Cover

Leseprobe

Kajsa Arnold

5 Farben Blau

Rhys by night

Teil 1

5 FARBEN BLAU

RHYS BY NIGHT

KAJSA ARNOLD

INHALT

Widmung

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Danksagung

Weitere Bücher

Leseprobe Frühling liegt über Paris

Deutsche Erstausgabe

Covergestaltung: Andrea Wölk

Unter Verwendung folgender Fotos:

© Cat bag G - Adobe Stock

© 2023 Kajsa Arnold

Tresjoli, Lutherstr. 16, 46414 Rhede

www.kajsa-arnold.de

Für Dich

Der Du mit einem Kuss

ganze Welten öffnest!

Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen. Aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen.

(Joseph Joubert)

1

Die Türglocke läutet ununterbrochen und wird von den lauten Klopfgeräuschen, die gegen den Türrahmen donnern, untermalt. Schlaftrun-ken quäle ich mich aus dem Bett, schlüpfe in mein viel zu großes Shirt und wanke auf nackten Füßen die neun Treppenstufen zur Haustür hinunter, um sie zu öffnen. Mein komaähnlicher Zustand hat einen Namen: Jetlag.

Kaum, dass ich die Tür entriegelt habe, stürmt Alex, mein älterer Bruder, ins Haus.

„Danke, ich habe meinen Schlüssel vergessen.“

Er fällt fast über meine Koffer, die ich mitten im Flur stehen gelassen habe.

»Verdammt, Jaz, wann räumst du endlich dein Zeug weg? Kaum bist du zu Hause, schon bricht das Chaos aus.« Hektisch rennt er von einem Raum zum anderen.

Ich kann noch gar nicht richtig nachvollziehen, was er hier will. Mein Kopf dröhnt und mir ist schwindelig. »Alex, ich dachte du wärst arbeiten.« Ich gähne nicht ganz ladylike, setze mich auf den untersten Absatz der Treppe, die in das Obergeschoss führt, und stütze den Kopf auf meine Hände. Müde bin ich, müde und ausgelaugt. Wann ich das letzte Mal richtig geschlafen habe, ohne mich in den Schlaf zu weinen, ist mir entfallen. Gestern habe ich meinen heiß geliebten Job verloren. Einfach so, von heute auf morgen. In dem einen Moment noch brennt mir die heiße Sonne Hawaiis auf den Körper, im nächsten bin ich meine Dozentenstelle an der University of Honolulu los. Obwohl – einfach so ist etwas untertrieben. Man hat mir nahegelegt selbst zu kündigen – als hätte ich ein Verbrechen begangen. Dabei war es Hunter, der mich verführte, nicht umgekehrt.

Tja, Schicksal, dass diese Affäre nach nur drei kurzen Wochen ans Licht kam und der Direktor der Universität diese Verbindung unter Kollegen für nicht akzeptabel erachtete. Als hätte ich es mit einem Minderjährigen getrieben. Hunter war ein stattlicher Mann von Anfang fünfzig. Ein Surfertyp, groß, blond, breitschultrig und mit einem Lächeln, das so ziemlich jedes weibliche Wesen an der Uni verzauberte. Er hat zum Schluss seine Professur behalten, weil er mir in den Rücken gefallen ist. Hat behauptet, ich hätte ihm keine andere Wahl gelassen, als mit mir zu schlafen. Als wenn ich ihn in Ketten hätte legen müssen, damit er die Nacht mit mir verbrachte. Ich hätte mehr Rückgrat von ihm erwartet. Mir die gesamte Schuld in die Schuhe zu schieben, nur um seinen Job zu retten, war die Tat eines Opportunisten. Mich als Männer verschlingendes Monster darzustellen, war absurd. War ich so wenig wert, dass man mich wie einen Bauern beim Schach opfern konnte? Ich wollte es nicht glauben. Mir schießen schon wieder die Tränen in die Augen. Verflucht, das hatte ich nicht verdient. Für mich war es mehr als eine flüchtige Affäre gewesen. Dass Hunter mich seiner Karriere opferte und den Wölfen zum Fraß vorwarf, hat mich schwer getroffen. Ich wische die Tränen mit meinen Fingern weg.

Plötzlich geht mein Blick geradewegs zur offenen Tür. Dort steht ein Mann und starrt mich ungeniert an. Ich spüre seinen Blick förmlich auf meiner Haut, die sofort zu prickeln beginnt. Schnell schaue ich weg, doch zwei Sekunden später muss ich wieder hinsehen. Hat er nicht gelernt, dass es unhöflich ist, andere Menschen so schamlos mit den Augen abzutasten? Als hätte er mich hypnotisiert, bleibe ich auf der Treppe sitzen und gestatte ihm, mich in aller Ruhe mit seinen Blicken auszuziehen. Ob er das wirklich tut, kann ich nicht genau sagen, aber es fühlt sich so an. Verlegen greife ich an meinen Halsausschnitt, ziehe das T-Shirt dort etwas zusammen und bin mir dabei geradezu extrem bewusst, dass meine Brüste sich nun noch deutlicher unter dem dünnen Stoff abzeichnen.

