Das Monster in der Alten Donau
Wilhelm hat schon ein kleines Vermögen in Köder investiert, um den König der Alten Donau an die Angel zu bekommen.
Der Hecht wurde von vielen Anglern wegen seiner außergewöhnlichen Länge von über 1,50m, seiner Schlauheit, seiner Angriffslust und seiner Gefräßigkeit auch das Monster genannt. Andere tauften ihn Dracula, weil er mehreren ahnungslosen Badegästen durch einen plötzlichen schmerzhaften Biss Angst und Schrecken eingejagt hat. Er hatte es besonders auf die Zehen abgesehen. Manchmal aber, wenn ihm unwiderstehlich appetitlich geformte Schenkel oder Hinterteile angeboten wurden, biss er auch dort, vorzugsweise in die von jungen Frauen, mit Genuss hinein. Obwohl er in der Regel solche Opfer danach sofort wieder losließ, sind mehrere Male weibliche Badegäste so in Panik geraten, dass sie beinahe ertrunken wären.
Da er sich gewöhnlich nur in bestimmten schilfreichen Uferzonen, wo Baden nicht erlaubt ist, aufhielt, unternahm die Wiener Stadtverwaltung nichts, um den hinterlistigen bissigen Gesellen zu entfernen. Weil aber immer wieder Beschwerden wegen im Wasser erlittener Bisswunden eintrafen, ließ sie schließlich an jenen Gebieten Warntafeln aufstellen. In Form von humorvollen Karikaturen wurde darauf hingewiesen, dass man damit rechnen müsse, von einem kapitalen Hecht, der nur sein Gebiet verteidige, mit Bissen in die Zehen und Weichteile vertrieben zu werden. Ausgenommen waren nur zwei private uneinsichtige kleine Strände, die an jene Schilfzonen grenzten. Der Raubfisch schien aber jene Bereiche zu meiden; denn bisher hatte dort niemand mit den scharfen Zähnen Draculas Bekanntschaft gemacht.
Naturschützer waren dem Hecht sogar dankbar, weil er sehr effektiv gerade jene Gebiete schützte, wo unzählige Wasservögel brüten. Es gelang ihnen sogar, den König der Alten Donau unter besonderen Schutz stellen zu lassen. Die zuständige Wiener Behörde informierte die Anglervereine, dass der kapitale Hecht nicht geangelt werden dürfe. Sollte er unbeabsichtigt an einen Angelhaken geraten, sei er unverzüglich wieder freizulassen.
Allein schon wegen seines schier unstillbaren Appetits auf die besten jungen Speisefische, die man ausgesetzt hatte, versteht es sich von selbst, dass viele Angler im Schutze des blickdichten Schilfgürtels dem gefräßigen Räuber mit allen Tricks nachstellten, um ihm für immer das Handwerk zu legen. Die geringe Gefahr, von Kontrolloren dabei erwischt zu werden, und die angedrohte hohe Geldbuße entrichten zu müssen, nahmen sie gerne in Kauf.
Zu diesen gehörte auch Wilhelm. Er besaß ein Häuschen an der Alten Donau mit einem Bootssteg, der in jenen Schilfgürtel hineinreichte. Das Haus war von Bäumen und Gebüsch umgeben, und der Steg von hohem Schilf gesäumt; sodass er von neugierigen und wachsamen Blicken vollkommen abgeschirmt war. Sein Grundstück und das angrenzende waren die weiter oben erwähnten beiden privaten Bereiche, wo Angeln und Baden erlaubt waren.
