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Leseprobe

Croyden Manor

Gesamtausgabe

Kajsa Arnold

CROYDEN MANOR

GESAMTAUSGABE

KAJSA ARNOLD

INHALT

Celeste

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Croyden Manor 2

Eugenie

Prolog

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Croyden Manor 3

Georgina

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Croyden Manor 4

Rosalie

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Croyden Manor 5

Valentine

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Croyden Manor 6

Grayson

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

Kapitel 116

Kapitel 117

Kapitel 118

Kapitel 119

Kapitel 120

Kapitel 121

Kapitel 122

Kapitel 123

Kapitel 124

Kapitel 125

Kapitel 126

Kapitel 127

Kapitel 128

Kapitel 129

Kapitel 130

Kapitel 131

Epilog

Danksagung

Bücher von Kajsa Arnold

Deutsche Erstausgabe

Copyright © 2022, Kajsa Arnold

Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung

1. Auflage

Korrektorin: Das kleine Korrektorin

Ruth Pöß

Covergestaltung: Andrea Wölk

Unter Verwendung folgender Fotos:

© Eli77 by Getty Images

© ziggymaj by Getty Images

© silmen by Getty Images

Kaja Arnold c/o Tresjoli,

Lutherstr. 16, 46414 Rhede

www.kajsa-arnold.de

CELESTE

KAPITEL 1

Januar 1850

Croydon Manor/zwischen London

und Saint Albans

Die kleine Trauergemeinde sah stumm dabei zu, wie der Sarg in der Erde verschwand. Einige Ladys tupften sich mit Spitzentüchern die Augenwinkel, um die aufkommenden Tränen zu verbergen.

Grayson Brisbin, Duke of Croydon, nahm etwas Erde aus der Schale zur Hand und warf sie in die Grube auf den Sarg. Weiße Rosen zierten den Sarg, die Lieblingsblumen der Dowager of Croydon. „Lebewohl, Großmutter“, flüsterte er leise und trat zur Seite, um den Weg für eine seiner Schwestern frei zu machen. Celeste, die Älteste der Mädchen, warf eine einzelne Rose ins Grab. Danach folgten der Reihe nach seine übrigen vier jüngeren Schwestern. Neben Celeste warfen auch Eugenie, die Zwillinge Georgina und Valentine und Rosalie, die Jüngste im Bunde, je eine Blume ins Grab.

Die anschließenden Beileidsbekundungen ließ er über sich ergehen und war froh, als sich die Trauergemeinde verstreute. Er bedankte sich bei dem Pastor für die wohlgemeinten Worte, die er gesprochen hatte, obwohl seine Großmutter keine sehr gläubige Frau gewesen war. Die Dowager of Croyden war eine sehr unkonventionelle Frau, Mutter und Ehefrau gewesen. Als nach dem Tod ihres Ehemannes, ihr ältester Sohn, Graysons Vater, den Titel des Duke of Croyden erbte und die Familiengeschicke bis zu seinem Tode erfolgreich leitete, ging dieser Titel nach dessen frühem Tod auf Grayson über. Nach dem Tod ihres Sohnes war die Dowager geradezu unangepasst und hatte jeden Glauben an die Kirche und Gott verloren. Trotzdem war der Pastor ein gern gesehener Gast auf Croyden Manor.

Ihren Mann hatte Beatrice Brisbin früh verloren, ebenso waren ihr Sohn und ihre Schwiegertochter beide an der Grippe verstorben, sodass sie allein für die Erziehung derer sechs Kinder, ihren Enkeln, verantwortlich gewesen war. Nun lag diese Verantwortung auf den Schultern von Grayson.

„Kommt ihr? Es gibt eine Menge zu tun“, rief er seinen Schwestern zu, die sich in den Armen lagen und stille Tränen weinten. Er wartete einige Zeit, bis seine Schwestern endlich bereit waren, das Grab der Großmutter auf dem Familienfriedhof, der direkt neben der kleinen Kapelle lag, zu verlassen. Valentine, neunzehn Jahre alt, warf ihm einen wütenden Blick zu. „Was gibt es denn so Wichtiges zu regeln, dass wir Großmutter nicht mal in Ruhe Auf Wiedersehen sagen dürfen?“, zischte sie ihm zu, raffte ihre Röcke und ließ ihn einfach stehen, ohne eine Antwort abzuwarten.

Celeste erbarmte sich und hakte sich bei ihrem Bruder unter. Er war oft tiefsinnig, fast schon melancholisch, obwohl er mit seinen einunddreißig Jahren, noch viel zu jung dafür war. „Für die Mädchen ist es schwer, dass Großmutter von uns gegangen ist“, erklärte sie mit leiser Stimme.

„Es ist für uns alle nicht einfach. Nun obliegt es mir, auf euch zu achten. Das wird keine leichte Aufgabe.“ Er richtete seinen Blick in die Ferne.

„Ich bin doch auch noch da“, bemerkte Celeste. „Wir alle sind keine kleinen Kinder mehr.“

„Natürlich, aber ich bin der Duke of Croyden und somit nicht nur für meine Schwestern verantwortlich, sondern auch für das Erbe des Titels, den Ländereien und die Pächter. Es ist eine große Aufgabe. Wir müssen uns beeilen, Armstrong wird bald eintreffen.“ Er trieb sie zur Eile an.

„Armstrong, der Anwalt?“, fragte Celeste überrascht nach. „Aber was will er denn?“

„Ich habe keine Ahnung. Nach Bekanntwerden von Großmutters Tod, ließ er mir eine Nachricht zukommen. Ich denke, es wird um das Erbe gehen. Großmutter hat noch eigenes Vermögen, das jetzt vielleicht unter uns Kindern aufgeteilt wird.“

„Aber du hast schon alles geerbt.“ Celeste wollte stehen bleiben, doch Grayson zog sie weiter.

„Großmutter hatte einige Ländereien, die sie von ihrem Vater geerbt hat, dazu den ganzen Schmuck. Es ist alles von beachtlichem Wert und ich denke, sie will es unter ihren Enkeln gerecht aufteilen. Es unterliegt nicht der geregelten Erbfolge. Du weißt doch, wie sie war. Immer ein wenig exzentrisch, aber liebevoll und vorausschauend.“ Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen, dann machte er sich daran, den Weg zum Anwesen fortzusetzen.

Groß ragte das Landhaus vor ihnen auf. Der Eingang von Croydon Manor wurde von vier großen Säulen getragen. Sechs Stufen führten hinauf in das Innere. Das Gebäude war alt und auf einer Seite mit Efeu bewachsen, was im Sommer Schutz vor der Sonne und der Hitze bot, und im Winter durch sein immergrünes Blätterwerk, schützte es vor der Kälte. Das Weiß der Steine war über die Jahrhunderte schon ein wenig ergraut. Große Kastanienbäume zierten die Auffahrt, dessen Laub ab dem Frühjahr mit einem hellen Grün aufwartete. Sie waren immer die Vorboten für einen schönen Sommer. Der Kies knirschte unter Celestes Schuhen und das Herannahen einer Kutsche war zu hören. Neugierig blieb sie stehen und schaute über ihre Schulter.

„Das wird Armstrong sein.“ Grayson machte sich von Celeste frei. „Geh schon mal ins Haus und lass Tee zubereiten.“

„Sehr wohl, Euer Gnaden“, erklärte Celeste, die Graysons befehlenden Ton, als wäre sie eine der Hausangestellten, bereits kannte.

„Die Mädchen sollen sich in der Bibliothek einfinden“, rief er ihr hinterher.

Leichtfüßig lief Celeste die Treppe hinauf. „Eugenie, Georgina, Valentine und Rosalie, wo seid ihr?“, rief sie. Es war nicht einfach, die Mädchen im Auge zu behalten. Sie waren wie ein Rudel Welpen, die ständig etwas anstellten. „Kommt bitte in die Bibliothek, wir erwarten Besuch.“

Lautes Getrampel war im Hausflur zu hören, als die Mädchen die große Treppe hinunterliefen. Ihre Schlafgemächer befanden sich im ersten Stockwerk, die Zimmer der Dienstboten eine Etage darüber.

„Was ist denn los?“

„Wer ist denn der Besucher?“

„Warum müssen wir denn alle kommen?“, riefen die Mädchen durcheinander.

Celeste hob beschwichtigend die Hände. „Nun wartet es doch ab, Mädchen. Ihr werdet es gleich erfahren. Geht in die Bibliothek, setzt euch und bewahrt Ruhe.“

Sie nahm ihren Hut und Umhang ab, reichte es an John, den Butler, weiter. „Danke John. Mr. Armstrong besucht uns. Bitte bringen Sie uns Tee und Gebäck und lassen Sie in der Bibliothek servieren.“

„Sehr wohl Mylady. Ich gebe es sofort weiter.“ Der Butler entfernte sich und Celeste strich den Rock ihres schwarzen Kleides glatt, warf einen kurzen Blick in den Spiegel, um ihr widerspenstiges Haar zu richten. Die Feuchtigkeit des Frühnebels hatte ihre geordneten Locken in eine wilde Frisur verwandelt. Es war kalt, gestern hatte es geschneit, aber der Schnee war nicht liegen geblieben. Dennoch war es eisig, selbst hier im Haus. Sie würde John bitten, die Kamine in den Schlafzimmern schon am Nachmittag anzuzünden, nicht, dass bei diesem kalten Wetter noch jemand krank wurde.

Sie gesellte sich zu ihren Schwestern die aufgeregt schwatzten, doch als sie die Bibliothek betrat, verstummten. Kurz nachdem auch Celeste sich auf einem der edlen Sofas niedergelassen hatte, eine Tasse Tee in der Hand haltend, betraten ihr Bruder und Percy Armstrong den Raum. Alle Augenpaare folgten den Männern. Grayson ließ sich hinter dem schweren Schreibtisch nieder, der Anwalt auf einem Stuhl davor. Er klappte eine lederne Mappe auf und holte ein Schriftstück hervor.

Celeste musterte den stillen Mann aufmerksam. Er war noch nicht sehr alt, höchstens drei Jahre älter als ihr Bruder, nicht besonders groß für einen Mann, aber dafür, dass er die meiste Zeit hinter einem Schreibtisch verbrachte, nicht zu dürr. Verlegen schlug Celeste die Augen nieder, als Mister Armstrong seinen Kopf hob und sie direkt anblickte.

„Myladys, Euer Gnaden“, nickte er in Richtung Grayson. „Ich möchte Ihnen mein tiefes Mitgefühl über den Tod Ihrer Großmutter aussprechen. Als ihr Anwalt obliegt es nun mir, das Testament zu verlesen. Ihre Großmutter hat mich zu Lebzeiten ausdrücklich darum gebeten, es persönlich selbst zu übernehmen.“

„Vielen Dank, Mister Armstrong. Großmutter hat immer mit tiefer Bewunderung von Ihnen gesprochen“, erklärte Celeste und Armstrong nickte ihr wohlwollend zu.

„Können wir anfangen?“, fragte Grayson und erntete damit einen strafenden Blick von Celeste. Ihr Bruder brauchte wirklich ein wenig Nachhilfe, wenn es um den Umgang mit anderen Menschen und deren Gefühle ging. Die Verantwortung drückte nicht nur auf seine Schultern, sondern wohl auch auf sein Gemüt.

Armstrong räusperte sich verlegen. „Die verehrte Dowager of Croydon hat in ihrem Testament verfügt, dass ihr gesamtes Vermögen an ihren ältesten Enkel, Grayson Brisbin, Duke of Croydon, geht.“

Ein Raunen ging durch den Raum. Obwohl die Mädchen damit gerechnet hatten, gab es einige geflüsterte Worte, die erst verstummten, als Armstrong weiter fortfuhr. „Sämtlicher Schmuck geht an die älteste Enkelin, in diesem Fall, Lady Celeste Brisbin. Ihr obliegt, einige der Stücke an ihre Schwestern weiterzuschenken. Allerdings hat die Verstorbene an das Erbe einige Bedingungen geknüpft. So kann der Duke of Croydon das Erbe nur ab dem Zeitpunkt antreten, wenn alle seine Schwestern verheiratet sind. Bei der Hochzeit seiner Schwestern ist jeder Braut eine Mitgift von fünftausend Pfund aus dem Vermögen von Beatrice Brisbin auszuzahlen.“

Eine wahre Welle des Erstaunens schwoll an. Schnell hob Armstrong die Hand. „Mylady’s bitte, ich bin noch nicht fertig“, erklärte er mit ernster Stimme und sah kurz auf, sodass alle sofort verstummten. „Des Weiteren verlangt Lady Beatrice Brisbin, dass ihr ältester Enkel, spätestens ein Jahr nach der Hochzeit seiner jüngsten Schwester, ebenfalls den Bund der Ehe eingeht. Sollte das nicht der Fall sein, wird das gesamte Erbe an das Waisenhaus in Twickenham fallen. Die Nachweise der Eheschließungen sind von mir zu protokollieren und durch die Vorlage der Heiratsurkunden nachzuweisen.“ Armstrong sah auf und schob das Schriftstück zurück in seine lederne Mappe.

Die Mädchen plapperten wild durcheinander, bis Celeste sie zur Ordnung rief.

Grayson blies seine Wangen auf und stieß die Luft langsam aus. „Nun, Großmutter war bekannt für ihren Sinn für Humor.“

Armstrong rückte seine Brille zurecht, die seine Augen künstlich verkleinerten. „Ich denke nicht, dass es als Scherz gemeint ist.“

„Nein, das ist wahrlich kein Scherz“, bestätigte Grayson.

Celeste seufzte und legte die Hände in den Schoß. „Das sind ja wirklich absurde Neuigkeiten.“

„Du musst als Erste heiraten“, rief Eugenie aufgeregt.

„Aber warum denn?“ Celeste sah sie überrascht an. „So steht es nicht im Testament“, verteidigte sich Celeste, die gar nicht einsah, dass sie den Anfang machen sollte.

„Aber wenn du nicht heiratest, können wir nicht debütieren“, wies Georgina sie zurecht. „Und wie sollen wir dann einen Ehemann finden?“

Celeste schüttelte den Kopf. „Nicht jede Frau ist so erpicht darauf, in den Stand der Ehe zu treten.“

„Wir wissen, dass du nicht heiraten willst, Celeste, aber nun bleibt dir nichts anderes übrig, wenn du nicht dafür verantwortlich sein willst, dass Grayson Großmutters Vermögen verliert.“ Rosalie sah sie mit großen Augen an.

„Und du Großmutters wertvollen Schmuck“, fügte Eugenie hinzu.

„Na, das hat Großmutter ja hervorragend eingefädelt. Jetzt sind wir alle nach ihrem Tod ihre Marionetten und aufeinander angewiesen. Ich wette, sie lacht sich in ihrem Grab tot, wenn sie es nicht schon wäre.“

„Celeste! So spricht man nicht über eine Tote.“ Graysons mahnende Stimme gebot ihr Einhalt.

„Ist ja schon gut, bitte entschuldige. Ich bin still.“ Beleidigt senkte sie den Blick und stellte ihre leere Teetasse auf dem Tisch ab.

„Wenn sonst keine Fragen mehr bestehen, werde ich mich jetzt empfehlen.“ Percy Armstrong erhob sich und nahm seine lederne Kladde zur Hand.

Greyson stand ebenfalls auf, reichte ihm die Hand. „Vielen Dank, Mister Armstrong. Wir werden die Trauermonate abwarten und dann werden wir sehen, wie wir dem Testament Folge leisten können.“

„Ich werde mich freuen, wieder von Ihnen zu hören. Euer Gnaden, Myladys.“ Er verbeugte sich in Richtung der Mädchen und verließ mit schnellen Schritten die Bibliothek, ohne den Tee angerührt zu haben, von dem Gebäck ganz zu schweigen, obwohl sich der Duft im ganzen Raum verteilte.

KAPITEL 2

Juni 1850

Croydon Manor/zwischen London

und Saint Albans

Ich bin so froh, dass wir die Trauerkleidung endlich ablegen können und wieder etwas mehr Farbe in unser aller Leben tritt“, seufzte Eugenie ergeben und strich über die Röcke ihres gelben Kleides.

„Wir hätten sie ja schon nach drei Monaten ablegen können, weil Granny nur unsere Großmutter war, aber ich denke, sie war so viel mehr als das und hat es verdient, dass wir ein halbes Jahr um sie trauerten, so wie es bei engen Verwandten üblich ist“, erklärte Celeste und sah von ihrer Stickerei auf. Die beiden jungen Frauen saßen im Garten unter einer großen Kastanie, die ihnen mit ihren breiten Blättern Schutz vor der Sonne bot.

