Kajsa Arnold
4 Farben Platin
Rhys by night
Teil 2
4 FARBEN PLATIN
RHYS BY NIGHT
KAJSA ARNOLD
Deutsche Neuausgabe
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise,
nur mit Genehmigung
1. Auflage
Covergestaltung: Andrea Wölk
Unter Verwendung folgender Fotos:
© Cat back G - Adobe Stock
Tresjoli, Lutherstr. 16, 46414 Rhede
www.kajsa-arnold.de
INHALT
Zitat
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Weitere Bücher
Du und ich:
Wir sind eins.
Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen.
Mahatma Gandhi
1
Mit müden Augen starre ich seit geraumer Zeit auf den Bildschirm meines Laptops und blicke auf einen Zeitungsartikel, der über das Kinderheim St. Francis veröffentlicht wurde. Ich habe einen Bericht zum 50-jährigen Be-stehen gefunden, auf dem alle Kinder abgebildet sind. Das Foto ist ein typisches Zeitungsbild, Schwarz-Weiß, von schlechter Qualität, doch ich glaube Elijah zu erkennen, zwar etwas jünger, aber unverkennbar sein Gesicht.
Es ist drei Uhr nachts und ich sitze in dem Appartement von Rhys Cunninghams persönlicher Assistentin. Ja, ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, New York zu verlassen und Elijah am kommenden Sonntag zu versetzen. Doch insgeheim bin ich mir nicht sicher, ob das der einzige Grund ist, denn genauso wenig bringe ich es übers Herz, den Verlobungsring, den Rhys mir an den Finger gesteckt hat, abzunehmen. Obwohl es mehr als einen triftigen Grund dafür gibt.
Wenn ich diesen Ring abstreife, dann habe ich das Gefühl, als gäbe ich Rhys auf, genauso, wie ich beinahe Elijah aufgegeben hätte, dabei will ich weder den einen noch den anderen verlieren. Genauso wenig wie Alex, meinen Bruder. Er und Rhys sind Geschäftspartner, und es sieht so aus, als könne ich den einen nicht behalten, ohne den anderen aus meinem Leben zu streichen. Dabei wäre es fatal, wenn sie meinetwegen alles aufs Spiel setzen würden, was sie viele Jahre aufgebaut haben. Nur, weil sie in einen Streit über mich geraten sind. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass gerade ich der Grund für ihre Trennung sein soll. Warum wird mir der Schwarze Peter zugeschoben, obwohl ich gar nicht spielen wollte?
Nervös drehe ich an meinem Ring. Er ist aus Platin und besitzt vier Diamanten, für jede Himmelsrichtung einen. Wunderbar schlicht, sehr wertvoll. Ich will gar nicht wissen, was Rhys für diesen Ring ausgegeben hat, wichtig ist nur, dass er den gleichen trägt, wenn er ihn nicht schon längst abgenommen und in die Kanalisation hinuntergespült hat.
Es wäre denkbar, denn bei Rhys hält keine Beziehung länger als ein paar Wochen. Außer mit Chris, dem Callgirl. Nun, ob man da von einer wirklichen Beziehung sprechen kann, ist fraglich. Jedoch löst schon ihr Name in mir Reaktionen aus, die dem Wort Eifersucht eine ganz neue Dimension geben. Ich mag sie nicht und bezweifle, dass ich sie je mögen werde. Sie und Rhys verbindet etwas, was uns bisher verschlossen blieb, und das nagt an mir, frisst sich wie ein Geschwür durch meinen Kopf. So, wie die Dinge zwischen mir und Rhys stehen, brauche ich mir aber nun keine großen Gedanken mehr zu machen, dieser Person noch einmal über den Weg zu laufen.
Nachdem ich erkannt habe, welches falsche Spiel Rhys mit mir spielt, sehe ich keine Zukunft mehr für eine Partnerschaft mit ihm. Wer die Frau, die er angeblich liebt, durch einen Privatdetektiv bespitzeln lässt, dazu noch alle Menschen in deren Umfeld, muss damit rechnen, dass dieser Schuss nach hinten losgeht.