Eine leichte Sommerbrise weht durch die offene Tür, ich fröstele und spüre, wie sich eine Gänsehaut über meine Arme zieht und sich meine Brustwarzen aufrichten. Auch das noch! Verlegen schiebe ich einen Arm vor meinen Oberkörper. Was soll der Typ nur von mir denken, wie ich auf dieser Treppe hocke und mich winde, als würde er mit seinen Händen langsam versuchen, mir das Shirt über die Schultern zu streifen. Zu allem Überfluss trägt der warme Wind auch noch seinen Duft zu mir herüber. Er riecht angenehm männlich, irgendwie nach Pampelmuse und Zedernholz. Es ist nur ein Hauch und unwillkürlich hebe ich ein wenig den Kopf und schnuppere. Bleu de Chanel kommt mir in den Sinn.

Der Unbekannte rührt sich nicht, aber er beobachtet mich genau. Er sieht düster aus, auf eine geheimnisvolle Art und Weise. Seine Haare sind kurz geschnitten, die Locken aus der Stirn gekämmt. Im Gegenlicht ist zu erkennen, dass sie schwarz sind, so wie sein Bartschatten. Seine Haut ist gebräunt, als wenn er sich oft an der frischen Luft bewegt, das hellblaue Hemd und der dunkelblaue Anzug betonen seine blauen Augen. Er trägt eine hellblaue Krawatte, die gut mit den anderen Blautönen harmoniert.

5 Farben Blau, wenn man das Parfum mitrechnet, geht es mir durch den Kopf. Ich schätze ihn auf Mitte dreißig. Er ist groß, größer als Alex. Wer ist das? Der jüngere Bruder von Pierce Brosnan? Er wirkt wie jemand von der Security, vielleicht ist er der Bodyguard von Mr Cunningham, für den Alex arbeitet?

»Jaz, hast du meinen Ordner gesehen? Schmal, schwarz?«, schreit Alex aus dem Obergeschoss zu mir herunter.

Ich löse langsam meinen Blick von dem Fremden, er hat die Augenbrauen zusammengezogen. Mit schnel-len Schritten erklimme ich die Stufen in das Obergeschoss. Ich weiß, dass der Bodyguard mir hinterherschaut und bin mir sehr bewusst, dass er von dort unten an der Haustür gerade überproportional viel nacktes Bein und knappen Slip zu sehen bekommt. Das ist mir unangenehm, obwohl es an meinem 29-jährigen Körper nichts gibt, für das ich mich schämen müsste.

»Ich habe ihn.« Triumphierend kommt Alex aus seinem Arbeitszimmer und hält den Ordner in die Höhe.

»Was ist denn los?«

»Wir haben ein Meeting und ich habe wichtige Unterlagen vergessen. Denk an deinen Termin bei mir um vierzehn Uhr. Dann sprechen wir über den Job für dich, okay?« Er küsst mich auf die Stirn und schon ist er aus der Tür.

Mein stiller Beobachter wirft mir noch einen letzten Blick zu, wendet sich grußlos ab und folgt Alex. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Na dann, guten Morgen!

Ich lasse mich auf den oberen Treppenabsatz und meinen Kopf gegen die Wand fallen. Mann, der Jetlag bringt mich um.

Alex hat die glorreiche Idee, dass ich als seine Assistentin fungieren könnte, bis ich eine andere Arbeit gefunden habe. Die Chance, mitten in Frankfurt am Main einen Job als Meeresbiologin zu finden, geht wohl eher gegen null. Sein Angebot ist aber besser als nichts, auch wenn es nur ein öder Bürojob ist bei irgend so einer Holding, die Museen und Galerien verwaltet. Bis ich weiß, wohin es mich demnächst beruflich verschlägt, kann ich bei meinem Bruder wohnen. Da wir keine weiteren Angehörigen haben, hat er dieses schicke Einfamilienhaus am Frankfurter Westend gekauft, damit es einen Fixpunkt in unserem Leben gibt. Mir hätte auch eine kleine Wohnung gereicht. Seit Mutter bei einem Verkehrsunfall vor drei Jahren ums Leben kam, hat es sich Alex zur Hauptaufgabe gemacht, mir ein bodenständiges Zuhause zu bieten. Damals studierte ich noch und besuchte ihn in den Semesterferien immer für einige Wochen.