„Jetzt hast du sechs Monate Zeit gehabt, um es dir noch einmal zu überlegen, ob du nicht doch heiraten willst, Celeste“, meinte Eugenie vorsichtig. Das Testament war ein heikles Thema, dem Celeste lieber aus dem Weg ging und bisher jedes Gespräch darüber im Keim erstickt hatte.

Sie hob die Schultern. „Was habe ich denn schon für eine Wahl. Wenn ich mich weigere, werde ich Grayson seine Zukunft verbauen. Nicht nur des Geldes wegen, auch würde ich ihm auf der Tasche liegen. Wie könnte ich so eine Schuld auf meine Schultern laden? Nein, ich habe keine andere Wahl. Ich werde einem armen Tropf da draußen mein Ja-Wort geben und dann bist du an der Reihe.“

Eugenie kicherte. „Ich werde den Mann wählen, der das größte Vermögen hat. Ich will das schönste Haus in London haben und der Welt zeigen, was für eine gute Partie ich gemacht habe.“

„Geld ist doch nicht alles, Eugenie. Stell dir vor, er ist alt und grau. Du solltest auf dein Herz hören. Du willst doch glücklich werden oder etwa nicht?“ Celeste sah sie fragend an und konnte nicht glauben, was ihre Schwester da zum Besten gab.

„Geld macht mich glücklich. Ich will schöne Kleider kaufen und nicht darauf achten müssen, was sie kosten.“

„Deine Mitgift ist groß genug, davon kannst du dir einen ganzen Laden mit Kleidern kaufen.“

„Aber bei meiner Heirat bekommt mein Ehemann die Mitgift und wer weiß, ob er mir davon Kleider kauft. Aua!“ Sie steckte sich den Mittelfinger in den Mund, weil sie sich mit der Nähnadel gestochen hatte. „Grayson will, dass wir einen Ball organisieren. Georgina und Valentine sind schon ganz aufgeregt.“

„Werden sie an dem Ball teilnehmen?“ Celeste hob überrascht eine Augenbraue in die Höhe.

„Grayson meint, je eher sie der Gesellschaft vorgestellt werden, umso schneller finden wir alle einen Verehrer.“

„Das hört sich ja an, als hätte er es eilig. Will er denn auch bald heiraten?“ Celeste war ihr Bruder wie immer ein Rätsel. Obwohl sie alle in einem Haus wohnten, wusste keiner so richtig, was er tat und dachte. „Hast du je gesehen, dass er einer Frau den Hof macht?“ Celeste zog die Stirn kraus und biss sich auf die Unterlippe. „Vielleicht gibt es ja in London jemanden, den er ins Auge gefasst hat.“ Sie seufzte tief. „Ich freue mich schon, wenn wir in zwei Monaten nach London fahren. Das Leben auf dem Land ist so öde.“

Verwundert hob Eugenie den Kopf. „Das sind ja ganz neue Töne. Dir hat es hier doch immer so gut gefallen.“

„Tut es ja auch. Aber langsam beginne ich mich in der Stadt wohler zu fühlen. Wenn ich heirate, werde ich ohnehin in London leben und nicht mehr hier auf Croyden Manor. Obwohl ich es mir gar nicht vorstellen kann, nicht mehr hier zu wohnen.“

„Außer dein Mann schiebt dich aufs Land ab.“ Als Eugenie das erschrockene Gesicht ihrer Schwester sah, begann sie laut zu lachen. „Ach Celeste, ich ärgere dich doch nur. Du wirst bestimmt einen wunderbaren Mann finden, der dich von Herzen liebt.“ Sie erhob sich und schloss Celeste in ihre Arme. „Komm, lass uns schauen, wen wir alles zu dem Ball einladen werden. Die Karten müssen geschrieben werden.“

„Dann sollen uns Georgina, Valentine, und Rosalie aber helfen.“

In der ersten Etage summte es wie in einem Bienenstock. Die Mädchen liefen aufgeregt von einem Schlafgemach ins andere. Hielten Kleider zur Auswahl vor, suchten Haarbänder und Unterröcke, schnürten Mieder zu eng, dass die Luft wegblieb, fanden verschwundene Handschuhe wieder und Blütenblätter, die eigentlich ins Haar gehörten.

„Ich glaube, ich werde hier oben bleiben“, sagte Celeste und blickte in den Spiegel. Sie stand hinter Georgina, die vor ihr saß und etwas Rouge auftrug.

„Aber warum denn? Bist du nicht aufgeregt? Vielleicht triffst du heute auf deinen zukünftigen Ehemann. Das ist doch aufregend.“ Georgina schien sie nicht zu verstehen.

„Georgi, ich habe nicht deine Schönheit. Ich bin nicht so unterhaltsam wie Eugenie oder so belesen wie Rosalie und kann nicht so gut tanzen wie Valentine. Außerdem bin ich mit meinen zweiundzwanzig auch schon zu alt. Meine Chancen sind eher gering, einen ehrbaren Ehemann zu finden. Es ist deshalb keine gute Idee, dass ich zuerst heiraten soll.“

Georgina drehte sich zu ihr um und sah Celeste intensiv an. „Du redest Unsinn. Du hast von uns allen etwas. Du bist sehr unterhaltsam, wunderschön, belesen, und tanzt wundervoll. Dazu bist du noch äußerst intelligent. Das klügste Mädchen, das ich kenne. Warum siehst du das alles nicht?“

„Wer will schon eine intelligente Frau?“, fragte Celeste hoffnungslos.

Ihre Schwester seufzte. „Celeste, ein Mann, der genug Selbstbewusstsein hat, um keine Angst vor deiner Intelligenz zu haben. Du wirst sehen, bald rennen uns die Verehrer die Tür ein. Und jetzt leg noch ein wenig Farbe auf deine Lippen und Wangen. Du bist so blass, dass man denken könnte, dass du krank bist.“

Celeste warf erneut einen Blick in den Spiegel und musste zugeben, dass ihre Schwester recht hatte. Sie sah wirklich etwas blass aus, aber das war der Aufregung geschuldet. Also griff sie zu der Puderquaste und tupfte sie leise seufzend in den Rougetopf.

Der Ballsaal war schon fast überfüllt, so viele Menschen waren der Einladung gefolgt, an dem Sommerball auf Croyden Manor teilzunehmen. Niemand der etwas auf sich hielt, hätte dieses Ereignis verpasst. Es war eine Tradition, dass der Duke of Croyden alljährlich im Sommer ein großes Fest gab. Graysons Vater hatte mit dieser Tradition begonnen und nun setzte er sie weiter fort. Celeste hatte mit ihren Schwestern tagelang an den Einladungen gesessen, die sie per Boten zugestellt hatten. Alle Gäste von Rang und Namen waren erschienen, um die Töchter in Augenschein zu nehmen, die es hieß, alsbald unter die Haube zu bekommen. So kam es Celeste jedenfalls vor. Ihr Blick ging immer wieder zum Eingang und als der Earl of Conteville mit seiner Familie den Raum betrat, atmete sie erleichtert auf. Sie trat auf die Familie zu.

„Lord und Lady Conteville! Wie schön, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind.“ Celeste knickste höflich.

„Celeste, mein Kind, wie hübsch du aussiehst. Mary konnte es gar nicht abwarten, dass wir endlich ankommen.“

Celeste wandte sich ihrer besten Freundin seit Kindertagen zu. „Mary, endlich bist du da.“ Sie deutete einen Kuss auf jeder Wange an. „Ich warte schon sehnsüchtig auf dich.“ Sie nickte James und Jonathan Babington zu, den beiden älteren Brüdern von Mary.

„Ich habe deinen Brief erhalten, das ist ja alles schrecklich“, flüsterte Mary ihr zu.

„Uns tut der Verlust Ihrer Großmutter sehr leid“, erklärte der Earl of Conteville.

„Vielen Dank, Mylord. Granny war alt, aber sie hat bis zum Ende ihren Humor nicht verloren.“ Celeste versuchte sich an einem Lächeln.

„Lass uns ein wenig in den Garten gehen, hier drinnen ist es mir viel zu voll.“ Mary hakte sich bei ihrer Freundin ein und gemeinsam schlenderten sie auf die Terrasse hinaus. Im Garten brannten Fackeln, obwohl die Sonne noch nicht ganz untergegangen war. Einige Gäste nutzen die Gunst der Stunde, um durch die außergewöhnlichen Gärten des Anwesens zu schlendern. Die Dowager of Croyden war bekannt für ihre bemerkenswerten Rosenzüchtungen. Sie hatte eine Menge Zeit damit verbracht, Celeste in die Kunst der Vermehrung und aufwendigen Pflege einzuführen. Sie teilte die Liebe ihrer Großmutter zu den Blumen und würde jetzt nach ihrem Tod ihr Lebenswerk weiterführen.

Mary ließ sich auf einer kleinen Bank nieder und Celeste nahm neben ihr Platz.

„Ich fasse es nicht, dass deine Großmutter verfügt hat, dass du heiraten sollst. Nur gut, dass sie dir den Mann nicht auch vorbestimmt hat.“ Mary schüttelte ungläubig den Kopf.

Celeste seufzte leise. „Es ist ja nicht so, dass ich nicht heiraten will, nur komme ich mir vor, als hätte man einer Gans ein schönes Band umgebunden und würde es damit zur Schlachtbank führen. Wen soll ich denn heiraten? Es gibt keinen Mann, für den ich mich interessiere. Doch wenn ich nicht heirate, dann wird Grayson das Erbe verlieren. Mir sind die Hände gebunden, ich muss mich fügen.“

Mary griff nach ihren Händen. „Oh Celeste, du tust mir so leid. Du könntest doch einen meiner Brüder ehelichen. James ist zwar nicht der Erbe des Titels, aber er erbt einige Ländereien, die meiner Mutter gehören und nicht der Erbfolge unterliegen. Er wird einmal ein sehr reicher Mann sein. James ist freundlich und sehr aufmerksam.“

Celeste blickte ihre Freundin lächelnd an. „Aber Mary, das weiß ich doch. Aber ich kann James nicht zum Ehemann nehmen, es wäre, als würde ich meinen eigenen Bruder heiraten. Wir haben als Kinder zusammen Streiche ausgeheckt. Nein, das ist undenkbar, aber sehr lieb, dass du das in Betracht ziehst.“

„James würde das jeder Zeit für dich tun. Er ist so ein lieber Kerl.“

„Ja, das ist er“, bestätigte Celeste, obwohl ihr klar war, dass James niemals als Ehemann für sie infrage kam.

„Es ist ja nicht so, dass ich in den nächsten drei Monaten verheiratet sein muss. Nur fühle ich mich nicht wohl dabei. Es fühlt sich so an, als ständen wir alle in den Startlöchern zu etwas Ungewissem. Was ist, wenn ich keinen Verehrer finde?“

Mary blickte sie sprachlos an. Ihr Mund stand ein kleines Stück offen. Für einen Moment war es still, dann lachte sie auf. „Mein Gott, Celeste. Das kannst du nicht wirklich glauben. Du bist die schönste Frau, die ich kenne. Jeder Mann, der noch nicht vergeben ist, dreht sich nach dir um. Ich glaube, du hast keine Vorstellung, wie du auf die Männerwelt wirkst. Ich wünschte, ich hätte nur etwas von deinem Charme und deinem Charisma.“

„Was redest du denn da? Jeder beachtet dich und wirft dir charmante Blicke zu“, gab Celeste das Kompliment zurück.

Doch Mary schüttelte den Kopf. „Nein, meine Hüften sind viel zu breit und mein Vorbau ist auch ein wenig zu üppig für meine Verhältnisse. Ich kann von Glück sagen, wenn sich ein Zweitgeborener für mich interessiert.“

Entschlossen erhob sich Celeste. „Wir werden hier nicht im Selbstmitleid vergehen. Komm, lass uns den Ball genießen. Ich habe Lust zu tanzen und die Männerwelt muss ja für etwas gut sein.“

Sie hakte ihre Freundin unter und zusammen betraten sie den Ballsaal, wo der Tanz bereits eröffnet worden war.

Ihr Bruder unterhielt sich mit Peer Audley, Marquis of Goswins. Er bewohnte ein Nachbarhaus in London. Audley war ein junger Bursche und hatte schon den Titel des Marquis‘ geerbt. Wenn Celeste das richtig in Erinnerung hatte, war er drei Jahre jünger als sie selbst. Als die Männer zu ihr blickten, war klar, welches Thema im Raum stand. Celeste sah schnell weg. Grayson sollte es nicht wagen, Audley als möglichen Heiratskandidaten in Erwägung zu ziehen. Er war nicht nur jünger, sondern auch kleiner als sie selbst. Der Marquis of Goswins war kein Mann, der ihr Herz höherschlagen ließ. Ihr wurde übel bei dem Gedanken. Wenn das so weiterging, würden die nächsten Monate die Hölle werden.

„Was ist los, Celeste? Du bist ja ganz blass im Gesicht.“ Mary berührte besorgt ihren Arm.

„Nein, alles ist in Ordnung.“ Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, als er am Eingang hängen blieb. Dort betrat gerade ein Mann den Saal, der Celeste unbekannt war und den sie sicherlich nicht eingeladen hatte. Dieser Mann hatte solch eine Ausstrahlung, an ihn hätte sie sich erinnert, wäre sie ihm schon einmal begegnet oder gar vorgestellt worden, da war sie sich sicher. Aber die Frage blieb. Wer war dieser Mann, der die Treppe zum Ballsaal herunter schritt, als wäre er hier zu Hause?

KAPITEL 3

Juni 1850

Croydon Manor/zwischen London

und Saint Albans

Celeste ließ den Mann nicht aus den Augen, der sich so selbstsicher durch den Raum bewegte, als wäre er der Besitzer von Croyden Manor und alles hier würde ihm gehören. Celeste eingeschlossen. Sie schluckte hart, als sich ihre Blicke trafen. Als würde ein unsichtbares Band sie verbinden, trieben sie in der Menge aufeinander zu und blieben am Rand der Tanzfläche stehen. Die Lichter der Kandelaber warfen kleine Schatten auf sein Gesicht und ließen ihn noch geheimnisvoller erscheinen. Er trug einen leichten Bartschatten, als hätte er es für nicht wichtig erachtet, sich für den heutigen Ball zu rasieren, was Celeste missfiel.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich bei diesem Fest auf etwas treffe, dass meine Neugier weckt.“ Er sprach mit tiefer, ruhiger Stimme, die Celeste ein wohliges Gefühl bescherte, dabei ließ er sie nicht aus den Augen. Sein Teint war dunkler, als es üblich war, so, als würde er sich ständig an der frischen Luft bewegen.

„Ich glaube, wir sollten nicht miteinander sprechen, wir wurden uns noch nicht vorgestellt“, erklärte Celeste leise und blickte sich unsicher um.

„Aber ist das nicht gerade abenteuerlich? Das Unbekannte?“, fragte er und sah sie an. Er lächelte nicht, sondern sah aus, als erwartete er etwas Geistreiches von ihr.

„Mir steht nicht der Sinn nach Abenteuer“, erklärte sie und wollte sich abwenden, doch er hielt sie mit seinen Blicken gefangen.

„Schade. Ich hätte Sie für mutiger gehalten. Wenn Sie sich schon auf dieses Fest wagen. Ich wette, es wimmelt hier von heiratswütigen Gecken, die auf die Töchter des Hauses treffen, die vermutlich aufgetakelt sind wie eine Fregatte, die sich daran macht, in die Neue Welt zu segeln.“

Celeste lachte auf. „Ja, da könnten sie vielleicht recht haben. Aber warum sind Sie auf diesem Ball, wenn ich fragen darf, wo Sie wohl kein Interesse an den Töchtern des Hauses haben?“, fragte sie interessiert nach. Auch wenn sie hätte beleidigt sein müssen, so war sie doch neugierig auf seine Antwort.

„Ich wurde vom Duke of Croyden persönlich eingeladen“, erklärte er und winkte einem Lakaien, der ein Tablett mit Getränken an ihnen vorbei trug. Er nahm zwei Gläser Champagner und reichte eines an Celeste weiter.

„Oh, Sie kennen den Duke persönlich?“, tat Celeste ganz ahnungslos.

„Ja. Wir sind uns vor einem Jahr in einem Club in London begegnet und haben ein gemeinsames Hobby. Nun werden wir daraus ein lukratives Geschäft machen.“

Das war ja interessant. Konnte Celeste so eines von Graysons Geheimnissen lüften?