Entschlossen klappe ich den Deckel des Laptops zu. Mein Entschluss steht fest: Ich werde meine Stelle nicht kündigen und New York auf keinen Fall verlassen. Was Rhys Cunningham betrifft, bin ich mir nicht sicher, ob ich ihm jemals verzeihen kann, doch eines steht fest – heiraten werde ich ihn nicht.
Der Schlaf übermannt mich kurz vor fünf, und als der Wecker um sechs schrillt, fühle ich mich, als müsste ich die Last der Welt tragen. Müde quäle ich mich unter die Dusche, ziehe mich an. Mrs Connor hat wirklich nicht viel in meinem Schrank gelassen, als sie vor ein paar Tagen meine Garderobe auf Rhysʼ Wunsch in sein Appartement brachte. Nun, ich werde mir die Sachen natürlich zurückholen. Es ist nicht mehr damit zu rechnen, dass ich bei Rhys übernachte und neben ihm aufwache.
Ich wähle einen schwarzen Hosenanzug mit dunkelgrünem Top. Nur kein Blau, wie Rhys es so bevorzugt. Warum er diese Farbe so bevorzugt, kann ich nicht sagen. Klar, sie passt gut zu seinen Augen, doch ich vermute mehr dahinter.
Ich zwinge mich zu einem Toast, auch wenn ich kaum Hunger verspüre. Doch ich brauche Energie, um den Tag zu überstehen, Kraft, um Rhys Cunningham die Stirn zu bieten. Er war klug genug, mich vollkommen in Ruhe zu lassen, nachdem ich so voller Zorn das Lokal verließ, in dem er das absurde Treffen mit Hunter inszenierte. Doch gleich werde ich ihm begegnen, das wird sich nicht vermeiden lassen.
Ich weiß nicht, wo Rhys die Nacht verbracht hat. Vielleicht bei Chris, seiner Callgirl-Freundin? Vielleicht im Büro? Es ist mir egal. Möglicherweise ist er sogar in sein Appartement zurückgekehrt. Es liegt genau neben meinem, mit wenigen Schritten hätte er zu mir kommen können, aber zum ersten Mal, seit ich hier wohne, habe ich die Tür zwischen unseren exklusiven Wohnungen verschlossen. Dasselbe werde ich nun auch mit meinem Herzen tun. Rhys werde ich dazu keinen Zugang mehr erlauben. Ich vertraue ihm nicht mehr.
* * *
Um Viertel nach sieben betrete ich die Chefetage der CuDa LLC, in der ich seit einigen Wochen arbeite. Und genauso lange fahren meine Gefühle mit mir Achterbahn, denn Rhys hat von der ersten Sekunde an klargemacht, dass er mich will. Als seine Bettgespielin.
Eigenartig, aber an den Moment, von dem aus es mehr wurde, erinnere ich mich kaum noch. Vielleicht, weil große Intensität nicht gleichbedeutend ist mit ehrlichen und großen Gefühlen? Ich brauche Vertrauen, Offenheit und Liebe und das ist etwas, was Rhys nicht bereit ist, in die Waagschale zu werfen. Er hat viele Geheimnisse und traut niemandem, nicht einmal mir, der Frau, die er vorhatte zu heiraten. Natürlich braucht jede Beziehung Zeit, damit sie sich entwickeln kann, doch ich bin mir sicher, ich könnte Rhys alle Zeit der Welt geben - die Art von Vertrauen, die mir vorschwebt, wird er mir niemals schenken können. Denn er traut sich selbst nicht und somit ist der Nährboden für Misstrauen und Zweifel bereitet. Etwas, das sich vermehrt wie wucherndes Unkraut.
