(Aus Band 1)
In meiner Familie überwiegen Akademiker, sogenannte gebildete Leute: Ärzte, Physiker, Mathematiker, Sänger, Schauspieler, Maler und andere von der gleichen Sorte.
Du weißt, mein lieber Freund Peter, wie sehr mich der gebetsmühlenartige Spruch meines Vaters: „Kurt, nimm dir doch deinen Bruder Hans zum Vorbild!“, immer wieder kränkte und deprimierte. Ich habe Dir damals, als wir im Gymnasium in Wien bis zur Matura die Schulbank nebeneinander gedrückt haben, noch nicht alles über meine Familie erzählen können.
Hans ist ein strebsamer Vorzugsschüler gewesen. Er reagierte empört und war zutiefst beleidigt, wenn ein Lehrer sich herausnahm, seine in einem Unterrichtsgegenstand erbrachten Leistungen nur mit Gut zu bewerten. Mein Vater sah es als selbstverständlich an, dass auch ich in der Schule genauso gut sein würde wie Hans. Er war sehr enttäuscht und erzürnt, als ich schon in der ersten Volksschulklasse einen Dreier in Deutsch erzielte. In den anderen Unterrichtsgegenständen sah es nicht viel besser aus. Er glaubte, ich sei nur faul und würde im Unterricht nicht aufpassen. Es half nichts, wenn ich unter Tränen beteuerte, dass ich mich sehr bemühte, aber einfach nicht alles verstand, was meine sympathische junge hübsche Lehrerin Sonja Sommer uns zu erklären versuchte. Ich litt an Konzentrationsschwäche. Statt mich auf ihre Worte zu konzentrieren, glitt mein Blick immer wieder zum Ausschnitt ihrer hübschen Bluse oder noch weiter nach unten bis zu ihrem kurzen Rock, wo nicht selten, wenn sie sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf den Lehrertisch setzte, ihre zarte Unterwäsche hervor blitzte.
Mein Vater war aber keineswegs der Einzige, von dem ich jenen verhassten Satz, der mich jedes Mal in eine ängstliche kleine Maus verwandelte, zu hören bekam. Auch meine Mutter, eine berühmte Musikerin, die mit ihrer Geige fast immer auf Tournee war, ließ es sich nicht nehmen, wenn sie mal wieder in unserer Döblinger Villa in Wien gastierte, mir mit dem gleichen Spruch Mut zu machen, genauso fleißig zu sein, wie ihr so erfolgreiches Herzi-Pinki Hans.
Meine zahlreichen Onkel und Tanten, die ebenfalls beste Leistungen in der Schule und an der Universität erzielt hatten, und natürlich mein großer Bruder, bliesen in das gleiche Horn; sodass ich mich allmählich von der Maus in eine Fliege verwandelte.
Meine hübsche sympathische Volksschullehrerin, in die ich mich unsterblich verliebt hatte, und die ich später, wenn ich groß genug für sie sein würde, zum Traualtar zu führen gedachte, seufzte jedes Mal, wenn sie mir ein korrigiertes Aufgabenheft zurückgab. Ich konnte meine Buchstaben oder Zahlen kaum noch entziffern, weil überall die rote Farbe dominierte. Ohne ihre verständnisvolle aufopfernde Hilfe hätte ich niemals das Gymnasium von innen gesehen. Sie mochte mich, obwohl ich sicherlich einer der schlechtesten Schüler war, die sie je gehabt hatte. Sie hat bei ihren Kollegen und der Direktorin am Ende der vierten Klasse viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, damit ich per Konferenzbeschluss trotz meines Dreiers in Deutsch in ein Gymnasium überwechseln konnte:
Meine Aufsätze enthielten zwar immer viele orthografische und grammatikalische Fehler, aber was den Inhalt, den Stil und die Phantasie betrifft, sei ich einer der besten Schüler, die sie je gehabt habe. Es wäre schade, wenn man einen Schüler mit einer derart kreativen schriftstellerischen Begabung nicht die Chance zu einer höheren Bildung geben würde. Sie wusste natürlich, dass ich die sonst fällige Aufnahmeprüfung aus Deutsch für den Aufstieg ins Gymnasium nicht geschafft hätte.
Meine bedauernswerte Lehrerin hat, als ich die erste Gymnasialklasse besuchte, viel Kritik von meiner Deutschprofessorin einstecken müssen: Ich sei nicht in der Lage, einen einzigen Satz ohne Fehler zu schreiben. Im Gymnasium sei ich völlig überfordert. Auch der Großteil ihrer Kollegen, die das Pech hatten, mich unterrichten zu müssen, meinte, dass ich in einer Hauptschule und vielleicht sogar in einer Sonderschule besser aufgehoben wäre.
Die Kritik der Deutschprofessorin wurde jedoch im Laufe des Schuljahres leiser und verstummte schließlich ganz, weil sie zugeben musste, dass meine Aufsätze, was den Inhalt und die stilistische Ausdruckskraft betrifft, für mein Alter erstaunlich gut seien. Deswegen bekam ich am Ende des ersten gymnasialen Schuljahres, in Deutsch, wie in der Volksschule, ein „gutes Befriedigend“. Im Gegensatz zu meiner hübschen jungen Lehrerin, die ich schmerzlich vermisste, hatte sie ihre besten Jahre schon längst hinter sich gelassen. Sie glich im Gesicht einer vertrockneten Kartoffel und trug immer dieselben ausgeblichenen verbeulten Jeans.
Meine Leistungen in den anderen Gegenständen waren zwar nicht glänzend, reichten aber ebenfalls für einen „verdienten Vierer“; in zwei Unterrichtsgegenständen sogar für einen „guten Dreier“. Auch der evangelische Religionslehrer, der mir ein „nicht verdientes Genügend“ verpassen wollte, weil ich kaum Interesse an Religion zeige, ließ sich von seinen Kollegen erweichen, mir wenigstens ein „Befriedigend“ zu geben, weil doch jeder wisse, dass schon ein "Dreier" in Religion eine unüblich schlechte Beurteilung sei. Beim Elternsprechtag empfahl er meinem Vater, mich vom Religionsunterricht abzumelden, damit er mir nicht eine solch gute Note schenken müsse. Das kam aber für ihn als strenggläubigen Lutheraner und sogar Presbyter in unserer lutherischen Kirche überhaupt nicht infrage. Er war nach dem Sprechtag so erzürnt, dass ihm, was noch nie vorgekommen war, die Hand ausrutschte, als er mich mit hochrotem Kopf, wegen meiner angeblich nicht erbrachten Leistungen in Religion, zur Rede stellte. Ich blamiere ihn in der ganzen Kirche! Später kam er jedoch auf mein Zimmer, kniete sich vor mein Bett hin, wischte mir die Tränen ab, und entschuldigte sich bei mir. Ich habe ihm das hoch angerechnet.
Ich bekam zwar immer wieder, wenn ich ein Jahreszeugnis mit vielen „Dreiern“ und einigen „Vierern“ meinen Eltern vorlegte, den ermutigenden Satz: „Nimm dir doch deinen Bruder Hans zum Vorbild“ zu hören, aber ich geriet nie ernsthaft in Gefahr, eine Klasse wiederholen zu müssen. Das ist auch Dein Verdienst mein lieber Freund und früherer Klassenkamerad!
Unserem engagierten Lateinlehrer verdanke ich, dass sich meine grammatikalischen Fehler in Deutsch im Laufe der Zeit entscheidend reduzierten. Er verstand es, uns die schwierigen lateinischen Satzstrukturen so gut und anschaulich verständlich und sogar schmackhaft zu machen, dass auch mir in dieser Hinsicht der Knopf aufging. Ich begann, mich richtiggehend für Latein zu interessieren. Ich studierte zu Hause stundenlang Bücher über Grammatik, und wurde so zum Erstaunen meiner Deutschprofessorin ein richtiger Profi auf diesem Gebiet. Sogar Dir habe ich in Latein Nachhilfeunterricht geben können! Meine Lateinübersetzungen waren immer die Besten. Einige wurden, dank der Hilfe meines Lateinprofessors, wegen der sprachlichen Genauigkeit von einem Verlag übernommen. Er veröffentlichte sogenannte „Schmierer“, Übersetzungen lateinischer Texte ins Deutsche, die sich hervorragend zum Schummeln eignen.
In der Oberstufe des Gymnasiums nahm ich, wie Du weißt, an einem Schülerwettbewerb für Nachwuchsautoren teil. Alle Schüler von der 6. bis zur 8. Oberstufen Klasse in ganz Österreich konnten daran teilnehmen. Es standen drei Themen zur Auswahl, über die eine Kurzgeschichte zu schreiben war.
Mein Selbstwertgefühl erlebte einen Höhenflug, als ich den ersten Preis erzielte, und ein Verlag meinen Text sogar in einer Anthologie veröffentlichte.
Seitdem wagte es kein Deutschprofessor mehr, mir wegen ein paar lächerlicher orthographischer Fehler nur ein „verdientes Gut“ zu verpassen.
Ja, mein lieber Freund Peter; an meinem Beispiel sieht man, wie entscheidend es im Leben ist, jemanden zu haben, der an dich glaubt.
Ohne die aufopfernde Hilfe und mutige Fürsprache meiner geliebten Volksschullehrerin, hätte ich heute keinen Universitätstitel, sondern würde vielleicht, wie es mir mein Vater mehrmals prophezeit und angedroht hatte, an der Kasse eines Supermarktes sitzen, und von früh bis spät wie ein Roboter Preise einscannen.
Ich habe nach der geglückten Matura aber tatsächlich viele Stunden an der Kasse gearbeitet, aber nicht, um dort mein Leben lang zu bleiben, sondern um mein Studium „Ökologische Landwirtschaft“ an der Wiener Universität für Bodenkultur, ohne finanzielle Unterstützung durchführen zu können. Meine Eltern, mein großes Vorbild Hans, ja meine ganze Verwandtschaft, mit Ausnahme meiner lieben Tante Nadja, wollten mich mit allen Mitteln abhalten, an der Uni Wien für Bodenkultur zu inskribieren. Ich könne doch mit diesem Studium nichts anfangen. Es sei etwas für Söhne von Landwirten. Für jemanden, der keinen Quadratmeter Land besitze, sei dieses Studium nur reine Zeitverschwendung. Vater riet mir, Jus zu studieren. Mit meiner Fähigkeit, mich klar und präzise ausdrücken zu können, könne ich ein erfolgreicher Anwalt oder Notar werden.
Da ich aber den typisch ostpreußischen Dickschädel und die Erdverbundenheit meiner Vorfahren geerbt habe, ließ ich mich von meinem Entschluss nicht abbringen. Ich machte mir keine Gedanken, was ich später mit diesem Studium anfangen könnte, sondern folgte meinem wohl angeborenen Interesse für Landwirtschaft.
Ich habe meiner Volksschullehrerin so wie Dir eine sehr persönliche Einladung zu meiner Sponsion geschickt. Meine Eltern sind nicht gekommen. Sie hätten zu diesem Termin leider eine nicht aufschiebbare berufliche Verpflichtung. Hans, „mein großes Vorbild“, hat meine Einladung einfach ignoriert …
Meiner Volksschullehrerin, die noch immer sehr hübsch aussah, und meiner Tante Nadja, die als Einzige von meiner Familie und Verwandtschaft meiner Einladung gefolgt war, liefen vor Freude, wie Du ja selbst gesehen hast, Tränen über die Wangen, als sie mich mit meiner Sponsionsrolle fotografierten. Als wir im Nebenzimmer mit einem Glas Sekt auf meinen Erfolg, den weder meine Eltern noch meine ehemaligen Gymnasialprofessoren für möglich gehalten hatten, anstießen, gestand mir Sonja Sommer, dass sie mir beinahe die Aufstiegsberechtigung für das Gymnasium nicht gegeben hätte, weil sie so empört über den Versuch meines Vaters, sie mit einer Reise auf einem Traumschiff „anzufüttern“, gewesen sei.
Ich konnte nicht anders, als sie dankbar zu umarmen. Ich durfte sie nun sogar „Sonja“ nennen. Sie, Du und meine Tante Nadja standet mir näher als meine Eltern, die nicht an mich geglaubt hatten, und nicht einmal zu meiner Sponsion gekommen waren. Wenn Sonja nicht schon verheiratet gewesen wäre, hätte ich ihr, wie ich es mir in der Volksschule vorgenommen hatte, einen Heiratsantrag auf den Knien gemacht!
Mit einem spitzbübischen Lächeln übergab sie mir eine in Leder gebundene Sammlung meiner literarischen Werke aus der Volksschulzeit, geschmückt mit allen Korrekturen, und ergänzt mit einer lesbaren korrigierten Fassung.
Dieser kostbare Schatz, Kopien meiner Aufsätze aus der Volksschulzeit, hat einen Ehrenplatz auf meinem Schreibtisch bekommen. Wenn ich mit einer Kurzgeschichte oder Erzählung nicht weiterkomme, schlage ich sie auf und blättere darin. Das wirkt Wunder. Frische Energie und Zuversicht verdrängen die Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit. Meine Fantasie beginnt wieder zu laufen wie ein Uhrwerk, das man neu aufgezogen hat. Die angefangenen Geschichten entwickeln sich von alleine weiter. Ich kann nicht aufhören, hastig die Bilder und Gedanken, die mir förmlich zuströmen, in Worte zu kleiden ...
Ja, ich verdanke auch Dir Peter, dass ich die acht Jahre im Gymnasium durchgestanden habe. Du hast mich jedes Mal zurückgeholt, mir Mut gemacht, wenn ich aufgeben wollte. Ich konnte immer zu Dir kommen, wenn ich etwas nicht verstanden hatte. Du hattest eine Eselsgeduld mit mir. Es wundert mich nicht, dass Deine Schüler Dich so sehr lieben!
Ich habe die „Dreier“ und die „Vierer“, die mein Reifezeugnis zierten, ungläubig und sicherlich mit mehr Freude betrachtet als mein erfolgreicher Bruder den fabrikneuen BMW, den er von unseren Eltern als Maturageschenk bekommen hat. Gewiss, meins, ein Fahrrad, fiel bescheidener aus; aber es hat mir gute und vor allen Dingen gesunde Dienste geleistet, nachdem ich mein schönes Zimmer in der Döblinger Villa gegen ein kleines selbst finanziertes im Pötzleinsdorfer Studentenheim eingetauscht hatte.