Er nannte das bescheidene Haus mit dem naturbelassenen Garten sein kleines Paradies. Er hatte nach der Scheidung von Angelika, mit der er zwanzig Jahre verheiratet gewesen war, in einer kleinen Wiener Mietwohnung im 2. Bezirk mehr gehaust als gewohnt. Sie hatte nur aus zwei Zimmern bestanden, deren Fenster auf einen Innenhof, eher ein dunkler quadratischer Schacht, wiesen. Er war gezwungen gewesen, auch bei Tag die Innenbeleuchtung einzuschalten, weil ihn kein direktes Sonnenlicht erreichte. Es war für ihn ein finsterer Kerker gewesen. Vorher hatte er mit Angelika in einem geräumigen Haus mit einem großen Garten gelebt. In den vier Jahren, die er in jener Absteige hatte verbringen müssen, war er verkümmert wie eine sonnenliebende Pflanze, die mit spärlichem Licht auskommen muss. Er war so deprimiert gewesen, dass er sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, sich das Leben zu nehmen.
Viele Monate hindurch hatten ihn plötzliche Angstattacken in Panik versetzt. Gewissensbisse und Zweifel waren seine ständigen Begleiter gewesen. Er hatte Angelika nicht verlassen, weil sie ihn betrogen oder ihm irgendetwas Böses zugefügt hätte, sondern nur, weil sie sich gefühlsmäßig fremd geworden waren. Sie hatte das nicht so gesehen, oder nicht so sehen wollen, und daher alle erdenklichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Scheidung in die Länge zu ziehen und ihn mürbe zu machen. Sie hatte ihre beiden schon erwachsenen Söhne auf ihre Seite gebracht. Sie durften keinerlei Kontakt mit ihm aufnehmen.
Ihr Plan, ihn durch Isolation zur Verzweiflung zu bringen, und ihn zur Rückkehr zu bewegen, wäre beinahe geglückt. Bei einem Spaziergang durch den Donaupark hatte er sich entschieden, zurückzukehren und sie auf den Knien zu bitten, ihm zu verzeihen. Er könne ohne sie und die Kinder nicht leben ...
Er hatte seinen Weg, tief in Gedanken versunken, an der Alten Donau fortgesetzt. Wird sie ihm überhaupt noch verzeihen wollen? Wie werden ihn seine beiden Söhne empfangen? Werden sie ihn wieder als ihren Vater akzeptieren? Vielleicht hat Angelika schon einen anderen Verehrer gefunden und würde ihm mit einem triumphierenden Lächeln die Tür vor der Nase zuschlagen. Verdient hätte er ja das!
Eine laute verzweifelte männliche Stimme hatte ihn aus seinen trüben Gedankengängen gerissen. Als er aufblickte, sah er in einem Vorgarten einen Mann unter einer umgekippten mit Erde gefüllten Schubkarre liegen.
„Bitte helfen Sie mir doch?!“, brachte dieser mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor. „Die verdammte Schubkarre! Ich kann mich nicht mehr aufrichten. Ich glaube, mein rechtes Bein ist gebrochen!“
Nachdem Wilhelm die Schubkarre entfernt, den Mann vorsichtig auf den Rücken gelegt, das verletzte Bein mit einer Decke gepolstert hatte, verständigte er die Rettung.
Als der Verletzte namens Simon Geyer das Krankenhaus verlassen konnte, hatten er und seine Frau Sybille Wilhelm angerufen, und ihn in ihr Haus an der Alten Donau eingeladen. So hatte Wilhelm Simon Geyer und dessen Frau kennengelernt und sich mit ihnen angefreundet. Die beiden wurden, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, Wilhelms Lebensretter. Die aufrichtige Dankbarkeit der beiden gastfreundlichen Menschen war Balsam auf Wilhelms kranker Seele. Er schöpfte neuen Lebensmut und war sich nun sicher, dass seine Entscheidung, sich von Angelika zu trennen, richtig gewesen war. Mit der tatkräftigen Unterstützung seiner neuen Freunde zog er die Scheidung zügig mit Erfolg durch. Seine beiden Söhne nahmen wieder Kontakt mit ihm auf, und nach zwei Jahren, als Angelika einem Kollegen, der ihr schon seit vielen Jahren den Hof gemacht hatte, das Jawort gegeben hatte, versöhnte sie sich auch mit Wilhelm.
