich ihren anregenden Augen nicht entziehen konnte.
»Kapern ist so ein kriegerischer Begriff, als wäre ich Pirat mit einem Säbel zwischen den Zähnen und Augenklappe.« Er grinste breit.
»Sind Sie das denn nicht?«
»Also mit meinen Augen ist alles in Ordnung. Und den Säbel benutze ich nur, um eine Avocado zu schneiden«, erklärte er und genau zum richtigen Zeitpunkt wurde die Vorspeise serviert.
»Vielen Dank.« Louna lächelte den Kellner an, der den Teller vor ihr abstellte und einen guten Appetit wünschte. Sie war ausgesprochen höflich zu anderen Menschen, was ihm sehr gefiel.
»Guten Appetit«, wünschte sie auch ihm und er erwiderte das Gesagte.
Sie aßen die ersten Happen schweigend. Vielmehr sah Magnus Louna beim Essen zu. Sie nahm kleine Portionen und schloss für einen kurzen Augenblick die Lider, als würde sie jeden einzelnen Bissen genießen.
»Schmeckt es Ihnen?«, wollte er wissen.
Sie stöhnte leise. »Es ist köstlich. Los, probieren Sie, Magnus.«
Die Art und Weise, wie sie seinen Namen aussprach, machte etwas mit ihm. Er fragte sich, welche Laute sie wohl beim Sex verursachte und kam nicht gegen seine Erektion an. So etwas war ihm noch nie passiert. Verwirrt griff er nach der Weinflasche und goss beiden Gläsern ein.
»Bitte nur einen Schluck, ich trinke keinen Alkohol während der Arbeitszeit«, erklärte sie.
»Es ist nur ein ganz leichter Wein. Keine Angst, ich möchte Sie nicht betrunken machen.« Wieder grinste er.
»Nicht? Ich dachte schon, das wäre ihre Absicht um mir dann Firmengeheimnisse zu entlocken, die Sie anschließend gegen uns verwenden können.« Sie zog beide Augenbrauen in die Höhe.
»Gibt es denn solche Geheimnisse?« Er horchte interessiert auf.
»Gibt es die nicht in jeder Firma? Erzählen Sie mir, warum ihre Firma keine Aktiengesellschaft ist? Warum gehen Sie solch ein hohes Risiko ein? Sie könnten Ihr gesamtes Vermögen verlieren.«
»Ich arbeite im Risikomanagement. Die Leute sollen mir vertrauen können. Ich setze mein eigenes Vermögen ein, um Arbeitsplätze zu sichern, neue zu schaffen. Bei allen Aktionen trage ich das größte Risiko, schaffe so aber auch das größte Vertrauen«, erklärte er.
»Sie lassen sich nicht gerne reinreden. Sie sind ein Spieler, der gerne mit hohem Einsatz spielt«, schlussfolgerte Louna.
»Ist das so?«, fragte er nachdenklich.
»Nun, zumindest lieben Sie den großen Auftritt, wenn ich an heute Morgen denke. Neue Rekordeinschaltquoten sind Ihnen gewiss. Aber sagen Sie, sind nicht zwei feindliche Übernahmen an einem Tag, selbst für einen so harten Kerl, wie Sie einer sind, etwas viel?« Louna blickte ihn fragend an, steckte sich das letzte Stück Avocado in den Mund, und kaute genüsslich.
Louna gab sich forscher, als sie sich fühlte. Im Augenblick raste ihr Herz wie ein Düsenjet. Sie hatte ihn mit ihrer Frage nach einer feindlichen Übernahme aus der Reserve locken wollen, glatt ins Schwarze getroffen. Diese Neuigkeit war äußerst beunruhigend. Sie sollte einfach aufstehen und gehen, doch die Neugier ließ sie verharren.
Als der Hauptgang serviert wurde, hatte sie bereits keinen Hunger mehr, doch sie aß vorbildlich auf. Der Schwertfisch war vorzüglich, das musste Louna zugeben, und wenn sie mit Sam hier säße, würde sie ihn genießen können, doch mit der Tatsache, dass Vikander sie eingeladen hatte, um Informationen zu erhalten, trübte diese Einladung ungemein.
»Louna, Sie sehen nicht so aus, als würde es Ihnen schmecken.« Magnus legte sein Besteck zur Seite, obwohl er noch nicht aufgegessen hatte.
»Es liegt nicht am Essen«, gab sie zu.
»Es liegt also an Ihrer Begleitung?« Er fuhr sich mit dem Finger über die Oberlippe, richtete so Lounas Aufmerksamkeit auf seinen Mund, den sie äußerst attraktiv fand. Es gab selten Männer, die bei ihr mit ihrem Aussehen punkten konnten, doch Magnus Vikander war einer der wenigen.
»Eher daran, dass ich nicht einschätzen kann, was Sie im Schilde führen.«
»Oh, mein Schild ist ganz leer.«
»Das stimmt zum Beispiel nicht. Sie tragen den Titel eines Grafen, ohne ihn im Namen zu führen. Ihr Schild führt einen Hirsch sowie einen Löwen und ein Visier im Wappen. Ich finde das sehr beeindruckend.«
Ein feines Lächeln zog sich über seine Lippen. »Sie haben Informationen über mich eingezogen. Ich fühle mich geschmeichelt.«
»Das haben Sie doch über mich auch. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, dass Informationen in unserer Branche vom Wert mehr sind, als Geld es jemals sein wird.«
»Unserer Branche?«, hakte er nach.
»Sie wissen, dass ich bis zu dem Eintritt in die Firma meines Großvaters als Investmentbankerin gearbeitet habe. Mein Herz schlägt immer noch dafür, auch wenn sich mein Aufgabenfeld verändert hat.«
»Dann sollten Sie für mich arbeiten.« Die Worte aus seinem Mund hörten sich an, als wären sie ihm gerade erst eingefallen.
»Danke, aber ich habe bereits einen Job.«
»Der Sie nicht ausfüllt. Ich sehe es Ihnen an, Sie brauchen das nicht zu kommentieren. Überlegen Sie es sich.«
»Das soll also hier eine Art Vorstellungsgespräch sein? Sehr unkonventionell«, gab sie zu, auch wenn sie ihm nicht glaubte.
»Ich bin ein unkonventioneller Mann.« Er nahm sein Besteck wieder auf, aß weiter.
Auch Louna nahm das Essen wieder auf, sah dabei auf die Uhr und stellte fest, dass es höchste Zeit wurde, zurück ins Büro zu kehren.
»Sie sollten es sich überlegen, Louna. Wir haben eine Menge zu bieten, wenn Sie möchten, biete ich Ihnen eine Führung in meiner Firma an.«
Louna lächelte. »Ich soll aber nicht die Leitung eines Fernsehsenders übernehmen?«, fragte sie keck.
Magnus legte erneut den Kopf schräg, wie er es tat, wenn er nachdachte. »Ich denke, im Morgenprogramm würden Sie ein gutes Bild abgeben und für eine Menge Einschaltquoten sorgen.«
Kapitel 3
New York
13. Juli
Sobald Louna zurück im Büro war, fand sie Sam mit seinem Handy spielend vor.
»Hast du
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Kajsa Arnold
Bildmaterialien: ©Lorado by Getty Images, ©Antonlokhr by Getty Image, ©tomertu by Getty Images
Cover: Andrea Wölk
Tag der Veröffentlichung: 16.03.2023
ISBN: 978-3-7554-3596-9
Alle Rechte vorbehalten