Die anderen Büros sind noch nicht besetzt, auch der Empfang, an dem Abigail arbeitet, ist noch ver-waist. Ich mache mich an die Arbeit, eine Kostenaufstellung zusammenzustellen, um das St. Francis mit in das Sonderprogramm für bildende Künste der Cun-ningham Stiftung aufzunehmen, für die Rhys fünfhunderttausend Dollar zur Verfügung gestellt hat. Wenn ich es klug anstelle und wir Kosten einsparen, könnte ein zweites Heim mit in die Förderung aufgenommen werden. Dazu brauche ich Informationen, was im St. Francis benötigt wird. Obwohl es noch früh ist, rufe ich Schwester Gabrielle, die Leiterin des Heims, an und vereinbare mit ihr ein Treffen am nächsten Morgen.
Danach geht es mir besser. Der Alltag hat mich wieder, ich sehne mich nach Normalität, aber auch nach Ablenkung. Die rückt ein Stück näher, als wenige Minuten später Abigail mein Büro betritt und mich fragt, ob ich am Abend mit ihr durch die Clubs ziehen will. Ein reiner Mädelsabend mit zwei ihrer Freundinnen.
Ja, warum eigentlich nicht? Ich muss mir keine Gedanken mehr machen, ob es Rhys recht wäre, oder ihn gar darüber informieren. Tatsächlich wäre heute der Tag gewesen, an dem wir nach Las Vegas fliegen wollten, damit ich seine Frau werde. Nun werde ich stattdessen sehen, was New York zu bieten hat.
Abigail verlässt lachend mein Zimmer, als Rhys an meiner Tür vorbeigeht. Er hält kurz inne, beschließt dann aber wortlos, in sein Büro zu verschwinden. Soll mir nur recht sein, doch kurz darauf klingelt mein Telefon und Abigail bittet mich, zu Rhys zu kommen.
Als ich mich aufmache, hinüberzugehen, hebt sie, am Empfang sitzend, die Schultern. Ihr ist auch nicht klar, warum Rhys mich nicht selbst angerufen hat.
* * *
Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und ist in ein Dokument vertieft, als ich das Büro betrete. Sein Blick ist sehr konzentriert, die schwarzen Haare sind wie immer aus dem Gesicht gekämmt, wobei eine vorwitzige Locke in seine Stirn fällt. Der Raum riecht nach seinem Rasierwasser. Als ich ihn so vor mir sehe, könnte ich mich sofort in seine Arme werfen und ihn bis zur Besinnungslosigkeit küssen. Ich kann förmlich seine Hände auf meinem Körper spüren und meine Haut fängt augenblicklich an zu glühen. Doch ich bleibe, auf Abstand bedacht, an der Tür stehen und warte geduldig.
»Du wolltest mich sprechen?«, frage ich, als er endlich aufblickt und mich ansieht.
Er nickt. »Setz dich, bitte.«
Ich trete näher an seinen gewaltigen Schreibtisch. »Wenn es nicht lange dauert, bleibe ich lieber stehen.«
»Unser Gespräch wird etwas Zeit in Anspruch nehmen«, sagt er, tippt auf seinen Bluetooth Stick am Ohr und bittet Abigail, uns in der nächsten Stunde nicht zu stören, dann erhebt er sich und kommt um den Schreibtisch herum. »Bitte, nimm auf dem Sofa Platz.«
Ich setze mich auf die Couch, in die äußerste Ecke, und habe schon Angst, dass er neben mir Platz nimmt, doch er entscheidet sich für das Sofa an der gegenüberliegenden Wand, sodass ein niedriger Tisch uns trennt. Das verschafft mir etwas Luft zum Atmen, denn Rhys gelingt es mit nur einem Wimpernschlag, meinen Puls rasen zu lassen.
Doch er ist ganz im Boss-Modus, distanziert freundlich.
»Ich habe nicht erwartet, dich heute Morgen hier anzutreffen«, gibt er zu und legt nachdenklich die Fingerspitzen aneinander. Er ist nervös. Zwar ist er äußerlich der coole Geschäftsmann, doch sein unruhiger Blick und seine Gestik sind mir bekannt, ich kenne seine Körpersprache und die signalisiert mir, dass er vorsichtig ist. Wie ein Tiger, der skeptisch seine Beute umrundet.