„Dann sind Sie also gar nicht auf Brautschau? Sind Sie vielleicht schon verheiratet? Wo haben Sie dann Ihre reizende Frau gelassen?“

Er lachte freudlos. „Meine Frau? So etwas suchen Sie bei mir vergeblich. Ich denke nicht, dass ich ein Mann für die Ehe bin. Nein, Sie haben recht, mein Erscheinen hat einen geschäftlichen Hintergrund. Aber warum nicht das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden?“

„Ja, und unter angenehm verstehen Sie, sich die Fregattentöchter des Hauses anzusehen?“, fragte Celeste und trank einen Schluck.

„Nun ja, ich hoffe, Sie sind nicht mit ihnen verwandt und ich rede mich hier gerade um Kopf und Kragen.“

Celeste lächelte und schüttelte den Kopf, als sie Grayson auf sich zukommen sah.

„Spencer, mein lieber Freund. Wann bist du eingetroffen?“ Grayson schüttelte ihm die Hand.

„Brisbin! Ich bin gerade erst angekommen.“

„Das freut mich. Und wie ich sehe, wurdest du bereits in Empfang genommen.“ Grayson warf Celeste ein Lächeln zu.

„Ich hoffe nicht, dass ich in fremden Gefilden gewildert habe?“, erklärte dieser geheimnisvolle Mann mit einem Seitenblick auf Celeste.

„Was? Oh nein“, meinte Grayson mit einem Lächeln. „Celeste ist meine Schwester. Wurdet ihr euch noch nicht vorgestellt? Celeste, das ist mein guter Freund Driscoll Spencer, Duke of Leeds. Driscoll, meine älteste Schwester Lady Celeste Brisbin.“

„Ich bin die Hauptfregatte“, fügte Celeste hinzu und hielt Spencer die Hand entgegen, die er nahm und einen Handkuss andeutete.

„Lady Brisbin“, murmelte er und verlor für einen Augenblick seine kühle Arroganz.

„Wie bitte?“, fragte Grayson neugierig an Celeste gewandt. „Von welcher Fregatte sprichst du?“

„Euer Gnaden war der Meinung, dass deine Schwestern ein Haufen aufgetakelter Fregatten sind. Wir hatten ein sehr aufschlussreiches Gespräch. Aber ich werde mich nun entschuldigen, um einen aussichtsreichen Verehrer zu finden, um in den Hafen der Ehe zu segeln.“ Sie lächelte vielsagend, nickte den beiden Männern zu und machte auf dem Absatz kehrt.

„Mit wem hast du dich denn gerade unterhalten?“ Mary sah sie voller Eifer an.

„Driscoll Spencer, den Duke of Leeds. Er ist ein Freund von Grayson und wurde von ihm persönlich eingeladen. Aber du brauchst dir keine Hoffnungen zu machen“, winkte sie ab.

„Warum nicht? Ist er bereits vergeben?“ Mary blickte wieder hinüber zu den Männern, die sich angeregt unterhielten.

„Schau doch nicht so auffällig dorthin. Nein, er ist alles andere als verheiratet. Er ist kein Mann für die Ehe, das hat er mir gerade ausführlich erklärt. Ein äußerst unfreundlicher und von sich eingenommener Mensch. Ihn würde ich nicht wollen, selbst wenn er der einzige Mann auf der Welt wäre. Er ist hier, um etwas Geschäftliches mit Grayson zu besprechen. Es wird keine romantischen Verwicklungen geben, ich muss dich enttäuschen.“ Celeste breitete den Fächer aus und wedelte sich Luft zu. „Mein Gott, ist es hier heiß.“

„So? Findest du? Oder liegt es vielleicht an diesem äußerst gut aussehenden Mann, dessen Charme und das verwegene Aussehen es dir angetan haben?“ Mary nickte zu Spencer hinüber. „Er ist ungemein groß, findest du nicht. Unter seinem Frack verbirgt sich mit Sicherheit eine gut gebaute Männerbrust.“

„Pssst“, zischte Celeste und blickte sich um, ob auch niemand in der Nähe sie belauschte. „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was sich darunter verbirgt. Was hast du nur für Gedanken?“

„Aber trotzdem tust du es“, urteilte Mary und schmunzelte. Sie blickte erneut zu den Männern und als Grayson ihren Blick kreuzte, sah sie verlegen zur Seite und ihre Wangen färbten sich rot.

Celeste bemerkte es, sagte aber nichts dazu. Sie wusste, dass Mary heimlich für Grayson schwärmte. Das hatte sie schon immer getan, aber nie etwas gesagt. Vielleicht würde sie dieses Geheimnis Celeste irgendwann einmal anvertrauen, doch bis dahin beobachtete sie sie nur und wartete darauf, dass Mary von allein etwas sagen würde.

„Was sind das für Geschäfte über die dein Bruder und dieser Spencer sich unterhalten?“, fragte Mary neugierig.

„Keine Ahnung, das hat er nicht erzählt, aber dem werde ich noch auf den Grund gehen.“

„Lady Celeste. Darf ich um diesen Tanz bitten?“ Peer Audley verbeugte sich vor ihr und sie stöhnte innerlich auf, schenkte ihm jedoch ein Lächeln. „Aber gerne, mein lieber Lord Goswins.“ Sie reichte ihm die Hand und er führte sie zur Tanzfläche.

Das Orchester spielte zu einer Quadrille auf und Celeste war dankbar, dass es kein Walzer war, bei dem Audley sie ständig im Arm halten würde. Trotz ihrer Abneigung musste sie eingestehen, dass Audley ein guter Tänzer war. Wäre er nur nicht einen halben Kopf kleiner als Celeste und dazu auch noch jünger, könnte sie sich vorstellen, seinem Werben nachzugeben, doch so … Sie seufzte innerlich. Etwas, das sie seit dem Tod von Granny oft tat.

Celeste tanzte für ihr Leben gern und machte dabei eine gute Figur. Allerdings fühlte sie sich heute nicht ganz wohl. Sie spürte ein Augenpaar, das sie verfolgte. Als sie durch diverse Drehungen und Wendungen in die Nähe von Grayson kam, sah sie auch, wer sie beobachtete. Es war der Duke of Leeds, der sie nicht aus den Augen ließ. Er sah sie an, als wollte er sie zum Duell herausfordern. Was für ein hochmütiger Geselle. Obwohl er den Titel eines Dukes trug, so war sich Celeste nicht sicher, ob er wirklich adliger Herkunft war. Wenn sie länger darüber nachdachte, war sie sich sogar sicher, dass sein Benehmen, seine Sprache und auch die Bewegungen zu gewöhnlich waren. Als wäre er ein Mann der Straße, der sich einen Titel erschwindelt hatte. Der Schein trügt nicht. Driscoll Spencer barg ein Geheimnis und Celeste war sich sicher, dass sie es lüften würde. Wenn er Geschäfte mit Grayson machen wollte, dann musste sie sichergehen, dass er kreditwürdig war und über einen guten Leumund verfügte. Sie sah in seinen Augen, dass es nicht so war, warum konnte sie nicht erklären, aber sie würde es herausfinden.

Driscoll Spencer hätte nicht gedacht, dass er sich an diesem Abend noch amüsieren würde. Nachdem er die Einladung vom Duke of Croyden erhalten hatte, freute er sich doch mehr darauf seinen Freund wiederzusehen und vielleicht auch die Gelegenheit zu bekommen, noch ein wenig über das Geschäftliche zu reden, als einer Frau Avancen zu machen. Er hatte erfahren, dass Grayson seine Schwestern verheiraten musste, bevor er das Erbe seiner Großmutter antreten konnte. Es war ja nicht so, als wäre er darauf angewiesen. Das Erbe seines Vaters hatte ihm nicht nur den Titel eines Dukes eingebracht, sondern ebenfalls ein beachtliches Vermögen. Aber auch die Dowager of Croyden war eine vermögende Frau gewesen und um an dieses Erbe zu gelangen, musste er dafür sorgen, dass seine fünf Schwestern jeweils einen passablen und ehrwürdigen Ehemann fanden, und am Ende er selbst in den Stand der Ehe trat.

Driscoll hoffte nicht, dass er eingeladen worden war, weil er als einer der Kandidaten in Betracht kam. Allerdings hatte er vermutet, dass die fünf Schwestern alle sehr unansehnlich waren, dass die Dowager zu so einer List hatte greifen müssen, weil es anders keine Möglichkeit gab, die Frauen in den Stand der Ehe zu führen. Aber er lag mit seinen Vermutungen falsch. Nachdem er Celeste und auch ihre Schwestern kennengelernt hatte, obwohl er nicht wusste, wen er da vor sich hatte, musste er feststellen, dass Graysons Schwestern allesamt äußerst hübsch waren. Und Celeste war dazu noch schlagfertig. Hübsch waren ihre Schwestern, alle durch die Bank weg. Aber Celeste, die Älteste, war mit einer außerordentlichen Schönheit gesegnet. Ihr hellblondes Haar fiel ihr in großen Locken über den Rücken. Sie hatte ihn mit ihren dunkelblauen Augen angeschaut, und er hatte das Meer an einem aufgewühlten Tag darin gesehen. Seine vielen Jahre als Kapitän hatten ihn geprägt und er zog immer wieder Vergleiche, die ihn daran erinnerten, dass er die meiste Zeit auf dem Meer verbracht hatte.

Er würde noch einige Tage auf Croyden Manor verweilen und er freute sich schon darauf. Die Tage versprachen pure Aufregung. Es war interessant mitzuerleben, wen Celeste am Ende wählen würde. Vermutlich wurde sie die Ehefrau eines äußerst biederen Kerls, der sie zu Tode langweilte. Schade eigentlich, dass für ihn keine Ehe infrage kam. Es wäre sicherlich ein Erlebnis mit Celeste an seiner Seite. Sofort verwarf er diesen Gedanken wieder. Er hatte sich geschworen, dass er seine Freiheit nicht aufgeben würde und eine Ehefrau zu haben bedeutete, gefangen zu sein. Gefangen an Haus und Herd, an eine Frau, die seinen Freiheitsdrang nicht verstehen würde. Eine Frau auf See brachte Unglück, in seinem Leben ebenfalls. Es gab einen Grund, warum die einzige Frau an Bord nur die Galionsfigur war. Auch wenn er dem Leben auf See den Rücken gekehrt hatte, so blieb er dem Meer immer verbunden und wollte die Aussicht nicht aufgeben, jederzeit wieder in See zu stechen. Wenn auch nur in Gedanken, denn seine Verpflichtungen hielten ihn davon ab.

Eine Frau in einem gelben Kleid kam auf ihn zu und lächelte verschämt, fächerte sich Luft zu. „Ich glaube, gleich ist Damenwahl“, erklärte sie kokett. So aus der Nähe betrachtet, war sie älter, als es schien und ging bereits auf die Vierzig zu.

„Ist das so?“, fragte Driscoll.

Sie nickte beflissen.

„Dann habe ich den Tanz bereits Lady Celeste versprochen. Danke für den Hinweis.“ Er nickte ihr zu, drückte ihr sein Champagnerglas, von dem er nur genippt hatte, in die Hand, und machte sich auf die Suche nach der Dame, die noch nicht wusste, dass er ihr den Tanz versprochen hatte.

Celeste stand bei einer anderen jungen Frau und war umgeben von einigen jungen Männern. Gecken, die den Duft der Mitgift schnupperten.

„Entschuldigung, darf ich um den Tanz bitten, Lady Celeste?“ Er hielt ihr die Hand entgegen.

Er sah, wie überrascht sie wirkte und den Mund öffnete, als wollte sie etwas sagen. Eine Ablehnung stand in ihren Augen. Doch dann bekam sie einen kleinen Schubs, der sie förmlich in seine Arme beförderte, zumindest griff sie nach seiner Hand, um Halt zu finden, und er schloss seine Finger fest um ihre. Nun konnte sie nicht mehr zurück. Ihre Wangen färbten sich vor Verlegenheit rot und er schmunzelte. Sie hatte nicht mit ihm tanzen wollen, doch jetzt gab es kein Zurück mehr.

Das Streichorchester spielte einen Walzer und Driscoll zog Celeste in seine Arme, führte sie gekonnt über das Parkett. Sie war für eine Frau recht groß, passte gut zu ihm. Es kam selten vor, dass er auf eine Frau traf, bei der der Größenunterschied nicht zu sehr ins Gewicht fiel. Sie bewegten sich wie eine Einheit, der Blick in ihre Augen sagte ihm jedoch, dass sie das hier nicht genoss.

„Sie wollten nicht mit mir tanzen, habe ich recht?“, fragte er, beugte sich leicht zu ihr, um ihr ins Ohr zu flüstern.

„Würden Sie an meiner Stelle mit Ihnen tanzen wollen, nach all diesen höflichen Komplimenten, die ich von Ihnen erhalten habe?“

Er schmunzelte. Sie war nicht auf den Mund gefallen und es gefiel ihm, dass sie nicht versuchte, etwas darzustellen, was sie nicht war. „Um etwas klarzustellen, für mich gibt es nichts Schöneres als eine Fregatte.“

Celeste verzog den Mund zu einer kleinen Fratze. „Was sind Sie?“

„Ein Fregattenkapitän.“

Frappiert blickte sie zu ihm auf und kam für eine Sekunde aus dem Takt. „Sie fahren zur See?“, fragte sie verwundert.

„Nicht mehr. Seit ich den Titel meines verstorbenen Cousins geerbt habe, kümmere ich mich um die Ländereien, die zu dem Titel gehören.“

„Oh und seit wann tun Sie das?“

„Seit fast einem Jahr. Ich gebe zu, die See fehlt mir, das Meer und der Tanz auf den Wellen liegt mir mehr, als ein Tanz auf blankem Parkett.“

„Dafür halten Sie sich aber sehr gut“, gab Celeste zu.

„War das jetzt ein Kompliment?“, wollte er wissen und zog sie ein wenig dichter an sich, um einem anderen Paar auszuweichen.

„Ich hätte Sie nicht für einen Mann gehalten, der nach Komplimenten fischt.“

„Das sehen Sie richtig. Ich fische ansonsten Wale oder Schwertfische.“

Als der Tanz endete, sah Driscoll einen Mann auf sie zusteuern und Celeste stöhnte leise auf. „Oh nein“, murmelte sie.

Der Mann hatte Celeste fest ins Auge gefasst, als gehörte sie ihm. Dabei war er in Driscolls Augen eine Witzfigur. Den Kerl würde er am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Er war einen ganzen Kopf kleiner als Celeste und auch viel zu jung für sie. Er hatte nicht wirklich vor, um sie zu werben und sogar zu ehelichen? Sah er denn nicht, wie lächerlich das war? Er sollte sich lieber eine Frau in seiner Liga suchen. Celeste war ihm vermutlich nicht nur körperlich überlegen, sondern auch geistig. Obwohl er kein Wort mit diesem Kerl gewechselt hatte, war Driscoll klar, dass dort nicht viel zu erwarten war. Auf ihn machte er den Eindruck eines langweiligen Mannes, mit einem langweiligen Leben, indem eine Frau wie Celeste, ein einsames Leben führen und welken würde, wie eine Rose ohne Wasser.

„Wie wäre es, wenn Sie mich durch Ihren Garten führen? Ihr Bruder hat erwähnt, dass Sie ein gutes Händchen haben, was die Rosenzucht angeht.“

Celeste sah ihn dankbar an. „Ja, sehr gerne, Euer Gnaden. Dort gelangen wir hinaus.“ Sie wies auf eine der Terrassentüren, die weit geöffnet waren.

Sie wandten sich ab und Driscoll sah aus dem Augenwinkel, dass der Winzling abrupt stehen blieb. Driscoll nahm es mit Befriedigung auf.

„Danke, dass Sie mich vor dem Marquis of Goswins gerettet haben. Ich weiß, dass Ihnen nicht an meinen Rosen gelegen ist, Euer Gnaden“, sagte Celeste, als sie einen Kiesweg im Garten einschlugen und außer Hörweite der anderen Gäste waren.

„Sie verkennen mich, Lady Celeste. Ich interessiere mich sehr wohl für Ihre Blumen, auch wenn ich Sie gerne gerettet habe.“ Er bot ihr den Arm an, damit Celeste sich unterhaken konnte. Die Sonne war bereits untergegangen und die Fackeln, die entlang der Wege aufgestellt worden waren, spendeten nur spärlich Licht, sodass der Kies auf dem Weg nur undeutlich zu erkennen war.

