Der Adventskalender
„Mama, wann ist Weihnachten?“ Meine „Große“ sieht mich erwartungsvoll an.
Ich stöhne, diese Frage habe ich doch nun schon so oft gehört, langsam müsste auch sie es verstanden haben…
„Schatz, Weihnachten, das dauert noch etwas. Gestern war der erste Advent und heute holen wir dir einen schönen Adventskalender, da darfst du dann jeden Tag ein Türchen aufmachen und siehst dann, wie viele Tage es noch bis Weihnachten sind, gell?“
Sie sieht zufrieden aus, erleichtert gehe ich mit ihr durch den Supermarkt.
Da hinten, da ist der Stapel mit den Adventskalendern, schnell hin und einen sichern. Sie sieht sich alle genau an und nimmt einen ganz Bestimmten vom Stapel, obwohl doch alle genau gleich aussehen. Ich frage nicht warum, das verstehen nur Kinder, das ist mir klar.
Zuhause muss Papa einen kleinen Nagel in die Kinderzimmerwand schlagen und der Kalender wird aufgehängt. Zusammen begucken wir ihn. Es ist eine Zeichentricklandschaft mit Nikolaus und Kindern im Schnee zu sehen. Sandra hat Freude an dem Motiv, das ist die Hauptsache.
„Morgen früh darfst du das erste Türchen aufmachen, Schatz!“ Ich erkläre ihr die Prozedere und sie nickt ernsthaft.
Ihr kleiner Bruder weint, ich muss ihn füttern und Sandra widmet sich ihren Spielsachen.
Alles ist wieder okay und Weihnachten zum Glück zunächst im Hintergrund versunken.
Am nächsten Morgen gehen Sandra und ich als Erstes zum Adventskalender. Noch vorm Frühstück darf sie das erste Türchen öffnen und - oh Wunder! - es ist ein Stückchen Schokolade darin und dahinter ein Bildchen von einem kleinen Teddy. Sandra ist begeistert. Sie lutscht hingebungsvoll ihre Schoki und versucht, die noch bleibenden Türchen zu zählen.
Das ist ein schwieriges Unterfangen, wenn man mal gerade bis 10 zählen kann und alles darüber hinaus ne Million ist! Sandra wirkt leicht gestresst.
„Mama, ich hab noch eine Million Türchen aufzumachen!“
Ich muss lachen.
„Nein, Schatz, es sind noch genau 23 Türchen!“
„Sag ich doch! Eine Million! Das DAUERT! Mama, wann ist denn nun Weihnachten?“
Oh nein, ich halte diesen Stress nicht bis Weihnachten aus, Mütter haben es wirklich nicht leicht!
Wie soll ich diese Diskussion nun noch 23-mal ertragen? Ich seufze und beschließe, dass ich das können muss als Mama. Schließlich haben es ja meine Mutter und Millionen anderer Mütter auch geschafft.
Am zweiten und am dritten Dezember genau dieselbe Fragerei und es wird langsam zur Routine. Wir gehen morgens das Türchen öffnen, Sandra lutscht ihre Schokolade und zählt die Türchen, die noch bleiben, kommt immer wieder zum selben Ergebnis, es bleibt eine Million, und fängt an zu nörgeln. So hatte ich sie mir irgendwie nicht vorgestellt, die Sache mit dem Adventskalender.
Der vierte Dezember, wir gehen zum Adventskalender, da schreit ihr kleiner Bruder. Er hat schlecht geschlafen heute Nacht, anscheinend ist er etwas erkältet.
„Schatz, sieh mal, hier ist das vierte Türchen, das darfst du heute öffnen, das kannst du ja schon. Ich muss zu Björn.“ Mit diesen Worten lasse ich sie im Kinderzimmer allein.
Der Kleine jammert etwas, beruhigt sich auf dem Arm aber schnell. Das Näschen läuft etwas, doch es scheint mir nicht allzu schlimm zu sein. Ich setze mich an den Küchentisch und lasse ihn auf dem Schoß etwas schaukeln, dabei lausche ich in Richtung Kinderzimmer. Ja, sie scheint wieder die Türchen zu zählen, ich lache in mich hinein.
„Eine Million! Immer eine Million!“ Diese Zahl drückt für sie einfach alles aus, was viel ist.
Sie grummelt und raschelt, ich lausche. Was macht sie nur?
„Mama!“, strahlend kommt sie in die Küche gerannt. Der Mund ist total schokoverschmiert. „Mama, heute ist Weihnachten!“
Fassungslos sehe ich sie an. „Wie kommst du denn darauf, Schatz? Du weißt doch, du musst noch einige Türchen aufmachen!“
„Muss ich gar nicht, Mama! Guck doch!“ Sie schwenkt den Adventskalender triumphierend in der kleinen Hand.
Ich schaue darauf und traue meinen Augen nicht!
ALLE Türchen sind sperrangelweit auf! Kein Schokostückchen mehr zu sehen!
Voller Freude ruft sie mir entgegen: „Mama, du hast doch gesagt, wenn alle Türchen auf sind, dann ist Weihnachten!“
© GaSchu Dezember 2012
Texte: Ga Schu
Bildmaterialien: Ga Schu
Tag der Veröffentlichung: 13.12.2012
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