Blickwechsel
Als die ersten Astronauten die Erde aus bisher nie
erlebtem Blickwinkel sehen konnten, traf es viele
wie ein Schock.
Neil Armstrong, der erste Mensch auf dem Mond,
fühlte sich „winzig und klein“, als er die Erde vollständig
mit seinem Daumennagel abdecken konnte.
„Ich habe die Welt nie wieder wie vorher gesehen“.
Und vielleicht braucht es genau diesen Blick
eines „Ausserirdischen“, um uns die eigene, viel zu
gewohnte Umgebung wieder mit ganz anderen, mit
neuen Augen erleben zu lassen.
Hier ist eine erstaunliche Reise in eine für viele
unbekannte Welt – die der Frauen.
Für Männer sowieso, für Frauen oft so tagtäglich,
dass Chancen, jede Menge Spass und vielfältige Möglichkeiten
erst durch einen völlig neuen Blickwinkel
wieder zutage treten.
Hier ist er. Viel Vergnügen!
Für alle Frauen, die es Männern
mal so richtig zeigen wollen.
Und für alle Männer,
die es eigentlich wissen müssten.
Natürlich hatte ich den Marsch hinter die feindlichen
Linien intensiv geplant. Was man eben
so macht, wenn man mal Journalist gelernt hat
und Recherchieren zum täglichen Fastfood gehört.
Bücher gelesen. Das Internet durchforstet. Fachleute
befragt: „Keine Ahnung, was die da so treiben…“.
„Weiss ich nicht, nie wirklich begriffen.“ „Kostet eine
Menge und ich hab‘s beim letzten Mal glatt übersehen.“
Offensichtlich ein alles andere als einfaches Thema.
Nun, lassen wir auch die Gegenseite zu Wort kommen:
„Mein Mann hat keinen Schimmer, was ich alles für
ihn mache…“ oder „Das interessiert Männer einfach
nicht“. Oft genug: „Mein Freund wird das, was ich
denke und brauche nie wirklich begreifen. Und schon
gar nicht verstehen“.
Ist es denn so schlimm?
Leben Männer und Frauen in so unterschiedlichen
Welten, dass Verständnis füreinander eigentlich
unmöglich scheint? Liesse sich denn durch tiefere
Einblicke in diese unbekannte Welt womöglich etwas
Entscheidendes ändern? Nun ja, vielleicht. Doch wie
erschliesst man unbekannte Welten? Ganz richtig …
genau wie Marco Polo, Kolumbus oder Captain Kirk
das auch gemacht haben: Mann geht auf Expedition.
Furchtlos. Unerschrocken. Unaufhaltsam.
Glücklicherweise hatte ich keine Ahnung von dem,
was da alles auf mich zukam.
Eine Frage des Äusseren
Nur keine Fehler machen. Nicht wie ein dummer
Tourist in die sicherlich zahlreichen Verhaltensfallen
auf fremdem Terrain stolpern. Ich brauchte
einen Reiseführer, eine Art Scout. Gewieft,
erfahren, mit allen Feinheiten vertraut. Mehr als nur
eine Frau... eine „Fraufrau“ sozusagen. Eine Lesbe eben.
Und im Netz der unbeschränkten Möglichkeiten hatte
ich deren Zentrale auch sofort entdeckt.
Mein allererster Besuch im „Frauenprojektehaus“ der
Nachbarstadt. Eine Total-Premiere. Treffe im fast
leeren, irgendwie so gar nicht weiblich-wohligen Gebäude
auf einige, sofort sehr nervöse Lesben, spürbar
erschrocken angesichts des grossen, schwarz gewandeten
Eindringlings, der sich auch noch so unerwartet
freundlich gibt. Und noch erschrockener auf die Frage
reagieren, ob denn heute auch das Thema „Transsexualität“
vielleicht eines wäre, so wie im Internet
angekündigt?
Oh nein, nein, heute Abend stünde mangels Teilnehmern
ein lockerer Quiz-Abend auf dem Programm.
Aber auch der wäre, leider, leider nur für Frauen. Mit
einem weiteren, flackernden Seitenblick auf meinenlangen schwarzen Mantel, schwarzen Jeans und 194 sehr aufrechten männlichen Zentimeter.
Und dann, fast verschämt: „Ja, wenn ich mehr wie
eine Frau aussehen würde, tja, dann vielleicht…“
Ich bin erst verblüfft, dann belustigt.
Also doch nur eine Frage des Äusseren?