Simon Geyer war bei einer amerikanischen Firma in Wien angestellt. Als er von seinem Chef das Angebot bekam, eine leitende Stelle am Hauptsitz der Firma in New York zu übernehmen, entschied er sich mit Zustimmung seiner Ehefrau, dieses anzunehmen und in die USA zu übersiedeln. Die beiden baten Wilhelm, sich um ihr Haus an der Alten Donau zu kümmern, und überließen es ihm schließlich für einen Freundschaftspreis, als sie sich entschlossen hatten, für immer in New York zu bleiben. So war er zum Besitzer eines kleinen Paradieses geworden.
Simon Geyer hatte ihn vor dem gefräßigen Wassermonster gewarnt. Es wäre nicht ratsam, sich auf den Steg zu setzen und mit entblößten Füßen im Wasser zu plantschen. Er hatte diese Warnung für Anglerlatein gehalten, aber dann seinen Leichtsinn bitter bereut. Der Biss war so kräftig gewesen, dass er beinahe zwei Zehen verloren hätte ...
Danach hatte er sich geschworen, nicht eher zu ruhen, bis er das Monster, am Spieß goldgelb knusprig gebraten, genießen könne ...
Wilhelm hat schon ein kleines Vermögen in Köder investiert, um den König der Alten Donau an die Angel zu bekommen.
Der Hecht wurde von vielen Anglern wegen seiner außergewöhnlichen Länge von über 1,50m, seiner Schlauheit, seiner Angriffslust und seiner Gefräßigkeit auch das Monster genannt. Andere tauften ihn Dracula, weil er mehreren ahnungslosen Badegästen durch einen plötzlichen schmerzhaften Biss Angst und Schrecken eingejagt hat. Er hatte es besonders auf die Zehen abgesehen. Manchmal aber, wenn ihm unwiderstehlich appetitlich geformte Schenkel oder Hinterteile angeboten wurden, biss er auch dort, vorzugsweise in die von jungen Frauen, mit Genuss hinein. Obwohl er in der Regel solche Opfer danach sofort wieder losließ, sind mehrere Male weibliche Badegäste so in Panik geraten, dass sie beinahe ertrunken wären.
Da er sich gewöhnlich nur in bestimmten schilfreichen Uferzonen, wo Baden nicht erlaubt ist, aufhielt, unternahm die Wiener Stadtverwaltung nichts, um den hinterlistigen bissigen Gesellen zu entfernen. Weil aber immer wieder Beschwerden wegen im Wasser erlittener Bisswunden eintrafen, ließ sie schließlich an jenen Gebieten Warntafeln aufstellen. In Form von humorvollen Karikaturen wurde darauf hingewiesen, dass man damit rechnen müsse, von einem kapitalen Hecht, der nur sein Gebiet verteidige, mit Bissen in die Zehen und Weichteile vertrieben zu werden. Ausgenommen waren nur zwei private uneinsichtige kleine Strände, die an jene Schilfzonen grenzten. Der Raubfisch schien aber jene Bereiche zu meiden; denn bisher hatte dort niemand mit den scharfen Zähnen Draculas Bekanntschaft gemacht.
Naturschützer waren dem Hecht sogar dankbar, weil er sehr effektiv gerade jene Gebiete schützte, wo unzählige Wasservögel brüten. Es gelang ihnen sogar, den König der Alten Donau unter besonderen Schutz stellen zu lassen. Die zuständige Wiener Behörde informierte die Anglervereine, dass der kapitale Hecht nicht geangelt werden dürfe. Sollte er unbeabsichtigt an einen Angelhaken geraten, sei er unverzüglich wieder freizulassen.
Allein schon wegen seines schier unstillbaren Appetits auf die besten jungen Speisefische, die man ausgesetzt hatte, versteht es sich von selbst, dass viele Angler im Schutze des blickdichten Schilfgürtels dem gefräßigen Räuber mit allen Tricks nachstellten, um ihm für immer das Handwerk zu legen. Die geringe Gefahr, von Kontrolloren dabei erwischt zu werden, und die angedrohte hohe Geldbuße entrichten zu müssen, nahmen sie gerne in Kauf.
