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INSIGHT Leseprobe Kapitel 1-3

  1. AUF NACH GLASGOW

 

– Douglas –

 

»Verdammt, Reed, welchen Teil von, ich melde mich bei dir, hast du nicht verstanden?«, grummele ich auf dem Weg zum Auto leise ins Handy, während ich mich aus meinem Smoking schäle, den ich heute eh nur übergeworfen hatte, um den Schein zu wahren. Von daher ist mir egal, ob es dem teuren Stoff guttut oder nicht.

An der Hintertür zum Hof hinaus halte ich kurz inne und sehe mich ein letztes Mal um. Es fällt mir unendlich schwer, meinem jetzigen Leben den Rücken zu kehren, aber es geht nicht anders. Zumindest glaube ich, dass es lange überfällig und das Beste für alle Beteiligten ist.

Mit einem wehmütigen Blick und Erinnerungen an die vergangenen drei Jahre verabschiede ich mich vom Irvine-Center mit all seinen wunderbaren Menschen. Ich schlucke gewaltsam das aufkommende Gefühl von Verlust und Trauer herunter, atme einmal tief durch und schlüpfe unbemerkt in die einsetzende Dämmerung hinaus. Es fühlt sich an, als würde ich meine Familie verlieren. Was totaler Quatsch ist, da ich gar keine habe. Und das nicht, da sie bei was auch immer ums Leben gekommen wären, sondern weil sie einfach nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Ein Fakt, der mir nach all der Zeit nicht einmal ein müdes Lächeln abverlangt. Es ist, wie es ist. Über Dinge nachzudenken, die unabänderlich sind, ist mühselig und führt zu nichts. Zumal ich hoffe, dass der jetzige Abschied nicht auf Dauer ist. Die Frage ist, ob sie noch etwas mit mir zu tun haben wollen, wenn sie erfahren, wer ich in Wirklichkeit bin. Tja, Geld verdirbt den Charakter und das trifft nicht nur auf denjenigen zu, der es besitzt.

»Doug, im Ernst«, setzt Reed erneut an und erinnert mich somit an das Handy an meinem Ohr, »wenn du deinen knochigen Hintern nicht in den nächsten zwei Stunden herschleifst, waren die letzten sechs Monate umsonst und sie gehen uns wieder durch die Lappen. Und ich gebe dir Brief und Siegel drauf, die Kerle stellen sich beim zweiten Versuch, sich absetzen zu wollen, nicht so saudämlich an. Die Jungs wissen, was sie tun. Dir ist hoffentlich klar, dass sie dann womöglich endgültig vom Radar verschwunden sind.«

Knochiger Hintern? Der Mann hat echt Nerven. »Reed, hol Luft!«, brumme ich ungehalten. »Ich bin ja schon unterwegs.« Ehe er noch etwas erwidern kann, lege ich auf. Auch ohne seine Nörgelei liegt mein Nervenkostüm blank.

Meine Jacke landet auf dem Rücksitz und ich gleite hinter das Lenkrad meines Leihwagens. Natürlich hätte ich eines meiner eigenen Autos nehmen können, aber erstens habe ich das noch nie getan, wenn ich ins Irvine-Center gefahren bin und zweitens wäre es jetzt zu auffällig gewesen.

Dummerweise mag ich teure Modelle. Die einzige Leidenschaft, der ich neben einer, sagen wir mal, heimlichen Besessenheit, die nichts mit Autos oder derlei materiellen Dingen zu tun hat, bis vor einigen Jahren noch frönte. Und sicher wäre dieses ausgefallene Hobby nicht notwendig – welches Hobby ist das schon? – und hätte ich auch längst abschaffen können. Wie sagt man so schön? Man gönnt sich ja sonst nichts. Soll heißen, meine Tiefgarage schmücken neben zwei Custombikes noch drei weitere Schätzchen auf vier Rädern, die im Straßenverkehr auffallen wie Schwäne unter einer Schar grauer Enten. Von der Tatsache mal abgesehen, dass meine Lieblinge in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind. Was sich, so Gott will, bald ändern wird. Denn ich habe vor, in mein altes Leben zurückzukehren. Unbelastet und freigesprochen jedweder Schuld.

Einen Kontrollblick in den Rückspiegel und es kann losgehen – dachte ich. Denn nun mustere ich mein Spiegelbild und stelle nicht zum ersten Mal fest, dass es Zeit wird, mein Erscheinungsbild meinem wahren Ich anzugleichen. Zumindest was den Haarwuchs betrifft. Und damit meine ich den auf dem Kopf und im Gesicht. Beides viel zu lang. So wäre ich früher nie herumgelaufen.

Kein Wunder, dass jeder, der mich nicht kennt, anfangs glaubt, ich wäre Mitglied einer brutalen Bikergang. Was sie natürlich niemals laut äußern würden, die Blicke sind eindeutig genug. Und womöglich wird dieser Eindruck durch mein Tattoo verstärkt, das hier und da aus Kragen und Ärmel hervorblitzt. Überbleibsel einer rebellischen Zeit, in der ich auf diversen Umwegen versucht habe zu mir selbst zu finden. Wenn ich ehrlich bin, ist es jedoch ein netter Nebeneffekt. Sie sollen mich in Ruhe lassen.

Andererseits ist es nicht nur so eine im Suff entstandene Körperkunst oder wie man sich das landläufig vorstellt. Ihr wisst schon, da gießt Mann sich einen hinter die Binde und landet bei einem dieser miesen und nicht ohne Grund billigen Nadelkünstler, der einen nicht davon abhält sich kitschige Schmetterlinge oder dergleichen auf den Oberarm tätowieren zu lassen, sondern eiskalt ins Verderben rennen lässt. Der Morgen danach ist nicht nur wegen des übermäßig konsumierten Alkohols eine Katastrophe. Der Schock, der einen ereilt, sobald man sich im Spiegel betrachtet, muss schlimm sein.

So war es bei mir nicht. Dieses Tattoo versinnbildlicht einen Teil von mir, den ich erst lernen musste zu begreifen. Es symbolisiert Klarheit, Freiheit, Wagemut. Dinge, die jedem leicht über die Lippen kommen, aber schwer sind, als Leitbild für sich selbst umzusetzen. Bis vor drei Jahren tat ich das auch.

Tja, nach Torin änderte sich alles, schießt es mir durch den Kopf und ich seufze kurz auf, bevor ich mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren versuche. Wie immer ist es auch diesmal ein sinnloses Unterfangen. Denn Torin Wallace war mein bester Freund. Wir wuchsen zusammen auf, kannten uns seit dem Sandkasten, teilten jedes Geheimnis miteinander. Später wurde er zu meiner geheimen Obsession. Torin hat nie davon erfahren. Warum? Weil ich ihn viel zu sehr geliebt habe, um auch nur das kleinste Risiko einzugehen, ihn für immer zu verlieren. Ein Irrglaube, wie sich herausstellen sollte. Und da ist es wieder, das Schuldgefühl. Ich hätte … nein, ich habe bemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmte, er sich bereits seit langer Zeit immer mehr in sich zurückzog. Ich entschuldige mein damaliges Verhalten, mein Schweigen damit, indem ich mir immer wieder sage, der Prozess war so schleichend, dass ich es nicht als Warnsignal einstufte. Und schließlich gab es auch noch Torins Familie, oder? Und dann war alles zu spät.