Ich lege noch einen Gang zu, zücke die grosse schwarze
Brieftasche und lege ein paar meiner schönsten
Bilder meiner „anderen Erscheinungsform“ auf den
Kaffeetisch. Es folgt ein ungläubiger Augenaufschlag
der im Vergleich dazu sehr, sehr männlichen Torwächterin:
„Uhhhhhhh, jaaa, also, aber die Zuständige
wäre heute leider nicht da und deshalb, also, dann, ja,
nein…“
Ich rette sie und die Situation und frage mit meiner
tiefsten und charmantesten Stimme nach einer
Mailadresse der Zuständigen, die sie mir mit zittriger
Schrift auf ein Zettelchen malt. Mit herzlichem Dank
und freundlichstem Lächeln überlasse ich den Mädels
ihr Refugium.
Fester Abgang.
Schmunzelnd.
Irgendwie ist es ja auch menschlich… weshalb sollte
die eine „Randgruppe“ für die andere mehr Verständnis
aufbringen? Auch wenn die erstmal noch nicht
nach einer aussieht…
Wäre sicher schön, wenn es so wäre. Aber fürs Erste
bin ich doch einigermassen ernüchtert.
Ich hätte etwas anderes erwartet.
Bin mir aber nicht sicher… was?
Bestellungen ans Universum
Nachdem der Paketkurier diesmal gleich zwei gewaltige
Pakete angeliefert hatte und dafür sogar
einen zweiten Mann als Verstärkung brauchte
(na ja, sah’ noch nach sehr jungem Mann, vermutlich
Sohn aus, der die Botenfirmen-Umhängeplakette
wie eine olympische Goldmedaille vor sich her
trug und Papa alle Pakete selber schleppen liess) ist
mal wieder ein ganz besonderer Feiertag: auspacken,
anprobieren, kombinieren, kopfschütteln, wieder einpacken.
Oder… begeistert neue Schätze einsortieren.
Meine neue Lieblingsbeschäftigung. Eine von vielen.
Irgendwie haben sich diverse Dienstleister schnell an
den neuen Namen gewöhnt, den ich selbstbewusst
auf allen Bestellungen eintrage. Solange mein männliches
Ich die mittlerweile horrenden Rechnungen
brav bezahlt, wohl kein Problem. Wobei ich da doch
allmählich auf die Bremse treten muss. Irgendwann
übersteigen die vielen Stellen vor dem Komma sicher
auch meine männliche Toleranzgrenze.
Aber erstmal ist es wieder wie Weihnachten und
Ostern zusammen. Aus vielen Schachteln und Kartons
quellen wunderschöne Stiefelchen, ein herrliches
rotes
Designerkleid aus Frankreich, flauschige
Strickpullis in Grau-Melange, seidige Unterwäsche in
rauhen Mengen, bunte Halstücher in allen restlichen
Farben dieser Welt… ein herrlicher Kaufrausch!
Delirium!
Glücksgefühl!
Gemeinerweise passen alle „Auswahl“-Schuhe wie
für mich gemacht, die fixen Quervergleiche mit dem
sich rasend schnell füllenden Kleiderschrank bringen
unerwartete Kombinationen zum Vorschein, ein
Gürtel passt plötzlich zur dunkelbraunen Ledertasche,
die ich doch eigentlich nur zur Ansicht bestellt habe,
der wunderweiche Pullover fühlt sich dermassen
angenehm an, dass ich ihn gar nicht mehr ausziehen
möchte und so wird minutenschnell aus fast leerem
Kleiderschrank komplexes Kleiderschrankgedränge.
Heisst: mehr Platz! Meine Anzüge rücken erschrocken
ganz nahe zusammen. Das fängt ja gut an…
Und hört damit noch lange nicht auf. Ich hatte meine
neuen, bereits prallvollen Schuhschränke übersehen.
Aber nur kurzzeitig. Denn jeder Kauf löst ja auf der
Stelle einen weiteren aus. Äusserst interessanter Zusammenhang.
Zum Minikleid in diesem unbeschreiblichen
Schlammton muss ein exakt vorherbestimmtes
Paar Stiefel, das ich doch tatsächlich mitten in der
Stadt entdeckt habe – in meiner Grösse!
Un-glaub-lich! Muss ich haben!
Jetzt würde ich meine Seele für einen exakt passenden
Gürtel eintauschen. Aber die nervzerfetzende Suche
dauert nun schon Wochen...
Hmmmm, habe ich schon von meiner wundervollen
Tasche erzählt? Ohne die es nicht mehr geht? Die
unbedingt sein musste?
Mache ich später irgendwann – jetzt muss ich dringend
nochmal weg. Gerade einen heissen Tipp von
einer Freundin bekommen: da soll es so einen ganz
neuen Laden geben, in dem sie irgendetwas
gesehen
hat, das ungefähr so aussah wie, ja wie genau?
Allmählich kann ich mir manch‘ dunklen Augenring
erklären.
Lidschatten war das in keinem Fall.
Tag der Veröffentlichung: 22.11.2011
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