Zu diesen gehörte auch Wilhelm. Er besaß ein Häuschen an der Alten Donau mit einem Bootssteg, der in jenen Schilfgürtel hineinreichte. Das Haus war von Bäumen und Gebüsch umgeben, und der Steg von hohem Schilf gesäumt; sodass er von neugierigen und wachsamen Blicken vollkommen abgeschirmt war. Sein Grundstück und das angrenzende waren die weiter oben erwähnten beiden privaten Bereiche, wo Angeln und Baden erlaubt waren.
Er nannte das bescheidene Haus mit dem naturbelassenen Garten sein kleines Paradies. Er hatte nach der Scheidung von Angelika, mit der er zwanzig Jahre verheiratet gewesen war, in einer kleinen Wiener Mietwohnung im 2. Bezirk mehr gehaust als gewohnt. Sie hatte nur aus zwei Zimmern bestanden, deren Fenster auf einen Innenhof, eher ein dunkler quadratischer Schacht, wiesen. Er war gezwungen gewesen, auch bei Tag die Innenbeleuchtung einzuschalten, weil ihn kein direktes Sonnenlicht erreichte. Es war für ihn ein finsterer Kerker gewesen. Vorher hatte er mit Angelika in einem geräumigen Haus mit einem großen Garten gelebt. In den vier Jahren, die er in jener Absteige hatte verbringen müssen, war er verkümmert wie eine sonnenliebende Pflanze, die mit spärlichem Licht auskommen muss. Er war so deprimiert gewesen, dass er sogar mit dem Gedanken gespielt hatte, sich das Leben zu nehmen.
Viele Monate hindurch hatten ihn plötzliche Angstattacken in Panik versetzt. Gewissensbisse und Zweifel waren seine ständigen Begleiter gewesen. Er hatte Angelika nicht verlassen, weil sie ihn betrogen oder ihm irgendetwas Böses zugefügt hätte, sondern nur, weil sie sich gefühlsmäßig fremd geworden waren. Sie hatte das nicht so gesehen, oder nicht so sehen wollen, und daher alle erdenklichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Scheidung in die Länge zu ziehen und ihn mürbe zu machen. Sie hatte ihre beiden schon erwachsenen Söhne auf ihre Seite gebracht. Sie durften keinerlei Kontakt mit ihm aufnehmen.
Ihr Plan, ihn durch Isolation zur Verzweiflung zu bringen, und ihn zur Rückkehr zu bewegen, wäre beinahe geglückt. Bei einem Spaziergang durch den Donaupark hatte er sich entschieden, zurückzukehren und sie auf den Knien zu bitten, ihm zu verzeihen. Er könne ohne sie und die Kinder nicht leben ...
Er hatte seinen Weg, tief in Gedanken versunken, an der Alten Donau fortgesetzt. Wird sie ihm überhaupt noch verzeihen wollen? Wie werden ihn seine beiden Söhne empfangen? Werden sie ihn wieder als ihren Vater akzeptieren? Vielleicht hat Angelika schon einen anderen Verehrer gefunden und würde ihm mit einem triumphierenden Lächeln die Tür vor der Nase zuschlagen. Verdient hätte er ja das!
Eine laute verzweifelte männliche Stimme hatte ihn aus seinen trüben Gedankengängen gerissen. Als er aufblickte, sah er in einem Vorgarten einen Mann unter einer umgekippten mit Erde gefüllten Schubkarre liegen.
„Bitte helfen Sie mir doch?!“, brachte dieser mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor. „Die verdammte Schubkarre! Ich kann mich nicht mehr aufrichten. Ich glaube, mein rechtes Bein ist gebrochen!“
Nachdem Wilhelm die Schubkarre entfernt, den Mann vorsichtig auf den Rücken gelegt, das verletzte Bein mit einer Decke gepolstert hatte, verständigte er die Rettung.