Fürs Erste schüttle ich die Gedanken ab, nur um mir über noch mehr klar zu werden. Mich von Craig und Wylie zu verabschieden fiel mir unendlich schwer. Craig hat mir in den letzten drei Jahren mehr Halt gegeben, als ihm klar ist. Er ist auch der Einzige, der weiß, wer ich in bin. Ein Mann mit gebrochenem Herzen. Ein Mann, der eine nicht wiedergutzumachende Schuld auf sich geladen hatte. Ein Mann, der eben diese Schuld versuchte zu begleichen – so gut wie möglich. Das ist aber auch schon alles, denn ich habe mich ihm nie vollends anvertraut.

Wiedergutzumachende Schuld war einer der Gründe, weshalb ich unter einem Vorwand meine Zeit im Irvine-Center verbrachte. Jeder außer Craig nahm an, ich wäre einer von ihnen: ein Opfer von Missbrauch und Gewalt. Dem ist nicht so. Zumindest nicht direkt. Wie soll ich es ausdrücken? Ich war eher mit einem Angehörigen zu vergleichen, der von einer auf die andere Sekunde mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert wird und sich Vorwürfe macht, Anzeichen ignoriert zu haben.

So dachte ich bis vor einem halben Jahr, als ich durch Zufall etwas herausfand, das mich alles Bisherige infrage stellen ließ.

Das war dann auch der Zeitpunkt, als ich Reed MacKinnon engagierte – Privatdetektiv und mittlerweile sowas wie ein Freund. Letzteres ist wohl auch der Grund, warum ich ihm seinen rüden Tonfall durchgehen lasse. Eine Tatsache, die ich in meinem Dasein als Geschäftsmann niemals in Erwägung ziehen würde.

Da ich quasi ein Doppelleben führe, denke ich, es wären so einige Menschen erstaunt, wenn sie über Douglas Burnett Bescheid wüssten. Ich leite seit Jahren ein erfolgreiches Unternehmen, das sich auf Planung und Ausstattung von Fitnessstudios spezialisiert hat. Nicht nur das. Denn wir modifizieren Sportgerät je nach Kundenwunsch.

Man könnte auch sagen, ich habe mein früheres Hobby – oder die Flucht vor der eigenen Familie – in eine lukrative Einnahmequelle verwandelt. Burn for Fitness Inc. – der Name entstand aus einer Bierlaune heraus – ist mittlerweile landesweit aktiv, beschäftigt etliche festangestellte Mitarbeiter in der Produktion und Verwaltung, diverse Außendienstler und Subunternehmen, die in meinem Auftrag handeln.

Meine rechte Hand ist Jeff. Er übernimmt die Leitung, sobald ich abwesend bin. Ein Umstand, der es mir erst ermöglichte, Zeit im Irvine-Center verbringen zu können, wo ich als der große, tätowierte und naive Muskelprotz bekannt bin. Nicht dass sie mich dort nicht mögen würden, nein, sie kämen allerdings auch nicht auf die Idee, ich könnte hinter Burn for Fitness stecken. Eine Fassade, die bis vor einiger Zeit wunderbar funktioniert hat, jedoch beginnt, sich in ihre Bestandteile aufzulösen. Was wiederum ein weiterer Grund ist, mich zurückzuziehen und endlich die Scharade zu beenden.

Ich schaue auf die Uhr. Es ist gerade kurz nach sieben und ich sollte … Na super, ich weiß gar nicht, wo mich Reed überhaupt erwartet. Augenrollend rufe ich ihn zurück. Er ist sofort in der Leitung und fragt gelangweilt: »Ist dir dann doch noch aufgefallen, dass du die Adresse brauchst?«

»Sorry, Kumpel.« Ich kann Reed nur bewundern, mit welcher Gelassenheit er auf meine Impulsivität reagiert. Wobei er im Moment nicht gelassen, sondern eher distanziert wirkt.

»Schon gut.«

»Na ja, du hättest sie mir auch einfach schicken können, oder?«, ziehe ich ihn auf, in dem Versuch diese seltsame Spannung zwischen uns zu lockern. Ich muss zugeben, in letzter Zeit stört es mich, sobald Reed auf Abstand geht. Selbst wenn es nur telefonisch ist.

»Hätte ich und habe ich. Du müsstest nur mal deine Nachrichten lesen.« Er kennt mich mittlerweile viel zu gut.

Auch wenn ich meine Brötchen als Selbständiger verdiene und faktisch rund um die Uhr erreichbar sein sollte, hasse ich Smartphones aus tiefstem Herzen. Ich rufe schnell Reeds Message ab. »Also gut, dann habe ich nichts weiter gewollt. Ich mach mich jetzt auf den Weg. So wie es aussieht, könnte ich spätestens in einer Stunde in Glasgow sein.«

»Alles klar.«

Mit einem unguten Gefühl in der Bauchgegend drehe ich den Zündschlüssel um und der Motor beginnt leise vor sich hin zu surren. Ich werfe einen allerletzten Blick zurück, um dann Gas zu geben, auf die Johnston einzubiegen und in eine ungewisse Zukunft zu fahren.

 

~*~

 

EIN MANN NAMENS CARNEGIE

 

– Reed –

 

Eine Stunde? Gut, dann bleibt mir noch ein wenig Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass unser Arrangement heute ein Ende findet.

 

Die Jobbeschreibung war einfach, dachte ich jedenfalls zu Beginn. Mach einen Mann ausfindig, hieß es. Keine große Sache, hieß es. Ich hätte allerdings schon stutzig werden sollen, als Douglas mir sagte, Torin Wallace gelte offiziell als tot. Todesursache: Suizid. Wer kommt denn bitte auf die hirnverbrannte Idee, nach einem toten Mann zu suchen?

Ihr wollt wissen, was ich gedacht habe? Das kann ich euch verraten. Ich muss ihn angeglotzt haben wie ein Vollidiot, während mir durch den Kopf ging, dass der Mann nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Aber bitte, wenn er mit seinem Geld nichts Besseres anzufangen weiß, dann immer her damit.

Ihr denkt, ich wäre egoistisch? Was soll ich sagen? Ich bin Privatdetektiv und wenn ich einen Fall zwischen die Finger bekomme, der derart interessant klingt wie der von Doug, nehme ich den an und frage nicht lange nach. Umso mehr, da sein Angebot, was die Bezahlung betraf, mir um ein Haar einen Herzinfarkt beschere. Der Mann meinte es offenbar ernst. Rein vom finanziellen Standpunkt betrachtet, hätte ich Prügel verdient, wenn ich abgelehnt hätte. Mit den bisherigen Aufträgen konnte ich mich halbwegs über Wasser halten. Ich nagte nicht am Hungertuch, wenn ich genau sein soll. Was immerhin mehr war, als mein Dad mir anfangs prophezeite. Er war dabei keinesfalls herablassend, eher so, wie es Eltern eben sind, die sich Sorgen um ihre Sprösslinge machen und ihnen versuchen ins Gewissen zu reden, obwohl sie von vornherein die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens kennen.