Nein, ich bin überzeugt, dass, wenn das Schicksal nicht so gütig gewesen wäre, mir Sonja als Lehrerin und Dich als Sitznachbarn im Gymnasium zu schenken, wäre die Prophezeiung meines Vaters in Erfüllung gegangen.
Warum ich Dir fast nichts über meine Familie erzählt habe? Ganz einfach. Ich fühle mich in der so großen Familie Gruber, in der es von intellektuellen kalten Erfolgsmenschen nur so wimmelt, wie ein Fremder, der durch einen schrecklichen Zufall dort hineingeweht worden ist. Soweit ich weiß, gibt es unter den männlichen Mitgliedern niemanden, auch nicht in der weiter entfernten Verwandtschaft, der nicht wenigstens einen Magistertitel trägt. Sie sind alle vermögend. Einige sind sogar stinkreich. Karl Gruber, mein Vater, ist, wie allgemein bekannt ist, ein international tätiger und berüchtigter Immobilienhai. Momentan durchstreift er auf der Suche nach Resten ehemaliger ostpreußischer Herrenhäuser und Schlösser, Masuren, den südlichen jetzt zu Polen gehörenden Teil der untergegangenen Provinz Ostpreußen. Er kauft zu günstigen Konditionen alles auf, was man noch an erhaltenem deutschem Kulturgut, meist nur Ruinen, ergattern kann, weil er überzeugt ist, dass in naher Zukunft Nachfahren von vertriebenen Deutschen diese zu erwerben trachten werden, um ihren entwurzelten Stammbaum wieder in die Heimaterde einpflanzen zu können. Er kann sich das leicht durch den Verkauf einiger seiner Südseeinseln oder Luxushotels, die er in den schönsten Gegenden aller Kontinente gebaut oder gekauft hat, leisten. Er weint seiner verlorenen Heimat Ostpreußen keine Träne nach, weil er jetzt um ein Vielfaches vermögender ist als unsere gesamte Verwandtschaft damals in Königsberg. Wir haben auch bekannte akademische Maler und Musiker in der Familie. Meinen Onkel Oskar kennst Du ja. Seine meterhohen farbigen Werke, die wie naive Kunst aussehen, erzielen bei Kunsthändlern und Auktionen Erträge in vielfacher Millionenhöhe. Meine Mutter habe ich kaum kennengelernt, weil sie mit ihrer Geige ständig auf Tournee war, und nur auf einen Zwischenstopp nach Hause kam. Weihnachten haben wir aber immer in der Döblinger Villa in vereinter Familienrunde gefeiert. Da mein Vater, wie gesagt, ein strenggläubiger Lutheraner ist, gingen wir alle am 24. Dezember für die Weihnachtsvesper in die Lutherische Stadtkirche in der Dorotheergasse. Danach wurden die Kerzen auf dem Weihnachtsbaum, der gewöhnlich bis zur Decke reichte, angezündet und Weihnachtslieder gesungen. Weil ich nach Meinung meiner Mutter so falsch singe, dass die Krähen aus Russland, denen es im Winter gefällt, in dem alten hohlen Nussbaum vor unserem Haus ihre Nächte zu verbringen, tot vom Baum fallen, war es mir strikt verboten, in dieser emotionalen Phase des Weihnachtsfestes meinen Mund zu öffnen. Dafür durfte ich danach, worüber ich mich allerdings kaum freute, nach alter ostpreußischer Tradition den „Knecht Ruprecht“ auch noch als Student vor den brennenden Kerzen des Christbaums aufsagen …
Mich wundert‘s, ehrlich gesagt, was meine Eltern noch zusammenhält, obwohl sich ihre Wege nur irgendwo in Luxushotels oder gelegentlich in der Villa in Döbling kreuzen. In deinem kleinen gemütlich eingerichteten Schrebergartenhäuschen habe ich mich mehr zu Hause gefühlt als in jenem luxuriösen kalten Glaspalast mit Blick auf Heurigenlokale und Weinberge von Neustift am Walde. Im Gegensatz zu dem üppig blühenden Bauerngarten Deiner Eltern dominierten im Garten jener Villa Waschbetonplatten und absolut unkrautfreie Rasenflächen, in denen nicht einmal ein Gänseblümchen oder gar ein Löwenzahn ungeschoren davonkamen.
Die einzige Person in meiner Familie, die mich wirklich geliebt hat, und der ich unbesorgt mein Herz ausschütten konnte, ist meine Tante Nadja gewesen. Mein Onkel Oskar hat sie geheiratet, weil sie nicht nur sehr hübsch, sondern auch adeliger Abstammung war. Sie ist auf dem Gutshof ihres Vaters in Lyck, die Heimatstadt des berühmten ostpreußischen Schriftstellers Siegfried Lenz, aufgewachsen. Nadja ist aber nie richtig in den Königsberger Ast der großen Familie Gruber aufgenommen worden, weil ihre Eltern und sie mit dem anderen sehr gering geschätzten Zweig, der auf dem Gut Laureiken bei Memel lebte, befreundet waren. Meine Tante hatte dort oft ihre Schulferien verbracht. Auch, nachdem sie die Frau meines Onkels Oskar geworden war, hat sie es sich nicht nehmen lassen, Friedrich Gruber und dessen Ehefrau Wilhelmine auf ihrem Gut regelmäßig zu besuchen.
Als Kind und später als Erwachsener lauschte ich gebannt ihren Erzählungen über ihre Kindheit in Masuren mit den vielen stillen Seen und den ausgedehnten dunklen Wäldern, wo sie aufgewachsen ist. Genauso liebte sie das Memelland mit dem Kurischen Haff und den vielen Kurenkähnen, die lang gestreckte Kurische Nehrung mit den hohen Dünen, die endlosen schneeweißen Sandstrände beim Ostseebad Sandkrug, und natürlich das Leben auf dem Gut Laureiken mit der malerischen parkartigen Schlucht hinter dem Herrenhaus.
So gut wie alles, was ich über die Zeit meiner Familie in Ostpreußen weiß, stammt von ihr. Meine Mutter sagte immer wieder, ich sei ein Spiegelbild meiner Tante Nadja. Diese Aussage war aber das Gegenteil von einem Lob, weil sie im Gegensatz zu meiner Familie und der Königsberger Verwandtschaft das einfache Leben auf dem Lande mehr liebte als das bequeme Leben in Königsberg, und auch bekannt war, das ihre schulischen Leistungen meinen verblüffend ähnlich gewesen sein sollen.
Ursprünglich stammt meine Familie aus Österreich. Unser Stammvater ist der Weber Erwin Gruber aus Salzburg. Seine Frau Gertrude hat ihm acht Kinder geschenkt. Fünf kräftige Buben und drei sehr hübsche blonde Mädchen. Beide waren Protestanten lutherischen Bekenntnisses.
Sie mussten infolge des Emigrationspatentes, das der katholische Fürstenbischof Firmian erlassen hatte, ihre Heimat Salzburg verlassen. Ungefähr 20000 Protestanten verließen 1731/32 Österreich. Sie hatten die Wahl zwischen Glauben oder Heimat. Wenn sie sich bereit erklärten, katholisch zu werden, konnten sie bleiben und ihr Eigentum behalten. Blieben sie ihrem protestantischen Glauben treu, mussten sie emigrieren, durften aber vorher ihren Besitz verkaufen. Meine Vorfahren entschieden sich, wie der größte Teil der Protestanten aus diesem Gebiet, für die Emigration. Sie folgten zusammen mit ungefähr 15000 Schicksalsgefährten dem Hilfsangebot des protestantischen Herrschers Friedrich Wilhelm I., sich in Preußen anzusiedeln. So gelangten sie nach Gumbinnen in der Nähe von Königsberg. Mit dem Erlös, den sie durch den Verkauf ihres Eigentums erzielten, bauten sie dort sehr erfolgreich eine neue Weberei auf. Nachfahren gründeten in Margonin/Posen, andere in Marienwerder/ Westpreußen, Webereibetriebe und eine Schlachterei.
Der letzte Besitzer der Weberei und des Schlachthofes in Marienwerder hinterließ, als er im Jahre 1857 starb, seinen Söhnen Erwin und Karl eine florierende Weberei, einen großen Schlachthof, etliche Häuser und erheblichen Grundbesitz. In unserer Familienchronik sind die beiden als „Kain und Abel“ bekannt. Sie erhielten diese biblischen Bezeichnungen, weil Erwin, der ältere Sohn, wie der biblische Kain auf seinen jüngeren Bruder eifersüchtig war. Er glaubte, dass der Vater Karl bevorzuge. Als Zehnjähriger hat er seinen um zwei Jahre jüngeren Bruder im Zorn von einem Anglersteg in einen Teich gestoßen. Karl soll dabei beinahe ertrunken sein, weil er Nichtschwimmer war, und mit den Füßen im schlammigen Grund, der ihn immer weiter nach unten zog, unentrinnbar feststeckte. Im letzten Moment, als ihm das modrige Wasser schon in den Mund lief, hat ihn ein Knecht, der seine verzweifelten Hilferufe gehört hatte, herausziehen können. Der Übeltäter hatte sich schadenfroh lachend aus dem Staub gemacht. Nach der wohlverdienten Tracht Prügel, konnte aber geklärt werden, dass es Erwin nicht bewusst gewesen war, in welch lebensgefährliche Lage er seinen Bruder durch seine unbesonnene Tat gebracht hatte.
Weil die beiden ständig über Nichtigkeiten miteinander stritten, und sie sich bei wichtigen geschäftlichen Dingen nie einig werden konnten, entschieden sie sich, den gesamten gemeinsamen Besitz zu verkaufen, und den Erlös unter sich aufzuteilen.
Da sowohl die Weberei als auch der Schlachthof über einen großen treuen Kundenstamm verfügte, erzielten sie bei dem Verkauf einen hohen Gewinn. Bei der Veräußerung der Häuser, die in einem exzellenten Zustand waren, und der Ländereien mit tiefgründigen fruchtbaren Böden, waren sie noch erfolgreicher. Nach dem Verkauf des gesamten Erbes verfügten beide über ein stattliches Vermögen.
Karl, der wie sein Vater sehr belesen war, und das kulturelle Leben liebte, zog nach Königsberg. Er gründete dort eine Bücherei und später einen erfolgreichen Verlag.
Sein Bruder Erwin, der das ruhige Leben auf dem Lande vorzog, kaufte das Gut Laureiken nördlich der Stadt Memel. Er verschuldete sich dabei aber sehr, weil das Geld, das er anteilsmäßig für den Verkauf des Erbes erhalten hatte, nicht ausreichte, um das Gut mit zahlreichen Gebäuden, 245 Hektar Land, und 30 Hektar Wald vollständig bezahlen zu können. Erst seinen Söhnen gelang es viele Jahre später, die drückende Schuldenlast gänzlich zu tilgen.
Auf diese Weise entwickelte sich die Familie Gruber an zwei Orten in Preußen. Ein Zweig in Königsberg und der andere auf dem Gut Laureiken bei Memel.
Die feindliche Saat, die Erwin und Karl ausgestreut hatten, blieb zwischen unseren beiden Familienzweigen bestehen. Man kam nur bei großen Familienereignissen wie Hochzeiten oder Beerdigungen zusammen.
Die gebildeten kulturell interessierten Königsberger machten sich bei diesen seltenen Treffen über die in ihren Augen grobe Ausdrucksweise, die derben Manieren, und die angeblich geringfügige Bildung ihrer Verwandten vom Lande lustig.
Diese hingegen verachteten ihre hochnäsigen Königsberger Verwandten genauso. Sie hätten keine Ahnung vom wirklichen Leben, weil sie den Großteil ihrer Freizeit in Konzertsälen, Museen, Theaterhäusern, in der Oper, in teuren Konditoreien oder in vornehmen Kurbädern an der Ostsee verbrachten.
Der Erste Weltkrieg schlug in beiden Familienzweigen große Lücken. Während sich aber der Königsberger Famlienzweig finanziell rasch erholte, ging es auf dem Gut Laureiken wie bei allen anderen Gutshöfen im Memelland geschäftlich ständig bergab, weil dieses durch den Versailler Vertrag von Deutschland abgetrennt worden war, und die Gutsbesitzer so ihren wichtigsten Absatzmarkt für agrarische Produkte verloren hatten. Die schlechte wirtschaftliche Lage verschärfte sich noch, als die Litauer das deutsche Memelgebiet annektierten. Hätte diese Situation länger Bestand gehabt, wären wahrscheinlich die meisten landwirtschaftlichen Betriebe im Memelgebiet pleite gegangen.
Wegen des fehlenden großen deutschen Absatzmarktes hatte nicht nur ein Überangebot an Agrarprodukten, sondern auch an Fischen bestanden. Damals waren das Kurische Haff und die Ostsee sehr fischreich, weil es noch keine bedeutende Verschmutzung des Wassers und keine Überfischung gegeben hat.
Heringe waren z. B. so billig, dass sie Friedrich Gruber und auch andere Gutsbesitzer auf dem Memeler Fischmarkt fassweise kauften, um sie zum Mästen der Schweine zu verwenden.
Es ist nicht verwunderlich, dass die überwiegend deutschstämmige Bevölkerung des Memellandes die nationalsozialistische Bewegung begeistert unterstützte, weil diese zum Ziel hatte, die durch den Versailler Vertrag abgetrennten deutschen Gebiete wieder mit dem Deutschen Reich zu vereinen. Auch meine Verwandten auf dem Gut im Memelland sind glühende Verehrer Hitlers gewesen. Tatsächlich gelang es dann 1939 dem „Führer“, das Memelgebiet ohne Blutvergießen mit einem völkerrechtlich gültigen Vertrag, wieder mit Deutschland zu vereinen. Wenn meine Verwandten von Laureiken allerdings geahnt hätten, dass die Machtergreifung Hitlers den Untergang ihrer Heimat zur Folge haben würde, hätten sie nicht am 23. März 1939, so wie die meisten deutschstämmigen Memelländer, am Straßenrand oder auf dem Platz vor dem Memeler Theater frenetisch gejubelt, als der große „Ver-Führer“ in seiner funkelnden Staatskarosse vorbeifuhr, und auf dem Balkon des Stadttheaters, seine memeldeutschen Volksgenossen, so wie die Österreicher, ins Großdeutsche Reich „heimholte“.