Celeste gab nach und nahm den angebotenen Arm. Sie war ihm wirklich dankbar, denn so wie es aussah, wollte Peer Audley sie erneut um einen Tanz bitten. Er schien wild entschlossen, um sie zu werben und Celeste wusste nicht, wie sie ihm einen Korb geben konnte, ohne ihn ernstlich zu vergrämen.

Sie erreichten den Rosengarten, der von einem kleinen Holzzaun umgeben war und Spencer öffnete das kleine Tor, ließ ihr den Vortritt.

„Diese Rose ist eine besondere Züchtung. Sie trägt den Namen Beatrice, weil meine Großmutter sie gezüchtet hat“, erklärte Celeste und deutete auf einen hellgelben Rosenstamm, der prächtige Blüten trug.

Driscoll schnupperte daran und sah sie enttäuscht an. „Sie riecht gar nicht.“

Celeste lachte leise. „Nein, das tun die meisten Rosen nicht. Ihre Schönheit finden Sie in den Blüten, in ihrem Aussehen und in der Form und Größe ihrer Köpfe, nicht in dem Duft.“

„Gibt es eine Rose, die Ihren Namen trägt?“

Sie nickte. „Ja, die gibt es und sie duftet sogar ein wenig nach Vanille.“ Sie führte ihn tiefer in den Rosengarten hinein, der für den Rest der Gäste tabu war. Vor einer weißen Rose, die an den Spitzen leicht rosa gefärbt war, blieb sie stehen. „Die Belle Celeste. Auch eine Kreation meiner Großmutter.“

Driscoll beugte sich hinunter und roch. „Mhm, sie duftet wirklich, fein und sehr angenehm. Eine außergewöhnliche Rose. Sie gefällt mir und erinnert mich an Sie, Lady Celeste.“

Hitze stieg Celeste in die Wangen. Sie war es nicht gewohnt, dass man ihr Komplimente machte.

„Und welche dieser Rosen ist Ihre Kreation?“ Der Herzog sah sich suchend um.

„Diese hier. Sie ist mein Liebling, weil ich die Farbe sehr liebe.“ Sie deutete auf eine violette Blüte.

„Wirklich eine interessante Farbe. Ein zartes Violett. Wenn ich raten darf, ist ihr Schlafgemach in den gleichen Tönen ausgestattet.“

Verlegen lächelte Celeste. „Ist das so offensichtlich, dass es meine Lieblingsfarbe ist?“ Warum machte er sich Gedanken über ihr Schlafgemach?

Driscoll warf einen Blick auf ihr Kleid und schmunzelte. „Es war nicht schwer zu erraten. Aber Violett steht Ihnen ausgezeichnet und schmeichelt Ihrem Teint, Mylady.“

Erneut ein Kompliment.

„Vielen Dank. Ich denke, wir sollten zurückgehen, man wird uns bereits vermissen.“ Sie wollte gehen, doch er hielt sie auf.

„Warten Sie, Celeste. Sie sollten nicht den ersten Mann nehmen, der Ihnen einen Antrag macht“, sagte er im ernsten Ton.

Sie blickte auf seine Hand, die ihren Oberarm festhielt, bis er sie losließ. „Wer sagt, dass ich überhaupt heiraten werde?“, fragte sie pikiert und verwundert über den abrupten Themenwechsel.

„Weil Sie eine Frau sind, der Pflichterfüllung ins Gesicht geschrieben steht. Sie würden niemals Ihren Bruder im Stich lassen. Also werden Sie heiraten, schon bald, damit die nächste Ihrer Schwestern sich einen Mann suchen kann.“

„Sie sind nicht mein Bruder, Euer Gnaden, daher wüsste ich nicht, warum ich das mit Ihnen besprechen sollte.“

Sie standen im Schatten eines hohen Rosenstamms, deren üppige Blüten sie vor der Sicht der Gäste, die den Weg entlang schritten, schützte. „Ich möchte einfach nicht, dass Sie den falschen Mann heiraten“, raunte er ihr zu.

„So? Und wer wäre in Ihren Augen der Richtige?“, fragte sie herausfordernd.

Driscoll trat näher. „Ein Mann, der aus Ihrem Leben ein Abenteuer macht“, erklärte er ganz nah an ihren Lippen, sodass sie sich fast berührten.

„Ich ziehe es vor, ein Leben in Ruhe und Frieden zu führen.“

Ungläubig sah er ihr tief in die Augen. „Warum glaube ich Ihnen das nicht, Mylady? Ich sehe in Ihren Augen, dass Sie Tristesse verabscheuen, genauso wie Hochmut, Dummheit und Oberflächlichkeit. Ich weiß es deshalb so genau, weil mir dieselben Dinge missfallen. Wir beide sind aus dem gleichen Holz geschnitzt, das können Sie mir glauben, Celeste.“

Er benutzte zum wiederholten Mal ihren Vornamen, was ihr ganz und gar nicht gefiel. „Wir sind nicht gut genug bekannt, dass Sie wissen, was mich bewegt, noch, dass Sie meinen Vornamen benutzen sollten“, sagte sie und wollte an ihm vorbei, doch mit einer schnellen Bewegung, zog er sie in seine Arme.

„Sie haben keine Ahnung, wie gut ich Sie bereits kenne. Und ich freue mich darauf, Sie noch viel besser kennenzulernen“, murmelte er und blickte ihr verlangend auf den Mund. Dann beugte er sich tiefer zu ihr und wenige Sekunden später lagen seine Lippen auf ihren.

Celeste war so überrascht, dass sie im ersten Augenblick stillhielt. Es war nicht ihr erster Kuss. Den hatte sie mit acht Jahren von Jonathan Babington bekommen, doch damals hatte dieser nur kurz ihre Lippen berührt und war dann schreiend weggelaufen. Dass Driscoll Spencer weglaufen würde, stand hier jedoch nicht zur Debatte. Er hatte sie fest im Griff und sie spürte, wie seine Zunge Einlass in ihren Mund forderte. Doch Celeste verbot es ihm. Sie wandte den Kopf und er ließ von ihren Lippen, hielt sie jedoch noch fest.

„Bitte, lassen Sie mich los, Euer Gnaden. Wenn uns jemand beobachtet, ist nicht nur mein Ruf ruiniert. Sie wissen, was davon alles abhängt. Auch der Ruf meiner Schwestern und das Erbe meines Bruders stehen auf dem Spiel. Sie sollten nicht damit spielen, nur um sich einen Spaß daraus zu machen.“ Hilflos sah sie zu ihm auf.

„Ich werde Sie gehen lassen, Celeste, wenn Sie mir sagen, ob Ihnen der Kuss gefallen hat.“ Seine Stimme war tief und nicht so sicher, wie sie erwartet hatte.

Doch was sollte sie antworten? Die Wahrheit? Sie konnte ihm keinesfalls sagen, dass sie von diesem Kuss träumen würde und er ihr sehr gefallen hatte.

„Nein, er hat mir nicht gefallen. Ich mag es nicht, wenn man sich einfach so meiner bemächtigt, und ungefragt einen Kuss stiehlt.“

„Warum glaube ich Ihnen nicht?“, fragte er erneut sanft und strich mit einem Daumen ihre Kinnlinie entlang.

„Weil Ihre Arroganz Ihrer Körpergröße entspricht“, gab sie frech zurück.

Er schmunzelte. „Ich denke, Ihr Selbstbewusstsein ist genauso groß wie meines, Lady Celeste.“ Bevor er sie losließ, drückte er ihr erneut einen Kuss auf die Lippen. „Wir beide werden noch eine Menge Spaß miteinander haben.“ Damit ließ er sie los und gewährte ihr einige Schritte Vorsprung, damit sie den Rosengarten verlassen konnte. Erst als das Haus in Sicht kam, schloss er wieder zu ihr auf, doch Celeste gönnte ihm nicht einen Blick.

KAPITEL 4

Juni 1850

Croydon Manor/zwischen London

und Saint Albans

Celeste war untröstlich, dass Mary mit ihrer Familie noch am gleichen Abend zurück nach London fuhr. Eigentlich verbrachten die Babingtons den Sommer auch immer in Saint Albans, doch das Landhaus wurde zurzeit umgebaut, sodass es keine Möglichkeit gab, dort zu wohnen.

Als sie am nächsten Morgen erwachte, hätte sie Mary gerne erzählt, was sich am Abend zuvor im Rosengarten zugetragen hatte. Doch so musste sie ihr Geheimnis erst einmal für sich behalten. Mit ihren Schwestern konnte sie nicht darüber sprechen, sie würden den Duke of Leeds für einen Verehrer halten und die Situation total falsch verstehen. Celeste seufzte tief. Das musste sie sich unbedingt abgewöhnen, sie hörte sich an wie ihre eigene Großmutter. Sie würde nach dem Frühstück ein wenig im Rosengarten arbeiten, das sollte sie ablenken. Entschlossen rief sie nach Jane, ihrer Kammerzofe, damit sie sich ankleiden konnte.

„Welches Kleid möchten Mylady heute tragen?“, fragte Jane durch die geschlossene Tür.

„Das Roséfarbene. Und dazu die passenden Haarbänder, Jane.“

„Sehr wohl, Mylady.“

Celeste beeilte sich mit der Morgentoilette und Jane half ihr, das Mieder zu schnüren und die Krinoline anzulegen. Dann zog sie die Unterröcke und das roséfarbene Kleid darüber. Es hatte kurze Puffärmel mit Spitzenbesatz und schimmerte glänzend. Die Seide war von bester Qualität. Eigentlich war es viel zu fein, um damit im Garten zu arbeiten, aber aus irgendeinem Grund, über den sie nicht länger nachdenken wollte, wollte sie schön aussehen.

Am Frühstückstisch traf sie auf Rosalie und Valentine. Eugenie und Georgina gehörten zu den Menschen, die gerne lange schliefen und selten vor Mittag aufstanden, was Celeste nicht nachvollziehen konnte. Es gab doch nichts Schöneres, als am Morgen der Sonne dabei zuzusehen, wie sie den Himmel von der Nacht zurückeroberte.

„War es gestern nicht ein wunderschöner Ball?“, fragte Rosalie und biss von ihrem Toast ab.

„Das sagst du doch nur, weil es dein erster Ball war, an dem du teilnehmen durftest“, stichelte Valentine und Rosalie streckte ihr die Zunge heraus.

„Mädchen, bitte, hört auf zu streiten. Ich bekomme davon Kopfschmerzen.“

„Bist du dir sicher, dass es von unserem Streit kommt? Du warst gestern sehr lange mit dem Duke of Leeds im Garten verschwunden“, erklärte Valentine und sah sie erwartungsvoll an.

„Was soll das denn heißen? Der Duke hatte mich gebeten, ihm die Rosen zu zeigen.“ Celeste tat ganz ahnungslos.

„Bei Nacht?“, fragte nun auch Rosalie nach.

„Was wollt ihr denn von mir hören?“ Celeste schüttete Milch in ihren Tee und trank einen Schluck. Als sie die Tasse absetzte, wurde es laut an der Tür und ihr Bruder betrat den Frühstücksraum, gefolgt vom Duke of Leeds. Sofort verstummte das Gespräch der Mädchen.

„Myladys“, begrüßte Spencer die Frauen und nahm Celeste gegenüber Platz, während Grayson sich an das Kopfende des Tisches setzte.

„Ich hoffe, Sie haben in unserem Haus gut geschlafen?“, fragte Celeste höflich, denn die entstandene Stille war mehr als peinlich.

„Als wäre es mein eigenes Bett“, erklärte Driscoll und lächelte sie an.

„Ich hätte nicht erwartet, dass überhaupt schon jemand auf ist, außer Celeste“, sagte Grayson an die Mädchen gewandt.

„Celeste hat Kopfschmerzen, deshalb ist sie schlecht gelaunt“, petzte Rosalie und Celeste verdrehte die Augen.

„Frische Luft soll bekanntlich Wunder wirken. Vielleicht kann ich Mylady bei einem Spaziergang begleiten?“ Der Duke sah sie fragend an.

„Ich hatte vor, nach dem Frühstück auszureiten“, erklärte Celeste, ihr eigentliches Vorhaben verwerfend.

„Das ist eine sehr gute Idee. Ich werde mein Pferd gleich von Ihrem Stallknecht mit aufsatteln lassen“, rief Driscoll erfreut.

„Sie haben Ihr Pferd hierher mitgebracht?“, fragte Valentine überrascht.

Driscoll nickte. „Ja, ich bin zu Pferd angereist. Da ich nicht lange bleiben werde, habe ich auf meinen Kammerdiener verzichtet und nicht die Kutsche genommen.“

„Du hättest auf einem meiner Pferde ausreiten können“, bot Grayson an.

„Du kannst uns ja begleiten“, sagte Celeste voller Hoffnung, doch Grayson machte diesen Vorschlag sofort zunichte.

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe heute Morgen noch zu arbeiten, etwas, was sich nicht aufschieben lässt. Ich danke dir, dass du dich in der Zeit um unseren Gast kümmerst, Celeste.“

Sie nickte und sah hilfesuchend zu ihren Schwestern, doch die lächelten sich nur verschwörerisch an. Von ihnen war keine Hilfe zu erwarten. Hatte sich denn jetzt die ganze Welt gegen sie verschworen?

Celeste ritt eine rotbraune Stute, die ein sanftes Gemüt hatte. Sie hatte das glänzende roséfarbene Kleid gegen ihre Reitkleidung getauscht, und trug nun ein dunkelgrünes hochgeschlossenes Kleid, mit einem kleinen Umhang. Driscoll sah mit seinen engen weißen Reithosen und der schwarzen Jacke über einem weißen Hemd unverschämt gut aus. Sein Pferd war ein edler weißer Hengst von beeindruckender Größe. Ein wahrlich schönes Tier von guter Herkunft.

Sie ritten eine Weile einen schmalen Waldweg entlang, der es nur ermöglichte, hintereinander zu reiten. Am Morgen noch hingen dunkle Wolken am Himmel, doch sie hatten sich bis zum Mittag hin verzogen, und nun strahlte die Sonne an einem endlos blauen Himmel. Sie ritten am River Ver entlang, bis der Pfad sie in ein kleines Wäldchen führte, das ein wenig Schatten bot und herrlich duftete.

„Wo leben Sie, Mylord?“, wollte Celeste wissen und warf ihm über die Schulter einen Blick zu.

Als der Pfad breiter wurde, ritt er neben sie, was eine Unterhaltung einfacher machte, und sie sich in ihrem Damensattel nicht immerzu umdrehen musste. „Mein Landsitz liegt in der Nähe von Chatham, an der Küste. Ich habe der Frau meines Cousins das Stadt- und Landhaus überlassen. Ich wollte eine Witwe nicht auf die Straße setzen.“

Das war sehr rücksichtsvoll von ihm, normalerweise hätte die Witwe die Häuser für den neuen Duke räumen müssen.

„Aber Sie benötigen doch ein Stadthaus, wenn Sie Ihren Sitz im Oberhaus einnehmen wollen.“

Er nickte zustimmend. „Ich werde mir ein Haus in den nächsten Monaten kaufen. Grayson hat mir seine Hilfe angeboten ein angemessenes Anwesen zu finden.“

„Grayson ist immer sehr hilfsbereit.“ Celeste hielt ihr Pferd an, als sie eine kleine Anhöhe erreichten, die den Blick auf Saint Albans freigab.

„Aus Ihrem Mund hört es sich an, als wäre es Ihnen nicht recht.“ Driscoll sah sie skeptisch an und stieg von seinem Pferd, band es an einem Baum fest und klopfte behutsam den Hals des Pferdes. Er drehte sich zu ihr um, nahm ihr die Zügel der Stute ab und band auch diese an dem Baum fest. Um ihr beim Absteigen zu helfen, umfasste er ihre Hüften und hob sie ganz langsam aus dem Sattel, ließ sie dabei nicht aus den Augen.

„Danke.“ Celeste wandte sich ab, um einen gewissen Abstand zwischen sich und Driscoll zu bringen. Seine Präsenz war zu viel für sie, er nahm ihr die Luft zum Atmen, und machte sie ganz schwindelig.

„Sind Sie böse auf Grayson, weil er Sie in diese Lage gebracht hat?“ Er ließ nicht locker, ging hinter ihr her, als Celeste sich dem Bach zuwandte.

„Sie irren sich. Grayson trägt nicht die Schuld an unserer Lage. Es ist Granny und ihr Erbe, das dafür verantwortlich ist. Aber es ist, wie es ist. Wir alle können nichts an der Situation ändern. Meine Schwestern wollen ohnehin lieber gestern als heute heiraten“, gab sie preis.