»Das ist mein Job.«
»Du hast dich aber mit dem Gedanken getragen, nach Frankfurt zu fliegen.« Es ist eine Feststellung, keine Frage, daher denke ich, dass er weiß, was ich gestern getrieben habe, nachdem ich fluchtartig das Appartement verlassen habe.
»Du hast mich beobachten lassen?«
»Ich habe dir einen Bodyguard zur Seite gestellt, damit Alex dich nicht belästigt.«
»Matt?«
»Nein, es ist nicht Matt.«
»Du hast also jemanden engagiert, der mich von meinem Bruder fernhält?« Ich versuche meine Stimme im Zaum zu halten, doch das gelingt mir nur mäßig. Ich bin wütend, wieder einmal. Zu was ist Rhys noch alles fähig?
»Es geht mir einzig und allein um deine Sicherheit. Du wirst eine reiche Frau, nachdem wir verheiratet sind, da müssen wir gewisse Vorkehrungen treffen.«
Wenn ich nicht schon sitzen würde, müsste ich Platz nehmen, um das Gehörte zu verarbeiten. »Du gehst also immer noch davon aus, dass ich dich heirate? Nach allem, was geschehen ist?« Ich bin außer mir und bringe diese Frage nur mit Mühe über meine Lippen.
»Du trägst immer noch unseren Verlobungsring. Daher denke ich, dass du mich noch nicht ganz abgeschrieben hast.«
Ich blinzele. Geschieht das hier gerade wirklich? Ohne einen Hauch von Reue schaut Rhys zu mir herüber und wartet wohl auf eine Antwort.
Seine Arroganz setzt wirklich allem die Krone auf. »Und was ist mit dir? Du trägst den Ring ebenfalls noch.«
Grübelnd schaut Rhys auf seine Hand. »Man müsste mir schon den Finger abhacken, damit ich ihn abnehme«, murmelt er mehr zu sich selbst, als dass er meine Frage beantwortet.
»Ich werde dich nicht heiraten, Rhys.«
Er blickt mich an, als würde ich eine Fremdsprache sprechen.
»Das kannst du nicht wirklich erwartet haben? Ich kann niemanden heiraten, zu dem ich kein Vertrauen habe - der vor allem mir kein Vertrauen entgegenbringt. Denn das ist die Grundlage für eine funktionierende Beziehung.«
»Und woher beziehst du dein fundiertes Wissen? Ich nehme mal an, aus einer langjährigen Verbindung?«, fragt er süffisant, verzieht dabei aber keine Miene.
»Was meine früheren Beziehungen anbelangt, bist du doch bestens informiert. Lies den Bericht deines Privatdetektivs. Da steht alles drin.« Ich versuche ruhig zu bleiben, täusche Lässigkeit vor und schlage die Beine elegant übereinander. Ich habe Rhys meine Affäre mit Hunter verschwiegen. Ich weiß das und er weiß es auch. Das ist nichts, worauf ich stolz bin, aber meine Absichten waren aufrichtig, ich wollte ihn nicht beunruhigen. Sein Vertrauensbruch mir gegenüber ist aber so viel verletzender, sieht er das denn nicht? Wie kann man der Frau, die man angeblich liebt, eine solche erniedrigende Falle stellen, wie er es gestern mit mir tat?
»Was verlangst du von mir, Jaz?«
»Wofür?«
»Dass du mich nicht verlässt.« Nun erhebt sich Rhys und wechselt doch auf meine Seite der Couch. Er sitzt nur eine Handbreit entfernt. Das hatten wir doch schon mal, damals sagte er mir, dass ich ihn genauso wollte wie er mich und er hatte recht damit. Es kommt mir vor, als wäre es Jahre her, dabei sind es gerade einmal ein paar Wochen.
