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Leseprobe

Hatfield

Der Brief des Earls

Kajsa Arnold

Hatfield

Der Brief des Earls

Kajsa Arnold

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Bücher von Kajsa Arnold

Kapitel 1

Maddox Street

London, 1839

Der Saal schien aus allen Nähten zu platzen. Wenn die Baroness of FitzAlan einen Ball gab, dann kam die feine Gesellschaft zusammen. Die Baroness war in zweiter Ehe mit dem Baron of FitzAlan verheiratet. Da der Baron sich die meiste Zeit im Ausland befand, hatte seine Frau eine freie Hand, was das Geldausgeben und das Feiern betraf.

Balian Hamilton, Earl of Hatfield, stand in der Nähe des Buffets und schwenkte das Glas in seiner Hand. Er war froh, dass er einen Brandy hatte ergattern können, anstelle des Champagners, den die Gäste serviert bekamen. Er mochte dieses prickelnde Zeug nicht besonders, war jedoch erfreut, sich an einem anständigen Tropfen gütlich zu tun.

Er hasste diese Art Veranstaltungen, hatte aber eine Einladung erhalten und es wäre respektlos gewesen, wäre er nicht erschienen.

»Du siehst aus, als hättest du Zahnschmerzen«, erklärte die Baroness of FitzAlan und musterte ihn genau. Sie war lautlos zu ihm getreten.

»Mit meinen Zähnen ist alles in Ordnung, Mutter.« Balian lächelte und zeigte einen Satz weißer, tadelloser Zähne.

»Du weißt, dass du mich nicht Mutter nennen sollst, das macht mich so alt.« Sie schlug ihren Fächer auf und wedelte sich Luft zu.

»Ich weiß, Mutter. Aber Claire klingt in meinen Ohren so fremd.« Er wusste, wie er seine Mutter ärgern konnte.

Sie überging diese Bemerkung und sah sich diskret um, nickte einer Gruppe von Frauen zu. »Ist es nicht unglaublich voll? Ich weiß gar nicht, ob ich all diese Leute überhaupt eingeladen habe.«

»Hast du, Mutter. Du liebst es, wenn am nächsten Tag über deinen rauschenden Ball gesprochen wird.« Er grinste süffisant.

Spielerisch schlug sie mit dem Fächer, den sie wieder zusammengefaltet hatte, gegen seine Brust. »Übertreibe es nicht, mein Lieber.« Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wenn du lächelst siehst du deinem Vater, Gott hab ihn selig, so ähnlich.«

Balians Vater war vor einigen Jahren verstorben und kurz darauf hatte Claire erneut geheiratet.

»Wo treibt sich dein Mann herum?«, fragte Balian und trank einen Schluck.

»Ich habe keine Ahnung. Irgendwo in Südamerika in einem Dschungel. Er hat mir vor Kurzem einen Brief geschickt, der allerdings schon drei Monate alt war, bevor er bei mir ankam. Ich hoffe, dass er noch am Leben ist. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen werden ihm noch das Leben kosten und mich erneut zur Witwe machen.«

»Liebe Baroness! Ihr Fest ist mal wieder ein Genuss. Darf ich Ihnen meine Tochter Violett vorstellen?« Die Worte waren zwar an Claire gerichtet, doch die Frau ließ Balian nicht aus den Augen und schubste ihre Tochter in seine Richtung, sodass sie ihm fast in die Arme fiel.

»Lady Bowlington, vielen Dank für Ihr Lob. Darf ich Ihnen meinen Sohn Balian vorstellen?«

»Aber gerne doch. Wenn ich mich nicht irre, ist er der Earl of Hatfield.« Die Lady musterte Balian neugierig. »Vielleicht möchte er ja mit meiner Tochter ein Tänzchen wagen?« Sie sah ihn auffordernd an.

Balian suchte krampfhaft nach einer Entschuldigung, warum er nicht mit Violett tanzen konnte. Ein lahmer Fuß? Migräne? Übelkeit? Nichts davon klang wirklich überzeugend. Er räusperte sich verlegen.

»Tut mir leid«, erklärte Claire und kam ihrem Sohn zur Rettung. »Diesen Tanz hat er bereits meinem Mündel Lady Ruby versprochen.« Sie sah sich suchend um und winkte aufgeregt.