Zurück zu Douglas Burnett. Mir wurde eins sofort klar, niemand, der noch recht bei Trost ist, gibt so viel Geld aus, ohne einen triftigen Grund zu haben. Somit gab ich alle laufenden Fälle an einen Kollegen ab.

Hört sich hochtrabend an, ist es jedoch nicht. Größtenteils beschäftige ich mich mit Ehebruch. Meine Klienten, egal ob Männlein oder Weiblein, wollen entweder den Beweis für Treue oder Untreue. Letzteres, um den jeweiligen Partner ohne großes Trara in die Wüste zu schicken.

Ich habe bisher in meiner Laufbahn als Schnüffler dermaßen viel Betrug aufgedeckt, sodass ich bereits vor langer Zeit den Wunsch nach einer festen Beziehung ad acta legte. Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, ich würde leben wie ein Mönch. Ich bin doch nicht lebensmüde – also fast. Auch wenn man mir nachsagt, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank, als ich nur ein Jahr nach der Grundausbildung zum Police Officer meinen Job an den Nagel hing, um mich als Privatdetektiv selbstständig zu machen. Ich fühlte mich in dieser Welt der Vorschriften eingeengt. Weshalb ich so schnell wie möglich die Kurve kratzte. Um ehrlich zu sein, hatte ich den Weg ursprünglich nur um meines Vaters Willen eingeschlagen. Denn ich entstamme einer Familie, die seit vier Generationen für Recht und Ordnung sorgt.

Was Dougs Beweggründe betraf, mich auf die Suche nach einem Toten zu schicken, erfuhr ich erst später. Mich lockte nicht nur das Geld. Der Fall an sich schien von Tag zu Tag interessanter zu werden. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, es lag auch an Douglas Burnett, weshalb ich den Auftrag annahm. Der Mann faszinierte mich von Anfang an.

Meine erste Amtshandlung war die Kontaktaufnahme zu einem alten Freund, der im Western General arbeitet. Er gewährte mir Einsicht in die Krankenakte von Torin Wallace, aus der eindeutig hervorgeht, dass eben jener Mann mit einer Überdosis Schlaftabletten seinen Abschied nahm.

Dougs Reaktion darauf? »Ich kenne den Befund.« Da saß er nun, in seinem feinen Zwirn, das dunkelblonde Haar im Nacken zusammengebunden und starrte mich wütend über meinen Schreibtisch hinweg an.

Ich glaube, das war der Moment, als ich begriff, dass Douglas Burnett der einsamste Mensch auf Erden ist. Keine Ahnung was mich dann ritt, als ich aufstand, um den Tisch ging, neben ihm auf einen der Besucherstühle glitt und hoffte, er würde der Wahrheit ins Gesicht sehen können. »Mr. Burnett, ich will ja nicht nervig erscheinen oder mir selbst das Wasser abgraben, indem ich versuche Sie zu überzeugen, dass Torin Wallace tatsächlich nicht mehr unter den Lebenden weilt. So leid es mir auch tut, so stehen nun mal die Aktien. Und ich glaube, es wäre nur fair, wenn ich Ihnen die Aussichtslosigkeit Ihres Vorhabens jetzt klarmache. Sie sparen sich eine Menge Geld. Und ich möchte nicht, dass Sie sich zu viel erhoffen, nur um dann enttäuscht zu werden.«

Dougs Mund presste sich zu einem weißen Strich zusammen, ehe er seine Arme vor sich verschränkte, was seine breiten Schultern noch mehr zur Geltung brachte, mir fest in die Augen sah und mit leiser, bedrohlich wirkender Stimme sagte: »Torin Wallace lebt nicht mehr? Diese Meinung würde ich wahrscheinlich auch heute noch vertreten, hätte es da nicht den Vorfall am Flughafen gegeben, als er mich fast über den Haufen rannte.« Sein Blick fixierte meinen und ich musste heftig schlucken, denn darin lag eine Entschlossenheit, die mir imponierte. »Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass dieser Mann noch am Leben ist. Ich kenne ihn schon über dreißig Jahre. Auch wenn er so getan hat, als wäre ich ein Fremder und sich nach einer kurzen Entschuldigung vom Acker machte, weiß ich definitiv, ER WAR ES.« Wie bei unserem ersten Gespräch schwang in jedem Wort Wut mit. Doug stand auf, klappte die Unterlagen zu, legte sie auf meinen Schreibtisch und fuhr fort: »Wenn Sie der Meinung sind, ich würde an Wahnvorstellungen leiden, bitte schön. Das ist Ihr gutes Recht. Dann wünsche ich Ihnen ein schönes Leben und suche mir einen anderen, der den Fall übernimmt. Sagen Sie mir einfach, was ich Ihnen …«

Ich sprang auf und unterbrach ihn: »Immer schön langsam mit den jungen Pferden. Hatte ich etwa gesagt, dass ich den Auftrag ablehne?« Der Mann meinte es todernst. Er wollte mich doch tatsächlich abservieren. Obendrein empfand ich es damals als sehr persönlich. Was total absurd war. Denn immerhin unterhielten wir eine rein geschäftliche Beziehung.

Douglas nickte und drückte mir einen Briefumschlag in die Hand. »Na dann. Das sollte fürs Erste Ihre Spesen decken. Melden Sie sich, wenn Sie noch etwas benötigen.«

Es erwies sich, dass Douglas mit der Annahme, Torin würde noch unter den Lebenden weilen, vollkommen richtig lag. Was mir jedoch nicht in den Kopf wollte, war, warum täuscht jemand sein Ableben vor, der im Grunde aus einem absolut stabilen Elternhaus kommt, erfolgreich in seinem Job ist und mindestens einen sehr guten Freund sein Eigen nennen kann?

Das erste Mal spürte ich Wallace vor zwei Monaten in Manchester auf. Ich sollte ihn jedoch nicht eher kontaktieren, bevor Douglas vor Ort war – eine seiner Bedingungen. Eine dumme Idee. Denn als er eintraf, stellten wir fest, dass der Kerl bereits über alle Berge war. Die Nachbarn konnten uns keinerlei Auskunft geben. Sie meinten nur, Mr. Mitchel wäre erst vor ein paar Tagen eingezogen und hätte sich sehr abweisend verhalten.

Sich für jemand anderen auszugeben, ist eine Sache, obendrein von der Außenwelt zu distanzieren, eine andere. Denn wie man sieht, hinterlässt das keinen guten Eindruck und bleibt den Menschen im Gedächtnis. Und eben genau das ließ mich hellhörig werden. Ich fragte Douglas, ob es möglich wäre, dass sein totgeglaubter Freund in größeren Schwierigkeiten stecke. Er zuckte nur die Schultern und erwiderte: »Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein sollte.« In dem Moment kam es mir vor, als würde er noch etwas hinzufügen wollen. Er schwieg. Dann forderte er kurz angebunden, ich solle einfach meinen Job machen und ihn finden. Es war ein glücklicher Zufall, der mich erneut auf Wallace’ Spur brachte.

 

Das Mehrfamilienhaus, welches ich nun seit einer geschlagenen Stunde aus sicherer Entfernung observiere, wirkt marode. Für diese Wohngegend, in der die Apartments eher Arbeiterschließfächern ähneln, jedoch nicht ungewöhnlich.