Was nach der Niederlage Hitlers mit dem Memelland, Ostpreußen, Pommern und Schlesien geschah, weißt Du ja aus dem Geschichtsunterricht. Auch Adolf und Hans, die beiden Söhne von Friedrich Gruber, letzter Besitzers des Gutes Laureiken, durften für ihren geliebten Führer an der Ostfront in Schützengräben bei extremen Minustemperaturen elendig verrecken ...
...........................................................................................................
Fortsetzung in Band 1
(Aus Band 2)
Ein Flugticket von Wien nach Liverpool wäre bedeutend billiger gewesen als die gebuchte Reise mit dem Zug, einschließlich der Fähre von Hoek van Holland nach Harwich; aber ich wollte ganz einfach am Panoramafenster die vorbeiziehenden Landschaften und die Überfahrt nach England an Bord eines großen Fährschiffes genießen.
Außerdem ziehe ich Reisen mit dem Zug trotz der wesentlich längeren Dauer vor, weil man hier nicht, eingequetscht wie ein Hot Dog, zwischen dem eigenen Sitz und der nach hinten geklappten Lehne des vorderen Passagiers, während des ganzen Fluges seinen Ausdünstungen wehrlos ausgesetzt ist.
Wenn sich vom Fenster aus nichts Besonderes bietet, langweile ich mich keineswegs. Ich komme endlich dazu, die Bücher zu lesen, in die ich höchstens ein bisschen hineingeschnuppert habe, weil immer wieder etwas anderes dazwischen gekommen ist. So vergeht die von vielen Fahrgästen als tödlich langweilig empfundene, scheinbar endlose Zugfahrt, im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge.
Als der Zug ungefähr die Hälfte der Strecke zurückgelegt, und ich meinen spannenden Roman bis auf wenige Seiten durchgeschmökert hatte, begab ich mich, da mir die Augen vom Lesen wehtaten, und ich mich hungrig fühlte, in den Restaurantwagen. Er war ziemlich leer, sodass ich mir einen Tisch aussuchen konnte, wo noch niemand saß.
Ein Kellner kam sogleich und nahm dienstbeflissen mit einem freundlichen Lächeln meine Bestellung auf. Er servierte das Grillhähnchen und das Bier innerhalb einer Viertelstunde. Der Kellner freute sich, als ich ihm sagte, dass das Menü ausgezeichnet geschmeckt habe. Da ich noch eine Weile in dem bequemen Restaurantwagen bleiben wollte, um eine Zeitung zu lesen, bestellte ich eine Melange und ein Stück Nusstorte.
Inzwischen waren alle Tische ringsherum besetzt. Ich schreckte aus meiner Lektüre auf, als ich eine männliche Stimme mit eindeutig wienerischem Akzent, verdeutscht sagen hörte: „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich zu Ihnen setze; nur hier ist noch ein Platz frei!“
Natürlich hatte ich etwas dagegen; aber ich bat den Mann höflich, doch Platz zu nehmen. Er entpuppte sich als ein geselliger Wiener Heurigen Besucher. Da er nicht locker ließ, mir seine ganze Lebensgeschichte von den ersten Windeln bis zum aktuellen Tag zu erzählen, legte ich, etwas verärgert über mein geschwätziges Gegenüber, meine Zeitung, in der ich auf einen interessanten Artikel über eine geplante Aktion zur Wiederaufforstung von brasilianischen Urwaldgebieten gestoßen war, seufzend beiseite.
Er betreibe Handel mit Gartengeräten und Gartenmaschinen, erklärte er mir; deswegen sei er unterwegs nach England.
Er bedrängte mich, Fotos von seinem Haus in Stammersdorf anzuschauen. Ich erkannte es sofort. Es liegt, umgeben von Weinbergen, auf einer Flanke des Bisamberges. Früher ist es ein eher bescheidener Heuriger gewesen.
Obwohl mir der Wiener mit seiner aufdringlichen leutseligen Art ein wenig auf die Nerven ging, musste ich zugeben, dass er das Haus mit dem großen Gartengrundstück und dem Weinkeller sehr einfühlsam, ja liebevoll revitalisiert hatte. Oft war ich dort nach einem Spaziergang durch die gepflasterten Hohlwege mit den kleinen, tief in die steilen Lösswände gegrabenen Weinkellern, eingekehrt. Die Besitzer jenes Heurigen, ein älteres Ehepaar, hatten mich immer so herzlich wie einen guten alten Freund begrüßt und bewirtet. Sie produzierten einen Rotwein, der, obwohl er nie offizielle Auszeichnungen erhalten hat, eine einzigartige Gaumenfreude war. Ich hatte immer einige Flaschen von diesem köstlichen Wein, der direkt aus dem kühlen Weinkeller kam, mitgenommen. Er schmeckte weit besser als die teuersten Rotweine in den Supermärkten, wo die kostbaren Flaschen bei Zimmertemperaturen in beleuchteten Regalen dahinvegetieren, und so viel vom ursprünglichen Aroma verlieren.
Das Buffet war einfach aber wohlschmeckend gewesen. Das herrlich duftende Bauernbrot hatten sie selbst in einem alten aus Feldsteinen errichteten Backofen mit dem Holz abgestorbener Weinstöcke und dem jährlichen Schnittgut gebacken. Sie hatten einen kleinen Hund; eine gelungene Promenadenmischung aus Dackel und Spitz. Sie nannten ihn Freddy. Ein schlaues Bürschchen. Er war ein höchst begabter Torwart. Jedes Mal, wenn ich dort war, legte er mir seinen Tennisball erwartungsvoll vor die Füße, wackelte dann ungefähr sechs Meter im Rückwärtsgang zurück, und wartete, meinen rechten Fuß starr fixierend, auf den Elfmeterschuss. Es war unglaublich; aber es gelang mir tatsächlich nie, nicht einmal mit listigen Täuschungsmanövern, ein Tor zu erzielen. Wenn Freddy den aufgefangenen Ball im Maul hatte, knurrte er zufrieden mit schelmisch triumphierendem Blick und steil nach oben gerichteten Plüschohren. Leider hat ein Gast einmal so kräftig geschossen, dass der arme Hund dabei seine Vorderzähne eingebüßt hat. Es saß von da an mit heruntergeklappten Ohren und eingezogenem Schwanz trübsinnig auf der Matte beim Kachelofen und schniefte traurig, wenn ich den Heurigenraum betrat.
Weil ich Freddy derartig ins Herz geschlossen hatte, spielte ich sogar mit dem Gedanken, ihm Vorderzähne auf meine Kosten implantieren zu lassen. Ich war sehr enttäuscht und traurig, als ich nach einem mehrmonatigen geschäftlichen Aufenthalt in Deutschland und Frankreich bei einem Spaziergang durch die Hohlgassen das Eingangstor meines Lieblingsheurigen verriegelt vorfand, und auf einem großen Schild las, dass der Heurige mit den Weingärten verkauft worden war. Ich brachte später in Erfahrung, dass das kinderlose Ehepaar das Haus und die Weingärten hatte verkaufen müssen, weil beide aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen waren, die Weingärten zu pflegen, und deshalb in ein Seniorenheim umgesiedelt sind. Meinen Freddy hatten sie natürlich mitgenommen.
Ich habe ihn sechs Monate später in jenem Seniorenheim besucht. Als Freddy mich erblickte, stürmte er mir mit einem Tennisball in der Schnauze entgegen und legte ihn auffordernd vor meine Füße. Er hatte wieder alle Vorderzähne!
Das Heurigenehepaar erzählte mit später, dass ein pensionierter Zahnarzt, der auch in dieser Seniorenresidenz seinen letzten Lebensabschnitt verbringt, dem Hund die Zahnlücke, als Trost für den verlorenen Platz am Kachelofen des verkauften Heurigenlokals, mit Zahnimplantaten geschlossen habe.
Freddy ist in seinem neuen Zuhause sehr glücklich, weil alle Bewohner des Seniorenheims ganz verrückt darauf sind, endlich ein Tor gegen ihn zu erzielen. Bisher soll das aber wie früher niemandem gelungen sein. Freddys Lieblingsplatz ist der weiche Ohrensessel jenes betagten Zahnarztes. Wenn dieser jedoch am Abend seine Zahnprothese herausnimmt, soll Freddy herzzerreißend heulen ...
Ich wischte mir verstohlen die Tränen weg, als ich auf einem Foto den in Stein gehauenen Engel, die Flügel schützend weit ausgebreitet, vor dem Eingang des Hauses sah. Er hatte das freundliche sympathische Ehepaar zwar lange beschützt, aber es nicht vor den Tücken des Alterns bewahren können.
„Glauben Sie an Engel?“, fragte mich der Wiener unvermittelt.
Die Frage irritierte mich, weil ich nicht wusste, worauf er hinauswollte.
„Ich weiß nicht so recht“, entgegnete ich ausweichend. „Vielleicht gibt es sie tatsächlich. Mir ist auf jeden Fall noch keiner begegnet!“
„Mir schon!“, entgegnete der Wiener mit ernstem Gesichtsausdruck. „Jedenfalls dachte ich das. Carmen war für mich und viele andere ein Engel. Ich habe sie verehrt und geliebt wie keine andere Frau in meinem Leben, aber ein anderer, der sie nicht verdient hat, so dachte ich jedenfalls, hat sie mir weggeschnappt.“
Als er erwähnte, dass sie einen Bioladen mit spanischen und südamerikanischen Produkten im Wiener Künstlerviertel am Spittelberg betrieb, klingelte es bei mir. Sollte es sich tatsächlich um die Ex-Frau meines Freundes Heinrich handeln, den ich in Ruthin, in Wales, besuchen wollte? Ich ließ mir nichts anmerken, folgte aber nun seinen Worten mit größter Aufmerksamkeit.
Carmen stamme aus Sanlúcar de Barrameda in der Provinz Cádiz in Andalusien. Mit einem Erasmus Stipendium soll sie nach Wien gekommen und dort geblieben sein, weil ihr diese Stadt so gut gefallen hat. Sie vertrage das kühlere Klima in Österreich viel besser als die brütende Sommerhitze in ihrer Heimatstadt. Nur die vielen sonnenarmen Tage sind ein Problem für sie gewesen. Es gab keinen Zweifel mehr. Der Engel Carmen konnte nur die Ex-Frau meines Freundes Heinrich sein!
Als wir uns Münster näherten, unterbrach er seine Erzählung. Er müsse leider aussteigen. Ich muss gestehen, dass ich nun verärgert war, weil der Wiener keine Zeit mehr hatte, mir zu erzählen, warum er Gott auf Knien danke, dass Carmen statt ihm, dem dürren mit einer Spiegelglatze gesegneten braven aber doch so langweiligen Gärtner Heinrich das Jawort gegeben hat. In ihrer Heimatstadt würde man sie nicht als Engel, sondern als eine scheinheilige Teufelin bezeichnen ...
Er werde seine Reise nach England erst in einigen Tagen fortsetzen, weil er vorher in der Nähe von Münster einige Firmen, mit denen er geschäftliche Beziehungen unterhalte, aufsuchen müsse.
Als ich ihm sagte, dass mein Ziel Ruthin in Wales sei, schüttelte er ungläubig den Kopf.
„Welch ein glücklicher Zufall! Es ist nicht weit von meinem Zielort Chester entfernt. Ich kenne dieses alte malerische Städtchen. Wir müssen uns dort unbedingt treffen!"
Da ich nun darauf brannte, zu erfahren, warum man Carmen in San Sanlúcar de Barrameda als eine Teufelin bezeichnet, gab ich ihm meine Handy Nummer.
Er wird mich bestimmt besuchen; in Ruthin gibt es einen kleinen Familienbetrieb, der Veredlungsmesser und Gartenscheren weitgehend in Handarbeit herstellt. Sie sind von einer solch einmaligen Qualität, dass sie trotz der geschmalzenen Preise wie warme Semmeln weggehen. Er will versuchen, ein höheres jährliches Kontingent zu bekommen.
Als sich Alfred, so war der Vorname des Wieners, von mir verabschiedet hatte, ging ich zu meinem Abteil zurück. Ich vertiefte mich wieder in meine Lektüre, schlief aber nach einer halben Stunde ein.
Ein Fahrgast rüttelte mich wach, als der Zug im Hafen von Hoek van Holland einlief. Es war 20:30 Uhr. Wir waren fahrplanmäßig angekommen. Das große in der einbrechenden Dunkelheit gespenstisch beleuchtete Fährschiff wartete schon auf uns. Meine Kabine, die ich mit zwei jungen Franzosen teilen musste, war klein aber zweckmäßig eingerichtet. Ich fuhr mit dem Aufzug hinauf zum zweiten Oberdeck und kehrte in ein typisch englisches Pub ein. Der Boden war mit dicken Teppichen ausgelegt. An der Wand hing ein Dartboard und auf der Theke standen die typisch englischen Bierpumpen mit einem hölzernen Arm, den die Kellner beim Bierzapfen runterdrücken.
Das Pub war voll. Es waren naturgemäß viele Engländer anwesend; aber an den typischen nationalen Akzenten waren Deutsche und Franzosen unüberhörbar erkennbar. Auch der Brite, der neben mir an der Theke saß, hatte, als ich ein pint of ale bestellte, und ein paar Worte mit dem Kellner wechselte, sofort an meinem miserabel ausgesprochenen th, das ich, wie die meisten Deutschen, wie ein S oder D ausspreche, erkannt, dass ich ein Deutscher bin.
Er war very pleased, als ich das englische Bier lobte. Deutsche und auch Österreicher würden normalerweise nach einem Schluck von englischem Bier eine Grimasse schneiden, weil es warm und wegen des geringen Kohlensäureanteils schal und langweilig schmecke.
Ich konnte mir ein boshaftes Grinsen nicht verkneifen. „Yes“, meinte ich. „The british ale ist für uns vom Kontinent indeed gewöhnungsbedürftig, aber wenn man es einige Male hinuntergegossen hat, merkt man, dass es bekömmlicher ist als das eiskalte deutsche Bier mit hohem Kohlesäureanteil.“
Es kostete mich einige Überwindung, nicht zu erwähnen, dass es auch Deutsche gibt, die den Geschmack von englischem Bier mit den Ausdünstungen von eingeschlafenen Schweißfüßen vergleichen ...
Der Engländer nickte nachdenklich. Es stimmt; der Magen verträgt englisches Bier besser als das kalte vom Kontinent. Anfänglich hat ihm das kühle kohlensäurereiche Bier überhaupt nicht geschmeckt; aber jetzt nach zwei Jahren Aufenthalt in Wien, kann er den lauen englischen Gerstensaft nur noch mit Überwindung hinunterkippen.