Ich glaube, dass unsere Mutter starb, hat ihn wesentlich schwerer getroffen als mich. Dabei ist er das Kind, das adoptiert wurde und ich bin die leibliche Tochter unserer Eltern. Alex war schon immer der ruhige und zuverlässige Junge, den Mutter sich so sehr gewünscht hatte, während ich die unstete, wilde Tochter gab, die nicht früh genug das Nest verlassen konnte, zum Leidwesen meiner Mutter. Vater, ein amerikanischer Soldat, fiel in Afghanistan. Nach seinem Tod hat sie uns zwei ganz allein großgezogen. Dad habe ich meinen für deutsche Verhältnisse exotischen Vornamen zu verdanken.

Wäre Mum noch am Leben, wäre sie sicherlich sehr stolz auf Alex, so, wie ich es auch bin. Vermutlich habe ich Alexander meine Existenz zu verdanken, denn unsere Mutter konnte keine Kinder bekommen, so hatte es ihr zumindest der Arzt vorausgesagt. Daraufhin adoptierten meine Eltern einen Jungen – Alex. Er war damals zwei Jahre alt, ein hübscher Bengel mit blonden Haaren, wie auf alten Babyfotos zu sehen ist. Sechs Jahre später wurde meine Mutter aus heiterem Himmel mit mir schwanger.

Alex war für mich schon immer mehr Freund als Bruder, was vermutlich an dem Altersunterschied liegt. Mit ihm kann ich alles besprechen. Dass unsere Mutter uns so früh verließ, hat uns noch enger zusammengeschweißt, auch wenn ich in der letzten Zeit versuche, mich abzunabeln, denn Alexʼ Beschützerinstinkt geht mir manchmal mächtig auf die Nerven.

* * *

Ungeduldig drücke ich zum dritten Mal auf den Knopf, um den Fahrstuhl zu rufen. Ich weiß, dass es nichts nützt, doch irgendwie muss ich meiner Nervosität Luft machen. Ich warte bereits seit einer Ewigkeit, einen der anderen vierundzwanzig Aufzüge habe ich nur um eine Nasenlänge verpasst.

Der Messeturm in Frankfurt. 257 Meter hoch, macht der Art déco Turm aus rot poliertem Granit wirklich etwas her, vor allem als Firmensitz. Ich kann es nicht glauben, dass Alex hier arbeitet. Aber wäre dies auch ein Arbeitsplatz für mich? Meine Stimmung ist heute nicht die Beste, dabei bin ich kein launischer Mensch. Es ist nur so, dass meine berufliche Niederlage an meinen Nerven zerrt. Ich habe mir nicht die Nächte mit Meeresbiologie und Wirtschaftswissenschaften um die Ohren geschlagen, damit ich als graue Büromaus ende.

Hinter mir bildet sich eine Traube von Menschen, die auch in die oberen Stockwerke wollen. Endlich ertönt der Gong und die Türen des Aufzugs gleiten auseinander. Der Fahrstuhl kommt aus der Tiefgarage, ein einziger Fahrgast steht an der hinteren verspiegelten Wand. Ich schlüpfe schnell hinein, ohne genau hinzuschauen, und werde von der Menschenmasse nach hinten gedrückt. Sofort macht sich meine Klaustrophobie bemerkbar. Hoffentlich hat jemand den obers-ten Knopf betätigt, damit ich in der richtigen Etage lande.

Nervös zupfe ich an meiner Jacke. Dunkelblau passend zu meiner hellblauen Bluse und der weißen Hose. Ich schaue an mir herunter und denke plötzlich, dass mein Outfit aussieht, als wäre ich auf dem Weg zu einem Segeltörn. Na toll, jetzt ist es zu spät, um mich für das Vorstellungsgespräch noch einmal umzuziehen.

Die Anzeige zieht meinen Blick magisch an. Etage neunundvierzig, fünfzig. In fast jedem Stockwerk halten wir und Menschen steigen aus, um nach der Mittagspause an ihren Arbeitsplatz zurückzuhasten. Ich schaue eher zufällig an die Spiegelwand und denke, mich trifft der Schlag. Ich sehe direkt in die Augen des Typen, der heute Morgen an unserer Tür auf Alex gewartet hat. Wieder beobachtet er mich ungeniert, vermutlich seit fünfzig Stockwerken. Wieder starre ich zurück. Nicht durch den Spiegel, sondern direkt. Unsere Blicke treffen sich und mir wird plötzlich ganz flau im Magen, da ist es gut, dass ich bereits an der Wand lehne. Was ist es nur mit seinen Augen, dass ich schon wieder eine Gänsehaut am ganzen Rücken bekomme? Wenigstens bin ich sicher, dass ich nun angemessen gekleidet bin, dennoch erwische ich mich dabei, wie die Finger meiner linken Hand erneut zu meiner Jacke gleiten wollen, um sie ein wenig zurechtzuzupfen. Beinahe muss ich mich zwingen, es nicht zu tun.