In Gedanken vertieft werfe ich einen Blick auf die Uhr. Douglas müsste gleich hier sein. Im selben Moment wird die Beifahrertür geöffnet und ich gebe verdrossen von mir: »Wird auch Zeit.«

Nur dass es nicht Douglas ist, der schwerfällig auf dem Beifahrersitz Platz nimmt, sondern ein grimmig schauender Glatzkopf, der mich unerwartet anblafft: »Fahren Sie!«

Perplex glotze ich ihn einen Atemzug lang an, um zu begreifen, was hier geschieht. »Wer sind Sie zum Geier und was machen Sie in meinem Auto?!«, motze ich zurück. Am meisten ärgere ich mich über meine eigene Dummheit. Wie hätte der Typ es sonst schaffen können, unbemerkt an mein Auto heranzutreten?

Der Stiernacken starrt mich für einen Augenblick in Grund und Boden, um dann mit einem Kopfnicken auf die Straße vor uns zu deuten. »Starten Sie das verfluchte Auto und fahren Sie, Sir

Eine kurze Musterung seiner Person und mir schwant nichts Gutes, als der Griff einer Glock unter der Jacke hervorblitzt.

»Ich werde nichts dergleichen tun, solange Sie mir nicht sagen, wer Sie sind, Mister

Plötzlich verdreht der Bursche die Augen und murrt: »Ich wusste schon beim letzten Mal, das wird nicht gut enden.«

Nicht gut enden? Beim letzten Mal? Was meint er damit? Ja, ich gebe zu, ich habe leichtes Muffensausen. Was?! Das wundert euch? Aber hallo, ich bin Schnüffler und kein Agent vom MI5. »Scheiße!«, platze ich heraus, als mir etwas in den Sinn kommt. Ich wende mich dem Schrank von einem Mann zu und frage: »Zu welcher Behörde gehören Sie? Und kann es sein, dass Wallace im Zeugenschutzprogramm ist?«

»Hören Sie, Sir, wir sollten wirklich fahren«, bittet er mich nun schon fast flehentlich.

Hier ist sowas von die Kacke am Dampfen, denke ich, als ich den Motor starte und wie ein Geisteskranker Gas gebe. »Also habe ich recht?«

Aus dem Augenwinkel bemerke ich nur, wie seine Oberlippe abfällig zuckt. Allerdings herrscht weiterhin Schweigen im Walde.

»Tja, also«, stammle ich, »wenn das der Fall ist, dann tut es mir leid, Ihnen dermaßen auf die Pelle gerückt zu sein. Aber Sie sollten wissen …«

»Fahren Sie! Und es ist durchaus möglich, dass Sie recht haben.« Er schaut mich eindringlich an. »Das sage ich Ihnen, weil ich weiß, wer Sie sind, Mr. MacKinnon, und ich davon ausgehe, dass Sie Ihren Job auch in Zukunft ausüben wollen.«

»Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, wie ich sehe.«

»Was man von Ihnen nicht behaupten kann. Wenn Sie sich nicht mit dem SCD anlegen wollen, muss Ihnen das an Informationen fürs Erste langen. Und jetzt fahren Sie endlich!«

»Was glauben Sie, was ich hier mache?«, blaffe ich todesmutig zurück, während ich stumm sinniere: SCD also? Dann eben nicht der MI5. Ich habe nur ins Blaue geraten. Wie es scheint mitten ins Schwarze getroffen. Wir sprechen hier tatsächlich vom Zeugenschutzprogramm, für das die Specialist Crime Division zuständig ist. Eine Sondereinheit der schottischen Polizei. »Nun gut, dann wäre das ja mal geklärt. Wobei ich doch ganz gerne einen Ausweis sehen würde.«

Überraschend bereitwillig zieht der Mann etwas aus dem Kragen seines Hemdes hervor und hält mir seine Marke vor die Nase.

Ich werfe einen kurzen Blick drauf. »Toll«, kommentiere ich sarkastisch. »Da ich mich aufs Fahren konzentrieren muss, wäre es durchaus hilfreich, wenn Sie mir jetzt noch Ihren Namen verraten, da ich ihn nicht erkennen konnte.«

»Carnegie.«

»Okay.« Ob das der Wahrheit entspricht, sei mal dahingestellt. »Tja, Mr. Carnegie, wie soll ich das jetzt sagen, ohne Ihnen auf den Schlips zu treten? Ihr Jungs macht da keinen sonderlich guten Job, nicht wahr? Denn wenn ich euch aufspüren konnte …« Ich zucke mit den Schultern. »Na ja, ihr seid auch nur Menschen. Im Übrigen sollte ich Ihnen vielleicht sagen, dass …«

»Himmelherr, kannst du nicht einfach mal die Klappe halten?«

Ich hebe kapitulierend die Hände vom Lenkrad. »Ist ja schon gut. Dann sage ich Ihnen eben nicht, dass mein Auftraggeber in den nächsten Minuten vor dem Haus eintrifft, in dem Sie versuchen Ihren Schützling zu verstecken.«

»Oh verflixt und zugenäht!«, brummt mein grimmiger Begleiter, ehe er ein Handy aus der Innentasche seiner Jacke hervorholt, wie wild darauf herumtippt und es dann ans Ohr hält. »Seht zu, dass ihr da wegkommt!« Es folgt kein weiteres Wort, als das Smartphone den gleichen Weg zurück antritt.

»Wohin darf ich Sie bringen?«, erkundige ich mich. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass ich den Bogen eventuell ein wenig überspanne, indem ich jetzt einen auf Miss Daisy und ihr Chauffeur mime. Aber das ist mir lieber als den Duckmäuser zu spielen. Und wenn mir Carnegie bisher nichts angetan hat, wird er es jetzt auch nicht mehr – hoffe ich.

»Fahren Sie die Nächste links und halten Sie dann an.«

»Alles klar.« Gesagt, getan. Als wir am Straßenrand stehen, blicke ich fragend zur Seite. »Vielleicht wäre es sinnvoll, meinem Auftraggeber Bescheid zu geben, dass wir uns woanders treffen?«

Er wedelt auffordernd mit der Hand herum. »Ja, machen Sie schon! Erzählen Sie Mr. Burnett aber nichts von der Zeugenschutzsache.« Carnegie blickt mich eindringlich an und wechselt plötzlich in einen seltsam intimen Tonfall. »Reed, ich bitte Sie, halten Sie Mr. Burnett noch ein bisschen auf Abstand. Ich kann Ihnen nicht sagen, worum es im Einzelnen geht, das ist Ihnen sicher auch klar. Aber wenn er weiterhin nach Torin sucht, bringt er damit nicht nur ihn, sondern obendrein sich selbst und die Familie Wallace in Lebensgefahr. Ich kann Ihnen jedoch versichern, es wird nicht mehr lange dauern, dann ist es vorbei.«

Vorbei? Heißt das, Torin kann in sein altes Leben zurück? Das sollte mich freuen. Und ja, irgendwie tut es das auch auf eine merkwürdige verquere Weise. Andererseits wird mir schlecht, wenn ich mir Douglas’ strahlendes Gesicht vorstelle, sobald er seinen alten Freund in die Arme schließen kann. Abgesehen davon, hege ich mittlerweile den Verdacht, da war sehr viel mehr als nur eine langjährige Freundschaft am Laufen. »Wie stellen Sie sich das vor? Soll ich ihn etwa belügen?«, will ich von Carnegie wissen.