„Und Sie nicht, Celeste?“, fragte er leise.

Sie drehte sich um und funkelte ihn böse an, weil er schon wieder nur ihren Vornamen benutzte.

„Nein, ich hatte nicht vor, alsbald zu heiraten. Aber nun bleibt mir keine andere Wahl. Grayson trägt einen Titel und muss dafür sorgen, dass auch er bald heiratet, damit er einen Erben zeugt und der Titel in der Familie bleibt. Dem will ich nicht im Weg stehen.“

„Dann brauchen Sie aber bald einen Verehrer, der Ihnen den Hof macht und um Ihre Hand anhält.“

Was er nicht sagte.

„Es gibt Verehrer die mir den Hof machen und charmant sind“, log sie.

„Wen? Den Marquis of Goswins?“, fragte er feixend.

„Oh, Sie sind ein unmögliches Scheusal!“, rief sie aufgebracht und wollte an ihm vorbei, doch er hielt sie fest.

„Warten Sie, Celeste. Ich wollte Sie nicht verärgern, bitte entschuldigen Sie mein Benehmen.“

„Das tun Sie aber, vor allem wenn Sie mir vor Augen halten, welche Chancen ich auf dem Heiratsmarkt habe“, sagte sie wütend und hätte ihm gerne die Augen ausgekratzt. Dieser Mann war unmöglich und sie wollte nach Hause.

„Sie sollten sich nicht einfach einem Mann an den Hals werfen, der charmant ist, und Ihnen den Hof macht.“

Als wenn sie das täte. Celeste schnaufte. „Und dafür lieber einen Kerl, wie Sie einer sind, ungefragt küssen?“ Vor Rage wurden ihre Wangen ganz heiß.

„Ich mag es, wenn Sie so aufgebracht sind, und Ihr wahres Gesicht zeigen. Sie haben Temperament, damit könnte ein Marquis of Goswins gar nicht umgehen.“

„Vermutlich nicht, Sie aber auch nicht.“

„Das sehe ich anders. Ich weiß mit einer Frau umzugehen.“

„Indem Sie sie ungefragt küssen?“ Ihre beißenden Worte machten etwas mit ihm und sein Interesse an ihr, war kaum noch zu verbergen. Seine Augen flatterten kurz und er atmete laut aus.

Er zog sie dichter an seinen Körper. „Sie sollten mich nicht herausfordern, Mylady“, knurrte er.

„Guten Morgen Lady Celeste!“ Eine Reiterin galoppierte an ihnen vorbei und sie winkte freundlich.

Erschrocken trat Celeste einige Schritte rückwärts und wäre beinahe in den Bach gestürzt, hätte Driscoll sie nicht aufgefangen.

„Passen Sie auf.“

„Hilfe!“ Sie ruderte mit den Armen und griff nach dem Erstbesten, dass sie zu fassen bekam. Es war Driscolls Hals und sie presste sich fest an ihn.

„Ich habe Sie. Bei mir sind Sie sicher“, raunte er ihr zu und sie spürte, wie schnell sein Herz schlug. Verwirrt blickte sie zu ihm auf. So aus der Nähe und im Schein der Sonne betrachtet, musste sie zugeben, dass er sehr gut aussah. So männlich und verwegen. Sie konnte sich ihn gut auf einem Schiff vorstellen und die weite Welt bereisen.

„Da bin ich mir nicht so sicher, Euer Gnaden“, flüsterte sie und war nicht in der Lage, ihren Blick abzuwenden. Seine vollen Lippen zogen sie magisch an. Ihr eigenes Herz hämmerte wild in ihrer Brust und sie war sich seiner Nähe sehr bewusst. Als er lächelte, sah er noch schöner aus. Noch nie war Celeste einem Mann begegnet, der so schön war. Sein markantes Kinn trug bereits wieder einen Bartschatten, obwohl er heute Morgen rasiert zum Frühstück erschienen war. Er roch so gut, nach Leder und einer frischen Note, die sie an das Meer erinnerte.

„Wir befinden uns in einer prekären Lage. Wenn uns jemand sieht, könnte man uns schnell für ein Liebespaar halten“, murmelte er.

„Dann sollten Sie mich loslassen, denn ich habe einen Ruf zu verlieren.“ Ihre Worte klangen atemlos, sie war nicht in der Lage, sich zu bewegen.

„Das kann ich aber nicht. Nicht bevor Sie mir einen Kuss gewähren.“ Er sah sie provozierend an.

„Euer Gnaden, Sie wissen …“

Er nickte. „Ja, ich weiß …“, unterbrach er sie und senkte seinen Kopf.

Seine Lippen waren warm und Celeste hat es fast ersehnt, dass er genau das tun würde. Er küsste sie und ihre Arme zogen ihn dichter zu sich. Sie schien den Verstand zu verlieren, sich in aller Öffentlichkeit küssen zu lassen. Jedoch verlor sich Celeste in diesem Kuss. Sie wollte ihn nicht beenden. Sie wollte für immer in seinen Armen liegen und seine Wärme spüren.

Als dumpfe Pferdehufe auf dem Waldweg zu hören waren, ließ Driscoll von ihr ab, aber nicht, ohne sich zu versichern, dass sie fest auf beiden Beinen stand.

Celeste richtete ihre Reitkleidung und ging hinüber zu ihrer Stute, als Grayson in Sicht kam. Sie atmete schwer und musste sich zusammenreißen, damit sie nicht gänzlich die Fassung verlor und mit ihrem Verhalten preisgab, was gerade hier vorgefallen war.

„Grayson!“, rief sie aufgeregt und schob sich eine Haarlocke aus dem Gesicht.

„Wo bleibt ihr denn? Ihr seid schon Stunden unterwegs“, meinte Grayson anklagend, als hätten sie ein Verbrechen begangen.

„Ruhig Blut, mein Freund. Ich habe Lady Celeste gebeten, mir ein wenig die Umgebung zu zeigen. Wir scheinen die Zeit vergessen zu haben“, sprang Driscoll für Celeste in die Bresche.

„Du hattest mich doch gebeten, dass ich mich um den Herzog kümmere“, erinnerte Celeste ihren Bruder. „Warum machst du jetzt so einen Aufstand?“

„Du hast Besuch bekommen“, erklärte er nicht gerade freundlich.

Oh Gott! Bitte lass es nicht den Marquis of Goswins sein, ging es ihr durch den Kopf. „So, wer ist es denn?“, fragte sie vorsichtig.

„Lady Mary Babington“, brummte er.

Ah, daher wehte der Wind. „Oh, und du warst also gezwungen sie an meiner Stelle zu unterhalten. Daher rührt also deine schlechte Laune. Wenn Ihr erlaubt, werde ich vorreiten und mich um meinen Gast kümmern, Euer Gnaden.“ Sie verbeugte sich vor ihrem Bruder und warf Driscoll einen Blick zu, der sich anschickte, ihr aufs Pferd zu helfen. Ohne ein weiteres Wort und froh, der Situation zu entkommen, trieb sie ihre Stute an und ritt davon.

KAPITEL 5

Juni 1850

Croydon Manor/zwischen London

und Saint Albans

Langsam ritten Driscoll und Grayson zurück nach Croyden Manor. Der Duke of Croyden war merkwürdig still und Driscoll fragte sich, woran das wohl lag.

„Ist Lady Mary wirklich so schlimm, dass du die Flucht vor ihr ergreifen musstest?“, fragte er seinen Freund.

Grayson warf ihm einen kurzen Blick zu, zog die Augenbrauen zusammen. „Nein, natürlich nicht. Sie ist …“ Er räusperte sich und ihm war anzusehen, dass er sich bei diesem Thema unwohl fühlte.

„Sie ist was?“, bohrte Driscoll nach.

„Sie ist … eine Frau.“

Der Duke of Leeds lachte laut auf. „Du bist tagtäglich umgeben von Frauen.“

„Ja, aber das sind meine Schwestern, Lady Mary ist anders.“ Er verstummte erneut.

„Und was ist so anders an Frauen, die nicht deine Schwestern sind?“

„Spencer, warum interessiert dich das so genau?“

„Du willst also nicht raus mit der Sprache, daher vermute ich, dass eine Verwicklung dahintersteckt“, mutmaßte Driscoll und lächelte vielsagend.

„Warum bist du eigentlich so lange mit meiner Schwester unterwegs?“ Es war ein jämmerlicher Versuch, das Gesprächsthema eine andere Richtung zu geben.

„Wenn ich dich erinnern darf, hast du Celeste darum gebeten, sich um mich zu kümmern, weil du unabkömmlich warst.“

„Celeste?“ Grayson hob fragend eine Augenbraue.

Driscoll schwieg und sah sich die Gegend an. „Dein Landsitz ist wirklich groß genug, um hier eine Pferdezucht aufzuziehen. Ich denke, du wirst mich als Partner gewinnen können.“

„Ist das so? Oder steckt vielleicht etwas ganz anderes dahinter?“

Der Duke of Leeds versteifte sich. „Was soll denn dahinterstecken? Du hast mir eine Partnerschaft angeboten, nicht umgekehrt.“

„Vielleicht gefällt es dir ja hier auf Croyden Manor so gut, weil dir eine gewisse Frau gefällt?“

Driscoll schmunzelte. „Ist das deine subtile Weise, einen Ehemann für deine Schwester zu sichern?“, fragte er frei heraus und lachte laut auf.

„Celeste wird eine große Mitgift mit in die Ehe bringen. Sie ist nicht ganz unansehnlich und äußerst gebildet. Es könnte dich schlechter treffen.“

Ja, das könnte es. Dennoch schüttelte Driscoll den Kopf. „Es besteht kein Grund, deine Schwester wie ein lahmes Pferd anzupreisen. Ich will dir mal etwas zu deiner Schwester sagen. Diese Frau benötigt keine Mitgift, um einen Ehemann zu finden. Sie ist nicht nur ansehnlich, sondern ausgesprochen schön. Celeste ist hoch intelligent und eine der besten Partien im Land. Sie hat es nicht nötig, dass man sie wie auf einer Auktion anpreist, und sie den Männern zum Bestaunen vor die Nase hält. Sie ist durchaus in der Lage, sich selbst einen Mann auszusuchen. Sobald ihr in London seid, wird es vor Verehrern nur so wimmeln. Du machst dir ganz unnötig Sorgen, mein lieber Grayson.“

Erstaunt hielt Grayson sein Pferd an und blickte Driscoll hinterher, der einfach weiterritt. „Du hörst dich wie ein verliebter Geck an!“, rief er seinem Freund hinterher, der als Antwort nur laut lachte.

Celeste war Mary vor Freude um den Hals gefallen. Sie hatten sich in den grünen Salon zurückgezogen, der nur von den Frauen benutzt wurde. Sie hatten sich auf das große Sofa gesetzt und blickten durch das geöffnete Fenster hinaus in den Garten. Hier hatten sie ihre Ruhe um zu plaudern, sich dem Gebäck zu widmen und an einer Tasse Tee zu nippen.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du heute wiederkehrst?“, fragte sie überrascht.

„Weil Papa mir erst heute Morgen erklärte, dass ich eine Einladung vom Duke of Croyden erhalten habe, den Sommer hier auf Croyden Manor zu verbringen“, erklärte sie erstaunt.

„Was? Mein Bruder hat dich eingeladen?“ Celeste traute ihren Ohren nicht. Konnte das wahr sein? Warum hatte Grayson nichts erwähnt? Dieser Mann blieb ihr ein Geheimnis. Wer konnte schon verstehen, was in Graysons Kopf vorging.

„Und jetzt erzähl mir, was du gestern so lange im Rosengarten mit dem Duke of Leeds getrieben hast“, wollte Mary wissen und griff nach ihren Händen.

„Du auch noch – nichts haben wir getrieben. Wie anzüglich sich das anhört! Wir haben uns über die Züchtungen unterhalten.“

Mary lachte leise. „Und diese Züchtungen haben dir die Röte in die Wangen getrieben und deine Lippen anschwellen lassen?“ Ihre Freundin war wirklich eine gute Beobachterin.

„Was du immer siehst“, murmelte Celeste verlegen und knetete ihre Finger. Dann blickte sie Mary an. „Er hat mich geküsst“, flüsterte sie und wurde schon wieder rot.

„Nein!“, rief Mary laut.

„Doch“, gab Celeste zu und hielt sich einen Finger vor die Lippen. „Nicht so laut, das darf niemand erfahren, hörst du, wirklich niemand.“

Mary nickte verstehend. „Selbstverständlich. Du weißt, dass deine Geheimnisse bei mir sicher sind“, erklärte sie im Flüsterton. „Das ist ja so aufregend. Und wie hat dir der Kuss gefallen? Warst du aufgeregt? Ach, was frage ich, natürlich warst du es. Wer wäre es nicht. Mir ist das Herz bis zum Hals …“, abrupt verstummte sie.

Celeste wurde hellhörig und sah ihre Freundin perplex an. „Du bist auch schon mal geküsst worden?“, fragte sie leise. Mary hatte nie etwas erwähnt.

Ihre Freundin biss sich auf die Unterlippe und nickte. Nun war sie es, deren Wangen sich feuerrot färbten.

„Wer war es und vor allem wann war es?“ Celeste war nicht mehr zu bremsen. Sie wollte es genau wissen. Nicht, dass sie das Werben eines Verehrers annahm, auf den Mary ein Auge geworfen hatte. Das wäre ja schrecklich.

„Ich meine, nicht dass wir beide uns in den gleichen Mann verlieben.“ Celeste griff zu den Händen ihrer Freundin und drückte sie, um ihr Mut zu machen.

„Das wird kaum möglich sein“, hauchte Mary und sah ihr in die Augen.

„Aber warum nicht. Wer hat dich geküsst, Mary?“

Es war ihr anzusehen, dass Mary allen Mut zusammennahm und Celeste in die Augen blickte. „Es war dein Bruder. Grayson hat mich geküsst.“

Während sie sich zum Abendessen fertigmachte, ging Celeste das Gespräch mit Mary nicht mehr aus dem Kopf. Grayson hatte Mary geküsst! Was für eine Enthüllung.

„Wann?“, hatte Celeste wissen wollen.

„Im letzten Sommer. Wir hatten uns auf dem Sommerball gestritten, als er mich plötzlich an sich zog und mir einen Kuss gab. Danach ließ er mich los und rannte davon. Wir haben nie wieder darüber gesprochen“, begann sie zu erzählen.

„Worüber habt ihr euch denn gestritten?“ Celeste wusste noch nicht einmal, dass sie sich überhaupt unterhalten hatten.

Mary hatte die Schultern gehoben. „Ich weiß es nicht mehr. Dieser Kuss, er hat mein Gedächtnis leer gefegt. Ich weiß gar nichts mehr, ich kann mich nur noch an diesen Kuss erinnern.“

„Und hat es dir gefallen? Ich meine, dass es Grayson war, der dich als erster geküsst hat.“

Verlegen hatte Mary den Blick gesenkt. „Du weißt es doch, Celeste. Ich bin in Grayson verliebt, seit ich denken kann. Diesen Kuss werde ich niemals vergessen.“

Ja, da konnte Celeste nur zustimmen. Seinen ersten Kuss vergaß man nicht. Auch sie würde immer an ihren ersten Kuss denken. Driscoll Spencer war eben ein Mann, den man nicht so einfach vergaß. Nicht nur der Kuss würde ihr immer in Erinnerung bleiben.

Celeste lächelte ihrem Spiegelbild zu. Heute Abend hatte sie absichtlich eines ihrer schönsten Kleider angezogen. Ein weißes Kleid, das mit kleinen Rosen bestickt war. Der ausladende Rock ließ ihre Taille besonders schmal erscheinen. Die Puffärmel an den Oberarmen lenkten gekonnt den Blick auf ihre zarten, makellosen, freien Schultern. Sie legte sogar ein wenig Schmuck an, der perfekt in das Gesamtbild passte, und ihre Erscheinung vollendete. Ein paar Diamantohrringe, die sie zu ihrem achtzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und zu ihrem Lieblingsschmuck zählten. Sie hatten ihrer Mutter gehört und sahen wunderschön an ihr aus. Sie atmete angestrengt aus und strich die Falten ihres Kleides glatt. Celeste war nervös und wusste noch nicht einmal warum. Es war ja nicht so, dass Driscoll Spencer um ihre Hand angehalten hätte. Wenn sie jedoch länger darüber nachdachte, würde sie sich wünschen, dass genau so ein Mann, wie er es war, ihr Ehemann würde.