Ich musste ihm versprechen, ihn einmal im Vienna International Center, kurz VIC, zu besuchen. Er arbeitet bei der IAEO. Er macht nur einen Kurzurlaub in England. Er würde mich gerne im Restaurant des VIC zum Essen einladen. Die angebotenen Menüs sind sehr gut. Wir könnten danach einen Spaziergang durch den Donaupark machen. Mit den weitläufigen Rasenflächen, auf denen man picknicken kann, ist er einem englischen Park sehr ähnlich. Er würde mich auch gerne auf a cup of coffee mit einer herrlich schmeckenden Wiener Mehlspeise, ein Stück Torte, oben im Café auf dem Donauturm einladen. Der Ausblick auf Wien in dem runden sich langsam drehenden Café ist bei schönem Wetter einfach wonderful. Ich versprach, ihn anzurufen, sobald ich wieder in Wien bin. Nach der closing time fuhr ich hinunter zu meiner Kabine und haute mich in meine Koje. Ich rollte mich von einer Seite auf die andere; aber, obwohl ich todmüde war, konnte ich einfach keinen Schlaf finden, weil einer der Franzosen fürchterlich schnarchte und der andere, ohne sich irgendwelchen Zwang anzutun, seine Gärgase explosionsartig entsorgte. Gott sei Dank funktionierte die Belüftung gut. Mir gingen die Worte des Wieners über Carmen nicht aus dem Sinn. Warum hatte man nur eine solch schlechte Meinung von der bedauernswerten Spanierin?
Ich hatte ihr hoch und heilig versprechen müssen, dass ich niemandem, auch Heinrich nicht, verraten würde, was ich über sie erfahren hatte, und was ihr letzter Wunsch gewesen war ...
Heinrich und ich hatten Carmen gemeinsam entdeckt. Bei einem Spaziergang durch die malerischen revitalisierten alten historischen Gässchen am Spittelberg in Wien, waren wir auf einen Bioladen gestoßen, in dessen Schaufenster Produkte aus Spanien und Südamerika ausgestellt waren. Als wir das Geschäft betraten, und uns die zierliche Spanierin lächelnd begrüßte, hatte uns Amors Pfeil gleichzeitig das Herz durchbohrt. Mit ihrem dunklen Haar, das lang über ihr korallenrotes Kleid fiel, den großen Mandelaugen, und dem kindlich schüchternen Blick hatte sie uns in einem Augenblick verzaubert. Wir kauften viele Naturprodukte, für die wir gar keine Verwendung hatten, weil wir so lange wie möglich in dem Laden bleiben wollten, um die bezaubernde Verkäuferin verstohlen betrachten zu können. Es versteht sich von selbst, dass wir bald zu ihren besten Kunden zählten. Früher hatten wir gewöhnlich nur zweimal im Jahr den Spittelberg aufgesucht: Einmal wegen der idyllischen Weihnachtsmärkte im Dezember und dann anschließend wegen der Punschstände zum Neuen Jahr. Nun gingen wir mehrmals in der Woche dorthin.
Wir unterhielten uns jedes Mal glänzend mit ihr. Sie lachte über meine Witze, aber meine Versuche, sie zum Essen in einem Restaurant oder auf einen Kinobesuch einzuladen, blieben lange erfolglos. Sie verstand es aber jedes Mal, mir so charmant einen Korb zu geben, dass ich mich nicht verletzt fühlte. Ich dachte zuerst, dass sie meine Einladungen ablehnte, weil ich ein einfacher nicht vermögender Gärtner bin; aber ich erfuhr dann in den umliegenden Restaurants, dass sie es mit allen anderen Männern, die ihr in Scharen den Hof machten, genauso machte. Es waren darunter reiche Geschäftsleute, Ärzte, Schauspieler und auch einige bekannte Politiker gewesen.
Obwohl Carmen viele begehrte hübsche Fotomodelle leicht in den Schatten hätte stellen können, wirkte sie ganz im Gegensatz zu den normalerweise selbstsicheren Spanierinnen unsicher, ja schüchtern. Aber gerade das machte sie so unwiderstehlich anziehend. Sie gab mir schließlich doch das, was ich sehnsüchtig begehrt hatte, machte mir aber auf ihre charmante Art unmissverständlich klar, dass sie sich in keiner Weise zu binden beabsichtige. Es war schmerzhaft zu erfahren, dass ich nicht der einzige sein könne, dem sie ihre Leidenschaft schenken wolle. Da ich ihr aber so verfallen war, musste ich das akzeptieren ...
Sie war eine begabte Tänzerin. In ihrem Kellerraum, dem sie durch Fotos ein andalusisches Flair gegeben hatte, gab sie Flamenco Tanzstunden. Einmal im Monat veranstaltete sie mit ihren Schülerinnen einen Flamenco Abend. Wenn sie tanzte, war von ihrer Unsicherheit und Schüchternheit nichts zu spüren. Sie sprühte nur so vor Temperament und Leidenschaft. Wer ihr vorher noch nicht verfallen war, erlag ihr nun mit Haut und Haaren.
Wie gesagt, ihr Geschäft ging dank ihrer vielen Verehrer gut, aber wirklich reich konnte sie von diesen Einnahmen nicht werden. Dennoch war sie sehr großzügig gegenüber Personen, die in finanzieller Not geraten waren. Sie konnte einfach nicht Nein sagen, wenn sie jemand um Hilfe bat. Sie half aber nicht nur mit Geld, sondern betreute auch viele ältere Personen in der näheren Umgebung. Wie die meisten Spanier war sie eine gute Katholikin. Sie ging jeden Sonntag in die Messe und beteiligte sich sogar beim freiwilligen Kirchenputz. Wegen ihres unermüdlichen Einsatzes für arme und bedürftige Menschen wurde sie nach einiger Zeit nur noch „Der bezaubernde Engel vom Spittelberg“ genannt.
Mein Freund Heinrich schien sich seltsamerweise nach einigen Wochen nicht mehr für Carmen zu interessieren, denn der schlaue Fuchs fand jedes Mal eine Ausrede, wenn ich ihm vorschlug, mal wieder bei ihr einzukaufen oder zu einer ihrer Flamenco Darbietungen zu gehen.
Nicht nur mich, sondern das ganze Heer ihrer Verehrer traf es wie ein Keulenschlag, als uns eine Einladung zur bevorstehenden Trauung Carmens mit meinem listigen Freund Heinrich ins Haus flatterte. Wie hatte er das nur angestellt!? Was konnte sie an ihm finden? Ja, er war ohne Zweifel ein guter aufrichtiger und hilfsbereiter Kerl; aber er war klein gewachsen, schmächtig, hatte ein schmales Gesicht wie ein Brett und eine bis weit über den Hinterkopf führende Glatze, die so sehr glänzte, dass sie als Spiegel hätte dienen können. Sie wurde von Fliegen und anderen Insekten als bevorzugte Landebahn, Trinkbrunnen und Salzquelle genutzt. Darüber hinaus war er Frauen gegenüber so schüchtern, dass er schon rot anlief, wenn ihn ein weibliches Wesen mit einem flüchtigen mitleidigen Blick bedachte. Er fing an zu stottern, wenn ihn zum Beispiel in einem Supermarkt eine hübsche Kassiererin fragte, ob er Kleingeld habe; dennoch war es nicht das erste Mal gewesen, dass er mir ein Mädchen ausgespannt hatte.
Wie hatte er es aber nur geschafft, sich an die göttliche Carmen, die alle Männer wie eine Bienenkönigin umschwärmten, heranzumachen? Mir ist das bis auf den heutigen Tag ein Rätsel geblieben. Wie gesagt, ich habe diesen heuchlerischen Windhund nie mehr im Bioladen von Carmen angetroffen.
Tatsächlich war es augenfällig, dass Carmen Heinrich nicht aus Mitleid, sondern aus Zuneigung geheiratet hatte. Nach der Eheschließung war sie wie verwandelt. Ihre sprichwörtliche Schüchternheit und Unsicherheit hatten sich förmlich in Luft aufgelöst. Sie sprühte nur so vor Lebenslust und Fröhlichkeit. Sie scherzte und kokettierte ausgelassen mit den Kunden, ohne freilich auf die vielen unmoralischen Angebote einzugehen, die ihr ihre noch immer zahlreichen Verehrer machten.
Wieder traf es nicht nur mich, sondern alle, die Carmen kannten, wie ein zweiter betäubender Keulenschlag, als bekannt wurde, dass Heinrich fremdgegangen sei, die Scheidung eingereicht habe, und sich mit seiner neuen Flamme, eine Engländerin, nach Wales in England abgesetzt habe ...
......................................................................................................
Fortsetzung in Band 2
(Aus Band 1)
Ich hatte ein altes Haus zu einem sündhaft überhöhten Preis in Pötzleinsdorf gekauft. Der Besitzer, Herbert Berger, hatte mir mit einem unverschämten Grinsen erklärt, dass er mir schon sehr entgegengekommen sei. Die einzigartige Lage rechtfertige die ausgehandelte Summe. Er habe mehrere Immobilienmakler konsultiert. Alle wollten das Haus zu einem Preis verkaufen, der noch höher gewesen sei als jener, den er mir anfänglich genannt habe. Er hätte ihnen jedoch einige Monate Zeit geben müssen, um einen zahlungskräftigen Käufer zu finden. Er wolle aber das Haus so schnell wie möglich verkaufen, weil er das Geld für ein anderes Projekt dringend benötige. Nur aus diesem Grund habe er mir einen Preisnachlass von 10% gewährt.
Ich hatte mich sofort entscheiden müssen, sonst hätte er mit anderen Interessenten Kontakt aufgenommen. Was die Lage des Hauses betrifft, hatte er recht gehabt. Es liegt auf der oberen Flanke eines Hügels von Pötzleinsdorf, nicht weit von jener Stelle entfernt, wo ein Schild darauf hinweist, dass hier früher Windmühlen gestanden haben. Vom Wohnzimmer aus hat man einen freien Blick über Weingärten und weiter oben bis zum Kahlenberg und Leopoldsberg. Außerdem gehört zu dem Haus ein großer Garten mit vielen alten Obstbäumen und Weinstöcken. Ein Grundstück mit 800 m² Gartenfläche in solch einer Lage zu finden, ist wirklich ein Glücksfall!
Als er mir im Garten die Marillenbäume zeigte, deren Äste sich unter der Last der reifen lachsroten Früchte bogen, und ich einige dieser herrlichen Früchte gekostet hatte, wurde ich endgültig schwach. Wir schüttelten uns die Hände, und ich unterschrieb den Kaufvertrag.
Es stellte sich bald heraus, dass Herr Berger tatsächlich noch andere Interessenten gehabt hatte, und dass ich trotz des hohen Preises einen sehr guten Kauf gemacht hatte.
Nach dem Kaufabschluss kamen mehrere offensichtlich gut betuchte Leute bei mir vorbei. Sie machten Kaufangebote, die weit höher waren als jener Preis, den mir Herr Berger zuerst genannt hatte. Zuletzt besuchte mich noch ein bekannter und berüchtigter Lobbyist. Er besitzt ein Schloss in Niederösterreich, tausende Hektar Agrarflächen und ausgedehnte Wälder, deren Gesamtumfang nicht bekannt ist.
Ich gab ihm höflich aber unmissverständlich zu verstehen, dass das Haus unverkäuflich sei. Er lächelte nur und sagte, dass ich meine Meinung bestimmt ändern werde, wenn ich sein Kaufangebot kennen würde. Er nannte mir dann eine derart astronomische Summe, dass ich im ersten Moment tatsächlich ins Wanken geriet. Sie lag über dem dreifachen Betrag, den ich für den Kauf des Hauses hingeblättert hatte!
Inzwischen hatte ich aber das Haus und den Garten sehr lieb gewonnen, und mir war klar geworden, dass ich einen einmaligen Glückstreffer gemacht hatte. Zu Fuß brauche ich von meinem Grundstück ungefähr eine Viertelstunde bis zum Pötzleinsdorfer Park und zum angrenzenden Wiener Wald nur wenige Minuten mehr. In fast ebenso kurzer Zeit erreiche ich mit demselben kostenlosen umweltschonenden und dazu noch gesunden Fortbewegungsmittel die gemütlichen Heurigen von Neustift am Walde. Ich hatte Jahrzehnte von solch einem Wohnort geträumt, und jetzt war dieser Traum tatsächlich in Erfüllung gegangen. Um keinen Preis wollte ich diesen paradiesischen Ort aufgeben.
Der Mann starrte mich fassungslos an, als ich sein Angebot ablehnte. „Aber das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“, brachte er endlich sichtlich empört heraus. „Für diesen Betrag können Sie sich sogar an der Côte d'Azur eine Villa kaufen!“
Der Mann wurde mir mit seiner Beharrlichkeit langsam lästig. Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht unhöflich zu werden. Dieser feine Herr, der es gewohnt war, mit hohen Schmiergeldern, oder, wie man so treffend in Österreich sagt, mit „Anfüttern“, alles und jeden kaufen zu können, wollte nicht verstehen, dass es auch Menschen geben könnte, die für nichts in der Welt bereit sind, etwas zu verkaufen, was ihnen ans Herz gewachsen ist.
„Das Haus ist unverkäuflich!“, wiederholte ich schließlich wirsch. „Auch wenn Sie mir noch mehr anbieten wollen, wird das meine Entscheidung nicht verändern!“
Der Lobbyist schwang sich daraufhin sichtlich verärgert in seinen BMW der Luxusklasse und brauste mit quietschenden Reifen davon.
Da ich aber einige bauliche Veränderungen in dem Haus durchführen lassen wollte, zog ich dort erst im Dezember endgültig ein. Es war ein schneereicher Winter. Die Gärten, die Bäume und Sträucher waren mit einer dicken Schneedecke überzogen. Der Blick von den Wohnzimmerfenstern in Richtung Neustift am Walde und zum Kahlenberg und Leopoldsberg war atemberaubend schön. Das Haus verfügte neben den Heizkörpern der Zentralheizung über einen offenen Kamin im Wohnzimmer. Sogar ein großer Stapel Brennholz war noch im Garten vorhanden. Ich legte einige Scheite in die offene Feuerstelle und setzte sie mit bereitliegenden Kienspänen in Brand. Bald loderte ein großes Feuer im Rauchfang. Ich schaltete das Licht aus, und machte es mir in dem bequemen Ohrensessel, den der Vorbesitzer zurückgelassen hatte, bequem. Ich genoss die wärmenden Strahlen, den Blick auf die hoch auflodernden Flammen und auf die glühenden, Funken stiebenden, knackenden Holzstücke.