Die Muskeln im Gesicht meines Gegenübers span-nen sich an, fast unmerklich, nur für einen winzigen Augenblick. Wollte er etwas sagen? Sollte das ein Lächeln werden? Oder fühlt er sich von meiner Anwesenheit in diesem Aufzug belästigt? Es muss an seiner Körpergröße liegen, denn ich werde das Gefühl einfach nicht los, als würde er abschätzig auf mich herunterzublicken.

Die oberste Etage. Endlich. Mein Ziel. Wir sind mittlerweile die einzigen Fahrgäste, stehen in gegenüberliegenden Ecken, wie zwei Boxer vor einem Kampf. Man könnte meinen, dieser Typ leide am Schlechte-Laune-Syndrom, ein Lächeln suche ich bei ihm vergeblich. Vielleicht kann er mich auch einfach nicht leiden.

Die Tür geht auf und ich will davonhasten, nur weg aus dieser viel zu engen Kabine mit ihren Spiegelwänden. Im selben Moment setzt sich der Unbekannte ebenfalls in Bewegung und wir stoßen zusammen. Ich reiche ihm gerade mal bis zur Schulter, pralle förmlich an diesem Berg von Mann ab.

»Nach Ihnen.« Keine Entschuldigung, er lässt mir nur den Vortritt. Seine Stimme ist leise und tief. In ihrer stoischen Ruhe liegt ein energischer Unterton, der mich aufhorchen lässt.

Im Vorbeigehen nehme ich seinen Duft wieder auf. Er riecht so männlich, immer noch, wie heute Morgen. Dabei sind es draußen mindestens 28 Grad und er ist schon seit Stunden unterwegs. Obwohl ich gerade erst zu Hause geduscht habe, schwitze ich wie verrückt.

Ich senke den Blick und gebe Gas, damit ich nicht zu spät zu dem Vorstellungsgespräch bei meinem Bruder komme. Er würde mir zwar nicht den Kopf abreißen, aber ein guter Eindruck sieht anders aus.

Die CuDa Holding ist eine Firma mit amerikanischem Stammsitz und die Muttergesellschaft vieler Tochterfirmen, darunter einige Kunstgalerien, Museen und Auktionshäuser sowie eine Stiftung. Ich will eigentlich gar nicht hier arbeiten, aber Alex meint, nach meinem Desaster auf Hawaii wäre es das Beste, einen Neustart in Deutschland zu versuchen. Vor nicht einmal zwei Tagen bin ich erst aus Honolulu hierher geflogen, um mich an der Schulter meines Bruders auszuweinen. Eben noch eine gut bezahlte Assistentin an der Hawaii Pacific University von Honolulu, heute Bittstellerin. Tja, dumm gelaufen. Ein Diplom in Meeresbiologie und Wirtschaft, aber keinen Job. Gescheitert!, schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Nein, Scheitern ist für mich keine Option. Bis ich mich umgesehen habe, was der deutsche Arbeitsmarkt für Meeresbiologen so hergibt, werde ich für Alex arbeiten. Irgendetwas muss ich ja tun.

Ich eile zum Empfang, wo ich auf eine Blondine treffe, die hübsch ist, aber mir für die Arbeit am Empfang sehr jung erscheint. Ich nenne ihr meinen Namen in der Hoffnung, dass ihr der Name Darling bekannt vorkommt. Doch Blondie hebt den Finger, als ihr Blick auf die Person fällt, die hinter mir durch die Tür tritt.

»Hallo, Mr Cunningham«, begrüßt sie ihn irritiert.

Er steht so nah hinter mir, dass sein Atem mir über den Nacken streicht, wo sich automatisch alle meine Härchen aufstellen, als wollten sie gestreichelt werden. Instinktiv schießt meine Hand hoch, um sie glattzustreichen, da bewegt er sich noch ein wenig dichter an mich heran. Pampelmuse und Zedernholz! Sein Duft, unverkennbar. Ich könnte mich nicht einmal umdrehen, ohne ihn zu berühren, so nah ist er an mich herangerückt. Es ist unmöglich, dass er nicht spürt, wie nah sich unsere Körper gekommen sind, aber er unternimmt nichts, um den Abstand zu mir zu vergrößern. Im Gegenteil, für einen Moment habe ich das Gefühl, er würde dieses kleine Spielchen genießen und auf die Spitze treiben.