Es klopfte an ihrer Tür und Celeste öffnete. Vor ihr stand Mary, die ebenfalls ein wunderschönes Kleid trug. Es war in Dunkelblau gehalten und mit kleinen Edelsteinen bestickt. Es sah aus wie der Sternenhimmel bei einer klaren Nacht. Marys weizenblondes Haar war hochgesteckt und einige Strähnen rahmten ihr herzförmiges Gesicht ein. Sie war nicht so schlank wie Celeste, aber das tat ihrer Schönheit keinen Abbruch.

„Bist du fertig? Deine Schwestern warten bereits unten.“

„Ja, ich komme sofort.“ Celeste schloss die Tür ihres Zimmers hinter sich und gemeinsam schritten sie die Treppe ins Erdgeschoss hinunter.

In der Halle warteten nicht nur Eugenie, Georgina, Valentine und Rosalie, sondern auch Grayson und der Duke of Leeds. Sie mied seinen Blick, weil sie wusste, dass ihre Schwestern sie genau beobachteten und Mary dazu.

Als sie das Esszimmer betraten, wo eine lange Tafel gedeckt war, hielt Driscoll sie zurück.

„Lady Celeste, Sie sehen heute atemberaubend aus, wenn ich das sagen darf“, raunte er ihr zu.

Sie lächelte und schlug kurz die Augen nieder.

„Leisten Sie mir nach dem Essen noch ein wenig Gesellschaft?“, fragte er und wollte sie nicht gehen lassen, als sie einen Schritt tat.

„Wir werden sehen, was Grayson noch vorhat“, wich sie seiner Frage aus und betrat das Zimmer.

Das Essen fand in einer geselligen Runde statt. Es wurde erzählt, gelacht und sich gegenseitig geneckt. Besonders Driscoll hatte einiges über Grayson zum Besten zu geben, was diesem gar nicht gefiel. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für seine Schwestern. Sie würden ihn noch Tage damit aufziehen, wie er bei einer Wette vom Pferd gefallen war. Alle fanden das lustig, außer Grayson.

„Vielleicht wären ein paar zusätzliche Reitstunden fällig“, erhob Mary ihre Stimme und auch Rosalie meinte: „Was wohl das arme Pferd gedacht haben muss.“

Wieder lachten alle.

Grayson warf Mary einen Blick zu, der ihr sagen sollte, dass es ihm gar nicht gefiel, hier im Mittelpunkt zu stehen, doch sie war ihm keine große Hilfe. Er hatte sie eingeladen, weil ihr Vater erwähnt hatte, dass der Landsitz der Familie Babington gerade umgebaut wurde, und Mary das Leben in der Stadt im Sommer sehr missfiel. Daher hatte er am frühen Morgen eine Kutsche nach London geschickt, die Mary nach Croyden Manor gebracht hatte. So war Celeste ein wenig abgelenkt, redete er sich ein und wusste wohl, dass er sich hier selbst betrug. Er hatte Mary nicht um Celeste Willen hierhergeholt, sondern weil ihm ihr Wohlergehen am Herzen lag. London war im Sommer kaum erträglich und so hatte er sie in seiner Nähe und konnte sie ansehen, wann immer ihm danach war. Er kannte Mary seit sie Kinder waren, und wusste nicht, wann er begonnen hatte, sich für sie zu interessieren. War es seit dem Tag, an dem er sie aus einem Impuls heraus geküsst hatte oder schon viel früher? Er wusste es nicht. In seinen Vorstellungen liebte er sie schon immer. Nur sagen konnte er es niemandem. Sie war neun Jahre jünger als er, doch das war ihm gleichgültig. Einzig, dass sie Celestes beste Freundin war, hielt ihn davon ab, um sie zu werben. Was würde geschehen, wenn seine Liebe nicht erwidert wurde? Es würde das Verhältnis zwischen Celeste und Mary für immer trüben, wenn nicht sogar schädigen. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen. So behielt er lieber seine Gefühle für sich. Nicht einmal Driscoll erzählte er davon. Es war sein Geheimnis, so wie es der Kuss war. Sie waren damals über die Qualität eines Buches in Streit geraten. Mary hatte ihm einfach nicht zustimmen wollen und der Streit war so aus dem Ruder gelaufen, dass er sich nicht anders zu helfen wusste, als sie mit einem Kuss zum Schweigen zu bringen. Er lächelte, als er an diesen Augenblick zurückdachte. Die leichte Röte auf ihren Wangen und wie verlegen sie doch war. Wie wundervoll sie geschmeckt hatte. So süß und zart. Er hatte immer noch ihren Geschmack auf den Lippen, selbst nach einem Jahr. Seither waren sie sich nur einmal begegnet, als Mary Celeste besucht hatte. Doch nun war sie den Sommer über hier in seiner Nähe und er würde dafür sorgen, dass er vielleicht einen Moment finden würde, um mit ihr zu sprechen. Möglicherweise auch über ihren Kuss.

Nach dem Essen, nachdem sie noch einen Mokka getrunken hatten, machten sich alle auf zu einem kleinen Spaziergang.

„Wollen wir fangen im Irrgarten spielen?“, fragte Rosalie aufgeregt.

Alle stöhnten auf.

„Ach kommt schon, das wird lustig. Die Männer müssen die Frauen fangen. Schließlich sind wir gehandicapt mit unseren weiten Kleidern“, erklärte Valentine.

Grayson warf dem Duke of Leeds einen zweifelnden Blick zu. Von ihm war aber keine Hilfe zu erwarten, er hob nur die Schultern und grinste.

„Also gut“, gab Grayson nach. „Die Ladys haben eine Minute Vorsprung.“ Er zog seine an einer Kette befestigte Taschenuhr aus seiner Weste und behielt so die Minute Vorsprung im Auge.

Sofort liefen die Frauen aufgeregt davon. Celeste sah sich im Vorteil, weil ihr der Irrgarten gut bekannt war. Grayson zwar auch, aber Driscoll nicht. Es würde ein Leichtes sein, sich vor ihm zu verstecken. Es gab einige Nischen, in denen sie sich verbergen konnte. Die hohen Buchsbaumhecken waren mehr als acht Fuß hoch und dicht bewachsen. Als sie Schritte hinter sich hörte, lief sie schneller und rannte an der nächsten Ecke in Eugenie hinein, die laut aufschrie und lachte. Eugenie lief in die falsche Richtung und rannte prompt Grayson in die Arme.

„Eugenie ist aus dem Spiel!“, rief Grayson laut.

Das verräterische Kreischen von den anderen Mädchen war zu hören und Celeste lachte auf.

„Rosalie ist aus dem Spiel!“ Das war Driscolls Stimme. Sie war sogar ziemlich nah. Als Celeste Schritte auf dem Kies hörte, versteckte sie sich in einer der Nischen und sah, wie der Duke an ihr vorbeilief. Sie wagte nicht zu atmen, aus Angst, er könnte es hören. Doch er bog um die Ecke, ohne sie zu sehen.

Erleichtert stieß sie den Atem aus, als plötzlich eine Hand von hinten nach ihr Griff. Sie stieß einen grellen Schrei aus, als sich eine Hand über ihren Mund legte. „Nicht so laut, sonst werden wir noch entdeckt“, flüsterte Driscoll ihr ins Ohr. Er hatte sich von hinten durch die Hecke gezwängt und presste sich nun an sie.

„Sie haben mich gefangen, ich bin raus“, sagte Celeste leise.

„Ja, sie sind meine Gefangene, damit haben Sie recht, Celeste. Allerdings gibt es etwas, womit Sie sich wieder freikaufen können.“ Er sprach so leise, dass nur Celeste ihn hören konnte.

Sie konnte sich gut vorstellen, womit sie sich seiner Meinung nach freikaufen konnte, dennoch fragte sie ihn. „Womit?“, hauchte sie atemlos.

„Sie wissen, wovon ich spreche.“

„Einen Kuss?“

„Ja, ein Kuss, wäre ein guter Handel“, gab er zu.

Ohne lange darüber nachzudenken, drehte sie sich in seinem Arm herum, und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Dann wollte sie sich von ihm lösen, doch er hielt sie fest.

„Das war doch kein Kuss“, flüsterte er entrüstet, zog sie an sich und küsste sie erneut. Diesmal nahm er sich, was er wollte. Ihren Mund in Besitz und seine Arme umschlangen dabei ihren Körper. Als jemand an ihnen vorbeilief, hob er seinen Kopf und sah ihr tief in die Augen, bedeutete ihr, sich nicht zu bewegen. Celeste hoffe, dass sie nicht entdeckt wurden. Ihr Herz schlug so schnell und sie hielt den Atem an. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so etwas Aufregendes getan zu haben. Als die Schritte sich entfernen, atmete sie erleichtert aus, und begann zu kichern.

„Das ist wirklich verrückt“, sagte sie atemlos.

Driscoll schüttelte den Kopf und grinste. „Nein, das ist nicht verrückt, das ist ein Abenteuer, Celeste. Wie für uns gemacht.“ Er bog die Zweige auseinander, damit Celeste ihr Versteck verlassen konnte und als sie an ihm vorüberging, drückte er ihr einen kleinen Kuss auf den Hals. „Celeste“, rief er hinter ihr her und sie drehte sich um.

„Ja, Driscoll.“ Sie benutzte zum ersten Mal seinen Vornamen und er kam ihr ganz natürlich über die Lippen, als hätte sie ihn schon hundertfach ausgesprochen.

„Von diesen Abenteuern werden wir noch viel mehr erleben.“ Dann erhob er seine Stimme. „Celeste ist gefangen und aus dem Spiel!“, rief er laut und grinste vielsagend.

KAPITEL 6

Juni 1850

Croydon Manor/zwischen London

und Saint Albans

Grayson hatte Driscoll zu einer Geländebesichtigung eingeladen, an der dieser gerne teilnahm. Er musste aus dem Haus, weg von Celeste Brisbin, die so verführerisch auf ihn wirkte. Dieser Ausritt mit Grayson war da eine gute Gelegenheit, ihrer Sinnlichkeit zumindest für einen halben Tag zu entkommen. Sie waren eine halbe Meile vom Haupthaus entfernt, wo bereits die Ausschachtungsarbeiten für die Pferdeställe in vollem Gange waren und in Sichtweite kamen.

„Guten Morgen, Euer Gnaden!“, rief der Vorarbeiter und schob seine Mütze tiefer in den Nacken. Er blickte aus der Grube, zu den beiden Männern hinauf.

„Guten Morgen, Ward! Wie gehen die Arbeiten voran?“, wollte Grayson wissen.

„Sehr gut, Euer Gnaden. Wenn es so weiterläuft, werden wir Ende der Woche mit den Ausschachtungen fertig sein, und den Boden einbauen können. Dann folgen die Stützbalken.“ Ward wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes über die Stirn. Es war verdammt heiß an diesem Morgen.

„Sehr gut! Ich möchte Ihnen den Duke of Leeds vorstellen. Wir werden gemeinsam das Gestüt betreiben.“

„Euer Gnaden.“ Ward verbeugte sich.

„Ward ist unser Baumeister. Der Beste, den du in England finden wirst“, erklärte Grayson.

„Mister Ward! Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Das sieht nach einer guten Arbeit aus“, erklärte Driscoll und nickte dem Mann zu.

„Vielen Dank, Euer Gnaden. Wir geben uns Mühe.“

Driscoll schwang sich von seinem Pferd und trat an die Grube, nickte den Männern zu, die unter Wards Anweisungen die Erde abtrugen. Grayson gesellte sich zu ihm. „In meinem Arbeitszimmer werde ich dir später die Baupläne zeigen. Hier entstehen die Stallungen, dort eine Reithalle und dahinter“, er zeigte in nördliche Richtung, „wird es einen Dressurplatz geben.“

Driscoll nickte zustimmend und versuchte, sich das alles vorzustellen. Er brauchte eine neue Aufgabe, jetzt wo er nicht weiter zur See fahren konnte. Aber sein Sitz im Oberhaus war zu wichtig, als dass er über Monate abkömmlich war. Es war ein Wink des Schicksals, als sein Freund Grayson ihm von der Idee eines Gestüts erzählt hatte, und dass er noch einen Partner suchte, der sich die Arbeit mit ihm teilen wollte.

„Das Grundstück, das an Croyden Manor grenzt, steht zum Verkauf. Ich trage mich mit dem Gedanken, es vielleicht zu erwerben. Allerdings ist mir der Preis viel zu hoch.“

„Warum wird es verkauft?“, wollte Driscoll wissen.

„Der Baron of Seymour ist verstorben, ohne einen Erben zu hinterlassen. Seine Witwe hat das Land geerbt, und da es keinen weiteren Verwandten gibt, will sie es jetzt verkaufen. Sie will in die Stadt ziehen, aber dort sind die Häuser teuer. Der Baron hat ihr nichts, als das Land hinterlassen. Zu dem Grundstück gehört ein gut erhaltenes Landhaus. Es ist klein, aber sehr schön gelegen, nur hätte ich keine Verwendung dafür. Ich denke, ich werde mich wohl nach einem anderen Grundstück umsehen müssen, dass an die Landgrenze von Croyden Manor grenzt.“

Driscoll hatte interessiert zugehört und in seinem Kopf formte sich eine Idee. „Ich besitze ein Landhaus in der Nähe von Chatham. Es liegt an der Küste, aber unvorteilhaft entfernt von London und Croyden Manor. Wie wäre es, wenn ich es verkaufe und mich hier in Saint Albans niederlasse? Es wäre für alle von Vorteil.“ Er sah seinen Freund fragend an, der lächelnd nickte.

„Ja, weiß Gott, es wäre sehr von Vorteil. Besonders wenn du wieder einmal meine Schwester vermeintlich ungesehen küssen willst.“

Driscoll blickte Grayson verlegen an.

„Ich habe gesehen, wie du Celeste den Weg aus der Hecke zeigtest. Mir war nicht klar, dass du gefallen an ihr finden würdest. Aber dir ist schon klar, dass du sie damit in Gefahr bringst. Wenn euch jemand außerhalb der Familie entdeckt hätte und es Gerüchte über eine Liaison gibt, machst du ihre Chancen auf eine gute Partie zunichte. Celeste ist ein liebes Mädchen und das hätte sie nicht verdient, dass ein Skandal ihr das Leben schwer macht, und sie von der guten Gesellschaft gemieden wird.“

In Gedanken versunken hatte Driscoll den Worten seines Freundes gelauscht und nun nickte er zustimmend.

„Darf ich erfahren, was deine Absichten sind?“, setzte ihm Grayson nun die Pistole auf die Brust.

Sein Blick ging in die Ferne, bis er Grayson direkt in die Augen blickte. „Wenn du hoffst, dass ich deiner Schwester den Hof mache, so muss ich dich enttäuschen. Ich bin kein Mann für die Ehe. Ich lasse mich nicht gerne wegschließen. Celeste ist bei Weitem kein Mädchen mehr, sondern eine sehr verführerische Frau, der ich nicht widerstehen kann.“

„Aber nicht verführerisch genug, um sie vor den Traualtar zu führen. Dann bitte ich dich inständig, dass du dich von ihr fernhältst. Du solltest ihr nicht unnötig Hoffnungen machen, wenn es keine Aussicht darauf gibt. Ich möchte nicht, dass man die Gefühle meiner Schwester verletzt. Wenn wir eine Partnerschaft eingehen wollen, sollte das nicht unsere Beziehung belasten.“

„Das wird es nicht. Ich werde mich von ihr fernhalten. Ich habe einen Fehler gemacht und möchte mich dafür entschuldigen“, sagte Driscoll mit belegter Stimme.

„Noch ist ja nichts geschehen. Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen. So hoffe ich doch.“

Langsam schüttelte Driscoll den Kopf. „Nein, es ist nichts geschehen und wird es auch nicht.“ Er wandte sich ab und wagte es nicht, seinem Freund in die Augen zu blicken, denn so ganz vertraute er seinen Worten selbst nicht.

Celeste und Mary saßen im Garten unter der alten Kastanie und tranken Zitronenlimonade.

„Wollen wir morgen nach Saint Albans fahren? Ich brauche neue Stickgarne“, erklärte Celeste an Mary gewandt, mit einem Seitenblick auf Rosalie. Ihre Schwester hatte sich zu ihnen gesellt, sodass sie kein Wort über Grayson oder Driscoll wechseln konnten, ohne dass es Rosalie auffiel.

„Ja gerne“, erklärte Mary begeistert.