»Sag mir, was ich tun muss.«
»Ich möchte den wahren Rhys kennenlernen. Nicht den glatten Unternehmer, den knallharten Geschäftsmann, den reichen Sohn, sondern den Mensch hinter all diesen Fassaden.«
Eigentlich will ich böse auf ihn sein, ihn mit Nichtachtung strafen für das, was er getan hat. Doch ich versage auf ganzer Linie. Schon allein, dass ich mich auf dieses Gespräch eingelassen habe, ist vollkommen falsch.
Sein Blick wird weich und ich schmelze dahin, nur zeigen will ich es ihm nicht. Ich versuche weiterhin die Unnahbare zu spielen, auch wenn mir das sehr schwer fällt, so dicht neben ihm.
»Das ist der wahre Rhys, den du hier siehst. Ich bin dieser Unternehmer und Geschäftsmann. Ich werde nie etwas anderes sein können als hart und unnachgiebig.«
»Nein«, entfährt es mir zu schnell, »nein, Rhys, das bist nicht wirklich du. Ich möchte Rhys, den Künstler, kennenlernen, der nachts an seinen Skulpturen arbeitet, der einen armen Jungen unterstützt, damit dieser eine gute Ausbildung erhält, den Rhys, der seine Großmutter liebt. Das ist der Rhys, der mich fasziniert.«
Er hat seinen Arm ausgestreckt und streichelt meine Schulter. »Komm zurück zu mir!«, sagt er und nach einem kurzen Moment setzt er ein geflüstertes: »Bitte!« hinzu.
»Nein«, lautet meine Antwort, doch ich bin nicht in der Lage, ihm in die Augen zu schauen. Als ich doch aufblicke, kniet er plötzlich vor mir.
»Wie beabsichtigst du den wirklichen Rhys kennenlernen, wenn du nicht mit mir leben willst?« Er legt seine Hand auf mein Knie, streichelt es jedoch nicht, sondern hält seine Hände ruhig.
Ich sehe wieder den einjährigen Jungen vor mir, der allein im St. Francis von seiner Mutter zurückgelassen wurde, und mein Herz scheint in tausend Stücke zu zerspringen.
In dem Moment, wo er spürt, dass er mich so weit hat, dass ich nachgebe, richtet er sich auf und küsst mich. Geschickt gleitet er über mich und drückt mich durch sein Gewicht auf das Sofa nieder. Seine Lippen sind ganz warm, er schmeckt so vertraut und ich habe Sehnsucht nach ihm. Große Sehnsucht. Seine Hände streicheln mein Gesicht und fahren meinen Hals entlang.
»Ich habe dich heute Nacht so vermisst«, murmelt Rhys an meinen Lippen. »Lass mich nie wieder allein.«
Seine Erregung presst sich fest an meinen Unterleib und ich reibe mich leicht daran. Rhysʼ leises Stöhnen entgeht mir nicht, doch ich kann nicht abschalten und mich den Gefühlen ausliefern. Zu viel geht mir im Kopf herum.
»Du willst mich?«, frage ich und umfasse sein Gesicht mit beiden Händen, damit er gezwungen ist, mir in die Augen zu sehen.
»Wie nichts anderes auf der Welt.«
Seine Hände wandern zu tieferen Regionen meines Körpers, doch ungeachtet dieser Berührungen sage ich: »Wenn ich zu dir zurückkommen soll, musst du dich mit Alex versöhnen und ihn wieder zu deinem Partner machen.«
»Was?« Vor Überraschung verfällt Rhys ins Deutsche. Er richtet sich auf. Ich ziehe meine Hände zurück und muss ein wenig grinsen.
»Das ist nicht dein Ernst?«, fragt er und erhebt sich von mir. Er ordnet seine Kleidung und fährt sich mit der Hand durch die Haare, die ihm nun wild ins Gesicht hängen.