Seit wann hatte Claire ein Mündel? Das war absolut neu für ihn.

»Oh, das ist wirklich schade, vielleicht später …« Lady Bowlington ließ nicht locker, doch Claire fiel ihr erneut ins Wort.

»Ich denke nicht, Balian hat all seine Tänze an diesem Abend vergeben. Aber ich sehe dort den Baron of Cavendish alleine stehen … « Sie führte Lady Bowlington in dessen Richtung und ihre Tochter folgte ihnen wortlos.

»Seit wann hast du ein Mündel?«, fragte Balian überrascht, als Claire zurückkehrte.

Sie zog eine junge Frau hinter ihrem Rücken hervor. »Ruby, das ist mein Sohn Balian, Earl of Hatfield. Balian, dass ich Ruby Du Plat. Sie ist die Tochter einer lieben Freundin, die leider vor einiger Zeit verstarb. Ihr Vater ist der Viscount Du Plat.«

»Lady Ruby.« Balian verbeugte sich formell. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Beileid zu Ihrem Verlust.«

»Vielen Dank Mylord.« Verlegen knickste Ruby und ihre Wangen wurden von einem Rot überzogen.

Balian sah seine Mutter an, wartete auf weitere Informationen.

»Ich habe mich Ruby angenommen. Seit ihre Mutter vor zwei Jahren verstorben ist, hat ihr Vater sich auf seinen Landsitz nördlich von London zurückgezogen. Das ist doch kein Leben für eine junge Frau. Sie wird ab sofort bei mir wohnen.«

Bis du einen Ehemann für sie gefunden hast, beendete er in Gedanken den Satz seiner Mutter und lächelte. »Was für eine Bereicherung für London«, erklärte er und hielt Ruby eine Hand entgegen. »Wenn ich um diesen Tanz bitten darf, Lady Ruby.«

Die Wangen der jungen Frau färbten sich erneut rot. Sie war sehr schüchtern, begab sich aber mit ihm zur Tanzfläche.

Die Quadrille wurde gerade beendet und das Streichquartett stimmte einen Walzer an. Dieser Tanz lag Balian wesentlich mehr als ein Gruppentanz und so führte er Ruby leichtfüßig über das Parkett.

»Bitte entschuldigen Sie, wenn Ihre Mutter mich Ihnen aufgedrängt hat«, sagte Ruby mit zarter Stimme.

Er sah auf sie hinunter. Ruby Du Plat war eine junge Frau von ungefähr neunzehn Jahren. Sie sah ihn mit ihren grauen Augen entschuldigend an.

»Hat Sie das?«, fragte er nachdenklich.

Sie schenkte ihm ein Lächeln, das ihre schönen Augen erreichte. »Sie müssen mir nichts vormachen. Ich habe gesehen, dass sämtliche Mütter im Saal versucht haben, ihre Töchter ins rechte Licht zu rücken, um Ihre Aufmerksamkeit auf diese jungen Frauen zu lenken.«

»Dann haben Sie mich also beobachtet?«, schlussfolgerte Balian, und sah sie interessiert an.

Erneut wurde Ruby rot. »Es ist mir nur aufgefallen. Ich habe so einiges bemerkt.« Sie sah ihm nicht in die Augen, tat so, als müsse sie sich auf den Tanz konzentrieren.

»Wie lange wohnen Sie schon bei meiner Mutter?«

»Ich bin vor einer Woche in London eingetroffen.«

Jetzt wusste Balian auch, warum seine Mutter ihn letzte Woche an drei Tagen eingeladen hatte, doch er hatte jedes Mal abgesagt. Wenn er gewusst hätte, worum es sich bei dieser Einladung handelte, hätte er es sich vermutlich überlegt.

»Das mit Ihrer Mutter tut mir sehr leid«, erklärte er einfühlsam.

»Sie war lange krank. Der Tod war eher eine Erlösung. Mein Vater kommt nur nicht damit klar. Sie haben sich sehr geliebt. Was man nicht von vielen Paaren behaupten kann.«

Da hatte sie natürlich recht. Seine Mutter hatte immer nur aus materiellen Gründen geheiratet, schien damit aber ganz zufrieden zu sein.