»Belügen Sie ihn. Lenken Sie ihn auf irgendeine Art ab. Wie, ist mir scheißegal. Als Ermittler sollte es Ihnen nicht schwerfallen zu improvisieren.« Carnegie reibt sich über den Nacken. »Notfalls verführen Sie ihn eben.«

»Das habe ich jetzt nicht wirklich gehört«, flüstere ich entsetzt. Der Kerl hat echt Nerven. Und was mir noch mehr auf den Geist geht, ist, dass Carnegie offenbar glaubt, über uns Bescheid zu wissen, sich sein Vorschlag in mein Hirn einbrennt und mir wahnwitzige Szenarien beschert. Nicht hilfreich.

»War nur eine Anregung«, murmelt er, bevor er mich abermals mustert. »Ich hoffe, Sie begreifen die Wichtigkeit hinter all dem.«

»Sicher doch«, erwidere ich gequält und wähle Douglas’ Nummer.

»Bin gleich da«, brummt dieser mir prompt ins Ohr.

»Sorry, Kumpel. Tut mir leid, dir sagen zu müssen, dass es schon wieder falscher Alarm war.«

»Was?!«, brüllt er mich an.

»Ja, beruhig dich. Lass uns im Waterloo eine Kleinigkeit essen, bevor wir zurückfahren, okay?«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, Reed!«

»Doch. Wenn du willst, zahle ich auch«, foppe ich ihn, was sofort funktioniert.

»Ja klar, als wenn es darum geht, du Spinner. Also gut, dann bis gleich.«

Ich lege auf und muss schlucken. Es fällt mir unheimlich schwer, ihn enttäuschen zu müssen.

Plötzlich liegt eine große Hand auf meiner Schulter. »Reed, Sie tun das Richtige. Glauben Sie mir.« Dann steigt er aus und lässt mich allein in meinem Chaos zurück.

 

~*~

 

DAS WATERLOO

 

– Douglas –

 

Reeds Anruf fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Und ich dachte, heute bekäme ich endlich Antworten. Ich bin gespannt, was diesmal schiefgelaufen ist.

Frustriert betrete ich das Waterloo und werfe einen Blick in die Runde, bis ich Reed in der hintersten Ecke des Schankraumes mit einem halb vollen Bierglas am Tisch sitzen sehe. Er wirkt gedankenverloren. Und nicht nur das. Selbst von Weitem sieht man ihm an, dass ihn etwas bedrückt. Was untypisch für ihn ist. Nicht dass wir uns in den letzten sechs Monaten oft persönlich getroffen hätten. Dennoch kann ich behaupten, er machte mir bisher immer den Eindruck, eine Frohnatur zu sein. Ihn so niedergeschlagen vorzufinden, lässt ein bizarres Gefühl in mir wachsen. Für den Moment verharre ich an Ort und Stelle und versuche herauszufinden, was es ist, das mich so plötzlich aus dem Hinterhalt anfällt. Mein Blick ruht auf dem nachdenklichen Mann und ich mustere ihn, glaube ich, das erste Mal in vollem Bewusstsein.

Reed ist das ganze Gegenteil von mir. Dunkle, im Nacken kurzgeschnittene Haare, die nach oben hin länger werden und permanent den Eindruck erwecken, er wäre geradewegs aus dem Bett gestiegen, lassen in mir plötzlich den Wunsch aufkeimen, mit den Fingern hindurchzufahren. Nur um zu testen, ob sie sich so seidig anfühlen, wie sie aussehen.

Schande noch mal, was wird das denn jetzt? Reiß dich mal zusammen, Burnett!, rufe ich mich zur Ordnung. Aber ich kann meinen Blick einfach nicht abwenden. Er ist schätzungsweise eine Handbreit kleiner als ich und mit seiner drahtigen Statur könnte er glatt als Leichtathlet durchgehen. Obwohl er seinen Dreitagebart regelmäßig zu stutzen scheint, vermittelt er diesen legeren Ist-mir-egal-wie-ich-aussehe-Touch und unterstreicht das strahlende Blau seiner Augen. Dabei legt Reed sehr wohl Wert darauf, nicht wie der letzte Gammler zu erscheinen. Seine Hände sind ebenfalls gepflegt und wirken kraftvoll. Was ich unwiderstehlich finde. Wie würde es sich wohl anfühlen, wanderten sie absichtsvoll über meinen Körper?

Scheiße! Warum fallen mir diese Dinge erst jetzt auf? Eine Frage, die ich mir möglicherweise beantworten könnte. Ich sehe nur nicht, wozu das gut sein sollte.

Auch wenn ich mich der Wahrheit verschließen will, muss ich mir eingestehen, Reed MacKinnon ist ein gut aussehender Mann und ich finde ihn verdammt noch mal plötzlich extrem anziehend.

Ich stehe wie vom Blitz getroffen mitten in einem Pub in Glasgow und es ist wie eine Offenbarung. Als hätte meine Libido wie Dornröschen im Tiefschlaf gelegen und Reed wäre ihr Prinz, der sie nach einem Jahrhundert wach küsst. Nur in meinem speziellen Fall klimpert sie nicht sittsam mit den Wimpern, um dann sanft und anmutig zu erwachen. Nein, sie beschleunigt wie ein Speedway-Fahrer innerhalb weniger Sekunden von null auf hundert und setzt mich gnadenlos unter Strom. Ich habe meine liebe Not, mein bestes Stück davon abzuhalten, neugierig den Hals zu recken.

Seit Torins angeblichem Selbstmord, hatte ich keinen Mann mehr in meinem Bett. Tja, und davor immer nur sporadisch, sobald mir das Testosteron zu den Ohren herauszutropfen drohte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mir auf irgendeine Art Erleichterung zu verschaffen, sonst wäre die Gefahr groß gewesen, dass ich über meinen besten Freund herfalle. Genug jetzt!

Mit langen Schritten und einem knappen Gruß nach links in Richtung Barkeeper durchquere ich den schmalen Schlauch, der abends von sich amüsierenden Gästen überquillt, die sich notfalls auch stehend in kleinen Grüppchen zusammenfinden. Das Waterloo ist nicht nur in der LGBT-Szene bekannt, sondern heißt ein breites Publikum willkommen. Was es zu etwas Besonderem macht. Da es jedoch noch früh am Abend ist, herrscht hier eine wohlige Ruhe und lädt zum Verweilen bei Snacks und Getränken ein, bevor die ersten Nachtschwärmer einkehren.

Als ich an Reeds Seite trete, hebt er den Kopf und der grüblerische Gesichtsausdruck von zuvor ist schlagartig verschwunden, wird durch ein entschuldigendes Grinsen ersetzt. »Hey! Sorry noch mal, dass ich dich umsonst hergelotst habe.«

Ich setze mich zu ihm und bedeute der Bedienung, mir das Gleiche wie Reed zu bringen. »Na ja, ist eben nicht zu ändern. Was genau ist denn los gewesen?«

Er schaut mich an, als würde ich ihn bitten, mir die Entstehung des Universums zu erklären, ehe er die Augen verdreht und kleinlaut zugibt: »Ich stand vor dem falschen Haus. Als mir das klar geworden ist, war Torin schon wieder über alle Berge.«

»Du willst mich verarschen, oder?« Ich glaube ihm kein einziges Wort. Reed ist kein Anfänger. Und auch wenn er, so wie er mir erzählte, bisher nur Fälle von Untreue bearbeitet hat, weiß er, wo der Hase langläuft. Immerhin hatte er eine Weile im Polizeidienst gestanden. Somit würde er sich niemals wie ein Stümper anstellen.