»Dein Bruder«, er spuckt das Wort förmlich aus, »ist verrückt geworden! Er begehrt dich!«
»Mein Adoptivbruder«, korrigiere ich ihn. »Vergiss das nicht. Seine Gefühle sind etwas, um das ich mich kümmern werde, nicht du. Für dich ist er der Partner, dem du vertraust und mit dem du alles aufgebaut hast. Ihr werdet euch wieder versöhnen, ich bestehe darauf!« Leise füge ich hinzu: »Ich will nicht der Auslöser für eure Streitigkeiten sein. Wenn du das in Ordnung bringst, bin ich bereit, einen Schritt auf dich zuzumachen und wieder zu dir zu ziehen. Das heißt noch nicht, dass ich dich auch heiraten werde. Aber ich werde dann mit dir leben.«
»Du bist dir schon im Klaren darüber, dass dies eine lupenreine Erpressung ist?«
»Nenn es wie du willst, Rhys, du hast die Wahl.«
»Du verlangst eine Menge von mir.« Sein Blick scheint mich durchbohren zu wollen, ich habe ihn sichtlich verärgert.
»… sagt der Mann, der mir vor einiger Zeit nicht sagen wollte, dass er mich liebt, der nicht neben mir aufwachen, keine Beziehung mit mir eingehen und vor allem unser Verhältnis geheim halten wollte. Du sendest ständig zweideutige Signale aus und ich weiß nicht, wie ich sie deuten soll. Rhys, bring das mit Alex in Ordnung. Ich bin es nicht wert, dass du meinetwegen die Zukunft der Firma aufs Spiel setzt.«
Energisch schüttelt er den Kopf. »Du bist das Wertvollste, was es in meinem Leben gibt. Ich würde alles für dich opfern.«
Langsam schöpfe ich Hoffnung, dass unsere Beziehung wieder ins Reine kommt. »Dann wirst du mit Alex sprechen?«
»Ja. Wo wirst du so lange wohnen? Ich werde erst am kommenden Montag in Frankfurt Gelegenheit dazu haben. So etwas erledige ich nicht per Telefon.«
»In dem kleinen Appartement, so wie heute Nacht auch.«
Rhys starrt mich durchdringend an. »Das kann ich nicht akzeptieren.«
»Das wirst du müssen.« Ich habe Angst, dass er sich auf mich stürzen wird, so sehr verändert sich seine Haltung.
»Dann gehʼ heute Abend mit mir essen.«
»Ich kann nicht.«
Er schüttelt resigniert den Kopf. »Warum denn nicht?«
»Ich bin mit Abigail verabredet, Mädelsabend.« Ich höre förmlich seine Gedanken. So was wie: Das kommt gar nicht infrage!
Doch er reißt sich zu meiner Verwunderung zusammen und nickt. »Möchtet ihr, dass Matt euch fährt?«
»Danke, aber wir kommen klar, und dem Bodyguard kannst du freigeben, den brauche ich nicht, ich habe drei Frauen, die auf mich aufpassen.«
»Wie du wünschst.« Rhys nimmt wieder hinter seinem Schreibtisch Platz und hängt den Bluetoothstick an sein Ohr. Das Zeichen für mich, dass ich entlassen bin.
* * *
Nachdem Jaz die Tür geschlossen hat, lehnt Rhys sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und schließt die Augen. Er weiß nicht, was ihn mehr in Aufruhr ver-setzt. Dass er das mit Alex ins Reine bringen muss, um Jaz zurückzubekommen, oder dass sie am Abend ohne ihn unterwegs sein wird. Diese Frau bringt ihn wirklich um den Verstand. Das Klügste wäre, sie einfach gehen zu lassen, sie aus seinem Leben zu streichen, doch er hat längst begriffen, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist. Nie wird er sie aufgeben können. Jaz ist wie eine Droge für ihn, die er jeden Tag haben muss. Er ist ihr verfallen, mit Haut und Haaren. Sie weiß gar nicht, welche Macht sie über ihn hat, und er wird alles dafür tun, dass sie es auch nicht so schnell erfährt. Und er wird sie heiraten, schon bald, denn er hat bisher immer bekommen, was er wollte.