Die wohlige Wärme schläferte mich ein. Als ich aufwachte, war das Feuer niedergebrannt. Die Scheite hatten eine weiße Färbung angenommen, aber im Kern glimmten sie noch. Ich schaute schnell auf die laut tickende Wanduhr. Sechs Uhr! Ich hatte acht Stunden im Sessel geschlafen; aber es war Samstag. Ich hatte es nicht eilig, da ich nicht zur Arbeit musste. Nachdem ich ein paar Scheite auf die Glut geworfen hatte, machte ich mir ein gutes Frühstück, zog ein warmes Morgengewand an und ging hinaus, um die Zeitung zu holen. Als ich sie aus dem Rohr herauszog, bemerkte ich direkt hinter dem eisernen Eingangstor auf dem Gehsteig einen großen dampfenden braunen Haufen! „Verdammter Köter!“, knurrte ich empört. Ich öffnete das Gartentor und schaute nach rechts und links. Der schamlose Übeltäter hatte sich schon verdrückt. Die Fußabdrücke des Hundes zeichneten sich deutlich im frischen Schnee ab. Es musste eine große Töle gewesen sein. Daneben waren keine Spuren des Besitzers zu sehen. Das Hundsviech dürfte folglich ohne Begleitung seine Notdurft vor dem Gartentor hinterlegt haben! Ich holte eine Schaufel und warf die übel riechende Masse in die Gosse. Natürlich hätte ich den Spuren nachgehen können, um dem Besitzer die Hinterlassenschaft seines Lieblings zurückzugeben; aber ich verzichtete darauf, weil ich vor dem Feuer meine Zeitung lesen wollte, und hoffte, dass der freche Hund das nächste Mal sein dringendes Geschäft woanders verrichten würde.
Meine Hoffnung sollte sich zunächst erfüllen. Am nächsten Morgen und auch an den folgenden Tagen wurde ich von den bestialisch stinkenden Geschenken verschont. Die Temperaturen stiegen rasch, und so taute der Schnee innerhalb einer Woche weg.
Als ich aber einige Tage darauf am späten Abend nach Hause kam, trat ich in eine weiche Masse, die genau auf derselben Stelle abgelegt worden war wie beim ersten Mal. „Drecksviech!“, fluchte ich laut, als ich am Randstein den braunen gemein stinkenden Haufen so gut es ging, abstreifte.
Warum muss diese Töle ausgerechnet vor meinem Tor sein Gackerl hinterlassen, dachte ich zornig. Es gibt hier so viele andere schönere einladende Eingangstore der Stinkreichen! Mach doch dein Geschäft, wo du willst, aber bitte nicht noch einmal ausgerechnet vor meinem bescheidenen Tor!
Mein Wunsch sollte aber leider nicht in Erfüllung gehen. Von nun an bekam ich jeden Morgen frei Haus und gratis eine riesige Portion jener duftenden Verdauungsrückstände direkt vor mein Gartentor geliefert. Der hinterlistige Lieferant kam immer in der Nacht oder sehr zeitig in der Früh. Ich lauerte ihm hinter der Gardine auf; aber er schien meine Anwesenheit zu riechen. Es gelang mir nie, ihn auf frischer Tat zu ertappen. Es war auch unmöglich, die ganze Nacht bis zum Tagesanbruch Wache zu schieben.
Ich ging schließlich völlig entnervt zur Polizei, aber die Beamten lachten nur amüsiert, als ich ihnen die Sache beschrieb. Sie hätten leider keine Zeit, sich auch noch um falsch geparkte Hundstrümmerl zu kümmern. Außerdem sei es so gut wie ausgeschlossen, den Besitzer des Übeltäters ausfindig zu machen, weil ja kein Kennzeichen vorhanden sei. Einer schlug mir mit einem schadenfrohen Grinsen vor, ein Schild mit dem Titel: „Nimm ein Sackerl für dein Gackerl“ aufzustellen.
Ich brachte dennoch eine solche Tafel an meinem Gartentor an. Sogar einen Behälter mit „Sackerl für dein Gackerl“ stellte ich kostenlos zur Verfügung. Ich hoffte, dass wenigstens der Besitzer des Hundes, der anscheinend zu faul war, seinen Kumpel zum Verrichten der Notdurft zu begleiten, bei einem Spaziergang es lesen und den markanten Kringel wiedererkennen würde. Leider wurde diese Botschaft nicht zur Kenntnis genommen. Ich rätselte, warum ausgerechnet der Platz vor meinem Gartentor eine solch unwiderstehliche Anziehungskraft auf den schamlosen Beinheber ausübte.
Ich schaute mir in der näheren Umgebung jene Hundsviecher genauer an, die hinter vergitterten Vorgärten jeden Fußgänger auf den Gehsteigen wie von Sinnen anbellen, und groß genug sind, um als mögliche Erzeuger der XXL gratis Schokopudding Haufen in Betracht zu kommen. Ich fand viele wahnsinnige Kläffer, die die Produzenten jener unappetitlichen Hinterlassenschaften gewesen sein könnten, aber wie sollte ich herausfinden, welche von diesen unerzogenen Damen oder Herren in der Nacht freien Ausgang hatten, um die Rückstände ihrer gewiss üppigen Mahlzeiten außerhalb der eigenen Mauern entsorgen zu können? Leider fand ich keine Anhaltspunkte, um die nicht bestellten Sendungen in den Briefkasten des Hundebesitzers zu retournieren.
Eines Abends, als ich mit Mundschutz und Gummihandschuhen einen jener mir untergejubelten noch backwarmen Striezel in Alufolie einpackte, kam ich auf eine glänzende Idee. Ich breitete auf dem Platz, wo der gerissene Vierbeiner sich zu erleichtern pflegte, ein großes Stück Folie aus. Ich frohlockte, als ich am nächsten Morgen einen Riesenbrownie, genau auf das Silberpapier platziert, vorfand. Jetzt brauchte ich die ganz frische Kostprobe nur noch mit den Enden zusammenzufalten und in die Biotonne zu werfen. Das war zwar keine Ideallösung, aber immerhin eine bedeutende Verbesserung, weil der Gehsteig auf diese Weise vollkommen rein blieb.
Ich hatte schon jede Hoffnung aufgegeben, den dreisten Lieferanten nicht bestellter Bioware zu erwischen, als es im März noch einmal zu schneien begann. Ich stieß einen Freudenschrei aus, als ich neben der Rohrpost deutliche Fußabdrücke des Absenders im Schnee bemerkte. Ich zog mich schnell an und folgte gespannt den Spuren. Die Abdrücke führten zu der bereits erwähnten Windmühlenhöhe und dann die gepflasterten Stufen hinunter. Sie endeten bei einem eingezäunten Grundstück, auf dem ein teilweise abgerissenes Haus und ein Schuppen standen. Auf einer großen hölzernen Tafel war zu lesen: „Betreten der Baustelle verboten“ und darunter der Name der Firma, die mit den Bauarbeiten betraut worden war.
Als ich die Spuren genauer prüfte, sah ich, dass in der Hecke ein Loch war. Auf der Gartenseite führten die Fußabdrücke zum Schuppen. Es war nicht möglich, das Grundstück zu betreten, weil die Hecke aus dornigen dichten Sträuchern bestand, und das Eingangstor verschlossen war. Ich wollte schon umkehren, als plötzlich ein großer räudiger Hund, wohl ein Schäferhund Bastard, aus dem Schuppen kam. Er trottete langsam mit hängendem Kopf und wedelndem Schwanz auf mich zu. Er blieb beim Loch stehen, betrachte mich traurig und gab schniefende Laute von sich. Er sah zwar struppig und schmutzig, aber wohlgenährt aus. Ich erinnerte mich an die Wurstsemmel, die ich mitgenommen hatte, weil ich noch nicht gefrühstückt hatte. Ich reichte sie ihm hin. Er beschnupperte sie und begann zu fressen, indem er freudig mit dem Schwanz wedelte. Nachdem er sie vollständig verdrückt hatte, leckte er mir vorsichtig die Hand ab.
Ich war unschlüssig, was ich machen sollte. Es handelte sich augenfällig um einen herrenlosen Hund. Er tat mir leid, aber ich hatte auch keine Lust, mich um den räudigen übel riechenden Straßenköter, dem ich so viele unerwünschte Geschenke verdankte, zu kümmern, oder ihn sogar aufzunehmen. Ich entfernte mich langsam und hoffte inständig, dass er mir nicht folgen würde. Er sah mir aber nur traurig nach und winselte kläglich.
Als ich am nächsten Morgen meine Zeitung holen wollte, und wie immer mit der Schaufel in der Hand das Gartentor öffnete, um das frische dampfende Häufchen entgegenzunehmen, saß der Hund auf der Alufolie, auf die er gewöhnlich seine großzügige Spende abzulegen pflegte. Er sah mich treuherzig und erwartungsvoll an. Ich begriff, dass er diesmal in Erwägung zog, auf den Vollzug seines gewohnten Geschäfts zu verzichten; allerdings im Gegenzug für seine Nachsichtigkeit ein opulentes Frühstück erwartete. Ich ging ins Haus, belegte eine Semmel dick mit Wurst und Schinken und kehrte damit zum Tor zurück. Obwohl ich es offengelassen hatte, wartete der Lieferant nicht bestellter Ware höflich auf dem Gehsteig. Er nahm zufrieden die Semmel entgegen und trottete mit dem herzhaften Frühstück im Maul davon.
Auf diese Weise hatte ich zwar das Problem mit dem täglich gelieferten Gratisschokopudding gelöst, aber mir ein neues eingehandelt. Denn von jenem Tag an kam der Kostgänger jeden Morgen pünktlich um sechs Uhr, um sein Frühstück abzuholen. Weil er ein sehr großer Hund war, taufte ich ihn „Pluto“. Er schien den Namen nicht zu mögen, denn er bleckte die Zähne und knurrte bösartig, als ich ihn zum ersten Mal so nannte. Pluto betrat niemals mein Grundstück. Scheinbar spürte er, dass er jenseits des Tores nicht erwünscht war. Der neue „Deal“ bereitete mir jedoch keineswegs Freude; aber er war in der Ausführung wesentlich angenehmer als in der vertragslosen Phase. Ich überlegte, wie ich den gerissenen Schlawiner loswerden könnte. Ich musste unbedingt herausfinden, wer der Eigentümer jenes Baugrundstückes war, wo der Köter zu übernachten pflegte. Vielleicht hatte der eine Ahnung, woher der Hund stammte.
Gesagt getan. Ich ging also zu Plutos Wohnsitz, notierte die Telefonnummer des Bauunternehmens und rief dort an. Ich fand heraus, dass der Verkäufer des Grundstückes derselbe ist, dem ich das Haus abgekauft hatte. Man gab mir auch seine neue Adresse in Stammersdorf. Als ich mich als Nachbar ausgab, verriet man mir, dass der Baubeginn auf Anfang August verschoben worden sei, weil der Bauherr bis Ende Juli aus geschäftlichen Gründen im Ausland weile, und unbedingt den Baufortschritt beobachten möchte, um vor Ort eventuell Änderungswünsche vorbringen zu können.
Pluto konnte folglich nur noch bis Ende Juli ungestört in seinem Schuppen wohnen! Leider waren meine Bemühungen, ihm das verständlich zu machen, vergeblich.
Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Auto nach Stammersdorf, um mir das neue Domizil von Herbert Berger anzusehen. Er wohnte oberhalb der Heurigen in Richtung Hagenbrunn. Ich ließ mein Auto oben auf dem Parkplatz stehen und ging zu Fuß durch die Weinberge und die schluchtartigen Kellergassen zu der angegebenen Adresse. Rechts und links der gepflasterten Hohlwege befanden sich tief in den Löss gegrabene alte Weinkeller. Auf den steilen Abhängen wuchsen hauptsächlich Akazien und Holunderbüsche.
Das Grundstück von Herrn Berger befand sich im oberen Bereich des Weingebietes auf einer Flanke des Bisamberges. Es war von Weinstöcken und hohen Walnussbäumen umgeben. Offensichtlich hatte er ein Haus mit einem großen Weingarten gekauft. Auf dem Eingangsweg stand ein Traktor. Daneben lag ein Lederhandschuh auf dem Boden. Ein Gedanke durchzuckte mich. Ich blickte mich vorsichtig um. Als ich niemanden sah, hob ich ihn auf, ließ ihn in meiner Jackentasche verschwinden, kehrte schnell zum Auto zurück und fuhr wieder nach Hause.
Als Pluto am folgenden Tag wie gewohnt, pünktlich zu seinem Frühstück eintraf, hielt ich ihm den Handschuh hin. Er beschnupperte ihn aufgeregt, wedelte mit dem Schwanz und fing schließlich kläglich zu winseln an.
Ich öffnete die rechte hintere Tür meines Wagens und legte den Handschuh auf den mit Decken vorsorglich geschützten Rücksitz. Pluto reagierte sofort so, wie ich es erhofft hatte: Mit einem Satz sprang er ins Auto und rollte sich neben dem Handschuh ein.
In etwa hundert Meter Entfernung vor dem Einfahrtsweg, der zum Haus von Herrn Berger führt, hielt ich an. Als ich die Tür neben dem Hund öffnete, sprang dieser sofort hinaus und begann mit erhobener Schnauze aufgeregt zu schnüffeln. Er lief in Richtung des Hauses und rannte freudig bellend auf den Eingang zu. Ich kletterte, mich an herausragenden Wurzeln hochziehend, die Böschung des Hohlweges hinauf. Hinter einem Holunderbusch beobachtete ich gespannt, was geschehen würde. Pluto hatte die Eingangstür erreicht. Er richtete sich auf, heulte laut und scharrte mit den Vorderpfoten an der Tür.
Wenige Augenblicke später öffnete sie sich. Herr Berger erschien in der Türöffnung. Pluto sprang sofort an ihm hoch, legte, ehe dieser reagieren konnte, seine Vorderpfoten auf dessen Schultern und begann ihn freudig winselnd abzuschlecken.