»Nein, im Ernst. Es ist echt total blöd gelaufen. Keine Ahnung, was mich da geritten hat. Und glaub mir, es ist mir mehr als peinlich.«

Ich mustere ihn eindringlich und kann mich des Gefühls nicht erwehren, gerade verschaukelt zu werden. Obendrein wendet Reed den Blick ab, als hätte er etwas zu verbergen. »Okay«, nehme ich seine wenn auch fadenscheinige Erklärung entgegen.

Überrascht blickt er mich über den Tisch hinweg an. »Du bist nicht sauer? Ich meine, ich könnte es verstehen, wenn du mich jetzt feuerst und dir jemanden suchst, der erfolgreicher ist.«

Die Bedienung bringt mir das Bier und fragt: »Darf es noch etwas sein?«

»Ich hätte jetzt wirklich Lust auf einen Burger mit allem Drum und Dran«, setze ich an. »Was ist mit dir?«

»Hört sich gut an. Das nehme ich auch.«

»Gerne. Kommt sofort«, bestätigt das junge Ding, während sie auf ihrem Notizblock kritzelt, um dann hinter dem Tresen durch eine Schwingtür zu verschwinden.

Die ganze Zeit über beobachte ich Reed und bin am Hadern. Ist es möglich, dass ich ihn zu sehr unter Druck setze und ihm deshalb dieser Schnitzer passiert ist? Vielleicht braucht der Gute einfach mal eine Auszeit. Meine Arme auf dem Tisch, stütze ich mein Kinn auf einen Handballen, ehe ich sage: »Weißt du was? Lass uns für heute Abend einfach mal an etwas anderes denken. Ich hätte gute Lust einen drauf zu machen. Und wir reden nicht über den Grund unseres Hierseins. In Ordnung?«

Reeds Augenbrauen wandern zur Stirn hoch. »Du willst was? Wir haben noch die Heimfahrt vor uns. Auch wenn es nur knapp eine Stunde ist, glaube ich nicht, dass es eine gute Idee wäre, angesäuselt zu fahren.«

Ich überlege einen Moment. »Ach komm schon. Hast du morgen Termine?«

»Ähm, nein?«

»Dann checken wir einfach für eine Nacht im Radisson ein.«

»Bist du jetzt irre geworden?«

»Ich zahle auch«, ziehe ich ihn auf.

»Darum geht es nicht«, ziert sich Reed wie die Zicke am Strick.

»Und worum geht es?«, will ich wissen. Hat er womöglich doch Termine? Vielleicht keine geschäftlichen, aber welche, die privater Natur sind? Was mich gelinde gesagt ein wenig nerven würde.

»Ach, was weiß ich«, seufzt Reed, bevor er abwinkt und sich ergibt. »Okay, dann bleiben wir eben.« Reed wirft mir noch einmal einen ungläubigen Blick zu, den ich grinsend erwidere und rufe dann dem Barmann zu: »Jack, Whisky! Und lass uns nicht auf dem Trocknen sitzen, okay?«

Jack wirft sein Geschirrtuch auf den Tresen. »Alles klar, Jungs.«

»Woher kennst du seinen Namen?«, will Reed wissen.

»Ist zwar eine Weile her, als ich das letzte Mal hier war, aber es hat sich nichts verändert. Selbst Jack sieht noch wie damals aus.«

»Du hast in Glasgow gelebt? Wann?« Reed wirkt echt interessiert und ich könnte mir selbst in den Hintern treten, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben.

»Es war im Grunde nur ein Abstecher«, berichtige ich, bevor mich unser Essen rettet, das uns in diesem Moment serviert wird. Nur wäre Reed eben nicht Reed, würde er lockerlassen, ohne vorher von mir eine Antwort zu erhalten. Was er mir mit seinem auffordernden Blick auch klar macht, als er sich zwei Chips in den Mund schiebt und genüsslich darauf herumkaut.

Ich genehmige mir einen herzhaften Bissen vom Burger und genieße das rauchige Aroma, während ich mir überlege, ob ich Reed tatsächlich von Glasgow erzählen soll. Schließlich hatte ich eben noch gesagt, kein Wort mehr über Torin.

»Sorry, Mann.« Reed winkt ab. »Meine Neugier ist wieder nicht zu bremsen. Und es geht mich auch nichts an.«

»Bin ja selber Schuld«, gebe ich zu. »Es ist nur lange her und waren seltsame Zeiten.«

»Okay, jetzt bleibt dir nichts anderes übrig, als es mir zu erzählen. Sonst kann ich heute Nacht nicht schlafen.«

Ich schüttle den Kopf und grinse kauend, während mir ein paar durchaus interessante Dinge einfallen, die ihn mit Sicherheit so müde zurücklassen würden, dass er sich keine Sorgen um seinen Nachtschlaf machen müsste. Okay, das nimmt jetzt überhand.

Diesmal ist es Jack, der mir eine kurze Verschnaufpause verschafft. »Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, war es Glenrothes

Ich starre ihn erstaunt an. »Das weißt du noch?«

Jack wirkte früher schon wie ein gutmütiger Seebär. Er klopft mir kumpelhaft aufs Schulterblatt und brummt: »Wie könnte ich dich und deinen kleinen Freund jemals vergessen?« Dann zeigt er auf mich und sagt an Reed gewandt: »Die zwei waren echte Kindsköpfe.«

»Hey!«, wende ich empört, jedoch erfreut darüber ein, dass er sich nach all der Zeit an uns erinnert.

Mit erhobenen Händen tritt er einen Schritt zurück und zwinkert mir zu, ehe er auf die zwei Whiskygläser deutet. »Trinkt, sonst verdunstet er nur.«

Wie auf Befehl heben Reed und ich unsere Gläser und stoßen an, während Jack posaunt: »Auf alte Zeiten!« Leise grummelnd trollt er sich zurück hinter seinen Tresen und ich hätte schwören können, er murmelte: »Wer hätte gedacht, dass wir den Jungen jemals wiedersehen.«

In meinem Gedächtnis kramend, was Jack dazu bewogen haben könnte, sich auch heute noch an uns zu erinnern, beginne ich, nachdem das wohlige Brennen des Whiskys verklungen ist, wie von selbst zu berichten: »Es war in den Semesterferien, die wir nicht im Internat, sondern zu Hause verbrachten, und einen Tag nach meinem achtzehnten Geburtstag, als Torin und ich den Entschluss fassten, den alten Herrschaften die Stirn zu bieten. Wir packten unsere sieben Sachen und verschwanden von jetzt auf gleich.« Bei der Erinnerung, was uns erwartete, lache ich hart auf. »Sie waren gelinde gesagt not amused.«