Er drückt eine Kurzwahltaste und erhebt sich. Mit langsamen Schritten wandert er zu den Fenstern seines Eckbüros und stützt einen Arm an der Scheibe ab. Nach wenigen Sekunden ist die Verbindung hergestellt.
»Ich habe einen Auftrag für dich ...«
2
Abigail und ich stehen im Bad des kleinen Appartements und tuschen unsere Wimpern. Sie erzählt mir, wie Matt ihre Hand versorgt hat, und ich muss lachen.
»Warum lachst du darüber?«, fragt sie und grinst breit. Dabei verschmiert sie die Tusche unter ihrem Auge und sieht aus, als wäre sie eine Gothicbraut, was mich noch mehr zum Lachen bringt.
»O Gott, wie bekomme ich das jetzt wieder hin?«, stöhnt sie verzweifelt und ich reiche ihr ein feuchtes Tuch und ein Wattestäbchen.
»Hey, das ist schnell behoben. Erzähl mir lieber, was Matt dazu bewogen hat, dir so hilfreich zur Seite zu stehen.« Ich habe ja meine eigenen Vorstellungen, warum Matt sich ins Zeug gelegt hat, doch die will ich Abby erst einmal nicht verraten, denn ich könnte ja auch falsch liegen.
Sie hebt hilflos die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, er wollte bestimmt nur nett sein.«
»Männer sind nie einfach nur nett! Sie haben immer einen Hintergedanken und ich glaube, Matts Hintergedanke ist, dass er dich sehr viel besser kennenlernen will.« Jetzt ist es doch raus, irgendwie kann ich meine Gedanken nicht für mich behalten. Vielleicht, weil ich Matt mag und Abby auch. Die beiden geben in meinen Augen ein schönes Paar ab. Falls sich daraus etwas Ernstes ergeben würde, fände ich es wunderbar.
Abigail strahlt mich an. »Du meinst, er hat vielleicht ein Auge auf mich geworfen? Glaubst du wirklich?«
»Auf jeden Fall. Würde es dir gefallen, wenn zwischen euch etwas laufen würde?«, frage ich neugierig.
Sofort färben sich ihre Wangen rot und sie schlägt die Augen nieder. »Ich weiß nicht genau. Wir arbeiten zusammen, zwar sehen wir uns nicht oft bei der Arbeit, aber immerhin. Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre. Außerdem denke ich nicht, dass ein Mann wie Matt wirklich Interesse an einer Frau wie mir hat. Zumindest nicht, wenn es um eine feste Beziehung geht.«
»Hey, Abigail, warum so schüchtern? Das hast du gar nicht nötig. Du bist eine tolle Frau. Ich glaube, er ist nicht der Typ, der seine Zeit mit Belanglosigkeiten vergeudet. Also, benutze meinen Lippenstift, der ist kussecht, falls Matt dir heute noch über den Weg laufen sollte.« Ich grinse. Mir kommt Matt sehr einsam vor und die Vorstellung, dass er Abby mag, setzt sich einfach in meinem Kopf fest, ohne dass ich viel dafür tun muss.
Abby nimmt mir den Lippenstift ab und lächelt mich an. »Wie steht es mit dir? Hast du heute Abend vor, jemanden zu küssen?«, fragt sie augenzwinkernd.
Wenn sie wüsste. Sobald ich jemanden küsse, wird in Rhysʼ Kommandozentrale Alarm ausgelöst und ich werde nach Hause gebeamt.
»Man kann nie wissen!«, sage ich dennoch und grinse frech. Dann lenke ich sie ab. »Erzähl mir etwas über deine Freundinnen, die wir heute Abend treffen werden.«
»Lou arbeitet in einer unserer Galerien auf der Park Avenue. Sie war bis vor kurzem mit William zusammen, der im Chester als Türsteher arbeitet. Doch sie haben sich getrennt. Yvonne ist
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Kajsa Arnold
Bildmaterialien: © Hanjin - Adobe Stock
Cover: Andrea Wölk
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2022
ISBN: 978-3-7554-0862-8
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