»Claudia, mein Wagen springt nicht an, bitte rufen Sie jemanden, damit er sich darum kümmert und dann schicken Sie Susan zu mir.«

Sein Tonfall ist dunkel und rauchig. Er scheint kein Mann zu sein, der Widerspruch duldet. In seiner Stimme schwingt ein amerikanischer Akzent mit, der mir unter die Haut geht. Unwillkürlich schließe ich die Augen und stelle mir vor, wie dieser Fremde mir etwas ins Ohr flüstert, und erschaudere. Dann erschrecke ich. Was mache ich gerade? Bin ich verrückt?

»Äh, Miss Alesandro wartet bereits in Ihrem Büro.«

Blondies Stimme holt mich zurück in die Gegenwart dieses eleganten Büros. Während sie zum Telefon greift, wundert es mich, dass sie sich nicht auf die Knie wirft, bei dem unterwürfigen Ton, den sie anschlägt.

Ich drehe mich nun doch um und erstarre. Cunningham schaut auf mich herunter, sagt aber kein Wort. Für einen Augenblick bilde ich mir ein, das Blau in seinen Augen habe etwas wie Neugier ausgestrahlt, aber das muss ich mir eingebildet haben. Als mir der nächste Blick in seine Augen gelingt, entdecke ich darin nur noch stahlblaue Härte. Dann dreht er sich um und steuert auf eine Tür zu, vermutlich sein Büro. Mir fällt der Song ein, den ich auf meinem iPod im Flugzeug auf dem Rückflug gehört habe: Deine Augen machen bling, bling und alles ist vergessen!

Claudia spricht noch einmal kurz in ihren Hörer, dann schaut sie mich erwartungsvoll an.

»Jaz Darling, ich haben einen Termin mit meinem Bruder, Alex Darling«, stelle ich mich noch einmal vor.

Langsam scheint Blondie ihre Fassung wiederzufinden, schaut in ihrem Computer nach und nickt. »Natürlich, Miss Darling. Wenn Sie in unserem Wartebereich kurz Platz nehmen wollen.« Sie führt mich zu einer Couchgruppe und bietet mir eine Erfrischung an, die ich freundlich aber bestimmt ablehne.

Ich muss mich erst einmal von dem Schock erholen. Das war also Rhys Cunningham. Alex hat mir zwar von ihm erzählt, aber ein Foto habe ich bisher nicht gesehen. Ein bisschen wundere ich mich über diese Mister und Miss Anrede, aber immerhin ist dies eine amerikanische Firma.

Kurze Zeit später wird die Bürotür aufgerissen, eine andere Blondine rauscht an mir vorbei und ich traue meinen Augen nicht. Wenn das mal nicht Melissa Alesandro ist, ihres Zeichens Topmodel und Millionenerbin. Ich bin förmlich geblendet von ihrer Erscheinung. Sie ist ganz in weiß gekleidet und ihr blondes Haar umrahmt ihr Gesicht. Mein Gott, diese Frau ist wunderschön.

Ich sehe Cunningham in der Tür stehen.

»Du bist absolut beziehungsunfähig!«, schreit sie und Tränen treten ihr in die schönen braunen Augen.

»Ich habe nie etwas anderes behauptet«, entgegnet er leise. Sie sprechen Englisch, ich verstehe jedes Wort und bin mir sicher, dass es den Angestellten ebenso geht.

Eine ältere Frau mit strenger Brille und noch strengerem Blick erscheint wie aufs Stichwort auf der Bildfläche.

»Susan? Melissa möchte gehen, begleitest du sie bitte hinaus?« Seine Stimme ist tonlos, aber das, was er so höflich formuliert, ist ein knallharter Rausschmiss.

Melissa Alesandro wischt mit einem Taschentuch, das Susan ihr reicht, ihre Tränen fort und drückt ihren Rücken durch. »Danke, ich finde allein hinaus.« Sie rauscht erhobenen Hauptes davon und der Aufzug ist sofort zur Stelle. Natürlich ganz anders als bei mir, ich würde sicherlich Minuten auf dieses Ding warten müssen, während ich die Blicke aller Anwesenden in meinem Rücken spüre. Ich wünschte, ich hätte diese Würde bei meinem Rausschmiss in Honolulu an den Tag legen können.