»Sie wissen, dass meine Mutter alles daransetzen wird, einen Mann für Sie zu finden?«

Sie lachte auf und es klang entzückend aus ihrem Mund. Dabei bemerkte er, dass ihre Lippen eine Erdbeerfarbe besaßen. »Ich bin nicht an der Ehe interessiert«, erklärte sie voller Inbrunst.

»So? Aber warum denn nicht?«

»Es gibt keine Männer, die treu sind. Ich bleibe lieber allein, als dass man mich beschämt und zum Gespött der Gesellschaft macht.«

Das waren ja aufschlussreiche Ansichten. »Darf ich fragen, warum Sie dann in London sind?«

»Ich bin sehr an Geschichte interessiert und möchte mir die National Gallery ansehen, unter anderem. Ich denke, dieses Wissen sollte nicht nur den Männern vorbehalten sein.«

Seine Tanzpartnerin schien eine selbstbewusste junge Frau zu sein. Er hatte sie wohl ganz falsch eingeschätzt.

»Ich denke, dann sind Sie in London genau am richtigen Ort. Vielleicht darf ich Sie ja bei einer Ihrer Touren begleiten?«, hörte er sich fragen, obwohl Geschichte das Letzte war, wofür sein Herz schlug. Aber er wollte sich keine Blöße geben und vor allem, wollte er mehr über diese junge Frau erfahren.

Sie legte den Kopf schief und sie hielten an, als die Musik verebbte. »Wenn Sie möchten, dann gerne. Ich kenne mich in der Stadt nicht sehr gut aus, obwohl ich sie als Kind oft besucht habe, doch das ist schon eine Weile her.«

»Es wird mir eine Ehre sein, mich als guten Fremdenführer zu beweisen, Lady Ruby.«

Sie lächelte und strich sich eine Locke ihres brünetten Haares zurück. Ruby reichte ihm gerade mal bis zur Brust und ihre schlanke Gestalt ließ sie wie ein scheues Reh erscheinen, doch hinter ihrer Fassade steckte eine ganz andere Frau. So viel war klar.

Kapitel 2

Green Street

London, 1839

Balian schlief bis zum Mittag und nahm anschließend ein ausgiebiges Bad. Dann ließ er sich rasieren und George, sein Kammerdiener, legte ihm einen feinen Gehrock heraus, eine dunkelrote Weste und ein weißes Hemd. Dazu trug er eine graue Hose. Er beschloss, seiner Mutter einen Besuch abzustatten. Sie hatte sich darüber beschwert, dass sie ihn viel zu selten sah. Also war er ein guter Sohn und beehrte sie mit seiner Anwesenheit.

Der Hausbutler öffnete ihm die Tür.

»Hilton, ist meine Mutter schon erwacht?«

»Ihre Lordschaft befindet sich im Lesezimmer«, erklärte der Butler würdevoll.

»Danke, Hilton. Ich kenne den Weg.«

Laut pfeifend betrat er den Raum und sah seine Mutter auf dem Sofa sitzend, einen Brief in der Hand.

»Balian! Was verschafft mir die Ehre, dich an einem frühen Nachmittag zu empfangen? Sonst schläfst du um diese Zeit immer noch.« Sie blickte ihren Sohn überrascht an und faltete das Papier zusammen.

»Diese Zeiten sind schon lange vorbei, Mutter.« Er küsste sie auf die Wange und ließ sich im Sessel ihr gegenüber nieder.

»Dann hast du um diese Zeit immer noch geschlafen, als du noch in diesem Haus wohntest.«

»Auch diese Zeiten sind schon lange vorbei.«

Claire winkte ab. »Warum erinnerst du mich immer daran, wie alt ich bin? Sag mir lieber, was du hier willst.«

Balian lachte über ihre Direktheit. »Weil ich meine Mutter besuchen will.«

»Schwachsinn«, sagte sie zweisilbrig. »Du lässt dich monatelang nicht sehen und kaum stelle ich dir Ruby Du Plat vor, tauchst du am nächsten Mittag hier auf. Gleich zwei Mal in einer Woche ist für dich übertrieben.« Claire sah ihn streng an.