»Ihr seid abgehauen? Warum denn? Ich meine, ihr stammt beide von schwerreichen Familien ab.«

»Das war ja das Problem. Meine Eltern bildeten sich schon immer eine Menge auf ihre Herkunft ein und erwarteten natürlich von mir, ihre Lebensphilosophie zu übernehmen. Was mich damals bereits gestört hat, war die Tatsache, dass sie ihr Vermögen durch Erbschaft erlangten. Sie mussten keinen Finger dafür rühren. An sich ja nichts Schlechtes. Aber sich darauf auszuruhen, das Geld ihrer Vorfahren mit vollen Händen zum Fenster rauszuschmeißen, die es mit harter Arbeit verdient hatten, und womöglich die Lorbeeren zu ernten, die ihnen im Grunde nicht zustanden, hat mich massiv gewurmt. Ich wollte niemals so werden wie sie, mit ihrem erbärmlichen Standesdünkel, der, wenn man es genau nimmt, unangebracht ist. Bei ihnen war alles mehr Schein als Sein. Sie waren – und sind es sicher immer noch – dermaßen verblendet, dass sie es nicht einmal bemerkten, wenn sie belächelt wurden. Denn von den alten, adligen Familien nahm sie nie jemand ernst.«

»War es für deine Familie tatsächlich so einträglich, die gut laufende Destillerie zu verkaufen? Und warum zieht man sich überhaupt zurück? Das begreife ich bis heute nicht«, will Reed wissen.

»Ich kann es dir wirklich nicht sagen. Um ehrlich zu sein, hat mich die Art meiner Familie eher davon abgehalten mich mit deren Geschichte auseinanderzusetzen. Ich weiß nur, dass sie sich anfangs mit zwei anderen Brennereien zusammenschlossen und dann sukzessive aus dem Geschäft zurückzogen. Schlussendlich brachte es so viel Geld ein, dass es seitdem für die Familie Burnett arbeitet. Das hat auch solange gut funktioniert, bis meine Eltern das Ruder übernahmen. Ich kann dir nicht mal sagen, wie viel überhaupt noch übrig ist. Und ich will es auch gar nicht wissen. Ich denke jedoch, sie werden nicht am Hungertuch nagen. Allerdings wird für die nächsten Generationen nicht mehr viel übrig bleiben, da bin ich mir sicher.« Mit einem Schulterzucken deute ich Reed an, dass ich das Thema mehr als gern meiden möchte. Was er mit einem zustimmenden Nicken akzeptiert und fragt: »Und Torin?«

»Was ihn angeht … Er hat sich mir nur aus Sympathiebekundung angeschlossen. Denn eigentlich hatte er keinen Anlass sich von seiner Familie abzuwenden. Sie gehören zwar ebenfalls zum Geldadel, verhielten sich jedoch nie wie Snobs.«

»Du willst mir doch nicht einreden wollen, ein ordentliches, finanzielles Polster wäre dir unwichtig? Sorry, wenn ich das jetzt mal ganz offen sage, aber du stinkst vor Geld.«

Reeds ehrliche Art hat mir von Anfang an imponiert. Es gibt nicht viele Menschen, die mir so gradlinig entgegentreten, sobald sie erfahren, aus welchem Hause ich stamme. Ich deute auf seinen Burger. »Iss, sonst wird er noch kalt. Und was meine Finanzen angeht, außer einer kleinen Starthilfe aus dem Erbe meiner Großmutter, verdanke ich mein heutiges Vermögen einer gut laufenden Firma mit engagierten Angestellten.«

»Okay, hab schon verstanden. Klappe halten«, entgegnet er und beißt kühn in sein Brötchen.

Nach einem tiefen Zug vom Bier und einigen Chips, spüre ich, wie ich immer lockerer werde und Reeds Gesellschaft genieße. Es war wohl schon lange überfällig, dass wir uns ungezwungen zusammensetzen. Ich lehne mich zufrieden zurück und überlege einen Moment, wo ich stehen geblieben bin. »Jedenfalls hatte ich die Schnauze voll, immer nur nach ihrer Pfeife tanzen zu müssen, und wollte eigene Entscheidungen treffen. Wie gesagt, Torin schloss sich mir aus Freundschaft an.« Wehmütig denke ich an die Zeit mit ihm. So verrückt und kurz sie auch war, es war rückblickend die glücklichste in meinem bisherigen Leben.

Den Verdacht auf Jungs zu stehen, hegte ich schon, als meine Mitschüler anfingen, mit ihren Eroberungen zu prahlen. Ich hielt mich diesbezüglich zurück und schob es offiziell auf den Mangel an Gelegenheit. Meine Vermutung wurde mir bestätigt, als ich begriff, dass ich duschen in Gemeinschaftsräumen und im speziellen Torins Anwesenheit währenddessen zwingend vermeiden sollte. Meine freundschaftliche Verbundenheit zu ihm wandelte sich schleichend, bis ich nur noch Augen für ihn hatte und schon glücklich darüber war, wenn wir mal ein paar Minuten ohne unsere Mitschüler im Schlepptau für uns waren. Unser überstürztes Abenteuer hatte den wunderbaren Nebeneffekt, ohne schlechtes Gewissen Tag und Nacht mit Torin zusammen sein zu dürfen. Ich genoss es in vollen Zügen, auch wenn er nie meine wahren Gefühle für ihn erfahren sollte.

»Wir waren jung und dumm«, fahre ich fort, »dachten, mit ein paar Pfund in der Tasche kämen wir schon über die Runden. Wir wollten in die weite Welt ziehen, uns mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und unseren Familien beweisen, dass wir es auch ohne ihr Geld schaffen würden. Nun ja, weiter als bis nach Glasgow kamen wir dann doch nicht.«

»Und dann seid ihr bei Jack gelandet?«, hakt Reed mit vollem Mund nach.

»Wir Trottel glaubten, wir wären die genialsten Typen auf dem Planeten. Aber es fing schon mal damit an, dass wir in ein Hotel hätten ziehen müssen, um nicht auf der Straße zu landen. Dann dachten wir: Okay, wenn wir uns so lange wie möglich die Zeit in einem Pub vertreiben, ist die Nacht so gut wie vorbei und wir könnten die verbleibenden Stunden auf irgendeiner Parkbank verbringen, um am nächsten Tag nach Jobs Ausschau zu halten.«

»Sie sahen bereits am ersten Abend wie räudige, nasse Kater aus, die man vor dem Ertrinken gerettet hatte«, ruft Jack zu uns herüber. Was Reed zum Lachen bringt.

»Das war auch nur der Fall, weil es an diesem Tag junge Hunde regnete«, entgegne ich ebenso laut und bin abermals erstaunt, wie genau Jack sich erinnern kann. Nach dem kleinen Intermezzo hier in Glasgow hatten wir keinerlei Kontakt mehr mit ihm.

Jack kommt mit der angefangenen Flasche Whisky zu uns an den Tisch und setzt sich neben mich, als er unsere Gläser auffüllt und seufzt: »Ihr habt verloren ausgesehen. Das war es auch, was mein zartfühlendes Herz angerührt hat. Denn eigentlich hätte ich euch sofort vor die Tür setzen müssen.«

»Warum?«, erkundigt sich Reed.