Still und bewegungslos sitze ich da und traue mich nicht, auch nur einen Mucks von mir zu geben. Beflissen übersehen ich Cunninghams Blick, der mich streift und dann an mir hängenbleibt, wie ich aus dem Augenwinkel erkennen kann. Ich blicke ihn dann doch an und er starrt schon wieder, nicht hinter Melissa her, sondern auf mich. Vor Verlegenheit werde ich rot, das spüre ich an meinen erhitzten Wangen. Nach einigen Sekunden löst er den Blickkontakt – ich bin dazu nicht in der Lage – und ich atme erleichtert aus. Mir war nicht bewusst, dass ich den Atem angehalten habe.

»Susan!« Ein Wort, ein Befehl. Die grauhaarige Frau rückt ihre Brille zurecht, aber ihre Miene bleibt unbewegt, als sie sich geschäftsmäßig auf den Weg in Cunninghams Büro macht. Niemanden scheint der Auftritt von Melissa Alesandro sonderlich zu wundern, alle gehen zur Tagesordnung über, als hätten sie ihn schon des Öfteren miterlebt.

Das ist definitiv nicht der Ort, an dem ich arbeiten möchte. Ich schnappe die Unterlagen und erhebe mich. Vielleicht sollte ich Alex eine Nachricht hinterlassen und dann einfach über das Treppenhaus in die nächste Etage verschwinden.

Claudia sieht, dass ich mich erhoben habe. Sie will etwas sagen, doch in diesem Moment öffnet sich die Tür zu Cunninghams Büro.

»Miss Darling, wenn ich Sie bitten dürfte.«

* * *

Rhys Cunningham steht mit tief in seinen Hosentaschen vergrabenen Händen am Fenster und starrt hinaus. Die Sonne strahlt, doch ihm ist nicht nach hellem Licht zumute. Er wünschte, es würde regnen. Aus dem Augenwinkel nimmt er eine Bewegung wahr und dreht sich um.

»Sorge bitte dafür, dass Melissa der Zugang zu meinem Appartement in New York entzogen wird.«

Susan Whitehead nickt und blickt ihn streng durch die Brille an. »Solche Auftritte sind nicht gut für dein Image. Sie sorgen für Tratsch und Unruhe.«

Rhys nickt ergeben. »Ich weiß, ich habe bereits gestern Schluss gemacht. Sie konnte es wohl nicht glauben, dass ich es ernst meine. Sehe ich so aus, als würde ich nicht meinen, was ich sage? Verflucht!« Er fährt sich mit den Händen über sein Gesicht. »Sage für heute alle weiteren Termine ab. Wer ist übrigens diese junge Frau, die dort draußen im Wartebereich sitzt?«

»Das ist Alexʼ Schwester. Hast du noch nie ihr Bild auf seinem Schreibtisch gesehen? Ich denke sie wartet auf ihn. Er hat mir erzählt, dass er sie vorübergehend als Assistentin einstellen will.«

»Was will er mit einer Assistentin?«

Obwohl Susan als die bestinformierte Person in diesem Unternehmen gilt, hebt sie die Schultern. »Ich habe keine Ahnung.«

»Hast du es dir mit deiner Kündigung noch einmal überlegt, Susan?« Cunningham wendet sich endgültig vom Fenster ab und setzt sich geschäftsmäßig hinter seinen Schreibtisch.

Susan rückt ihre Brille zurecht. »Ja, Rhys, und ich bleibe dabei, in drei Monaten werde ich mich zur Ruhe setzen und nur noch in New York leben. Ich bin über sechzig und habe schon für deinen Großvater gearbeitet, lass mir meinen wohlverdienten Ruhestand.«

Er macht eine entschuldigende Handbewegung. »Hast du eine neue Assistentin für mich gefunden, die du noch einarbeiten kannst?«

Nachdenklich schüttelt Susan den Kopf. »Niemanden, mit dem du zufrieden wärst.«

Rhys nickt. »Wie wäre es mit Alexʼ Schwester?«

* * *

Scheiße, ich kann nicht mehr weg! Susan steht ungeduldig an der Tür und wartet auf mich. Da ich nun schon stehe, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr in das Büro zu folgen, in der Erwartung, dort auf Alex zu treffen.

Der Raum ist groß, nein, er ist gewaltig. Vor der gläsernen Fensterfront steht ein riesiger Schreibtisch mit einem hochmodernen Bildschirm im Apfeldesign. Zur linken Seite steht ein Konferenztisch, an dem locker zwölf Personen Platz finden, zur Rechten eine dunkelblaue Ledercouch. Man bietet mir einen Stuhl am Konferenztisch an, und während ich mich setze, fällt mein Blick an das Kopfende des Tisches. Dort sitzt Rhys Cunningham und nickt mir zu. Bling, bling! Von Alex keine Spur.