„Du verdammter Mistköter!“, schrie er so laut, dass ich ihn hinter meinem Versteck mühelos verstehen konnte. „Wie hast du mich nur gefunden!“ Er stieß den Hund von sich und versetzte ihm zornig einen heftigen Fußtritt. Pluto heulte laut auf und lief hinkend mit eingezogenem Schwanz zum Hohlweg zurück. „Schleich dich, du räudiges Mistviech und lass dich hier ja nicht wieder blicken, sonst brenn ich dir eine Ladung Schrotkugeln in deinen dreckigen Hintern!“, schrie er dem armen Tier nach. Dann verschwand er im Haus und knallte die Tür hinter sich zu.
Pluto näherte sich hinkend und kläglich winselnd mit hängendem Kopf meinem Wagen. Er leckte mir mit anlegten Ohren herzzerreißend schniefend die Hände ab. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich ihn hierhergebracht hatte, und war ratlos, was ich nun tun sollte. Als ich die Autotür öffnete, sprang der Hund sofort ins Auto und rollte sich wieder auf dem Hintersitz ein. Ich befürchtete, dass er mich nun als sein Herrchen ansehen, und ich ihn nicht mehr loswerden würde. Zu meiner Erleichterung trippelte er aber nach unserer Rückkehr, noch immer eine Hinterpfote nachziehend, zu seiner „Wohnung“ zurück.
Er schien verstanden zu haben, dass sich unser Deal lediglich auf die tägliche kostenfreie Bereitstellung des Frühstücks beschränkte. Ich bekam später heraus, dass er zwei andere Versorgungsquellen in der Nähe ausfindig gemacht hatte. Bei Frau Schinkel, eine ältere alleinstehende Dame, pflegte er das Mittagessen einzunehmen, und bei Frau Schindler das Abendessen.
Ich machte mir folglich keine Sorgen um sein leibliches Wohlergehen, als ich Mitte Juli auf Urlaub nach Italien fuhr. Sicherheitshalber bat ich aber die beiden Damen, die Pluto ebenfalls als Kostgänger angenommen hatten, dessen Mittag- und Abendessen etwas reichlicher ausfallen zu lassen, damit er das nicht erhaltene Frühstück, während meiner Abwesenheit kompensieren kann. Sie erklärten sich dazu auch gerne bereit.
Ich kam Anfang August zurück. Als ich in der Früh, wie gewohnt, meine Zeitung holen und Pluto sein Frühstück servieren wollte, blieb sein Platz leer. Als er am nächsten und auch am darauf folgenden Morgen nicht auftauchte, machte ich mir Sorgen um ihn. Ich ging zu jenem Grundstück, wo Pluto sich einquartiert hatte. Als ich es erreichte, sah ich Baufahrzeuge auf dem Zufahrtsweg stehen. Die Hecke und der Schuppen waren verschwunden. Ein Mann grub mit einem Bagger eine Baugrube aus. Der arme Pluto hatte sein Zuhause endgültig verloren!
Ich fragte die beiden Damen, die den Hund mit dem Mittag- und Abendessen versorgt hatten, ob sie ihn gesehen hätten. Er sei seit einer Woche nicht mehr gekommen. Sie machten sich um ihn genauso Sorgen wie ich.
Vielleicht ist er zu Herbert Berger zurückgekehrt, schoss es mir durch den Kopf. Er hatte doch gedroht, ihm eine Ladung Schrotkugeln zu verpassen, wenn er sich noch einmal bei ihm blicken ließe. Mein Herz begann zu rasen. Ich verwarf den schrecklichen Gedanken jedoch gleich wieder: Pluto kennt den Weg nicht. Wir sind im Auto dorthin gefahren. Er kann sich unmöglich den Weg gemerkt haben! Ich schlief jedoch die ganze Nacht nicht. Ich sah Pluto vor meinem geistigen Auge mit einer Ladung Schrotkugeln im Bauch am Rande des Hohlweges in einer Blutlache liegen.
Am nächsten Morgen fuhr ich nach Stammersdorf. Ich ließ das Auto an derselben Stelle stehen, wo ich damals den Hund herausgelassen hatte.
Als ich auf das Haus von Herrn Berger zuging, hörte ich zunächst lautes Gebell, dann stob Pluto freudig winselnd auf mich zu und sprang so ungestüm an mir hoch, dass ich beinahe umgefallen wäre. Da öffnete sich die Eingangstür und Berger beobachtete sichtlich erstaunt, wie der Hund mich freudig von oben bis unten abschleckte.
„Ah, Sie sind es Herr Schmidt!“, sagte er schließlich lächelnd. „Ihr scheint euch ja schon gut zu kennen! Hat Harras Sie auch mit seinen Geschenken bedacht?!“
„Ja, allerdings!“, antwortete ich. „Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass er bereits bei Ihnen Lieferant von Feinkost gewesen ist!“
„Ich sehe“, entgegnete er mit einem breiten Grinsen, „dass sie Humor haben und nicht nachtragend sind. Das ist gut so. Wissen Sie, ich habe Ihnen über die Besuche von Harras nichts erzählt, weil die sich ja außerhalb des Kaufobjektes abspielen. Mit uns hat er das mit den appetitlichen Häufchen anfangs genauso gemacht. Erst als meine Frau auf die Idee kam, ihm Futter rauszustellen, hat er damit aufgehört. Sie hat ihn „Harras“ getauft. Die beiden haben schließlich Freundschaft geschlossen. Es gefiel mir gar nicht, dass sie ihn eines Tages endgültig adoptiert und ihm einen Schlafplatz im Geräteschuppen eingerichtet hat, weil ich mich strikt geweigert hatte, ihn auch noch ins Haus zu lassen. Er war doch ein übel riechender Straßenköter. Mein Verhältnis zu ihm ist bis zum Verkauf der beiden Häuser ein sehr reserviertes gewesen. Ich akzeptierte gezwungenermaßen seine Anwesenheit. Das war auch schon alles. Nachdem meine Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, blieb ich auf Harras sitzen. Ich sperrte ihn aus, in der Hoffnung, dass er fortlaufen würde. Aber er heulte so herzzerreißend vor dem geschlossenen Tor, dass alle Nachbarn zusammenliefen, und ich so gezwungen war, ihm wieder Einlass zu gewähren.
Ich habe die Häuser zwar nicht wegen des Hundes verkauft, aber es war eine willkommene Gelegenheit, ihn endgültig loszuwerden. Das erwies sich jedoch als Irrtum; denn vor einiger Zeit tauchte er plötzlich hier wieder auf. Ich habe ihn mit einem Fußtritt fortgejagt. Er hat sich danach auch lange nicht mehr blicken lassen.
Mein guter Harras. Ich habe ihn so schlecht behandelt. Wenn ich doch nur geahnt hätte, welch gutes treues Herz sich unter seinem schmutzigen Fell versteckt hat! Der gute Hund hat mir trotzdem das Leben gerettet!“
Harras legte seine Schnauze auf die Knie von Berger und winselte glücklich, als dieser ihm zärtlich über den Kopf strich.
„Was ist passiert?“, fragte ich neugierig.
„Zu diesem Haus gehören drei Hektar Weinstöcke. Sie ziehen sich den Bisamberg hinauf. Die oberen Stücke sind schon sehr steil. Beim Wenden des Traktors muss man da oben sehr aufpassen. Es besteht die Gefahr, dass der Traktor umkippt. Das ist mir dann leider vor zwei Wochen passiert. Es hatte am Vortag geregnet. Der lehmige Boden war aufgeweicht und rutschig. Ich übersah einen großen Felsbrocken, und ehe ich reagieren konnte, lag ich schon eingeklemmt unter dem umgekippten Traktor. Ich konnte mich nicht selbst befreien und kaum noch atmen. Ich rief laut um Hilfe, aber weit und breit war niemand, der meine Schreie hätte hören können. Ich hatte schon keine Kraft mehr und mit dem Leben abgeschlossen, als plötzlich, wie aus dem Nichts, Harras auftauchte. Er schien meine gefährliche Lage sofort erkannt zu haben; denn er lief laut kläffend zum nächsten Haus. Gott sei Dank wussten die Leute das verzweifelte Bellen des Hundes zu deuten und folgten ihm. Sie kamen gerade noch rechtzeitig. Einige Minuten später wäre ich erstickt. Sie konnten den Traktor mit vereinten Kräften mit einem Balken soweit heben, dass ich herauskriechen konnte. Im Krankenhaus stellte man fest, dass ich mir keine lebensgefährlichen Verletzungen zugezogen hatte. Ich hatte mir nur einige Rippen gebrochen. Nach einer Woche konnte ich wieder nach Hause gehen.
Natürlich habe ich meinen Lebensretter, den ich so schlecht behandelt hatte, endgültig bei mir aufgenommen. Wir sind jetzt untrennbare Freunde. Ich kann mir ein Leben ohne Harras gar nicht mehr vorstellen. Gerade jetzt, wo die Weintrauben zu reifen beginnen, ist er mir eine große Hilfe. Er rennt den ganzen Tag in meinem Weingarten herum und vertreibt die gefräßigen Krähen, Dohlen und Stare. In großen Schwärmen können sie in wenigen Stunden ganze Weingärten leer fressen, wenn man keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat! Sie lassen meine Trauben jetzt in Ruhe, weil sich bei ihnen scheinbar herumgesprochen hat, dass Harras schon mehrere dreiste Traubendiebe mit einem kühnen Sprung erwischt und getötet hat. Er weist auch jene unverschämten Spaziergänger in die Schranken, die nicht nur ein paar Trauben kosten wollen, wogegen nichts einzuwenden ist, sondern gleich einen ganzen Weinstock leer plündern!"
Herr Berger und ich sind Freunde geworden. Ich helfe ihm jedes Jahr bei der Weinernte und genieße den guten Wein in seinem kühlen Weinkeller im Hohlweg, oder weiter oben im Schatten einer gemütlichen Weinlaube. Harras ist kein räudiger Köter mehr. Sein Fell ist sauber, glatt und geschmeidig. Er schläft im Wohnzimmer meines Freundes auf einem dicken warmen Teppich. Wenn ich ihn zum Spaß „Pluto“ nenne, fletscht er die Zähne, knurrt böse und schnappt nach mir, als ob er wüsste, dass dieser Name kein Kosewort ist, sondern dass ich damit einen räudigen stinkenden Straßenköter meine. Mit seinen berühmten Brownies pflegt er nur noch die Weinstöcke zu verwöhnen. Ich muss gestehen, dass ich Herbert um den Hund beneide, und Harras jeden Morgen vermisse, wenn ich die Zeitung hole ...
(Aus Band 2)
„Wo werden wir ihn verscharren?“, hört August seinen jüngeren Sohn Herbert sagen.
„Er hat sich doch noch nicht endgültig verabschiedet!“, entgegnet der ältere Sohn Peter mit empört gespielter Miene. „Ein bisschen Respekt hat er schon verdient. Schließlich war er unser Vater!“
„Ein toller Vater!“, entgegnet Herbert, indem er August Berendson, der mit geöffneten aber starren scheinbar leblosen Augen und offenem Mund regungslos unter dem blütenweißen Krankenhausleintuch liegt, mit verächtlichem Blick mustert.
„Nichts hat der geizige Sack für uns getan, nicht einmal unser Studium wollte er bis zum Ende finanzieren! Es wird ihm in der Seele wehtun, dass er auf seiner letzten Reise nichts mitnehmen kann, und uns sein Vermögen, das er uns zeitlebens vorenthalten hat, überlassen muss. Ich denke, es ist am besten, wenn wir eine Feuerbestattung durchführen lassen, und mit seiner Asche seine geliebten Zitronenbäumchen düngen!“
„Eine ausgezeichnete Idee!“, sagt Isabella lächelnd. „So lebt euer Vater in seinen Zitronenbüschen, die er mehr geliebt hat als euch und mich, weiter. Wir ersparen uns den Kauf eines teuren Grabplatzes und die Pflege seiner letzten Ruhestätte!“
Nach diesen Worten verlassen die Söhne und die Exfrau von August Berendson, ohne ihn zu berühren, oder sich von ihm zu verabschieden, das Krankenzimmer.
August will vor Empörung und Angst schreien und aus dem Bett springen, aber seine Lippen und sein erstarrter Körper gehorchen ihm nicht. Er fühlt sich wie eine Fliege, die in einem Eisblock oder in Bernstein eingeschlossen ist.
Er weiß aus den Gesprächen der Ärzte und der Krankenschwestern, dass er schon zwei Jahre lang mit Maschinen und Infusionen am Leben gehalten wird. Vor zwei Tagen ist er aus dem Koma aufgewacht, aber nicht in der Lage gewesen, in irgendeiner Art und Weise mit den Ärzten oder Krankenschwestern zu kommunizieren.
Sie werden ihn lebendig verbrennen! Was kann er nur tun!? Die Ärzte haben ihn aufgegeben. Vor einer halben Stunde ist der Chefarzt vor seinem Bett gestanden und hat Isabella und seinen Söhnen erklärt, dass aus seiner Sicht und der seiner Kollegen nicht die geringste Chance besteht, dass er jemals aus dem Koma aufwachen wird. Sie würden praktisch einen toten Körper mit den Maschinen und Infusionen vor dem endgültigen Aus bewahren. Sie hätten aber nicht das Recht, dieses noch scheinbar bestehende Leben zu beenden. Er kann aber sehr gut verstehen, wenn seine Familienangehörigen, die ja am meisten unter diesem menschenunwürdigen Zustand des Patienten leiden, einen Schlussstrich ziehen wollen.
Als der Arzt nach diesen Worten das Krankenzimmer verlässt, entscheiden sich Isabella und die beiden Söhne, in der kommenden Nacht um 23 Uhr die Geräte abzuschalten, damit August endlich seinen ewigen Frieden finden möge.
Es bleiben ihm folglich bis dahin nur noch fünf Stunden. Die Krankenschwester wird erst wieder gegen sechs Uhr in der Früh sein Krankenzimmer betreten. Sie wird seinen Tod feststellen, die Ärzte rufen, und dann wird alles sehr schnell gehen. Seine Familie wird schließlich erleichtert mit seiner Asche die Zitronenbüsche düngen ...
Er will weinen, aber nicht einmal das ist möglich. Welch einen fürchterlichen Tod wird er erleiden müssen!
