Das Brandenburger Tor
oder
Der 09. November 1989 in meiner Erinnerung
Donnerstag, der 09. November 1989, alles war wie jeden Donnerstag. Die Kinder waren brav ins Bett gegangen, schließlich hatten sie am nächsten Tag Schule, mein Mann war noch zur Spätschicht, donnerstags dauerte die meist noch etwas länger als sonst. Ich räumte etwas auf, danach gönnte ich mir ein ausgiebiges Entspannungsbad. Anschließend wollte ich mir den Spätfilm im Abendprogramm ansehen, doch vorher noch kurz die Tagesthemen anschauen.
Ich schaltete den Fernseher ein und traute meinen Augen nicht. Was waren denn das für Bilder? Was lief denn da für ein Film? Wer hatte denn da an der Mauer so etwas drehen dürfen? Wieso waren da nicht die Tagesthemen?
Da erst nahm ich die Stimme des Reporters wahr und konnte es immer noch nicht glauben. Hatte er wirklich gesagt, die Mauer ist geöffnet? Nein, das kann doch nicht sein? Aber ja, es schien wohl wirklich zu stimmen! Dort liefen massenweise Menschen von Ost nach West, Autos standen hupend an den Übergängen und überall sah man strahlende Gesichter und wildfremde Leute fielen sich jubelnd in die Arme. Es saßen Menschen auf DER MAUER, der Mauer, die ein Synonym für Trennung, für Kälte und für Willkür geworden war.
Mir lief ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, meine Augen tränten, ohne dass es mir bewusst war. Ungläubig verfolgte ich das Geschehen. Ich war wie hypnotisiert, unfähig woanders hinzuschauen. Diese Freude der Menschen war so unbeschreiblich, das Ganze so unfassbar und unerwartet - jedenfalls für uns Normalos - dass man sich wie im Traum vorkam.
Eigentlich hatte ich gar keine Beziehung zur DDR und auch keine Verwandten im Osten. Doch ich wusste, dass meine Vorfahren aus dem Osten gekommen waren und meine Mutter immer davon geträumt hatte, noch einmal das Land ihrer Eltern sehen zu können. Leider konnte ich sie nicht anrufen, denn sicher lag sie schon im Bett und würde schreckliche Angst bekommen, wenn nun ihr Telefon gehen würde. Das musste ich auf den nächsten Tag verschieben. Fassungslos, aber voller Freude und voller unbeschreiblicher Emotionen saß ich vor dem Fernsehgerät und konnte meinen Blick nicht davon lassen. Alle Programme waren abgebrochen und auf sämtlichen Kanälen sah man nur freudetrunkene Menschen, die sangen, die sich umarmten.
Da zeigten sie auch das Brandenburger Tor und in diesem Augenblick wurde es für mich Wahrheit. Ich würde Berlin endlich nach vielen Jahren mal wiedersehen können, denn ich war nur einmal dort gewesen, als Schülerin. Dieser Besuch hatte mir so gefallen, dass ich seitdem immer den Wunsch hatte, dort noch mal hinfahren zu können. Leider hatte mein Mann da eine andere Meinung gehabt, - bisher! Er weigerte sich durch die „Ostzone“ zu fahren, er sagte immer: „Wenn ich mal nach Berlin fahre, dann muss die Mauer auf sein und ich muss durch das Brandenburger Tor gehen können und das wird sicher nie sein, also lass mich damit in Ruhe!“ Ich grinste, nun würde er also nichts mehr dagegen sagen können!
Als ich seinen Schlüssel in der Haustür hörte, lief ich ihm entgegen und konnte mir nicht verkeifen zu sagen: „ Wir können nach Berlin fahren, die Grenze ist los!“ Er grinste nur, die Neuigkeit hatte ihn schon am Arbeitsplatz erreicht gehabt und wir gingen schnell zum Fernseher, um uns weiter dieses unglaubliche Geschehen anschauen zu können. Wir saßen sehr lange davor in dieser Nacht, tranken sogar ein Gläschen Sekt und genossen es, Zeitzaunzeugen eines solch großartigen Moments sein zu dürfen, eines Moments, der wirklich unsere Welt veränderte.
Übrigens sind wir erst nach einigen Jahren nach Berlin gefahren, doch wir sind dann natürlich durch das Brandenburger Tor gelaufen. Es war ein feierlicher Augenblick für uns, den wir nie vergessen werden!
© GaSchu Oktober 2013
Tag der Veröffentlichung: 04.10.2013
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