Als der Verletzte namens Simon Geyer das Krankenhaus verlassen konnte, hatten er und seine Frau Sybille Wilhelm angerufen, und ihn in ihr Haus an der Alten Donau eingeladen. So hatte Wilhelm Simon Geyer und dessen Frau kennengelernt und sich mit ihnen angefreundet. Die beiden wurden, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, Wilhelms Lebensretter. Die aufrichtige Dankbarkeit der beiden gastfreundlichen Menschen war Balsam auf Wilhelms kranker Seele. Er schöpfte neuen Lebensmut und war sich nun sicher, dass seine Entscheidung, sich von Angelika zu trennen, richtig gewesen war. Mit der tatkräftigen Unterstützung seiner neuen Freunde zog er die Scheidung zügig mit Erfolg durch. Seine beiden Söhne nahmen wieder Kontakt mit ihm auf, und nach zwei Jahren, als Angelika einem Kollegen, der ihr schon seit vielen Jahren den Hof gemacht hatte, das Jawort gegeben hatte, versöhnte sie sich auch mit Wilhelm.
Simon Geyer war bei einer amerikanischen Firma in Wien angestellt. Als er von seinem Chef das Angebot bekam, eine leitende Stelle am Hauptsitz der Firma in New York zu übernehmen, entschied er sich mit Zustimmung seiner Ehefrau, dieses anzunehmen und in die USA zu übersiedeln. Die beiden baten Wilhelm, sich um ihr Haus an der Alten Donau zu kümmern, und überließen es ihm schließlich für einen Freundschaftspreis, als sie sich entschlossen hatten, für immer in New York zu bleiben. So war er zum Besitzer eines kleinen Paradieses geworden.
Simon Geyer hatte ihn vor dem gefräßigen Wassermonster gewarnt. Es wäre nicht ratsam, sich auf den Steg zu setzen und mit entblößten Füßen im Wasser zu plantschen. Er hatte diese Warnung für Anglerlatein gehalten, aber dann seinen Leichtsinn bitter bereut. Der Biss war so kräftig gewesen, dass er beinahe zwei Zehen verloren hätte ...
Danach hatte er sich geschworen, nicht eher zu ruhen, bis er das Monster, am Spieß goldgelb knusprig gebraten, genießen könne.
Er versenkte unterhalb des Steges einen großen aus Drahtgitter bestehenden Käfig mit einer im Wasser befindlichen Klapptüre. Er wollte den schlauen Fisch, wenn er ihn an der Angel hatte, dort hineinziehen, weil er sich ausrechnen konnte, dass es sehr schwierig sein würde, den schweren Gesellen aus dem Wasser zu kriegen, und er darüber hinaus Gefahr lief, von dem Ungeheuer wieder gebissen zu werden.
Er sah Dracula zwar jeden Tag beim Schilfgürtel im Wasser stehen, aber dieser nahm die perfekt gemachten Fischattrappen, die sich mit der Angel im Wasser bewegten, nicht zur Kenntnis. Manchmal schwamm er nahe an den Plastikfischen vorbei und versetzte ihnen, nachdem er zu Wilhelm hinaufgeblickt hatte, einen kräftigen Hieb mit der Schwanzflosse. Er hätte schwören können, dass der listige Räuber dabei höhnisch zu grinsen pflegte.
Bei anderen Fischarten hatte Wilhelm aber gewöhnlich mehr Erfolg, sodass in dem Käfig immer eine stattliche Anzahl von Fischen darauf wartete, exekutiert zu werden und auf Wilhelms Teller zu landen. Da er nicht so viele Fische essen konnte, verkaufte er die meisten an ein Restaurant, das sich in der Nähe am Ufer der Alten Donau befand.