„Nehmt ihr mich mit? Ich möchte mir neue Bänder kaufen und vielleicht auch ein neues Buch.“

Innerlich verdrehte Celeste die Augen, doch sie nickte ihrer jüngeren Schwester freundlich zu. „Natürlich. Du musst nur früh aufstehen. Wir werden direkt nach dem Frühstück aufbrechen.“

Rosalie sprang begeistert auf. „Ich werde Grayson direkt nach ein paar Schilling fragen.“ Sie rannte los, ohne dass Celeste ihr erklären konnte, dass Grayson gar nicht im Haus war. Zumindest ergab sich so für einen Moment die Möglichkeit, mit Mary allein zu sein.

„Hat Grayson mit dir gesprochen?“, fragte Celeste schnell und senkte ihre Stimme. Sie sah sich um, ob auch niemand in der Nähe war. Von ihren Schwestern war keine Spur zu sehen, das machte sie nervös.

Mary schüttelte den Kopf. „Nein, er sieht mich noch nicht einmal an. Ich denke, er hat mich wirklich nur hierhergeholt, um dir einen Gefallen zu tun.“ Sie hörte sich enttäuscht an, doch Celeste wusste, dass sie es nicht so meinte.

Als Mary Celeste anblickte, wurde ihr klar, was sie da gerade gesagt hatte. „Oh Gott, so meinte ich das nicht. Das weißt du hoffentlich.“

Celeste lächelte. „Natürlich, meine Liebe. Ich weiß, was du sagen wolltest. Ich kann dich ja verstehen. Aber Grayson war schon immer ein Mann, der mit seinen Gefühlen hinter dem Berg gehalten hat. Dass er dich geküsst hat, hat mich wirklich sehr überrascht. So etwas hätte ich ihm gar nicht zugetraut.“ Sie lächelte ihre Freundin an und folgte ihrem Blick, der zur Terrasse hinüber ging.

Dort sah sie Grayson zusammen mit Driscoll auf sie zukommen. Sie griff nach ihrem Glas und nahm einen Schluck, Mary tat es ihr gleich. Irgendwie wirkten beide doch sehr verdächtig, mit ihren roten Wangen.

„Warum will Rosalie zehn Schillinge von mir?“, fragte Grayson schlecht gelaunt.

„Hallo, Grayson, dir auch einen schönen Tag. Nimm doch Platz“, sagte Celeste und deutete auf den freien Stuhl neben Mary.

„Ja natürlich, ich wünsche den Ladys einen schönen Nachmittag.“ Er blickte kurz zu Mary, die ihm zunickte.

„Lady Mary, Lady Celeste“, begrüßte Driscoll sie und setzte sich zu Celeste auf die kleine Bank. Bei seiner Größe schrumpfte diese scheinbar auf die Größe einer Puppenhausbank. Celeste rückte ein wenig zur Seite, um ihm Platz zu machen und ihn nicht zu berühren, doch es half nur wenig.

„Ich werde morgen früh mit Mary und Rosalie nach Saint Albans fahren. Ich brauche neue Stickgarne und Rosalie möchte neue Bänder kaufen.“

„Wir können bald selbst einen Laden für Bänder aufmachen“, kommentierte Grayson ihr Anliegen. „Warum bin ich mit fünf Schwestern gestraft?“ Er blickte zum Himmel, als würde er ein Zwiegespräch mit seiner toten Mutter führen.

„Du kannst froh sein, dass du der Erstgeborene bist. Fünf ältere Schwestern wären wesentlich schlimmer. Also höre auf, dich zu beschweren“, erklärte Celeste und Mary lachte leise.

„Ich brauche morgen die Kutsche. Ich will mit Driscoll hinüber zu der Baroness of Seymour“, erklärte er knapp.

„Aha und warum, wenn ich fragen darf?“ Nun war Celeste neugierig. Sie hatte keine Ahnung, was die beiden Männer von der Witwe wollten. Diese war bereits über sechzig Jahre alt und wenn sie es richtig in Erinnerung hatte, wollte sie bald in die Stadt ziehen.

„Ich habe vor, die Ländereien der Witwe zu kaufen. Wie ich gehört habe, soll das Landhaus sehr ansehnlich sein“, erklärte Driscoll.

„Stehen sie denn zum Verkauf?“ Celeste hatte bisher noch nichts davon gehört. Sie blickte weiter zu ihrem Bruder, hatte Angst, dass ein Blick zum Herzog ihre Gefühle offenbaren würde.

Grayson nickte. „Ja, Sie braucht das Geld, um ein Haus in London zu kaufen. Die Preise sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen und der Baron hat ihr so gut wie nichts hinterlassen, außer das Landgut.“

„Aber Sie leben doch in Chatham“, meinte Celeste und sah Driscoll nun doch direkt an.

„Das ist richtig, Lady Celeste, aber ich habe vor, meinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen.“

Diese Nachricht verwunderte Celeste nicht so sehr, wie die Neuigkeit, dass sie plötzlich wieder Lady Celeste war. Etwas hatte sich verändert und sie wusste nicht, was es war. Hatte sie etwas falsch gemacht? Ihn vielleicht beleidigt? War sie gestern zu forsch vorgegangen? Hielt er sie für liederlich, weil sie seinen Kuss erwidert hatte? Tausend Fragen rasten durch ihren Kopf, ohne dass sie sie aufhalten konnte.

„Liegt London von hier aus so viel näher als Chadham?“, wollte Mary wissen.

„Es liegt nicht nur an der Nähe. Driscoll und ich werden ein Gestüt betreiben. Wir werden dafür jeweils einen Teil unserer Grundstücke zur Verfügung stellen.“

„Ein Gestüt? Ihr wollt Pferde züchten?“ Mary war vollends begeistert. Sie war eine passionierte Reiterin und liebte Pferde über alles. Etwas, was sie mit Grayson gemein hatte.

Celeste war überrascht, nicht nur über die Idee, sondern eher darüber, dass Grayson so bereitwillig über seine Geschäfte sprach. Es war nicht seine Art, Ideen mitzuteilen, bevor alles in trockenen Tüchern war. Sie nickte. „Das ist wirklich eine gute Idee.“

„Celeste hast du einen Augenblick für mich, ich würde dich gerne in meinem Arbeitszimmer sprechen.“ Grayson erhob sich.

„Driscoll, leistest du Lady Mary in der Zwischenzeit ein wenig Gesellschaft?“, fragte Grayson seinen Freund, obwohl es weniger als Frage formuliert war.

Driscoll nickte. „Gerne, wenn ich auch ein Glas Limonade bekomme. Die Hitze bringt mich heute um.“

„Aber gerne doch, Euer Gnaden“, erklärte Mary und schenkte ihm ein Glas ein. Er bedankte sich mit einem Lächeln, was Grayson gar nicht zu gefallen schien, wenn man seinen Ausdruck deuten konnte.

Celeste hob ihre Röcke an und begab sich ins Haus, wo es wesentlich kühler war. Jetzt wusste sie, warum von ihren Schwestern nichts zu sehen war, sie hatten sich auf ihre kühlen Zimmer zurückgezogen. Sie fragte sich, was Grayson wohl mit ihr so Wichtiges zu besprechen hatte, dass er es unter vier Augen in seinem Arbeitszimmer tat?

KAPITEL 7

Juni 1850

Croydon Manor/zwischen London

und Saint Albans

Celeste ließ sich vor dem Schreibtisch ihres Bruders nieder, Grayson setzte sich dahinter. Er saß gerade auf dem Stuhl und zog eine Karte aus einem Stapel von Briefen hervor, die auf dem Tisch verteilt lagen.

„Ich habe heute ein Schreiben vom Marquis of Goswins erhalten“, begann er und sofort seufzte Celeste innerlich auf. Sie saß stocksteif da und ließ ihren Bruder weiterreden. „Er bittet mich darin, um dich werben zu dürfen.“

„Nein“, rief sie entschieden und sprang auf die Füße.

„Bitte setze dich, Celeste. Lass uns in Ruhe darüber sprechen.“ Er hob eine Hand.

„Nein, ich weigere mich, diesen … Jungen als meinen Ehemann überhaupt in Betracht zu ziehen.“ Allerdings nahm sie wieder Platz, doch ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.

„Celeste, wir sollten in aller Ruhe das Für und Wider abwägen. Was spricht denn gegen Peer Audley?“, wollte Grayson von ihr wissen. „Er stammt aus einer guten Familie.“

„Ja, das ist richtig, seine Familie ist von tadellosem Ruf. Aber er ist viel jünger als ich“, brachte sie sofort vor.

„Das wird in zehn Jahren niemand mehr bemerken.“

„Er ist viel kleiner als ich.“

„Nun, ich dachte nicht, dass du ein Mensch bist, der sich von Äußerlichkeiten leiten lässt.“

„Ich hege keinerlei Gefühle für ihn, von Liebe mal ganz abgesehen.“

„Als wenn Liebe bei einer Ehe eine große Rolle spielt?“

Celeste stöhnte leise auf. Warum brachte ihr Bruder jedes Mal ein Gegenargument, egal was sie sagte? „Ich habe mich in einen anderen Mann verliebt“, gab sie offen zu und sah ihm eindringlich in die Augen.

Nun verstummte er für einige Sekunden und drehte die Karte des Marquis in den Händen. „Du hast also dein Herz verloren? Ich hoffe an einen Mann, der es auch verdient.“

Celeste wollte etwas sagen, doch Grayson war noch nicht fertig. „Falls es sich dabei eventuell um einen gewissen Herzog handeln sollte, mit dem ich zufällig eng befreundet bin, so muss ich dich enttäuschen. Er hat kein Interesse an dir oder einer deiner anderen Schwestern. Er gehört zu den Männern, die nur ihren Spaß suchen und du solltest dir dafür zu schade sein. Dein Ruf könnte leiden und dir eine Heirat mit einem Mann vereiteln, der wirklich an dir interessiert ist. Es tut mir leid, Celeste, dir diese Nachricht zu überbringen, aber ich halte es für notwendig, bevor es zu spät ist. Auch wenn das Testament uns diese Ehen auferlegt, so will ich, dass du dein Glück findest. Dabei auf den falschen Mann zu setzen, kann dich nur ins Unglück führen. Vermutlich höre ich mich herzlos an, aber ich liebe dich und will dich beschützen, vor allem will ich dich glücklich wissen.“

Celeste musste die Tränen, die sich in ihren Augen sammelten, zurückdrängen. Sie wollte hier nicht vor ihrem Bruder weinen. Dennoch wurde ihr das Herz schwer. Ihr Bruder war nur der Überbringer der Nachricht, er konnte nichts dafür. Sie riss sich zusammen und blickte ihn an. „Danke, Grayson, dass du so ehrlich zu mir bist. Das weiß ich zu schätzen. Dennoch lehne ich sein Werben ab. Den Marquis of Goswins werde ich nicht zum Mann nehmen, und wenn er der einzige Mann auf der Welt wäre. Ich werde einen Ehemann finden, schon bald. Du kannst dich auf mich verlassen.“ Celeste drückte den Rücken durch, verließ erhobenen Hauptes das Zimmer und ihr Stolz stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Selbst nicht von einem Herzog.

In ihrem Schlafgemach richtete sie sich wieder her und erschien zum Abendessen, als wäre nichts geschehen. Rosalie nahm nicht an dem gemeinsamen Essen teil, weil sie Kopfschmerzen hatte.

„Vermutlich hat sie einen Sonnenstich, ich habe ihr gesagt, dass sie lieber im Haus bleiben soll, weil es draußen viel zu heiß war, um im Garten ungeschützt in der Sonne zu sitzen“, erklärte Eugenie und löffelte Rosalies Pudding, den es zum Nachtisch gab.

„Wir haben von den Bennetts eine Einladung zu dessen Ball erhalten, wie jedes Jahr“, erklärte Grayson. „Ich werde wie jedes Jahr absagen.“ Er blickte Celeste an.

„Nein“, sagte sie schnell, „vielleicht sollten wir dieses Jahr daran teilnehmen. Es ist kindisch immer noch an der alten Fehde festzuhalten.“

Sie bemerkte, dass Driscoll sie fragend anblickte, ging aber nicht darauf ein, sah ihn noch nicht einmal an. Sie hatte nun verstanden, was das Lady Celeste zu bedeuten hatte und wusste damit umzugehen. Er hatte sich mit ihr seine Zeit vertrieben, hatte sie dazu gebracht, ihn zu küssen und sich küssen zu lassen. Doch dafür stand sie in Zukunft nicht weiter zur Verfügung. Sie kam sich so dumm und unerfahren vor, aber auch benutzt. Celeste war nur froh, dass niemand jemals davon erfahren würde. Sie war noch einmal davongekommen und das hatte sie Grayson zu verdanken. Nein, sie war nicht böse auf ihren Bruder, sie war ihm sogar sehr dankbar.

„Unsere Mutter und Lady Eliza Bennett, die Ehefrau des Earl of De Lacy, waren beste Freundinnen, bis sie ein Zwist entzweit hat. Seitdem lehnen wir immer die Einladungen gegenseitig ab“, erklärte Grayson in die Runde. „Vielleicht hat Celeste recht und wir sollten die Hand zur Freundschaft reichen. Es ist schon so lange her, dass sich niemand mehr genau daran erinnern kann, was damals vorgefallen ist.“

„Die Bennetts haben vier Söhne, alle in unserem Alter und bestimmt auch auf der Suche nach einer geeigneten Ehefrau“, sagte Valentine und lächelte.

„Vier potenzielle Kandidaten“, sagte Mary und lachte auf, während Driscoll aussah, als hätte er plötzlich fürchterliche Zahnschmerzen.

Nach dem Abendessen begaben sich alle auf ihre Zimmer. Der Tag war lang und heiß gewesen, und niemandem stand der Sinn nach einer weiteren Unterhaltung. Mary hatte bereits ihr Nachtgewand angezogen und ihre Zofe das Zimmer verlassen, als es an ihre Tür klopfte. Das konnte nur Celeste sein, wer sollte sonst an ihre Tür klopfen.

Sie sprang aus dem Bett und öffnete, fuhr erschrocken zusammen, als sie entdeckte, dass es Grayson war. „Euer Gnaden“, hauchte sie erschrocken.

„Lady Mary, darf ich Sie einen Augenblick sprechen?“

„Ja, natürlich.“ Sie öffnete verwirrt die Tür einen Spaltbreit weiter, um ihn ins Zimmer zu lassen.

Grayson schaute nach rechts und links, ob sich auch niemand auf dem Flur befand und trat dann schnell ein, schloss die Tür hinter sich.

Verlegen griff Mary nach einem dünnen Morgenmantel, den sie über ihr Nachtgewand zog. Es war ihr peinlich, dass Grayson sie so sah. Das Haar offen über der Schulter hängend, von einer Frisur weit entfernt, dazu im Nachtgewand und barfüßig. „Bitte entschuldigen Sie, dass ich nicht passend angezogen bin.“

Er selbst trug auch einen Morgenmantel, aber immer noch seine Hosen, Stiefel und das Hemd, das allerdings bis zur Taille offenstand und den Blick auf seine Brust freigab, als wäre ihm zu heiß geworden. „Sie müssen sich nicht entschuldigen, Lady Mary. Ich bin es, der sich entschuldigen muss, Sie zu dieser Stunde aufzusuchen.“ Er strich sich über das Haar, das ein wenig zerzaust war. Eine Locke fiel ihm in die Stirn.

Es juckte Mary in den Fingern, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen, doch sie hielt sich zurück. Ihn zu berühren war ausgeschlossen. Schließlich waren sie kein offizielles Paar.

Sie wartete darauf, dass er sich erklärte, was er so spät noch von ihr wollte, noch dazu in ihren Privatgemächern, doch er sagte nichts.

„Wie kann ich Ihnen helfen? Ist etwas mit Celeste?“, fragte sie daher.

„Was? Nein. Bitte entschuldigen Sie …“ Er entschuldigte sich schon wieder und sah verwirrt aus. „Ich sollte lieber wieder …“ Er drehte sich zur Tür.

Doch Mary wollte nicht, dass er ging. Er hatte wohl allen Mut zusammengenommen, der ihn jetzt im Stich ließ. „Nein, warten Sie, Euer Gnaden“, hielt sie ihn auf. Er hatte bereits seine Hand auf den Türknauf gelegt und sie griff ebenfalls danach. So landete ihre Hand auf seiner. Anstatt sie wegzuziehen, beließ Mary sie dort und schloss ihre Finger darum. „Bitte, sagen Sie mir, warum sind Sie hier.“

„Ich sollte nicht in diesem Zimmer sein“, sagte er, ohne sie anzusehen.