Plötzlich öffnet sich die Tür. Eine hübsche kleingewachsene zierliche Frau mit einem großen Rosenstrauß im Arm kommt in den Raum. Er erkennt sie sofort. Es ist seine peruanische Nachbarin Ana, die in einem bescheidenen Gartenhäuschen neben seiner Villa wohnt.
Sie rückt einen Stuhl an sein Bett, legt ihm die Blumen auf die Brust, setzt sich und streichelt ihm zärtlich über die Wangen.
„Es sind Rosen aus deinem Garten“, sagt sie. Tränen laufen ihr über die Wangen und tropfen warm auf seine Brust. „Ich bin durch unseren Geheimgang in den Garten gegangen, als niemand im Haus war, und habe die Rosen abgeschnitten. Sie wollen dich verbrennen! Sie glauben, dass du tot bist. Sie wollen dich so schnell wie möglich loswerden! Ich weiß aber, dass du lebst, und eines Tages wieder aufwachen wirst. Ich liebe dich; deswegen weiß ich das!“
„Ich auch!“, hört er sich sagen, und er spürt, wie sich seine Lippen bewegen und belebende Schauer seinen ganzen Körper durchfluten.
Sie stößt einen Schrei aus. Seine Augen haben die Totenstarre verloren und betrachten sie glücklich.
„Du lebst!“, ruft sie fassungslos vor Glück und bedeckt sein Gesicht mit Küssen.
„Ja“, sagt er schließlich atemlos. „Ich lebe wieder. Ich bin schon seit zwei Tagen aus dem Koma erwacht, konnte das aber niemandem mitteilen, weil mein Körper so steif war, als ob er sich in Froststarre befände. Deine Liebe hat das Eis zum Schmelzen gebracht!“
„Kannst du dich aufrichten?“, fragt sie ihn.
Er versucht es. Es gelingt ihm mühelos, und er kann sogar, wenn auch nur mit ihrer Hilfe, stehen, und einige Schritte machen.
„Was sollen wir tun?“, fragt sie ihn ratlos.
„Meine Familie wird sehr enttäuscht sein, wenn sie erfährt, dass ich doch nicht tot bin. Ich möchte von hier so schnell wie möglich verschwinden. Kannst du mir helfen?“
„Ja“, sagt sie. „Du weißt doch, dass ich dich liebe und alles für dich tun werde, was in meiner Macht steht. Aber wo willst du hin? Man wird dich mit dem gesamten Polizeiapparat suchen. Niemand wird glauben, dass du wie Jesus auferstanden und in den Himmel aufgefahren bist!“
„Man wird glauben, dass jemand meine Leiche gestohlen hat. Der einzigartige Vorfall wird sich wie ein Lauffeuer in allen Medien verbreiten. Man wird sich den Kopf zerbrechen, warum jemand eine Leiche gestohlen hat!
Meine Söhne werden alles erben, was ich besitze. Nur nicht unser Bauernhaus. Man wird mich dort nicht suchen, obwohl es nicht weit von Wien entfernt ist. Ich habe es ja heimlich vor nun schon zehn Jahren gekauft. Als Besitzer ist aber mein treuer Geschäftspartner eingetragen. Dort will ich den Rest meines Lebens, wenn du willst, mit dir verbringen!“
„Das will ich gerne!“, antwortet sie mit Tränen in den Augen. „Ich habe hier eine Stelle als Reinigungskraft angenommen, damit ich dich täglich besuchen kann. Ich bin durch den Dienstboteneingang gekommen. Niemand hat mich gesehen. Wir werden durch diesen Gang das Spital unbemerkt verlassen können. Ich bin auf Urlaub. Niemand wird vermuten, dass ich dich gestohlen habe. Deine Familie wird mich auch nicht verdächtigen, weil sie von unserer Liebe nichts weiß. Mein Auto steht unten. Wenn deine Familie kommt, um dich ins Jenseits zu befördern, sind wir längst in dem Bauernhaus!“
Zwei Tage später sitzt August in seinem gemütlichen Schaukelstuhl in der Orangerie. Er hat ein Glashaus mit mehrschichtigem Isolierglas an die Südseite des Bauernhauses angebaut und dort Zitronenbüsche direkt in die tiefgründige humusreiche Erde gepflanzt. Die Erde ist sehr fruchtbar, weil hier früher ein Misthaufen gestanden hat. Die Zitronenbäumchen, die ihm Clara, die Frau seines Freundes Hannes, vor zehn Jahren geschenkt hat, haben sich dort im nährstoffreichen humosen Boden prächtig entwickelt. Sie tragen gleichzeitig stark duftende Blüten und Früchte. Das Glashaus ist natürlich im Winter beheizt. Als Heizmaterial dienen Hackschnitzel, die aus den Wäldern stammen, die zum nahegelegenen Stift Heiligenkreuz gehören. Dieser Ort ist besonders im Winter angenehm, wenn es draußen stürmt und schneit. Er liest noch einmal vor sich hin lächelnd den Zeitungsauschnitt, den ihm Ana gegeben hat:
Das Wunder von Pötzleinsdorf
Das sogenannte „Wunder von Pötzleinsdorf“ nimmt immer kuriosere Formen an. Ein Pastor einer evangelikalen Freikirche, bei der August Berendson Mitglied gewesen sein soll, behauptet, dass ihm in einer Vision der auf mysteriöse Art verschwundene Komapatient erschienen ist, und ihm mitgeteilt hat, dass sich sein Körper verwandelt habe. Seine Seele befinde sich jetzt im Himmelreich. Er sei dort sehr glücklich. Man soll daher aufhören, ihn zu suchen. Seine Kinder brauchen sich keine Sorgen um ihn zu machen. Er ist immer bei ihnen, wird sie beschützen und ihnen helfen, den Weg zum ewigen Frieden ebenfalls zu finden ...
Die Polizei bleibt aber lieber bei den Tatsachen und forscht weiter, wer den Körper von August Berendson gestohlen haben könnte. Sie steht aber noch immer vor einem Rätsel. Wer könnte Interesse haben, einen praktisch Toten zu stehlen? War es vielleicht eine kriminelle Organisation, die die ja noch intakten Organe des Verschwundenen für viel Geld verkaufen will? Die Polizei geht aber davon aus, dass er mehrere Personen gewesen sein müssen. Diese haben auf jeden Fall äußerst professionell gearbeitet; denn die Spezialisten der Polizei konnten keinerlei Spuren oder Fingerabdrücke sicherstellen, die von den Tätern stammen könnten.
Was eindeutig feststeht, ist, dass die einzigartige Tat am Mittwoch, den 12. August zwischen 18:15 Uhr und 23 Uhr stattgefunden haben muss; denn die beiden Söhne und die Exfrau des Verschwundenen haben diesen am jenem Tag besucht und kurz nach 18 Uhr sein Krankenzimmer verlassen. Sie wollten ihn am späten Abend noch einmal besuchen. Während ihrer Abwesenheit zwischen 18 und 23 Uhr hat weder eine Krankenschwester noch ein Arzt diesen Raum betreten. Als die beiden Söhne von August Berendson und dessen Exfrau Isabella gegen 23:15 Uhr das Krankenzimmer wieder betraten, war der Komapatient spurlos verschwunden. Alle Geräte waren abgeschaltet; im Bett lag nur noch das weiße Krankenhausgewand, womit Berendson bekleidet gewesen war.
Isabella ist bewusstlos zusammengebrochen, als sie das leere Bett gesehen hat. Es geht ihr inzwischen besser, aber sie und die beiden Söhne stehen verständlicherweise unter Schock und müssen von Psychologen betreut werden ...
.....................................................................................................................
Fortsetzung in Band 2
(Aus Band 2)
Robert liebt heiße sonnige Tage; allerdings nur, wenn er sich irgendwo im Schatten aufhalten kann. Er hat sich spontan entschieden, sehr zeitig in der Früh zum Seebad Mörbisch am Neusiedler See mit dem Auto zu fahren, um noch einen schattigen Platz unter einem Baum auf der Liegewiese zu ergattern.
Er frohlockt, als er sieht, dass sich unter der Pappel beim Restaurant noch niemand niedergelassen hat. Wie groß sie doch geworden ist! Vor zwanzig Jahre hat er sie zum letzten Mal gesehen! Damals hat sie wenig Schatten spenden können, weil sie nicht viel höher als drei Meter gewesen ist. Jetzt ist aus dem Bäumchen ein prächtiger Baum mit dichtem schattenspendendem Geäst geworden. Er lässt seine Badetasche auf eine Stelle fallen, wo er einen guten Blick auf den See hat, und geht zum Verleihshop für Strandliegen hinüber. Nachdem er sich bis auf die Badehose entkleidet hat, streckt er sich auf der bequemen Liege aus.
Es ist ein Samstagvormittag. Er hat ein anstrengendes Schuljahr hinter sich. Die Schüler im Gymnasium sind in der Woche vor den großen Ferien kaum zu bändigen gewesen. Er unterrichtet gerne Französisch und Englisch, aber am letzten Schultag hat er die ferienreife Bande nur noch mit einer Exkursion zu einem Eissalon zufrieden stellen können.
Er zieht eine französischsprachige Zeitung aus der Tasche, aber schon nach wenigen Minuten fallen ihm die Augen zu. Sie gleitet ihm aus der Hand und fällt auf den Rasen nieder.
Er bemerkt nicht mehr, dass eine Frau mit einer großen sehr dunklen Sonnenbrille ihre Strandliege neben ihm aufklappt und sich darauf ausstreckt. Sie betrachtet mit klopfendem Herzen den schlafenden Mann neben ihr. Von seinem früher athletischen Körper ist nicht viel übriggeblieben. Der Bauchansatz ist beträchtlich. Sein ehemals üppiges Haar sprießt nur noch spärlich auf einer glatten Lichtung. Dennoch ist der Badegast, der neben ihr im Schlaf lächelt, ohne Zweifel Robert. In dieses sanfte Kinderlächeln und in seine klaren blauen Augen, mit denen auch Helene das Licht der Welt erblickt hat, hat sie sich damals Hals über Kopf verliebt. Wird er sie nach zwanzig Jahren noch wiedererkennen?! Der Zahn der Zeit ist auch an ihr nicht spurlos verbeigegangen. Wird er sich wieder mit einer fadenscheinigen Lüge davonschleichen?! Viele gutaussehende Männer haben sich ehrlich bemüht, ihr Herz zu gewinnen, aber sie hat sich für niemanden entscheiden können, weil sie nur diesen Mann liebt. Hat sie ihre besten Lebensjahre mit diesem romantischen Traum vergeudet?!
In diesem Augenblick schreckt Robert aus dem Schlaf auf. Sein Herz rast, und er ist in Schweiß gebadet. Er muss einen schrecklichen Traum durchlebt haben. Er atmet erleichtert auf, als er feststellt, dass er sich unverletzt auf einer bequemen Liege befindet. Er dreht sich auf die rechte Seite. Unter dem Baum ist schon die gesamte Rasenfläche mit Liegestühlen oder Decken, auf denen dicht aneinandergedrängt Badegäste liegen, bedeckt. Als er sich jedoch auf die andere Seite dreht, erstarrt sein Blick. Er sieht zwei regelrecht vertrocknete gebräunte Beine, ausgestreckt neben ihm auf einer Liege ruhen. Die Haut gleicht einer Dörrwurst. Er kann die anderen Teile des wahrscheinlich weiblichen Körpers nicht sehen, weil sich das Kopfende dieser Liege ungefähr einen Meter hinter seiner befinden muss. Als er sich halb aufrichtet und vorsichtig den Kopf dreht, sieht er, dass der übrige Teil des Körpers, wie er vermutet hat, zu einer Frau gehört. Sie hat die Augen geschlossen. Obwohl er ihr Gesicht unter der dicken weißen Schicht von Sonnencreme und der Sonnenbrille mit großen runden dunklen Gläsern nur schemenhaft wahrnehmen kann, stellt er fest, dass das Gesicht, der Brustteil und das Gebiet bis zur Hüfte in keiner Weise zum verwelkten Teil des zierlichen Körpers passen. Die Haut ist glatt und gepflegt. Die Brüste sind zierlich, aber straff aufgerichtet. Sie hat schönes kastanienbraunes langes glänzendes Haar; sicherlich gefärbt, aber das ist ja heutzutage sogar bei sehr jungen Frauen normal. Wenn er nur diese Bereiche gesehen hätte, hätte er sie auf höchstens fünfunddreißig geschätzt. Wahrscheinlich ist sie aber, wenn er den Gesamtzustand ihres Körpers berücksichtigt, ungefähr genauso alt wie er; also etwa fünfundvierzig. Als er sie näher betrachtet, kommen ihm das Gesicht und vor allem die Lippen, auf denen sich ein Lächeln abzeichnet, seltsam vertraut vor. Da eine französische Zeitung, Le Monde, auf ihrem Bauch liegt, geht er davon aus, dass sie eine Französin ist. Plötzlich schlägt sie die Augen auf, blickt ihn lächelnd an und sagt:
„Bonjour!“, und dann mit einem sympathischen französischen Akzent auf Deutsch:
„Haben Sie nun wirklich alles gesehen?“
„Oh, Sie sind eine Französin!“, stottert er verlegen. „Was macht denn eine Französin am Neusiedler See? Frankreich hat doch solch schöne Strände am Atlantik und am Mittelmeer?“
„Das stimmt“, entgegnet sie mit einem starren forschenden Blick, der ihn verunsichert, weil nur die Brillengläser, wie zwei große schwarze Löcher, auf ihn gerichtet sind. Der Klang ihrer Stimme kommt ihm aber vertraut vor; aber er kann sich nicht erinnern, wo er dieser Frau früher begegnet sein könnte.