»Schon gut. Du wärst nicht meine Mutter, würdest du mich nicht genau kennen. Also, erzähl mir etwas über Lady Ruby.«

Laut seufzte Claire. »Das arme Ding sollte mit einem Langweiler verheiratet werden, das konnte ich nicht zulassen. Ihr Vater vergeht vor Trauer und ist nicht mehr Herr seiner Sinne, wenn du mich fragst. Er hat das Mädchen wie eine Dienstmagd behandelt. Schlimmer noch. Ich konnte sie nicht dort lassen.«

»Warum bist du überhaupt in den Norden gereist?«

»Sie hat mir einen Brief geschrieben und mich um Hilfe gebeten. Sie hatte mich früher immer zusammen mit ihrer Mutter besucht. Daher kennen wir uns.«

»Und jetzt suchst du einen Ehemann für sie?«

»Hast du Interesse?«, fragte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

Balian sah seine Mutter ernst an. »Du kennst mich und meine Einstellung zur Ehe. Wir wollen das arme Mädchen doch nicht unglücklich machen.«

»Eine Heirat würde dein Leben wesentlich erleichtern. Keine aufdringlichen Mütter mehr, die dir ihre Töchter aufzwingen. Du wärst weg vom Heiratsmarkt und damit uninteressant.«

»Aber gefangen in einer Ehe, die ich nicht will.«

»Wer spricht denn von Ehe? Eine Verlobung würde doch schon ausreichen.« Claire blickte auf ihre manikürten Fingernägel.

Als Balian nichts erwiderte, sah sie ihn an. »Du solltest es dir überlegen. Sie ist ein hübsches Ding, den Kopf voller Ideen. Sie liebt ihre Freiheit. Du würdest nicht viel Zeit mit ihr verbringen müssen.«

»Du solltest für Lady Ruby lieber einen netten Mann suchen. Sie hat mehr verdient, als einen Mann, der sie nur als Alibi benutzt«, überlegte Balian laut und schlug die Beine übereinander.

»Wann willst du endlich heiraten und einen Erben zeugen? Du hast eine Verantwortung deinem Titel gegenüber.«

»Möchtest du mir keinen Tee anbieten?«, versuchte er das Thema zu wechseln.

»Du weißt, dass ich lieber Kaffee trinke.« Claire lächelte ihren Sohn verschmitzt an.

Ruby war überrascht, Balian im Salon vorzufinden. Solange sie in London weilte, hatte er noch nie seine Mutter besucht. Er saß ganz entspannt in einem Sessel, hatte die langen Beine übereinandergeschlagen und trank einen Kaffee. Sein kurzes braunes Haar wellte sich zu kleinen Locken und die grauen Augen musterten sie neugierig, als sie den Raum betrat.

»Lady Ruby, wie schön Sie anzutreffen.« Er erhob sich und nahm ihre Hand in seine, deutete einen Handkuss an.

»Lord Hatfield, welche Überraschung.«

»Bitte, nennen Sie mich Balian. Wir werden doch beide von Claire umsorgt.« Er grinste vielsagend.

»Gerne Balian, aber nur, wenn ich für Sie Ruby bin.«

Er nickte lächelnd.

»Komm und setz dich zu uns, mein Kind, wir trinken gerade einen Kaffee. Magst du auch einen? Oder soll ich nach einer Tasse Tee klingeln?«

»Ich trinke gerne einen Kaffee, lieben Dank.« Sie setzte sich zu Claire auf das Sofa und Balian machte sich daran, ihr eine Tasse einzuschenken, hielt George auf, der ihm behilflich sein wollte. Ganz der Gentleman.

Verschmitzt sah Claire ihm dabei zu. Ruby bedankte sich mit einem zarten Lächeln, als er ihr die Tasse reichte.

»Ich war ein wenig spazieren und kann mich an dieser Stadt gar nicht sattsehen«, erklärte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Kajsa Arnold
Bildmaterialien: © ielanum by Getty Images

Cover: Andrea Wölk
Tag der Veröffentlichung: 07.02.2023
ISBN: 978-3-7554-3186-2

Alle Rechte vorbehalten

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