Sie waren sich so nah, dass sie seine Wärme spüren konnte. Ihr Blick ging zu den dunklen Brusthaaren, die unter dem offenen Hemd sichtbar wurden. Wie gerne hätte sie ihn berührt, doch sie wagte es nicht.

Grayson ließ den Türknauf los und die Verbindung ihrer Hände brach ab. „Ich wollte Sie fragen, da der Duke of Leeds und ich morgen die Kutsche benötigen, ob Sie uns zusammen mit Celeste begleiten wollen. Wir könnten zu dem Landhaus der Seymours fahren und danach gemeinsam nach Saint Albans, wenn es Ihnen recht ist. Die große Kutsche ist wesentlich angenehmer bei dieser Hitze.“

Mary lächelte. „Sehr gerne, Euer Gnaden. Es würde mich freuen und ich denke, Celeste wäre auch begeistert.“

Grayson nickte und blickte ihr endlich in die Augen. Er hatte so wunderschöne Augen. Hellblau die zum Rand hin dunkler wurden. Mary hatte noch nie die Gelegenheit dazu bekommen, sie so genau aus der Nähe zu betrachten.

„Bitte nennen Sie mich doch Grayson, wir kennen uns schon so lange“, sagte er plötzlich und hob eine Hand, als wolle er ihr Gesicht berühren, ließ sie dann aber wieder sinken.

„Aber nur, wenn Sie mich Mary nennen“, wisperte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden.

„Mary“, raunte er leise, als wollte er ausprobieren, wie es sich anfühlte, wenn ihr Vorname über seine Lippen kam.

Sie standen sich sehr nah und Marys Blut rauschte nur so durch ihre Adern. Ihre Atmung beschleunigte sich. „Denken Sie manchmal daran?“, fragte sie in die Stille hinein.

Im ersten Augenblick dachte sie, dass Grayson fliehen wollte, doch er blieb an Ort und Stelle, blickte auf sie hinunter. „Denken Sie je daran?“, beantwortete er ihre Frage mit einer Gegenfrage. Er wirkte angespannt.

„Ja, jede Nacht erinnere ich mich daran, wie sich Ihre Lippen auf meinen angefühlt haben“, gab sie zu. „Ich schmecke den Kuss noch heute.“

Grayson schloss für eine Sekunde die Augen, dann lächelte er. Es war ein echtes Lächeln und es sah so wundervoll aus. „Ja, ich kann es auch nicht vergessen. Ich habe Sie also nicht verschreckt?“, fragte er vorsichtig.

Mary schüttelte den Kopf. „Nein Grayson, es hat mir gefallen, dass Sie so mutig waren mich zu küssen, und bedeutet mir immer noch sehr viel.“

Nun hob er erneut eine Hand und strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Was wäre, wenn ich es erneut tun würde?“, raunte er ihr zu.

„Vielleicht sollten Sie es versuchen und schauen, was passiert“, gab sie ihm zur Antwort und lächelte. Sie empfand es als äußerst mutig, ihn quasi dazu aufzufordern.

Er legte seine Hand an ihre Wange und als Mary kurz die Augen schloss, um die Berührung und die Wärme die von ihr ausging zu genießen, umfasste er ihren Nacken und zog sie näher zu sich heran. Dann drückte er vorsichtig seine Lippen auf ihre und küsste sie.

Mary bekam Angst, dass sie sich kindisch anstellen würde oder etwas falsch machte, und wandte ihren Kopf ab.

„Was ist los, Mary?“, wollte Grayson wissen.

Sie atmete schwer. „Ich … wir sollten das nicht tun.“

„Gefällt es Ihnen nicht?“

„Doch“, entgegnete sie sofort. „Nur habe ich Angst, dass ich mich zu etwas hinreißen lassen könnte, was ich später bereuen würde.“

„Natürlich Mary, da haben Sie recht“, murmelte er, bewegte sich aber keinen Deut.

Mary auch nicht.

Er blickte sie an, als könnte er sich nicht an ihr sattsehen.

Vorsichtig hob Mary ihre Hand, als hätte sie Angst, dass eine Bewegung ihn verschrecken könnte. Sie legte ihre Handfläche auf seine nackte Brust. Sie musste ihn berühren, das Verlangen war zu groß. Grayson hielt ganz still. Scheinbar war er nicht in der Lage sich zu rühren. Seine warme Haut fühlte sich angenehm unter ihren Fingern an und sie hätte ihn Stunden so berühren können, doch Grayson räusperte sich verlegen und da zog sie ihre Hand weg.

„Dann sehen wir uns morgen zum Frühstück?“

Was für eine Frage. Natürlich würden sie sich sehen.

Mary nickte. Ihr Hals war wie zugeschnürt und sie traute ihrer Stimme nicht.

„Dann werde ich jetzt gehen. Schlafen Sie gut.“

„Ja.“ Es war nur ein Krächzen, das aus ihrem Mund kam.

Abrupt legte er einen Arm um ihre Hüften und zog sie an sich, drückte ihr einen erneuten Kuss auf die Lippen, den sie mit einem seligen Summen quittierte. Mary schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war Grayson verschwunden, und sie schloss schnell die Tür.

KAPITEL 8

Juni 1850

Watford Hall /zwischen London

und Saint Albans

Die Kutsche hielt vor einem Landhaus, das wesentlich kleiner war als Croyden Manor, aber einen guten und auch sehr gepflegten ersten Eindruck machte. Der hellbraune Stein war nicht verwittert, es schien, als wäre das Haus gerade erst erbaut worden.

Grayson stieg zuerst aus, half den Damen aus der Kutsche. Celeste sah sich neugierig um.

„Es ist schön hier“, gab sie zu. „Komisch, dass wir noch nie hier waren.“

„Der Baron of Seymour hat sich nicht am öffentlichen Leben beteiligt. Es hieß, er war ein merkwürdiger Kauz“, sagte Grayson leise.

Ein älterer Mann trat aus dem Haus und kam auf sie zu.

„Guten Morgen. Mein Name ist Nelson Pope, ich bin der Anwalt von Lady Seymour. Sie hat mich mit dem Verkauf des Anwesens beauftragt und gebeten, Sie hier zu empfangen.“

Grayson stellte alle vor und sie begaben sich ins Haus. Neben Celeste waren auch Mary und natürlich der Duke of Leeds mitgekommen. Rosalie ging es immer noch nicht besser und musste das Bett hüten. Celeste war überrascht, dass Grayson sie gefragt hatte, ob die Damen sie begleiten wollten, und nach dem Besichtigungstermin nach Saint Albans fahren würden. Merkwürdig kam ihr vor, dass Mary anscheinend schon Bescheid wusste. Sie fragte sich nur woher?

Nelson Pope war ein Mann Ende fünfzig, freundlich und kompetent. Er beantwortete alle Fragen, die Driscoll ihm stellte. Die Baroness lebte zurzeit bei ihrer Schwester in London und somit wäre das Haus sofort bezugsbereit. Celeste schaute sich alles in Ruhe an und fand das Anwesen reizend. Es war groß genug, um dort einige Kinder großzuziehen, aber nicht so groß, dass man einen ganzen Hofstaat beschäftigen musste, um es zu betreiben. Wenn sie ehrlich war, würde sie sich hier äußerst wohl fühlen. Vielleicht lag es auch daran, dass Croyden Manor nicht weit entfernt war. Allerdings war es egal, ob es ihr gefiel oder nicht. Sie würde schließlich nicht hier einziehen. Sie würde nichts tun, was mit dem Duke of Leeds zu tun hatte. Das hatte Grayson ihr sehr deutlich vor Augen geführt.

„Schön hier, nicht wahr?“, fragte Mary leise, während die Männer sich in einiger Entfernung unterhielten.

„Ja“, sagte Celeste und nickte. „Ein schönes Landhaus, in dem man einige Kinder großziehen kann.“

Mary lächelte. „Manchmal braucht man nicht viel, um glücklich zu sein.“

„Nein, der passende Ehemann reicht schon aus“, murmelte sie und wanderte zurück in die kleine Halle. Hier gab es die Treppe, die in die oberen Räume führte. Neugierig stieg sie die Stufen empor. Es war alles so sauber und machte nicht den Eindruck, als würde das Haus schon einige Zeit leer stehen. Die Türen standen alle offen, das Tageslicht erhellte die Flure und sie warf einen Blick in das nächstbeste Zimmer. Es war ein großer Raum, der den Blick auf den Garten freigab. Vermutlich das Masterschlafzimmer. Als Celeste sich umdrehte, lehnte Driscoll am Türrahmen und beobachtete sie.

„Wie gefällt Ihnen das Haus?“, fragte er, stieß sich ab und kam langsam auf sie zu.

„Sehr gut. Sie werden hier eine schöne Zeit verbringen“, erklärte sie.

Er blieb neben ihr stehen und blickte auf den Garten hinaus. „Dort kann man einen schönen Rosengarten anlegen.“

Sie nickte und lächelte, doch es erreichte ihre Augen nicht. „Ja, der Platz würde sich dafür anbieten. Sie werden sicher jemanden finden, der ihn für Sie anlegen wird.“

Sie wandte sich zum Gehen.

„Wie wäre es, wenn Sie mir bei der Gestaltung und Pflege behilflich wären?“, fragte er galant.

„Ich denke nicht, dass ich Zeit dafür haben werde. Ich bin schließlich damit beschäftigt, mir einen Ehemann zu suchen und wenn ich ihn gefunden habe, glaube ich nicht, dass er mir erlauben wird, in fremden Gärten zu arbeiten, um meiner Leidenschaft der Rosenzucht nachzugehen.“ Damit verließ sie schnellen Schrittes den Raum, dass ihre Röcke nur so raschelten.

Auf der Weiterfahrt nach Saint Albans diskutierten die Männer über das Für und Wider das Landgut zu kaufen. Grayson empfand den Preis immer noch für zu hoch, Driscoll hingegen hielt die Nähe zu Croyden Manor für sehr komfortabel und dass das Gelände des geplanten Gestüts direkt vergrößert werden konnte.

„Ich denke, du hast dich bereits entschieden, lieber Spencer“, bemerkte Grayson. „Wir brauchen das wohl nicht mehr zu diskutieren. Hinzu kommt, dass ich dich sehr gerne als meinen Nachbarn begrüßen würde. Wer weiß, wer es sonst kauft.“

„Vielleicht der zukünftige Ehemann von Lady Celeste“, bemerkte Driscoll mit einem Blick auf die Felder, die an ihnen vorbeizogen.

„Ich werde ohnehin lieber in London leben“, gab sie hochmütig zurück.

„Du hasst London“, erklärten Grayson und Mary wie aus einem Mund.

Sie hob die Schultern. „Vielleicht beginnt mich das Landleben zu langweilen. Ein wenig Zerstreuung täte mir gut.“ Sie hasste sich für diesen Satz, denn es sprach nicht Celeste aus ihr, sondern eine Frau, die sie gar nicht war. Doch ihr verletzter Stolz ließ einfach nicht zu, dass sie zugeben wollte, wie sehr ihr Watford Hall gefallen hatte. Sie wünschte sich, eigenes Geld zu besitzen, um es selbst zu kaufen.

Mary, die in der Kutsche neben ihr saß, seufzte leise. Wenn sie doch nur mit ihrer Freundin sprechen konnte. Doch sie schämte sich zu sehr, um ihr von dem Gespräch mit ihrem Bruder über die Zurückweisung durch Driscoll zu berichten. Vielleicht würde sie diese Scham überwinden können, doch im Augenblick war sie noch zu sehr gekränkt und wollte daran einfach nicht erinnert werden.

„Ich will Rosalie ein Buch mitbringen, wenn sie schon nicht mitkommen konnte. Möglicherweise hebt das ihre Stimmung und lindert ihre Migräne“, erklärte sie, um das Thema zu wechseln.

„Ich dachte, sie wollte neue Bänder“, erwiderte Grayson.

„Sei nicht immer so knauserig. Wir können ihr passende Bänder und ein Buch mitbringen. Das wird dich wohl kaum an den Bettelstab bringen.“ Celeste warf ihrem Bruder einen bösen Blick zu.

Sie hielten vor dem Laden einer Modistin, wo es auch hübsche Bänder gab und Celeste und Mary schwelgten einige Zeit in der Bewunderung neuer Kleider und Hüte, die es dort zu kaufen gab.

Während Mary ein neues Ballkleid anprobierte, bestaunte Celeste ein Kleid in der Ausstellung. Es war eine zarte Kreation mit mehreren Lagen von Tüllröcken in einem zarten Violett.

„Es ist gerade erst aus Paris geliefert worden. Möchten Sie es anprobieren?“, fragte die Schneiderin, als sie sah, dass das Kleid Celestes Interesse geweckt hatte.

„Oh nein, es ist zwar wunderschön, aber nicht ganz mein Stil“, lehnte sie mit einem Lächeln ab und kaufte stattdessen die Bänder für ihre Schwester.

„Möchtest du das Kleid wirklich nicht mal anprobieren?“, raunte Driscoll ihr zu, während sie auf Mary wartete und Grayson die Bänder bezahlte.

„Nein danke“, lehnte sie wortkarg ab. Ignorierte, dass er einfach zum Du überging.

„Ich würde es dir gerne schenken.“

Entschlossen schüttelte Celeste den Kopf. „Das kann ich niemals annehmen. Aber vielen Dank für das Angebot.“

Endlich erschien Mary mit einem hellgrünen Kleid über dem Arm. Zu Celestes Verwunderung beglich auch Grayson die Rechnung für das Kleid. Er schien also doch nicht so geizig zu sein, wie Celeste stets vermutete. Es gab Seiten an ihrem Bruder, die sie immer wieder in Staunen versetzte.

Im Bookstore stöberte Celeste eine ganze Weile lang, bis sie das richtige Buch für Rosalie fand, dass sie ihr gerne mitbringen wollte. Mittlerweile war es schon später Nachmittag, als sie endlich wieder auf Croyden Manor ankamen. Celeste ließ Tee und Gebäck im Salon servieren, während sie Rosalie ihre Einkäufe aufs Zimmer brachte. Eugenie war eingeschnappt, weil man sie nicht eingeladen hatte, sie zu begleiten.

„Es waren leider alle Plätze in der Kutsche besetzt“, erklärte Celeste. „Aber wir werden bestimmt bald wieder in die Stadt fahren und dann wirst du mitfahren können“, vertröstete sie ihre Schwester. „Hast du Lust, den Tee mit uns im Salon einzunehmen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Wenn ihr mich eh schon nicht mitnehmt, habe ich auch keine Lust auf einen gemeinsamen Tee“, erklärte sie, wie ein trotziges Kind.

„Eventuell überlegst du es dir noch anders“, meinte Celeste und verließ Eugenies Zimmer.

Bis zum Abendessen hatte sich Eugenie wieder beruhigt und auch Rosalie hatten die schönen Bänder und das neue Buch wieder auf die Beine gebracht.

„Was haltet ihr alle von einer Partie Croquet, wenn ihr euren Mokka getrunken habt?“, fragte Georgina in die Runde.

„Sehr gern, nur wird uns heute Abend das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen.“ Driscoll deutete zu den Fenstern, hinter denen sich der Himmel verdunkelt hatte, als wäre es bereits später Abend.

„Das sieht nach einem starken Gewitter aus“, meinte Grayson besorgt. „Wir sollten John bitten, dass er dem Stallburschen Bescheid gibt, sich um die Pferde zu kümmern, nicht, dass sie noch ausbrechen und davonrennen.“

„Unter diesen Umständen und damit es schneller geschieht, sollten wir uns selbst darum kümmern“, schlug Driscoll vor.

Grayson nickte. „Ja, Hadley ist ein fähiger Mann, aber er kann Hilfe sicherlich gebrauchen.“

Die Männer erhoben sich.

„Bitte seid vorsichtig“, murmelte Mary und Grayson nickte ihr zu.

Da Celeste ihr einen überraschten Blick zuwarf, nahm Mary verlegen ihre kleine Tasse auf und trank einen Schluck. Die Mädchen erhoben sich ebenfalls und begaben sich zu den Fenstern, um sich das Schauspiel anzusehen. Der Wind war bereits aufgefrischt und wirbelte Blätter und Zweige durch die Luft.

„Meine Rosen“, murmelte Celeste nachdenklich. Die zarten Blüten würden im Wind abknicken.

„Dann werden wir wohl auf unsere Zimmer gehen“, meinte Georgina enttäuscht und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Kajsa Arnold
Bildmaterialien: © Eli77 by Getty Images © ziggymaj by Getty Images © silmen by Getty Images
Cover: Andrea Wölk
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2022
ISBN: 978-3-7554-2133-7

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