„Aber für mich gibt es keinen schöneren Strand als diesen hier“, fährt sie fort. „Ich mache hier schon seit zwanzig Jahren jeden Sommer drei Wochen Urlaub. Nirgendwo auf der Welt fühle ich mich glücklicher als hier ... Sie sind wahrscheinlich Österreicher; kommen Sie oft nach Mörbisch?“
„Nein“, antwortet er verwirrt. „Ich bin schon lange nicht mehr hier gewesen. Ich wohne in Wien. Der Neusiedler See ist nicht weit entfernt. Er ist, wie Sie sicher wissen, das Meer der Wiener.“
„Ja, ich weiß“, antwortet sie lächelnd. „Manche deutsche Badegäste, von Österreichern liebevoll Piefkes genannt, nennen ihn auch boshaft: Die Badewanne der Wiener. Deswegen sei das Wasser so schmutzig! Ich liebe Wien; es ist eine wunderbare Stadt mit viel Kultur wie Paris. Ich kenne einige Franzosen, die in Wien wohnen und arbeiten. Wie Sie wahrscheinlich wissen, halten meine Landsleute Frankreich für das schönste Land der Welt, und arbeiten und leben daher sehr ungern in Ländern, wo man ihre Sprache nicht versteht. In Wien leben und arbeiten sie jedoch gern, weil die Wiener wie wir Genießer, Gourmets sind, eine ausgezeichnete Küche haben, einzigartige Mehlspeisen in den gemütlichen Konditoreien anbieten, und Weine produzieren, die mit französischen Qualitätsweinen durchaus mithalten können. Sie beneiden sogar die Österreicher um ihre Heurigen. Etwas Vergleichbares gibt es weder in Frankreich noch in der ganzen Welt!
Wenn ich könnte, würde ich lieber in Wien als in Paris leben, aber ich habe dort ein Geschäft, und meine betagten Eltern und meine Tochter brauchen mich noch …“
„Ich liebe Paris!“, ruft er begeistert aus. „Fast jedes Jahr verbringe ich dort einige Wochen. Es ist solch eine lebendige interessante Stadt! Bei jedem Besuch entdecke ich etwas Neues. Trotzdem ziehe ich es vor, in Wien zu leben. Die Lebensqualität ist hier einfach viel höher als in der französischen Hauptstadt. Ich kenne keine andere Stadt, die mit so viel Wald umgeben ist, und sogar im Stadtbereich ausgedehnte Weingärten besitzt! Aber ehrlich gesagt, wenn ich ein Franzose wäre, würde ich mit Sicherheit niemals auf die Idee kommen, statt an der warmen malerischen Côte d’Azur jeden Urlaub am Neusiedler See zu verbringen! An vielen Orten der französischen Mittelmeerküste, z.B. bei Le Lavandou oder noch besser auf den Hyèrischen Inseln ist das Wasser noch so klar, dass man mehrere Meter bis zum Grund blicken kann. Kein Vergleich mit der bräunlichen Brühe am Neusiedler See. Hier versinkt man im weichen Schlamm. Er fühlt sich wie Pudding an, und die Wassertiefe beträgt an den tiefsten Stellen kaum mehr als zwei Meter!“
„Das stimmt“, sagt sie plötzlich mit einem seltsamen Beben in der Stimme. „Aber das trübe Wasser ist sehr mineralhaltig und daher eine Wohltat für die Haut ... Wie doch die Zeit vergeht!“, fährt sie nach einer kurzen Pause mit einem wehmütigen Blick fort. „Als ich das erste Mal vor zwanzig Jahren hierherkam, war diese Pappel vielleicht drei Meter groß. Jetzt ist sie ein großer kräftiger Baum geworden. Er strotzt nur so vor Lebenskraft. Würde jedoch der See, der ihn großzügig mit allem versorgt, was er zum Leben braucht, austrocknen, wie das schon mehrere Male in der Vergangenheit passiert sein soll, würde er im Laufe von wenigen Jahren genauso verwelken wie seine Gäste, denen er großzügig Schatten spendet.“
Nach diesen Worten steht sie auf und entfernt sich mit ihrer Tasche unter dem Arm geklemmt, ohne Robert weiter zu beachten, in Richtung der Toilettenanlagen.
Robert schaut ihr verwirrt nach. Wer ist nur diese seltsame Frau? Warum kommen ihm ihre Stimme und ihre Lippen so vertraut vor? Da sie ihren Liegestuhl nicht zum Verleihshop zurückgebracht hat, geht er davon aus, dass sie zurückkommen wird.
Inzwischen ist es sehr warm geworden. Er liegt zwar noch immer im Schatten des Baumes, aber da es nahezu windstill ist, lähmt ihn die stehende drückende Hitze und lullt ihn ein. Als er schließlich aus einem bleiernen Schlaf aufwacht, bemerkt er, dass zahlreiche Mücken seine weißen Beine als ergiebige Tankstelle entdeckt haben. Nachdem er sich vergeblich bemüht hat, ihnen den Garaus zu machen, steht er genervt auf, um die Plagegeister loszuwerden, und sich Kühlung im Wasser zu verschaffen. Die Liege neben ihm, wo die seltsame Pariserin gelegen hat, ist noch immer leer. Auch als er nach einer Stunde erfrischt mit triefender Badehose zurückkommt, ist die Frau mit den vertrockneten Beinen noch immer nicht zurückgekehrt. Gegen siebzehn Uhr beschließt er, nachdem er vergeblich nach der Französin Ausschau gehalten hat, nach Wien zurückzufahren. Als er aber seinen Liegestuhl zusammenklappt, bemerkt er unter dem der Pariserin einen kleinen blauen Gegenstand. Es ist ein Beutel, der mit einer Schnur verschlossen ist. Er knotet ihn auf und schüttelt ihn mit der Öffnung nach unten, sodass der Inhalt, eine silberne Kette mit einer Kapsel, in seine hohle Hand fällt. Sie kommt ihm bekannt vor. Als er auf einen seitlich angebrachten Knopf drückt, klappt sie wie eine Taschenuhr auf. Er erstarrt, als er das Foto erblickt, das sich darin befindet: Ein junger Mann und ein ebenso junges Mädchen liegen engumschlungen auf einer Wiese. Im Hintergrund sieht er eine Pappel, die erst ungefähr drei Meter hoch ist. Der junge Mann ist er, und die junge Frau ist Blanche! Ein Badegast hat sie beide genau an derselben Stelle, wo sich jetzt seine Liege und die der Pariserin befinden, vor zwanzig Jahren fotografiert. Mit zitternden Fingern löst er ein eiförmiges Bild heraus. Er liest die eingravierten Namen: Robert und Blanche. Er hat ihr die Kapsel geschenkt! Eine andere Fotografie zeigt Blanche in einem Café vor einer Espressomaschine. Darüber ein Foto vom Machu Picchu. Auf dem Rand des Fotos steht: Butte de Montmartre, Paris.
Robert bleibt noch bis Betriebsschluss im Freibad. Er wartet aber vergeblich auf Blanche. Niedergeschlagen geht er zum Parkplatz und fährt langsam, tief in Gedanken versunken, in Richtung Wien zurück. Als er sich auf der Autobahn A4 befindet, beginnt er am ganzen Körper zu zittern. Er fährt so langsam, dass mehrere Autofahrer hinter ihm hupen, das Fernlicht betätigen, und beim Überholen eindeutige Fingerzeichen machen. Bei der nächsten Abfahrt zu einer Raststätte verlässt er die Autobahn. Er hält auf dem Parkplatz an, dreht die Lehne seines Sitzes soweit es geht zurück, verriegelt die Türen mit der Automatik, und schließt die Augen.
Er ist damals fünfundzwanzig Jahre alt gewesen, als er auf der Liege unter der noch jungen Pappel, im Seebad Mörbisch, nach einem Nickerchen, wie an diesem Tag, die Augen öffnet, und neben ihm, ebenfalls auf einer Liege, zwei wunderschön geformte hellbraune Beine erblickt. Je weiter er seinen Blick schweifen lässt, umso unwiderstehlicher wird der Anblick. Sie hat, so wie er es liebt, wohlgeformte kräftige Oberschenkel, einen leicht gerundeten kleinen Bauch und zierliche straffe Brüste. Als sein Blick vorsichtig weiter gleitet, ertappen ihn in flagranti zwei lächelnde Mandelaugen.
Ob er denn nun alles inspiziert habe, hat sie ihn mit einem hübschen französischen Akzent und einem spitzbübischen Lächeln gefragt.
Es hat bei beiden sofort gefunkt. Es stellt sich rasch heraus, dass sie ganz ähnliche Interessen und Anschauungen haben. Es ist ein schöner leidenschaftlicher Urlaubsflirt gewesen. Da sie so klein wie Édith Piaf ist, ihre Chansons liebt, und diese täuschend ähnlich nachsingen kann, hat er sie den Spatz von Paris genannt. Sie haben sich nicht nur in ihrem gemieteten Privatzimmer sondern fast überall geliebt: Zwischen Weinstöcken, in Maisfeldern, auf einem geliehenen Boot im Schilf, begleitet von quakenden Fröschen; im Wasser und einmal sogar in einer Kapelle am Straßenrand. Maria hat ihnen verständnisvoll zugelächelt und unerwünschte Besucher ferngehalten ...
Er hat sich nur ein paar Tage in Mörbisch von der kräftezehrenden Unterrichtstätigkeit erholen wollen, um dann nach Istrien weiterzufahren, ist aber dort wegen Blanche drei Wochen hängen geblieben. Einige Tage bevor ihr Urlaub zu Ende ging, hat sie ihn mit einem ernsten forschenden Blick angeblickt. Sie kenne in Paris eine hübsche kleine Kirche, die für Verliebte ideal sei. Mehr hat sie nicht gesagt, aber er hat natürlich sofort verstanden, worauf sie hinaus wollte ...
Am nächsten Tag hat er ihr mitgeteilt, dass ihn der Direktor seines Gymnasiums angerufen habe. Er müsse ihn dringend sprechen, weil ein Schüler seiner Maturaklasse gegen eine negative Beurteilung beim Stadtschulrat Berufung eingelegt habe. Er versprach ihr, noch am selben Tag zurückzukehren. In Wirklichkeit hatte er kalte Füße bekommen. Er hatte das Ganze nur für einen schönen Urlaubsflirt gehalten. Eine Heirat stand noch nicht in seiner Lebensplanung. Er brauchte seine ganze Kraft, um sein Zweitstudium, ein Dolmetsch Studium, neben der kräftezehrenden Unterrichtstätigkeit zum Abschluss zu bringen. Er meinte, noch viel zu jung zu sein, um eine lebenslange Bindung eingehen zu können. So löste er die Angelegenheit auf die feige Art, wie es Männer im Allgemeinen zu tun pflegen: Er ließ sich ganz einfach nicht mehr bei ihr in Mörbisch blicken. Sie kannte seine Adresse nicht, nicht einmal seinen Nachnamen. Ebenso hatte sie ihm weder ihren Familiennamen noch ihre genaue Wohnadresse verraten. Er wusste nur, dass sie in Paris wohnt.
Er hatte geglaubt, dass er Blanche, so wie die vielen anderen Mädchen, mit denen er eine flüchtige Beziehung gehabt hatte, bald vergessen haben würde.
Er fühlte sich aber in der folgenden Woche sehr schlecht, und als ihm endlich bewusst wurde, was er verloren hatte, war es zu spät. Die Besitzerin der Privatunterkunft, wo Blanche ein Zimmer für vier Wochen gemietet hatte, wusste auch nur ihren Vornamen. Die junge Französin sei so sympathisch gewesen, dass sie von ihr weder einen Ausweis verlangt noch nach ihrer Wohnadresse gefragt habe; außerdem habe ihr das hübsche Mädchen den gesamten Zimmerpreis im Voraus bezahlt. Sie wisse nur, dass sie in Paris wohnt. Das liebe Mädchen habe ihr leidgetan, weil sie so traurig gewesen sei, als sie sich von ihr verabschiedet habe. Ob sie sich denn zerstritten hätten ...
Er hatte nicht einmal ein Foto von ihr. Sie hatte zwar mit ihrem Fotoapparat von ihnen Fotos gemacht, aber noch keine Abzüge in einem Fotogeschäft machen lassen.
Auf der Rückfahrt nach Wien hatte er verzweifelt überlegt, was er tun könne, um sie wiederzufinden. Aber ohne wenigstens den vollen Namen einer Person zu kennen, ist es so gut wie ausgeschlossen, in der großen Stadt Paris jemanden ausfindig zu machen.
Er hatte sich dennoch entschlossen, am nächsten Tag nach Paris zu fliegen; vielleicht würde ihm der Zufall oder der liebe Gott, dem er in den letzten Jahren wenig Beachtung geschenkt hatte, in dieser aussichtslosen Lage helfen ...
.........................................................................................................................
Fortsetzung in Band 2
Reinhold Hoffmann, geb. auf dem Gut Raddeilen in der Nähe der Stadt Memel, heute Klaipėda/Litauen, ist nach der Flucht im Jahre 1944 in Moers am Niederrhein aufgewachsen. Als Gärtner spezialisiert er sich auf das Veredeln von Rosen. Er übt diese Tätigkeit in England, Schweden und Frankreich aus.
Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Versailles und Paris und Ablegung des Externistenabiturs in der BRD, studiert er an der Wiener Universität Französisch und evangel. Theologie für das Lehramt an Höheren Schulen, und unterrichtet danach an Wiener Gymnasien.
Obwohl der Autor keine bewussten Erinnerungen an seine Geburtsheimat hat, spielt diese eine besondere Rolle in seinem literarischen Schaffen. Er hat sie aus den sehnsüchtigen Erzählungen seiner im Memelland aufgewachsenen Eltern und Großeltern und durch persönliche Besuche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kennen und lieben gelernt.
In der Erzählung: Nadjas Bernsteine aus Königsberg ( Band 1 ) beschreibt er die malerische Kurische Nehrung ( Coverfoto ) des einst deutschen Memellandes mit den schier endlosen schneeweißen Dünen, dem Thomas-Mann-Haus in Nidden und dem Kurischen Haff. Er hofft, einen Beitrag leisten zu können, dass dieses einzigartige schöne Land, das jahrhundertelang von deutscher Kultur gestaltet und geprägt wurde, nicht in Vergessenheit gerät.
Der schelmische warmherzige ostpreußische Humor des Autors und seine tiefe Verwurzelung in der Natur sind in all seinen Erzählungen, die in insgesamt fünf Bänden erscheinen werden, präsent.
Wegen seiner langen und wiederholten Aufenthalte in Österreich, Frankreich, England, Schweden, Peru und Litauen ist es nicht verwunderlich, dass die Rahmenhandlung vieler seiner Erzählungen in diesen Ländern stattfindet.
Der Autor ist mit einer Peruanerin verheiratet und lebt in Österreich.
-------------------------------------
Die Handlung der Erzählungen und die darin vorkommenden Namen sind frei erfunden. Eventuelle Übereinstimmungen mit Namen existierender Personen sind rein zufällig und nicht gewollt!
Der Autor mit seiner Frau in der Alhambra/Andalusien
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2019
Alle Rechte vorbehalten