»Miss Darling, mein Name ist Susan Whitehead und ich bin die Assistentin von Mr Cunningham. Wir freuen uns, Sie bei CuDa LLC begrüßen zu dürfen.«

Ich lächele ihr freundlich zu und blicke dann unsicher in Cunninghams Richtung. Soll ich ihn auch begrüßen, oder einfach ignorieren? Ich fühle mich äußerst unsicher. Mrs Whitehead scheint meinen zaghaften Blick richtig zu deuten. »Mr Cunningham ist nur als stiller Beobachter hier, wir beide führen das Bewerbungsgespräch.«

Oh ja, das habe ich schon mitbekommen, dass Mr. Cunningham ein stiller Beobachter ist, geht es mir durch den Kopf und ich nicke brav. Aber wo bleibt nur Alex? Eigentlich habe ich doch mit ihm den Termin.

»Wir suchen eine neue Assistentin für Mr Cunningham, die meinen Posten übernehmen wird, da ich in drei Monaten aus dem Unternehmen ausscheide«, erklärt Mrs Whitehead.

»Darf ich fragen, warum Sie ausscheiden?«, hake ich direkt nach.

»Nun, ich habe mir meinen Ruhestand verdient und werde diesen in den Staaten genießen.« Ein flüchtiges Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht.

»Alex hat Sie empfohlen«, wirft Cunningham kurz ein und Mrs Whitehead und ich blicken gleichzeitig in seine Richtung, überrascht, dass er das Wort an mich direkt richtet.

»Seltsam, ich hatte angenommen, dass Alex kurzzeitig eine Assistentin sucht«, bemerke ich.

Mrs Whitehead nickt. »Sind das Ihre Unterlagen?« Sie blickt auf meine Mappe, die vor mir auf dem Tisch liegt, und ich schiebe sie ihr zu, als Mr Cunningham sich einmischt. »Darf ich?«

Mrs Whitehead nimmt die Mappe und reicht sie an ihn weiter.

»Wissen Sie, in welchen Bereichen unser Unternehmen tätig ist?« Sie mustert mich wieder mit ihrem strengen Blick.

»Ja, mein Bruder hat mich informiert. Sie sind im Großen und Ganzen in der Kunstszene tätig.«

Sie schaut wie eine strenge Lehrerin, deren Schülerin eine richtige Antwort gegeben hat. »Ja, das ist unser Hauptbetätigungsfeld. Vor allem aber verwalten wir eine Stiftung, der Mr Cunningham vorsitzt. Wir leiten unter anderem auch ein Museum, um die Galerien kümmert sich Ihr Bruder.«

Es hat den Anschein, als wäre Mr Cunningham in meine Mappe vertieft, doch ich vermute, dass er mit gespitzten Ohren zuhört.

»Sie haben Meeresbiologie studiert?« Seine Stimme ist tief und ich bin überrascht, dass sie nach dem Auftritt von Melissa so gelassen und ruhig klingt.

»Ja, ich war wissenschaftliche Assistentin an der Uni in Honolulu, bis ... Nun bin ich wieder hier. Meine Mutter starb vor einigen Jahren, daher lebe ich bei meinem Bruder.«

Er nickt. »Das tut mir leid ... ich meine, dass Sie und Alex Ihre Mutter verloren haben.« Die Klangfarbe seiner Stimme hat sich verändert, ich meine zu spüren, wie seine coole Fassade für einen Augenblick aufbricht, aber ich kann mich auch irren. Wie auch immer, wieder jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ohne dass ich es verhindern kann, fühlt es sich an, als würde er mich mit seinen Worten zärtlich berühren wollen. Ich weiß, dass dies absoluter Quatsch ist, aber meine Kehle ist plötzlich wie zugeschnürt. Hätte ich doch das Glas Wasser, welches mir Blondie angeboten hat, angenommen. So nicke ich nur. Verdammt, wo bleibt Alex?

»Gut. Danke, das wäre es dann.« Cunningham erhebt sich.

Ich erhebe mich ebenfalls, als er meint: »Wir sehen uns später im Flieger, Susan. Sag, wie besprochen, weitere Termine ab. Ich werde das Gespräch mit Miss Darling alleine zu Ende führen.«

Nicht nur ich schaue überrascht auf. Mrs Whitehead starrt ihn eine Sekunde länger als notwendig an, doch dann räumt sie, ohne etwas zu erwidern, das Feld. Er ist der Boss, er hat das Sagen und vor allem hat er die Kontrolle.

Susan nickt mir unverbindlich zu. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Miss Darling.« Dann ist sie zur Tür hinaus und ich bin allein mit Cunningham.