Eines Tages hatte er wieder einmal viele Stunden reglos mit der Angelrute in der Hand auf seinem Steg gesessen, um den König der Alten Donau zu überlisten. Er hatte sich neue kostspielige Köder für Hechte aus England kommen lassen. Die Kunstfische sahen den Fischen, auf die Hechte vorzugsweise Jagd machen, täuschend ähnlich und schwammen sogar wie echte Fische, indem sie die Schwanzflossen bewegten.
Tatsächlich sah er schließlich einen großen Schatten im Wasser auftauchen. Es war ohne Zweifel Dracula! Er umkreiste zunächst in einem sicheren Abstand den Köderfisch. Schließlich näherte er sich vorsichtig seinem Opfer. Das Herz schlug Wilhelm bis zum Hals. Beiß doch endlich zu, du verdammtes Biest! Solch einen leckeren Happen bekommst du nie wieder zwischen die Zähne! Er frohlockte, als das Monster auf die vermeintlich leckere Beute zuschoss und zubiss. Als Wilhelm jedoch die Angel mit einem kräftigen Ruck nach oben riss, wäre er beinahe auf den Rücken gefallen, denn die Angelschnur schnellte ohne den Köderfisch und den Hecht aus dem Wasser. Das Biest musste nicht nur die Fischattrappe verschluckt, sondern gleichzeitig die Angelschnur durchgebissen haben! Der Hecht sprang triumphierend aus dem Wasser und ließ sich tagelang nicht mehr blicken. Anglerkollegen schworen jedoch Stein und Bein, dass sie ihn nicht nur mehrmals gesehen, sondern ihn auch mit einer kleinen Krone auf dem Kopf gesichtet hätten.
Annemarie, die nebenan ein Häuschen mit einem schmalen Strandstreifen ebenfalls durch einen glücklichen Umstand erworben hatte, hatte eines Tages einen riesigen Fisch im flachen Wasser reglos liegen gesehen. Er lebte noch, schien aber total erschöpft zu sein. Er hatte einen künstlichen Fisch mit Angelhaken im Maul. Offensichtlich hatte er den Köder geschluckt, sich zwar von der Angelschnur losreißen können, aber der Köderfisch war mit den vielen Haken im Maul stecken geblieben.
Mit der Hilfe eines Kollegen, ein Hobby-Angler, gelang es ihr, den Köder mit den Haken zu entfernen. Der Fisch war jedoch so entkräftet, dass er im flachen Wasser liegenblieb. Aber er nahm dankbar die Fische an, die sie ihm ins Maul steckten. Auf diese Weise kam er nicht nur bald zu Kräften, sondern besuchte Annemarie immer wieder, ließ sich wie ein zahmer Hund füttern und streicheln, und wehrte sich nicht, als Annemarie eine kleine Krone mit einem Halsband an seinem Kopf befestigte
An einem sonnigen Nachmittag, als Wilhelm wieder einmal etliche Fische gefangen und diese in den Wasserkäfig gegeben hatte, entschloss er sich, zum nahegelegenen Donauturm zu fahren, um oben in dem Café eine Melange mit einer guten Mehlspeise zu genießen.
Er liebte das Café hoch oben auf dem Donauturm. Der Panoramablick vom oberen Teil des Turmes, der sich langsam dreht, ist einzigartig. Er war vor der Scheidung ein gefragter Architekt gewesen, aber nachdem er sich von Angelika getrennt und in jene Absteige umgezogen war, waren seine Phantasie und Schaffenskraft plötzlich erloschen. Was er dann noch produzieren konnte, war phantasieloser Schrott gewesen. Seine Kunden verwarfen die vorgelegten Pläne, und bald langten überhaupt gar keine Anfragen mehr bei ihm ein. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass er sich in einer kreativen und psychischen Krise befand und nichts mehr zustande brachte, was sich lohnte, realisiert zu werden. Es waren Entwürfe, die man genauso gut gratis im Internet herunterladen könnte.