»Weil sie doch tatsächlich die Dreistigkeit besaßen, zwei Whisky zu bestellen. Und nicht irgendeinen, nein, sie bestanden auf Glenrothes. Die Rotzlöffel taten so, als würden sie sich damit auskennen.«

»Okay, und davon mal abgesehen, dachten Sie, sie wären noch zu jung?«

»Mir war in dem Moment egal, wie alt sie waren. Meinetwegen so alt wie Methusalem. In ihrem Zustand hätten sie keinen einzigen Tropfen davon runterbekommen, ohne sofort umzufallen. Ihre Mägen knurrten so laut, selbst mein Herzblatt Elsi konnte sie in der Küche hören. Jedenfalls lange Rede, kurzer Sinn. Wir haben sie gefüttert, dann bekamen sie wie gewünscht ihren Glenrothes und es geschah genau das, was ich erwartet hatte. Es dauerte keine zehn Minuten und sie lagen schnarchend auf der Eckbank.«

Reed schaut mich mitfühlend und zugleich amüsiert an. »Wie lange wart ihr denn schon unterwegs?«

»Wir sind getrampt«, murmle ich, da es mir immer noch ziemlich peinlich ist.

»Drei Tage oder was?«, erkundigt sich Reed vergnügt.

»Nein, du Schlaumeier. Drei Stunden. Aber hey, wir waren jung. Zu der Zeit hätte ich alle dreißig Minuten etwas essen können.«

Dass Reed sich ein Lachen verkneift, ist nicht zu übersehen, weshalb ich ihn böse anfunkele und er sich verlegen räuspert, um sich mit einem Blick zur Seite ein Salatblatt in den Mund zu stopfen. Kindskopf!

Ich schiebe den halbleeren Teller von mir und nehme das Glas von Jack entgegen, der nun ein drittes aus seiner Schürzentasche hervorzaubert und sich ebenfalls einschenkt. Er prostet erst Reed zu, dann schaut er mich an und nickt anerkennend, ehe er sein Glas gegen meins stößt: »Auf die Jugend, das Abenteuer und die Liebe. Slàinte mhath!«

»Slàinte mhath!«, erwidern wir einhellig, schütten uns in einem Zug das bernsteinfarbene Gold hinter und knallen wie Piraten die dicken Gläser auf den Tisch.

Jack sinkt relaxt in den Stuhl zurück, verschränkt die Arme und schaut zwischen Reed und mir hin und her, als würde er etwas wissen wollen. Dann bleibt sein Blick an mir hängen. »Aus dir ist doch tatsächlich ein ansehnlicher Kerl geworden, mein Junge.«

»Ich fühle mich geehrt, Jack. Dass dem so ist, habe ich nicht zuletzt dir zu verdanken.«

»Was ist aus deinem damaligen Begleiter geworden? Wie hieß er noch gleich?«

»Torin«, antworte ich reflexartig. Wieso weiß er meinen Namen noch, den von Torin hingegen nicht?

»Ach stimmt.«

»Ich hab ihn aus den Augen verloren«, lüge ich Jack an. Wobei es irgendwie auch die Wahrheit ist.

»Das ist schade. Und ich dachte immer, ihr findet doch noch zusammen«, murmelt Jack, um dann abermals die Gläser zu befüllen. Dass er auf diesen Gedanken kommt, entbehrt jeder Logik. Seinen Irrglauben berichtigen zu wollen, empfinde ich als unnötig.

Allerdings bleibt mir der wissende Blick von Reed nicht verborgen. Wobei wissend nicht das richtige Wort ist. Er wirkt eher, als hätte Jack ihm eine Vermutung bestätigt. Was auch immer es für eine ist.

Als die Eingangstür geöffnet wird, schaut Jack sich um und springt auf. »Ich muss dann wieder.« Er stellt uns demonstrativ die Flasche mitten auf den Tisch. »Lasst es euch schmecken. Der geht heute aufs Haus, weil ich mich so freue, dich zu sehen, Doug.«

»Wow, das ist sehr großzügig«, bedanke ich mich.

»Ehrensache. Oh und nur zur Vorwarnung, Elsi hat sicher spitzgekriegt, dass du hier bist. Also mach dich auf was gefasst, mein Junge.«

»Okay, danke für die Warnung.«

»Bis später, ihr zwei.« Jack trottet hinter die Bar und begrüßt die soeben eingetroffenen Gäste.

»Wie lange wart ihr hier?«, fordert Reed nun meine Aufmerksamkeit.

»Jack hat uns am nächsten Morgen die Hammelbeine langgezogen und nach Hause geschickt. Glaub mir, du willst dich niemals mit ihm anlegen.«

»Du sagtest, es war einen Tag nach deinem Geburtstag. Dann ist das jetzt wie lange her, achtzehn Jahre? Und Jack kann sich, trotzdem ihr nur einen Tag hier wart, noch an euch erinnern? Erstaunlich.«

»Ja, ich meine, ich habe seinen Namen nie vergessen können. Aus diversen Gründen. Aber dass er noch so genau weiß, was damals abgelaufen ist, wundert mich ebenfalls.«

»Ich würde mal behaupten, ihr zwei habt einen bleibenden Eindruck hinterlassen.«

»Muss wohl so gewesen sein«, murmle ich leise und sinniere über den zurückliegenden Tag, während ich gedankenverloren das Kondenswasser vom Bierglas wische.

Ist es nicht merkwürdig, wie schnell sich Umstände und Ansichten ändern können? Und ist es nicht noch viel erstaunlicher, wie tiefgreifend kurze, scheinbar triviale Begegnungen unser Leben beeinflussen?

Da sitze ich nun in einem Pub, an den ich seit Jahren keinen einzigen Gedanken verschwendet habe und mir erscheint dieses Beisammensein mit Reed und Jack so folgenschwer wie das letzte von vor achtzehn Jahren.

Der alte Seebär steckte uns in dieser Nacht in zwei Feldbetten im Hinterzimmer. Elsi musste er mit aller Gewalt von uns fernhalten, da sie sich am liebsten zu uns ans Bett gesetzt hätte, um über uns zu wachen. Zumindest erzählte er uns das dann beim Frühstück, im Zuge dessen er uns auch versuchte zu überzeugen, doch lieber nach Hause zurückzukehren und dort unseren Mann zu stehen. Weglaufen wäre etwas für Drückeberger und er würde uns nicht für Feiglinge halten. Natürlich dauerte seine Standpauke weitaus länger, nur dieser eine Satz prägte mich, brachte mich zum Nachdenken und schlussendlich zur Vernunft. Er hatte recht. Wenn ich etwas verändern wollte, durfte ich nicht davonlaufen, sondern musste mein Leben in die Hand nehmen, und zwar da, wo ich mich wohlfühlte – in meiner Heimatstadt Edinburgh. Und das ist es, was ich meine, wenn ich sage, kleine Gesten oder auch nur ein Wort können so unendlich viel bewirken.

 

Ende der Leseprobe

 

 

»INSIGHT«

© 2017 Nele Betra

Impressum

Texte: Nele Betra
Bildmaterialien: Shutterstok
Cover: Nele Betra
Lektorat: Brigitte Melchers
Satz: Nele Betra
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2018

Alle Rechte vorbehalten

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