2

Er hat den Platz gewechselt und sitzt mir nun gegenüber. Seine gepflegten Hände liegen auf meiner Mappe und ich werde das Gefühl nicht los, als würden sie auf meiner Haut liegen. Er hat kräftige Hände, die richtig zupacken können. Keine zarten filigranen, sondern starke breite Finger mit kurzen sauberen Nägeln. Ich schaue auf und blicke in seine blauen Augen. So aus der Nähe kann ich erkennen, dass sie nicht einfarbig sind, sondern verschiedene Blauschattierungen haben. 5 unterschiedlich blaue Farben bilden die Iris. Ich sehe, dass sein Mund sich bewegt, doch ich verpasse die Frage, zu versunken bin ich in meiner Beobachtung. Spüre schon wieder, wie seine Hände meinen Körper streifen, wenn auch nur in Gedanken. Verlegen blinzele ich. »Entschuldigung, wie war Ihre Frage?« Mir schießt erneut die Röte ins Gesicht, das ist zu peinlich.

»Bringen Sie irgendwelche Erfahrungen mit?« Er betont Erfahrungen auf eine eigenartige Weise und sein Blick gleitet dabei über meinen Körper, als wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit. Seine Frage beschämt mich und macht mich gleichzeitig wütend.

»Ja«, antworte ich gelassen, obwohl ich innerlich koche, »ich habe nicht nur Meeresbiologie, sondern auch Wirtschaft studiert. Alex und ich wurden schon als Kinder mit Kunst vertraut gemacht, ich denke also, dass ich der Aufgabe einer Assistentin gewachsen bin.«

Sein Blick verändert sich. »Ich habe auch nichts anderes unterstellt, Miss Darling.« Seine Stimme nimmt einen kühlen Ausdruck an und ohne näher darauf einzugehen, sagt er: »Alex hat mir nie erzählt, dass er eine Schwester hat.«

»Ich habe einige Jahre auf Hawaii gelebt, bis ... nun, bis Umstände mich dazu zwangen, nach Hause zurückzukehren«, füge ich leise hinzu.

Eigentlich will ich nicht zu viele private Einblicke preisgeben, doch er hat so eine Art an sich, mehr aus mir herauszuholen, als ich möchte.

»Dann leben Sie also bei Alex?« Er lächelt leicht, zum ersten Mal. Das genügt. Meine Fantasie reagiert vor meinem Verstand und geht mit mir durch. Ja, ich lebe bei Alex. Ja, du kannst mich dort heute Abend abholen, gerne lasse ich mich von dir einladen. Wir werden durch die Nacht streifen, der Mond wird Zeuge sein, wenn du mich in die Arme nimmst und küsst und wenn wir … Die ganze Zeit habe ich wie hypnotisiert in seine Augen geschaut. Ich bin sicher er hat erkannt, was ich denke und das leise Lachen, das zwischen den Blautönen funkelt, wirkt wie ein zustimmendes Nicken. Ich spüre, dass ich plötzlich erregt bin wie lange nicht mehr, mein Unterleib zieht sich zusammen. Ein Orgasmus bei einem Vorstellungsgespräch? Bin ich noch zu retten?

Er wartet auf meine Antwort, aber ich habe die Frage schon wieder verpasst. Oh mein Gott, ich benehme mich wie eine komplette Vollidiotin.

»Wohnen - bei Alex?«, hilft er mir auf die Sprünge und jetzt muss ich lächeln.

»Alex hat das Haus für uns gekauft, es hat viele Zimmer.« Genug an Informationen.

Sein Blick verschließt sich abrupt. Da ich nicht ahne, was er von mir erwartet hat, frage ich mich, warum er weiter seine Zeit verschwendet und diese Farce nicht endlich beendet und mich nach Hause schickt.

»Miss Darling, wir organisieren eine Menge Veranstaltungen, Empfänge und Kunstausstellungen. Ich suche eine Assistentin, die mir rund um die Uhr zur Verfügung steht. Daher brauche ich jemanden, der ungebunden ist.«

Ich nicke. Will er herausfinden, ob ich einen Freund habe? »Es gibt niemanden in meinem Leben – außer Alex. Ich kann mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren.«

»Sie meinen damit, dass Sie sich voll und ganz auf mich konzentrieren würden?«

Meine Hände fangen an zu schwitzen. Vielleicht sollte ich einfach aufstehen und gehen. Aber ich will bleiben, will weiter in diese wunderbaren Augen schauen, die sich mir öffnen und sich dann plötzlich wieder vor mir verschließen.

»Ich pendele ständig zwischen Frankfurt und New York. Als meine Assistentin würden Sie diesen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Kajsa Arnold
Bildmaterialien: © Cat back G - Adobe stock
Cover: Andrea Wölk
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2022
ISBN: 978-3-7554-0861-1

Alle Rechte vorbehalten

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