Seit er aber in dem kleinen Häuschen an der Alten Donau wohnte, war seine alte Schaffensfreude wie aus einem Dornröschenschlaf neu erwacht. Er konnte es sich wieder leisten, Aufträge, die ihn nicht interessierten, oder wenig lukrativ waren, abzulehnen. Der Preis für Angelikas Einwilligung in die Scheidung war die luxuriöse Villa mit dem parkartigen Garten in Grinzing gewesen. Er hätte es sich jetzt leisten können, eine ähnliche in den besten Bezirken Wiens errichten zu lassen, aber er zog es vor, in dem kleinen Häuschen an der Alten Donau zu bleiben. Er fühlte sich dort glücklich und geborgen. Die besten Ideen für seine Projekte kamen ihm auf dem Anglersteg, wenn er stundenlang regungslos auf dem einfachen Klappsitz saß, die Frösche quaken und die Vögel im Schilf zwitschern hörte. Er war kein FKK-Fanatiker, aber wenn es sehr warm war, pflegte er unbekleidet auf dem Steg zu hocken. Er fand es sehr angenehm, die warme Luft am ganzen Körper zu spüren.
Wenn er ein Projekt zu Ende gedacht und zu Papier gebracht hatte, belohnte er sich, indem er im Donauturm Restaurant speiste, oder im Café einige köstliche Stücke Kuchen verdrückte. Das Personal begrüßte ihn beim Namen, wenn er das Café oder das Restaurant betrat, und sorgte dafür, dass er einen guten Fensterplatz bekam. Ihm gefiel nicht nur der einmalige Panoramablick auf die Stadt und deren Umgebung, sondern auch das internationale Flair durch die vielen in der Regel gut gelaunten Touristen. Es machte ihm Spaß, mit Tischnachbarn zu kommunizieren. Das gelang fast immer, weil er neben Englisch auch Französisch, Italienisch, Spanisch und auch ein bisschen Ungarisch und Tschechisch beherrschte. Auf diese Weise hat er sich nicht nur mit vielen Menschen aus anderen Ländern angefreundet, sondern sogar so manchen guten Auftrag für ein Projekt im Ausland an Land gezogen.
An jenem Tag ist ihm das zwar nicht gelungen, aber dafür hat er die attraktive blonde Alice aus Sydney kennengelernt. Er zeigte ihr bereitwillig die schönsten Sehenswürdigkeiten von Wien, und nachdem sie in einem Heurigen in Neustift am Walde reichlich gebechert hatten, zog sie ihn in ihr Hotelzimmer und gewährte ihm mit gleicher Großzügigkeit uneingeschränkten Zugang zu ihren privaten verschwenderisch ausgestatteten Sehenswürdigkeiten. Sie bedauerte, dass sie wegen eines geschäftlichen Termins am nächsten Tag nach Paris weiterfliegen müsse. Australien sei ein besonders gut geeigneter Ort to grow up a family. Er musste ihr versprechen, sie bald in Sydney zu besuchen. Die Sehenswürdigkeiten, die sie ihm dort zeigen könne, würden bei weitem das übertreffen, was sie ihm hier habe bieten können ...
Total erschöpft kehrte er am frühen Morgen in sein Häuschen zurück. Er warf sich bekleidet aufs Bett und schlief sofort ein. Als er am späten Nachmittag aufwachte, und sich dann im Badezimmer rasierte, erinnerte er sich plötzlich mit Schrecken, dass er jenem Restaurantbesitzer versprochen hatte, die drei Karpfen und die fünf Rotfedern, die er am Vortage gefangen hatte, am frühen Nachmittag vorbeizubringen. Er eilte sofort zum Steg. Als er jedoch die obere hölzerne Klappe hochhob, sah er, dass nicht nur die acht Fische, die er liefern wollte, sondern auch die kleineren Fische aus dem Käfig verschwunden waren. Die im Wasser befindliche Klapptüre war verschlossen. Jemand musste folglich die Fische gestohlen haben! Der gemeine Fischdieb konnte nur vom Wasser her gekommen sein, denn er hatte das
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 10.04.2022
ISBN: 978-3-7554-1134-5
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